Zwölf

Der Anblick, der sich Prince und Paul bei ihrem Eintritt bot, entpuppte sich alles andere als angenehm. Im Gegensatz zu ihrer ersten Vermutung, handelte es sich nicht um ein Problem mit Bobby.

Der stand dem eigentlichen Problem gegenüber und nähte ihm mit groben Stichen eine große Platzwunde auf der Stirn. Das Problem hörte auf den Namen Gerhard und war ungewöhnlich weiß für jemanden, der sich in Prince Behausung aufhalten durfte. Die roten Haare des Mannes klebten durch eine Menge geronnenen Blutes fest an dessen Kopf.

Er saß in sich zusammengesunken auf einem Stuhl und bot einen bedauernswerten Anblick. Sein linkes Auge war komplett zugeschwollen. Die Nase war allem Anschein nach gebrochen, denn sie wies eine ungesunde Krümmung auf. Anstelle der oberen Schneidezähne klaffte eine dunkle Lücke. Beide Lippen waren aufgeplatzt. Allgemein gesehen, stelle sein genetischer Fingerabdruck den einzig verbliebenen Weg dar, um ihn zu identifizieren.

Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft bei jedem Einstich von Nadel und Faden, mit welchem der Cut nach und nach mit chirurgischer Präzision verschlossen wurde. Dabei platzten die in Mitleidenschaft gezogenen Lippen von Gerhard immer wieder erneut auf.

Prince schüttelte bei dessen Anblick augenblicklich seinen Rausch ab. Er nahm auf der Couch Platz und wartete nicht bis Bobby seine Arbeit beendet hatte.

»Was ist passiert?« erkundigte sich Prince emotionslos in Richtung des deformierten Haufens, der einmal ein Gesicht dargestellt haben sollte.

»Scheiße Prince ich kann nichts dafür. Das schwöre ich dir.« begann sich der Gefragte zu rechtfertigen, wobei ihm jedes Wort aus seinem Mund Schmerzen bereitete.

»Ich habe dich gefragt was passiert ist, Gerry.«

Paul sah seinem Freund an, dass er sich sehr stark beherrschen musste, um seine Wut im Zaum zu halten. Was er am meisten auf der Welt hasste waren Leute, die nicht auf seine Fragen antworteten.

Bobby bildete am Ende der Schnur, mit der er die Wunde genäht hatte, einen Knoten und trennte den überstehenden Rest mit seinen Zähnen ab. Zufrieden betrachtete er sein Werk, bevor er Prince zunickte, sich seine Atemmaske wieder über Mund und Nase zog und durch den Vorhang in dem Labor verschwand.

»Ich stand unten an der Ecke Monroe. Da kommt so ein weißer Schlipsträger zu mir und fragt, ob er was haben kann. Ich denke mir, dass das irgendein anderer überarbeiteter Arsch ist, der einfach einen guten Trip braucht.« Er brach mitten im Satz ab und schluckte mit einem gequälten Gesicht. Es war unverkennbar, dass ihm das Reden Schmerzen bereitete.

Etwas leiser fuhr er fort. »Auf jeden Fall will ich ihm grade eine kleine Packung geben, als die scheiß Bullen vorbeifahren, aussteigen und mich verhaften wollen. Ich bin dann weggerannt. Es waren zwei fette Cops, der eine hatte beim Aussteigen noch einen Doughnut in der Hand. Ich wartete in einer Seitengasse und lasse sie an mir vorbeirennen. Plötzlich brüllt jemand „Vorsicht“. Im gleichen Moment, in dem ich mich umdrehe, trifft mich ein Stück Rohr am Kopf und drei Typen prügeln auf mich ein.«

Erschöpft versuchte er sich auf dem Stuhl zu entspannen, nachdem er seinen Report beendet hatte. Paul musterte erschrocken seinen Freund. Hätte er ihm gegenübergesessen, wäre er bei dem irren Blick von Prince nicht im Stande dazu gewesen ein Wort von sich zu geben.

»Wie viel?« flüsterte Prince naserümpfend und starrte auf den Boden hinab. Seine Kiefer arbeiteten. Mahlten. »Wie viel haben die Ratten mir geklaut?«

»Scheiße Poison, es ist erst halb fünf. Um die Uhrzeit habe ich erst elf Päckchen unter die Leute gebracht. Der Rest kommt immer abends weg.« sagte Gerhard, wobei Paul glaubte Tränen in dessen Augen zu erkennen. »Es war der ganze Rest man. Sie haben den ganzen Rest. Neununddreißig Päckchen haben mir die Penner abgezogen.« Nach einer quälenden Pause setzte er leise eine Entschuldigung hinzu.

Paul nahm ihm die Geschichte ab. Sein Blick fiel auf den Bizeps, der das XL-Shirt des Jungen beinahe zum Platzen brachte. Die Räuber mussten größenwahnsinnig sein, die Faust gegen solch einen Fleischberg zu erheben.

Prince pfiff leise.

»Neununddreißig. Das ist eine Menge. Wer, denkst du, wird mir den Schaden ersetzen, wenn nicht du, Gerhard?«

Der Kurier kannte die Antwort und senkte beschämt seinen Blick zu Boden. Er wagte es nicht den kalten Augen zu begegnen, die gerade auf ihm ruhten.

»Ich weiß, wer es war.« stammelte Gerhard leise vor sich hin.

»Was hast du gesagt?«

»Ich weiß wer es war.« wiederholte er mit einer etwas kräftigeren Stimme. »Du kennst sicher diese drei halbstarken Affen, die den ganzen Tag vorm Nordeingang zum Garfield Park herumlungern, oder?«

Prince bedeutete ihm mit einer Handbewegung weiterzusprechen.

»Drei Glatzköpfe. Ziemlich am Ende. Füttern immer die Tauben.«

Prince nickte.

»Weißt du, wo sie wohnen?«

Gerhard nickte, den Blick weiterhin in Demut gesenkt.

»Dieses Mal hol ich dich nochmal aus der Scheiße heraus. Das nächste Mal stehst du für deine Ware gerade. Ist das klar?«

Gerhard nickte verhalten.

»Schreib mir die Adressen auf und dann geh nach Hause und steck dein Gesicht zwei Tage in den Kühlschrank. Du siehst aus wie ein missglücktes Experiment.«

Das geschwollene Gesicht des Jungen versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, war mit dieser Anordnung seines Gehirns jedoch vollkommen überfordert. Er bedankte sich überschwänglich bei Prince, der ihn mit Mühe durch die Tür hinausgeschoben bekam.

»Ich muss das mit meinen Jungs wieder in Ordnung bringen, Paul. Wenn wir wieder zurück sind, fahren wir ins Stadion. Einverstanden?«

Prince hielt Paul die Hand hin und der schlug ein.

Einverstanden.

»Natürlich. Ich lege mich solange einfach nochmal hin. Das Zeug, das du mir da eingeschenkt hast, zerfrisst glaube ich gerade meine Innereien.«

 

***

 

Paul betrat seine Wohnung. Er gedachte es sich zum ersten Mal seit fast vierundzwanzig Stunden in seinem Bett bequem zu machen. In seinem Rücken stürmte Prince zusammen mit den beiden Latinos und den Kampflesben polternd die Treppe hinunter.

Svenja trug einen Baseballschläger aus Aluminium in der Hand. Was sich unter den dick gepolsterten Collegejacken der Latinos verbarg, wollte Paul lieber gar nicht erst wissen.

Auf dem Weg nach unten kam ihnen Miss Gonzales entgegen, die von jedem herzlich begrüßt wurde. In ihrer gutmütigen Naivität wünschte sie ihnen viel Spaß beim Spielen, da ihr der Schläger in Svenjas Hand auffiel.

Paul schmunzelte.

Höchstwahrscheinlich konnte er die Knochen der drei armen Irren gleich bis zu sich in das Schlafzimmer knacken hören. Niemand bestahl Prince F. Craigin ungestraft.

Das Konto
titlepage.xhtml
part0000_split_000.html
part0000_split_001.html
part0000_split_002.html
part0000_split_003.html
part0000_split_004.html
part0000_split_005.html
part0000_split_006.html
part0000_split_007.html
part0000_split_008.html
part0000_split_009.html
part0000_split_010.html
part0000_split_011.html
part0000_split_012.html
part0000_split_013.html
part0000_split_014.html
part0000_split_015.html
part0000_split_016.html
part0000_split_017.html
part0000_split_018.html
part0000_split_019.html
part0000_split_020.html
part0000_split_021.html
part0000_split_022.html
part0000_split_023.html
part0000_split_024.html
part0000_split_025.html
part0000_split_026.html
part0000_split_027.html
part0000_split_028.html
part0000_split_029.html
part0000_split_030.html
part0000_split_031.html
part0000_split_032.html
part0000_split_033.html
part0000_split_034.html
part0000_split_035.html
part0000_split_036.html
part0000_split_037.html
part0000_split_038.html
part0000_split_039.html
part0000_split_040.html
part0000_split_041.html
part0000_split_042.html
part0000_split_043.html
part0000_split_044.html
part0000_split_045.html
part0000_split_046.html
part0000_split_047.html
part0000_split_048.html
part0000_split_049.html
part0000_split_050.html
part0000_split_051.html
part0000_split_052.html
part0000_split_053.html
part0000_split_054.html
part0000_split_055.html
part0000_split_056.html
part0000_split_057.html
part0000_split_058.html
part0000_split_059.html
part0000_split_060.html
part0000_split_061.html
part0000_split_062.html
part0000_split_063.html
part0000_split_064.html
part0000_split_065.html
part0000_split_066.html
part0000_split_067.html