Ganz erstaunliche Kinder
Angeblich gibt es Kinder, die sich im Fond eines Mittelklassewagens pudelwohl fühlen und auch nach einer 1000-km-Non-Stop-Fahrt keinerlei Unmutsäußerungen von sich geben.
Angeblich gibt es auch Kinder, die nichts lieber tun, als stundenlang hinter ihren lieben Eltern blauweißen oder rotgrünen Markierungen nachzugehen, und die, wenn sie am Ziel der Wanderung angekommen sind, enttäuscht fragen: „Sind wir schon da?“
Angeblich gibt es auch Kinder, die begeistert durch ausländische Kirchen und Museen schreiten und ergriffen Seitenaltäre anstarren und beglückt vor barocken Gemälden verweilen.
Angeblich gibt es sogar Kinder, die genussvoll fremdländische Speisen verkosten und beim Kauen von Polypen Entzückensschreie ausstoßen. Diese Kinder reagieren auf extravagante ausländische Kost auch nie mit einer Verstimmung ihres Verdauungstraktes.
Ich habe zwar so ein Kind noch nie kennengelernt, aber ich habe schon sehr viele Eltern kennengelernt, die mir eidesstattlich versicherten, dass ihre Kinder diese angenehmen Eigenschaften vom Babyalter an besäßen. Glückliche Eltern!
Meine Kinder gaben, wenn ich mit ihnen auf Urlaub fuhr, schon bei Purkersdorf-Gablitz die ersten Unmutsäußerungen von sich, fragten ab Autobahnkilometer 100 alle zehn Minuten: „Sind wir endlich da?“, gerieten ab Salzburg in Streit und ließen am Brenner den Streit in lebensbedrohliche Tätlichkeiten ausarten.
Meine Kinder hatten nach einer Stunde Wandern Blasen an den Fersen und waren am hurtigen Voranschreiten überhaupt nicht interessiert. Dauernd wollten sie Blümlein pflücken und Käferlein anschauen. Und dass nicht alle 200 Schritte lang eine Flasche Cola ausgegeben wurde, vergrämte sie schwer.
Meine Kinder streikten vor Kirchentoren und Museumstüren, die Akropolis bezeichneten sie als „alten Steinhaufen“, vor Botticellis „Frühling“ stritten sie um ein Micky-Maus-Heft, und am Prado interessierte sie bloß der Eisverkäufer neben dem Eingang.
Meiner Kinder Augen weiteten sich vor Entsetzen, wenn der Ober die Paella auftrug. Hartnäckig forderten sie an den diversen Urlaubsstränden dieser Welt Frankfurter und Wiener Schnitzel und rächten sich für den Entzug dieser Speisen mit urlaubsfüllendem Bauchweh.
Meine Kinder waren bloß über eine Strecke von 500 km transportfähig; und dies auch nur mit drei „Pipi-Pausen“ und einer Jausenpause. Sie wollten im Urlaub stets dort sein, wo sie schon voriges Jahr gewesen waren. Dort, wo sie jeden Stein und jeden Baum kannten und mit einheimischen Menschen und Tieren Freundschaft geschlossen hatten.
Was habe ich bloß für sonderbare Kinder gehabt!
Oder war bloß ich so sonderbar, dass ich meine eigenen Urlaubsbedürfnisse nach Ferne und Unbekanntem gegen meine Kinder nie so richtig durchsetzen konnte?