Eindundreißig

Rutherford begleitete Paul und Prince bis zur Tür und verabschiedete die beiden jeweils mit einem freundlichen Händedruck. Beim Herabsteigen der Treppenstufen in Richtung Straße fiel ihnen eine allzu bekannte Gestalt auf. Sie stand in ihrem maßgeschneiderten und zweifelsohne sündhaft teuren Anzug an einen schwarzen Geländewagen gelehnt, der zwischen zwei anderen, vollkommen identischen Fahrzeugen parkte. Als sie die letzten Stufen nahmen, schlenderte Alessio ihnen gemächlichen Schrittes entgegen.

»Ciao médico. Ciao Prince. Wie geht es euch heute?« empfing Alessio die verdutzt Dreinblickenden mit einer Umarmung und Begrüßungsküsschen auf den Wangen. Paul und Prince bemühten sich die Zeremonie richtig mitzuspielen.

»Ich kann mich nicht beklagen. Und du?« erkundigte Paul sich skeptisch. Prince pflichtete seinem Freund bei.

»Ach, die Tage hier sind zu kalt und zu dunkel. Das fördert meine gute Laune nicht direkt.«

Alessio kicherte, woraufhin Paul und Prince mit einstimmten. Sie hatten das ungute Gefühl, dass sie den Mafioso besser nicht verärgern sollten.

»Welchen Umständen verdanken wir deine Anwesenheit Alessio?« erkundigte sich Paul vorsichtig. Zu gut erinnerte er sich an seine letzte Zusammenkunft mit Alessio. Dort bedrohte der Mann in einem Atemzug einen Polizisten mit seiner Waffe und im Nächsten identifizierte er beiläufig eine Leiche, die gleichzeitig sein Opfer darstellte.

Der Mafioso ignorierte Pauls Frage, nickte stattdessen in Richtung der Bank und schlussfolgerte dann, »Dir scheint es gut zu gehen médico.« Die blauen Augen hielten ihren stechenden Blick auf Paul gerichtet. Der zuckte verlegen mit den Schultern.

»Ich habe ein bisschen was auf die Seite gelegt.«

»Das Bisschen hätte ich gerne auch mal auf meinem Konto.« zwinkerte Alessio ihm zu und öffnete die hintere Tür des Geländewagens, an den er sich zuvor angelehnt hatte.

»Steig ein Paul.«

Paul bewegte sich im ersten Moment nicht, spürte dann jedoch wie sich sein Körper gegen die Anweisung seines Verstandes in Richtung des Wagens in Bewegung setzte. Prince folgte ihm auf dem Fuße. Sobald Paul im Wagen Platz genommen hatte, schlug Alessio die Tür zu, bevor Prince einsteigen konnte.

»Du fährst mit dem Wagen hinter uns Craigin.« teilte Alessio ihm mit einem Fingerzeig auf einen der beiden anderen Wagen mit.

»Gibt es ein Problem Alessio?« fragte Prince mit zusammengekniffenen Augen.

»Keineswegs. Wie kommst du darauf?«

»Warum sollte ich sonst wohl in einem anderen Wagen mitfahren sollen?«

»Wenn du noch weiter meine Zeit verschwendest fährst du im Kofferraum mit.« Alessio rieb sich die Kehle und fügte hinzu. »Falls du verstehst was ich meine.«

»Wohin geht die Reise?« versuchte Prince sich unbeeindruckt ein letztes Mal aufzubäumen. Alessio verdrehte daraufhin genervt die Augen.

»Steig endlich ein.«

Mit diesen Worten nahm Alessio auf dem Beifahrersitz vor Paul Platz. Die Tür schloss mit einem dumpfen Geräusch, als die Gummidichtung den Aufprall der zugezogenen Tür abbremste.

Prince überlegte kurz gegen die Anweisung zu handeln und einfach einzusteigen, doch in diesem Moment wurden die Türen von innen verriegelt. Ihm blieb daher keine andere Wahl. Daher stieg er in den Geländewagen, auf den Alessio gedeutet hatte. Sobald er Platz genommen hatte, scherten die Wagen auf die Straße aus und der Konvoi aus drei Fahrzeugen setzte sich in Bewegung.

»Wohin bringt ihr uns Alessio?«

»Das erfährst du früh genug médico.«

»Haben wir ein Problem?«

»Dieses Wetter macht anscheinend auch dir zu schaffen. Euch passiert nichts.«

Das musste Paul vorerst genügen, denn die restliche Fahrt über herrschte entweder Schweigen oder Alessio unterhielt sich belustigt mit dem Fahrer auf Italienisch.

An einer roten Ampel bemerkte Paul, dass der Wagen, in den Prince eingestiegen war, sich nicht mehr hinter ihnen befand.

»Alessio, ich glaube wir haben die anderen verloren.« beugte er sich zwischen den beiden Vordersitzen nach vorne und versuchte die beiden Mafioso auf das Verschwinden des dritten Gefährtes aufmerksam zu machen.

»Alles ist in Ordnung.«

»Warum sind sie dann nicht hinter uns?«

»Weil es für sie unsinnig wäre hier entlang zu fahren.«

Paul benötigte ein paar Augenblicke um sich darüber im Klaren zu werden, was die Aussage bedeutete.

»Wohin fahren wir Alessio?« fragte er mit einem Anflug von Panik in der Stimme.

»Nicht dorthin wo Prince fährt.« antwortete Alessio und schmunzelte Paul über die Schulter hinweg an. »Jetzt entspann dich. Ich habe gesagt, dass euch nichts geschieht. Calma per favore.«

Widerwillig befolgte Paul die Anweisung. Wohl auch, weil ihm bewusst war, dass Widerworte keine Änderung seiner Situation erbringen würden. So betrachtete er während der Fahrt die Welt, wie sie an ihm vorbeizog. Stets mit einem wachsamen Auge auf seine beiden Vordermänner.

 

***

 

Eine halbe Stunde später gondelte das Auto eine wundervoll angelegte Allee entlang. Die Blätter der Bäume hatten sich herbstlich bunt gefärbt und begannen sich nach und nach von den Ästen zu lösen.

Der Fahrer folgte der Straße bis zu einem imposanten Eingangstor, das den Weg zu einem gigantischen Grundstück mit einem palastähnlichen Gebäude versperrte. Vor dem Eingang hielt ein junger Mann einsam die Stellung in einem kleinen Wärterhaus.

Unmittelbar vor dem Tor brachte der Fahrer ihren Wagen zum Stillstand und Alessio ließ seine Fensterscheibe hinuntergleiten. Der wachhabende Junge und er wechselten einige Sätze auf Italienisch. Der Junge betätigte daraufhin einen Knopf. Quietschend teilte sich das Tor und verschwand in der massiven Steinmauer rechts und links, woraufhin der Fahrer den Geländewagen wieder in Bewegung setzte. Vor den Stufen des Hauseinganges hielt er an.

»Aussteigen médico. Wir sind da.« ließ Alessio seinen Fahrgast wissen und sprang seinerseits aus dem Auto. Paul betrachtete das imposante Gebäude durch die getönten Scheiben und folgte dem Befehl mit einem zunehmend mulmigeren Gefühl.

Der Kies knirschte unter seinen Sohlen. Gemächlich trottete er Alessio zur Eingangstür hinterher. In seinem Rücken hörte er, wie der Fahrer auf das Gas stand und mit dem Wagen wieder verschwand.

Ich werde wohl nicht so bald wieder hier weg kommen.

Ungeduldig warf Alessio einen Blick über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass Paul immer noch da war. Wieder dieses Grinsen, das er ihm bereits auf der Fahrt hierher entgegengeworfen hatte.

Wenigstens sterbe ich jung und reich.

Paul schloss zu Alessio auf. Ihm fiel auf wie sinnentleert dieser Gedankenfetzen war. Nachdem er genau darüber nachdachte, konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Auf diese makabre Ironie, vermochte er nicht anders zu reagieren. Da war er reich und würde den Schatz mit ins Grab nehmen.

»Warum plötzlich so gut gelaunt médico?« erkundigte sich Alessio, der den Stimmungswandel ganz offensichtlich falsch verstand.

»Warum bin ich hier Alessio?« versuchte Paul es nochmals schmunzelnd, der Frage des Mafioso ausweichend. Der ließ daraufhin mit einem Augenzwinkern den Knopf für die Türklingel in seiner Vorrichtung verschwinden. Im Inneren des Hauses kündigte ein angenehm klingender Dreiklang das Eintreffen von Gästen an.

»Troppo tardi, Alessio! Come sempre.« beklagte sich eine kleine, rundliche Dame in vorwurfsvollem Tonfall, dass Alessio wieder wie immer zu spät sei. Sie befand sich in einem gehobenen Alter. Ihr Gesicht wurde durch kleine Fältchen verziert, die bei den Bewegungen ihres Mundes ein Eigenleben entwickelten. Ihre erquickende Art erschien sie sich hingegen aus der Zeit ihrer Jugend erhalten zu haben. Paul konnte grob schätzen, wann das gewesen sein musste.

Ihr ergrautes Haar trug sie zu einem strengen Dutt auf dem Hinterkopf. Der erweckte den Anschein, direkt auf dem Körper angewachsen zu sein, den sie in ein altmodisch weit geschnittenes Blumenkleid gesteckten hatte. Vergeblich suchte man nach dem Ansatz eines Halses.

»Mi dispiace mamma Estraga. Es tut mir so unsagbar Leid.« erwiderte der sonst so kalte Mann, umarmte die kleine Frau herzlich und überhäufte ihre Wangen mit Küssen, bis sie ihn kichernd von sich wegstieß. »Willst du Mamma Estraga nicht begrüßen médico?« erkundigte sich Alessio bei Paul, der verdutzt in der Tür stand. Der fordernde Blick des Mafiosos gab ihm zu verstehen, dass er durch sein Schweigen gerade eine Todsünde beging.

»Mamma, das ist Paul. Er ist ein Freund von Giovanni.« stellte er Paul der kleinen Dame vor, die freudig ihre Hände zusammenschlug.

»Ciao, Paulo. Piacere!« hieß sie Paul herzlich willkommen und zog seinen massigen Körper mit einer Umarmung an ihren heran. Ihre Stummelarme konnten gerade so um seine Seite fassen und waren gleichzeitig weit davon entfernt, sich hinter seinem Rücken wieder zu berühren.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Frau Estraga.« erwiderte Paul den angenehmen Empfang und tätschelte der Frau von oben herab den Rücken. Vergleichbar einem Hund, den er für sein vorbildliches Verhalten lobte. Alessio bedeutete ihm daraufhin energisch, dass er sie gefälligst zu umarmen habe, woraufhin Paul sofort Folge leistete.

Was war schon dabei die Umarmung einer netten alten Dame zu erwidern? Vor knapp fünf Minuten hatte er noch fest damit gerechnet auf dem Weg dorthin zu sein, von wo aus man die Radieschen beim Wachsen von unten beobachten konnte. Daher drückte er das kleine Mütterchen solange, bis sie ihre Umarmung löste.

»Bitte nenne mich Mama. Das machen hier alle. Wir brauchen keine Formalitäten.« bat sie Paul und brachte blitzblank polierte Dritte Zähne zum Vorschein.

Paul nickte dankend und erwiderte ihr Lächeln. Mama Estraga drehte sich daraufhin zufrieden dreinblickend um und huschte davon. »Setzt euch zu Giovanni. Das Essen ist gleich fertig.« rief sie ihnen zu, als sie den Raum schon verlassen hatte. Alessio bedeutete Paul die Schuhe auszuziehen und ihm danach zu folgen.

Paul platzierte seine Jordans in einer dafür vorgesehenen Ablage und trottete hinter Alessio her. Auf dem Weg zu seinem Gastgeber, konnte sich Paul einen besseren Eindruck von dem großen Gebäude machen, welches ihm das authentische Gefühl vermittelte gerade in der Toskana gelandet zu sein. Gleich würde er auf die Terrasse hinaustreten, um auf nicht enden wollenden Hügel und Weinberge hinabsehen zu können, die sich in der warmen Sonne im saftigsten Grün präsentierten. Sanft würden sie am Horizont in das Meer abfallen.

»Alessio?«

»Médico?«

»Du hast diese Frau gerade Mama Estraga genannt.«

»Das habe ich. Warum fragst du?« wollte Alessio wissen und blickte Paul dabei forschend an. Bei einem Blick in dessen Gesicht wurde ihm schlagartig bewusst, warum er diese Frage stellte. »Dein Freund hat dir nicht gesagt, wer sein Partner ist, richtig?« mutmaßte er und traf dabei mitten ins Schwarze.

Paul schüttelte ehrfürchtig den Kopf.

Das hat Prince wohl vergessen mir mitzueilen. Was ist auch großartig dabei? Sein Partner ist der inzwischen größte Mafiaboss der Stadt, der sich erst vor wenigen Tagen seinem einzigen Konkurrenten entledigt hat.

»Mach dir keinen Kopf.« versuchte Alessio ihn zu beruhigen. Dass er dabei herzhaft auflachen musste, half nicht, Paul zu beruhigen »Wir sind immerhin mittlerweile alle Freunde.«

Paul nickte knapp, doch man konnte ihm ansehen, dass er nicht überzeugt war. Schweigend setzten sie ihren Weg durch das Gebäude fort. Oft kamen sie dabei an Wänden vorbei, an denen riesige Ölgemälde angebracht waren. Sie zeigten einzelne Personenportraits oder imposante Naturschauspiele. Paul kam aus den Staunen gar nicht mehr heraus. Nach außen versuchte er sich gelassen zu geben.

»Ganz hübsch hier.« versuchte er betont lässig einzugestehen, was ihm ein weiteres von Alessios Grinsen einbrachte.

Sie traten hinaus in einen großen Wintergarten mit beheiztem Süßwasserpool, der den Anschein erweckte, als handle es sich bei ihm um einen natürlichen See. Mit Liebe zum Detail waren Schilf, Wasserpflanzen und andere Utensilien angebracht worden, um die Illusion zu perfektionieren. Sogar für einen Wasserfall hatte man gesorgt.

Neben dem Pool stand ein runder Tisch aus dunklem Holz, an dem leicht zehn Leute Platz finden würden. In dem Moment, in dem Paul und Alessio den Raum betraten knallte der einzige am Tisch sitzende Mann fluchend ein Handy auf den Tisch. Mit hochrotem Gesicht sah er auf und bemerkte die beiden Neuankömmlinge.

Giovanni Estraga hatte allem Anschein nach nicht die beste Laune.

Das Konto
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