Achtundvierzig
»Noch einen!« verlangte Clive mit lauter Stimme von dem genervt dreinblickenden Barkeeper.
»Ich glaube du hattest genug. Es ist noch nicht einmal Mittag und du bist bereits nicht mehr im Stande geradeaus zu gehen.«
»Und das hat dich inwiefern zu interessieren? Gib mir das beschissene Bier oder ich mache eure Drecksbude dicht!« drohte Clive in halbtrunkenen Dämmerzustand und fuchtelte wild mit seiner Dienstmarke in der Luft herum. Einige der anderen Anwesenden sahen sich neugierig nach dem Schreihals um und widmeten sich dann sofort wieder ihren Gesprächen.
»Wir kennen deine Marke du jämmerlicher Schlappschwanz. Und glaub mir, sie ist der einzige Grund warum du wegen deinem Benehmen noch nicht das Zeitliche gesegnet hast.« baute sich der Barkeeper vor Clive auf. Aus einem intakten Auge und einer gläsernen Attrappe funkelte er den Polizisten an.
Der Barkeeper war ein in die Jahre gekommener Mann, der sein Gesicht im Laufe der Zeit oft der Sonne ausgesetzt hatte. Früher, als er noch mit den anderen Clubs gefahren war. Früher. Seine wilden Zeiten waren vorbei. Seit einigen Monaten beschränkte er sich darauf, Gastgeber für die Biker in ihrem inoffiziellen Vereinsheim zu sein. Es befand sich in einer heruntergekommenen Spelunke, in der an guten Tagen nur das halbe Mobiliar einer Meinungsverschiedenheit zum Opfer fiel. Gute Tage bildeten allerdings die Ausnahme.
Clive hatte einen Deal mit ihnen. Er konnte trinken wann er wollte und so viel er wollte, solange er jegliche Untersuchungen und Razzien gegen die Gang unterband. Bisher hatte er relativ zuverlässig seinen Teil der Abmachung eingehalten und so duldeten sie seine Besuche und das mit dem steigenden Alkoholpegel einhergehende asoziale Verhalten.
Oft dachten sie darüber nach ihn zu beseitigen, wenn er sich wieder in Embryonalstellung zusammenkauerte und den Boden mit seinem Erbrochenen flutete. Doch einen Cop konnte man nicht so einfach loswerden. Egal wie korrupt er war.
»Und warum habe ich dann immer noch kein volles Glas vor mir stehen?« zeigte sich Clive vom Verhalten des Barmannes unbeeindruckt.
Schnaubend ergriff der eine Flasche ohne Etikett, deren durchsichtigen Inhalt die Kehle beim Schlucken wie glühende Lava hinunterrann. Clive prostete ihm mit einem hämischen Grinsen zu und leerte das Glas in einem Zug. Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an den Tresen, während sein Organismus versuchte den Ausnahmezustand in seinem Hals unter Kontrolle zu bringen.
Deshalb bemerkte er den Mann nicht, der seinen Kopf für einen kaum merklichen Augenblick zur Türe hineinsteckte und dem Barmann zuwinkte. Eine Gruppe von Bikern bemerkte die Geste ebenfalls und blickte zu dem Barmann, der mit dem Finger auf Clive deutete. Daraufhin setzte sich die Meute in Bewegung. Sie bildete mit dem Tresen zusammen einen geschlossenen Halbkreis. In dessen Mitte befand sich Clive, der erst jetzt wieder seine Augen aufschlug.
»Wow! Irgendwann müsst ihr mir verraten wie ihr das Zeug macht! Unglaubliches Gesöff!«
Verwirrt blickte er in die Gesichter der vier Männer, die ihn unvermittelt eingekesselt hatten.
»Kann ich euch
irgendwie helfen?« wollte Clive wissen und lehnte sich bewusst
lässig mit dem Rücken an den Tresen. Eine Hand wanderte in Richtung
seines Waffenholsters, welcher unter seiner Jacke verborgen war.
Bevor er sie erreichte, schlug der Barmann mit aller Wucht zu. Die
Flasche ohne Etikett zersplitterte an Clives
Hinterkopf.
Sofort sackte er bewusstlos in sich
zusammen. Sein Kopf knallte hart auf einem Stuhl auf, bevor ihn die
Männer auffingen.
»Ich würde ja normalerweise an dieser Stelle sagen, dass das hier nichts Persönliches sei. Bei Gott, so sehr hätte ich noch nie in meinem Leben gelogen.« offenbarte der Barmann und erntete schallendes Gelächter von allen anderen in der Bar. »Schaffen wir den Penner raus.«
Zusammen mit zwei Männern, die den bewusstlosen Clive an Armen und Füßen schleppten, trat der Barmann durch den Eingang auf die Straße hinaus.
»Seid ihr die beiden, die Scott angekündigt hat?« erkundigte er sich bei zwei vermummten Gestalten, die neben der Seitentür zur Ladefläche eines Vans standen. Coleman und Paul nickten unter ihrer Maskierung knapp zur Zustimmung.
»Ist das der Mann, den ihr sucht? Scotts Beschreibung war eher vage, aber passte genau auf das korrupte Schwein.« fragte der Barmann und deutete dabei auf Clive, der wie ein nasser Sack zwischen den beiden Trägern baumelte.
Coleman erkannte ihn wieder.
»Lebt er noch?« fragte er.
»Klar. Der wacht in ein bis zwei Stunden mit den Kopfschmerzen seines Lebens auf.« lachte einer der Träger.
»Schmeißt ihn rein.« forderte Paul die beiden Träger auf und öffnete die Seitentüre des Transporters mit einem Ruck. Auf ein Zeichen des Barmannes hin, warfen sie Clive hinein, als wäre er ein Sack Kartoffeln, den die beiden gerade auf dem Bauernmarkt erstanden hatten.
»Scott meinte wir sehen dieses Arschloch nie wieder. Ist das richtig?« wollte der Barmann zweifelnd wissen. Er musterte Coleman und Paul eingehend, die zu Clive stiegen und die Tür hinter sich schließen wollten.
»Keine Angst. Er wird nie wieder einen Fuß in eure Absteige setzen.« lautete die knappe Antwort. Dann brauste das Fahrzeug davon.
»Bitte, gerne geschehen.« brummte der Barmann ihnen hinterher und verschwand wieder in der Spelunke. Hinter dem Tresen schnappte er sich das Telefon und drückte eine Kurzwahltaste.
»Scott?«
»Ja?«
»Er war es. Ich glaube ihr seid quitt.«
»Danke Donnie.«
»Nicht dafür alter Freund.«
Das Freizeichen ertönte und die Leitung erstarb.
***
Der Transporter hielt quietschend vor einer verlassenen Lagerhalle außerhalb der Stadt. Sie stand zwischen einigen anderen. Alle glichen einander durch dieselbe Bauweise, die gleichen Proportionen und den identischen Anstrich. Die ganze Gegend wirkte trist und von der Welt vergessen. Den früher angedachten Zweck der Gebäude konnte man ihnen nicht ansehen. Sie waren Opfer der Zeit, verfallene Ruinen, die bereits allmählich von der Natur zurückerobert wurden.
Paul studierte die Wunde an Clives Kopf, der noch immer bewusstlos zu seinen Füßen lag.
»Bereit?« erkundigte Coleman sich bei Paul. Sie hatten beide wieder ihre Skimasken abgenommen, mit denen sie zuvor dem Barkeeper gegenübergetreten waren. Scott mochte ihm vielleicht sein Vertrauen schenken. Sie noch lange nicht. Es gab niemandem mehr, dem sie vertrauten.
Zusammen mit einer schwarzen Hose, einem schwarzen Pullover und ledernen Handschuhen, hatten sich die Masken in dem Beutel befunden, den Coleman für sie vorbereitet hatte. Bis auf die Masken trugen sie die restliche Kleidung beide noch am Körper.
»Los geht’s. Ich hoffe, der Schlag hat ihn nicht zum sabbernden Gemüse degenerieren lassen.« gab Paul zu bedenken und stieg aus dem Wagen. Zusammen schnappten sie sich Clive. Dessen Kopf zierte ein provisorischer Verband, der die Blutung seiner Platzwunde allerdings nur dürftig stillte.
»Euer Wagen steht da vorne. Die Schlüssel sind unter der Sonnenblende. Der Tank ist voll. Viel Glück.« lautete die knappe Verabschiedung ihres Fahrers. Er lehnte sich aus dem Fenster und deutete zu einem alten Mustang mit absplitterndem Lack, der neben dem verlassenen Gebäude stand.
Coleman schnappte sich eine große und offenbar schwere Sporttasche, schloss die Seitentür des Vans und klopfte mit der flachen Hand zwei Mal gegen die Außenwand des Wagens. Der brauste bei diesem Zeichen davon und ließ Paul und Steve alleine mit ihrer Beute.