Vierundzwanzig

Coleman verdrehte genervt die Augen. Immer noch aufmerksam lauschend, nippte er ungeduldig am Nebentisch an seinem Bier. Für schnulziges Gelaber hätte er sich vor den Fernseher legen und einen dieser ekelhaften Seifenopern über sich ergehen lassen können. Zwei Mal musste er sich sehr zusammennehmen, um nicht genervt aufzustöhnen und Pauls Gejammer zu beenden.

Angewidert verzog der Detective das Gesicht. Sein Getränk hatte mittlerweile Zimmertemperatur erreicht und war vollkommen ungenießbar. Alles in ihm schrie danach, sich wieder an die Bar zu setzten und die Leber an ihre Grenzen zu treiben, als Paul plötzlich seine Stimme wiederfand. Coleman hielt den Atem an und konzentrierte sich ganz auf die Worte, die hinter seinem Rücken gesprochen wurden.

 

***

 

Ohne Vorwarnung schnellte Pauls Hand nach vorne. Sie umklammerte das Mojitoglas, welches er bis zu diesem Zeitpunkt komplett ignoriert hatte, und stürzte es ansatzlos die Kehle hinunter.

Prince entwich ein überraschtes Glucksen. So schnell wie die Stimmung abgesackt war, sollte sie wieder steigen. Paul hatte seine Starre abgeschüttelt und befand sich wieder unter den Lebenden.

»Wie viel Zucker haben die bitte in das Gesöff gepanscht?« fragte Paul mit angewidert verzerrtem Gesicht.

»Das frage ich mich die ganze Zeit. Ekliger Scheiß was?« lachte Prince. Paul reckte bestätigend einen Daumen in die Luft. In der Hoffnung den intensiven Geschmack aus seinem Mund zu bekommen, spuckte er angewidert in sein leeres Glas. Der übertrieben süße Geschmack blieb hartnäckig zurück.

»Noch eine Runde?«

Paul senkte den in die Luft gestreckten Daumen nach flüchtiger Überlegung in die Entgegengesetzte Richtung.

»Ich bin noch gar nicht losgeworden, was ich dir eigentlich erzählen wollte. Dafür brauchen wir beide einen einigermaßen klaren Kopf.«

Beim Gedanken daran hellten sich Pauls Gesichtszüge auf, was bei Prince das Interesse nahezu ins Unermessliche steigen ließ.

»Auf einer Skala von Eins bis Zehn. Wie interessant ist das, was du mir gleich erzählen wirst?«

»Was ich dir gleich erzähle sprengt jede Skala dieser Welt.«

Prince zog ungläubig beide Augenbrauen hoch, bedeutete Paul dann jedoch mit einer Handbewegung fortzufahren. Paul blickte sich verstohlen um. Dann lehnte er sich, soweit ihm sein Bauch es erlaubte, näher zu Prince.

»Nachdem Alessio heute Morgen gegangen war, habe ich die von ihm identifizierte Leiche untersucht.« begann Paul seine Geschichte von vorhin fortzusetzen. Sein Freund orderte währenddessen zwei weitere Mojitos, was ihm einen missbilligenden Blick seitens Paul einbrachte. Nichtsdestotrotz führte Paul seine Erzählung weiter.

Er begann mit dem Tattoo aus weißer Farbe, wie er das E-Mail Fach durchforstete, im Kalender glücklicherweise fündig geworden war und endete mit seinem Besuch in der Bank.

Prince unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Er hing an Pauls Lippen.

 

***

 

Steve konnte nicht alles verstehen, was am Nebentisch geredet wurde. Doch er war sich sicher, dass er den Namen der Bank richtig verstanden hatte. Den Namen der Bank, die ihm heute in Form eines Ausdrucks begegnet war. Das konnte ein Zufall sein, oder auch nicht. Fakt war, dass Paul die Leiche von Diane Leavit untersucht hatte. Fakt war, dass Steve den Stick mit ddr Information im Haus ebendieser gefunden hatte. Und wo sich viele Zufälle häufen, sollte man nicht mehr von ihnen ausgehen.

Er beschloss, dass er genug gehört hatte. Die Bank würde morgen sein erstes Ziel sein und er hatte nicht vor Paul jetzt aufzuscheuchen indem er ihn konfrontierte.

Steve stand auf und schlurfte zur Bar. Stets darauf bedacht, dass Paul und Prince ihn nicht bemerkten. Nach drei Metern waren sie vom Nebel verschluckt.

Es war mittlerweile elf Uhr und die Hälfte der Kundschaft hatte bereits den Heimweg angetreten. Coleman beglich seinen Deckel und verabschiedete sich von Scott, der total genervt versuchte Slim aufzuwecken. Der hatte seinen Mageninhalt auf dem Tresen entleert und beschlossen seinen Rausch in der klebrigen, warmen Masse auszuschlafen.

Steve ging heute auf direktem Weg nach Hause. Noch war er nicht zu betrunken, um zu wissen, dass er für den morgigen Tag all seine verblieben Gehirnzellen brauchen würde. Und was für ein Tag das werden würde.

 

***

 

»Du bist betrunken.« schlussfolgerte Prince, die Augen auf den Zettel gerichtet, den ihm Paul reichte. Auf ihm hatte er den Kontostand notiert, den ihm Nathan Rutherford genannt hatte.

»Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe.« schwor Paul mit erhobener Rechten und der Linken auf einer imaginären Bibel.

Eine kurze Pause entstand, in der Prince seinen Freund fixiert hielt. Paul lehnte sich lässig in das Sitzpolster zurück. Zumindest soweit der Tisch es zuließ, der ihm unangenehm in den Bauch drückte, sobald Paul es sich zu bequem machte.

»Blödsinn.« behauptete Prince und zuckte mit den Schultern, als wolle er damit zeigen, dass Paul ihn so leicht nicht reinlegen konnte. Der regte sich auf seinem Platz nicht. Lediglich das Grinsen auf seinem Gesicht wuchs.

»Blödsinn!« stellte Prince erneut fest und schüttelte ungläubig seinen Kopf.

»Ich habe das gesamte Vermögen genommen und auf ein anderes Konto, mein neues Konto, transferieren lassen.«

Der Schock saß tief bei Prince. Immer wieder nippte er an seinem Glas, blickte abschätzend in Pauls Gesicht, und suchte nach einem verräterischen Zucken.

Mehrere Minuten schwiegen sie sich auf diese Weise an, in denen Prince kontinuierlich sein Trinkröhrchen mit den Zähnen vergewaltigte. Schließlich atmete er lange ein, blies die Backen auf und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. In aller Ruhe begann er die Situation zusammenzufassen.

»In Ordnung Schwabbelbacke. Gehen wir für den Moment davon aus, dass du das Geld wirklich hast,« ein letzter prüfender Blick in Richtung Paul, der diesem standhielt.

»Irgendjemand müsste es ja dann vermissen. Er würde zur Bank gehen, sich sagen lassen auf welches Konto es transferiert wurde und den Eigentümer ans Kreuz nageln. Welcher in diesem Fall du bist. Was gedenkst du zu tun, wenn er dich findet? Wir reden hier immerhin nicht über das Pausengeld eines kleinen Kindes.«

Prince Augenbrauen wanderten in die Höhe. Der fragende Blick durchbohrte Paul förmlich, der dämlich grinste und seinem Freund bedeutete weiterzureden.

Er konnte ihm schlecht gestehen, dass er sich darüber noch nicht einmal im Ansatz Gedanken gemacht hatte. Zu sehr war er auf das Geld und seine imaginäre Einkaufsliste fixiert gewesen.

»Wäre es mein Geld, ich würde Himmel und Hölle in Bewegung setzten, damit es mir wiederbeschafft wird. Und die Eier von dem Gauner, der gewagt hätte seine gierigen Griffel danach auszustrecken, würde ich ihm mit einem stumpfen Teppichmesser abschneiden und mir über den Kamin nageln.« schmückte Prince seine hypothetische Schlussfolgerung weiter aus. Paul brachte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck und ein simples Schulterzucken zustande.

»Du hast das scheiß Geld wirklich, oder?«

Die Augen von Pauls Freund glitzerten wie die eines kleinen Kindes, das vor dem prunkvoll geschmückten Weihnachtsbaum steht, zu dessen Stamm prächtig verpackte Geschenke lagen.

Paul presste seine Lippen zusammen und versuchte sich zu beherrschen. Er versuchte nicht vor Freude zu Lachen, was dazu führte, dass seiner Kehle ein merkwürdig klingendes Glucksen entwich, bei dem sein leichtes Doppelkinn ein Eigenleben entwickelte.

»Was gedenken sie mit diesem Topf voll Gold zu vollbringen, edler Herr?« erkundigte sich Prince in einem affigen englischen Akzent. Lässig zwirbelte er sich den imaginären Oberlippenbart mit dem Zeigefinger.

»Oh, mich dünkt, dass von diesem Tage an, nie mehr ein Engpass werde. Gleich welche Ressource wir betrachten mögen.« lautete Pauls Antwort in gekonnt genäseltem britischen Englisch. Die Freude drang ihm sichtlich aus allen Poren. Jetzt, da er sein Glück endlich teilen konnte, wurde es ihm erst richtig bewusst.

»Angesichts des Alkoholpegels und der fortgeschrittenen Stunde, sollten wir das eben erörterte Thema wohl heute nicht weiter vertiefen. Es erscheint mir ein wenig heikel für diese Spelunke voller Tagediebe.«

»Ich bin vollauf ihrer Meinung, Sir. Erörtern wir diese Dinge morgen Mittag beim Frühstück an meiner Tafel.«

»Es wäre mir eine Ehre.« bedankte sich Prince und deutete eine Verbeugung an. »Heißt das, dass wir uns gnadenlos betrinken und du morgen nicht arbeiten wirst?«

»Brauchst du dafür noch eine Glaskugel?«

Prince rieb sich feixend die Hände. Paul versuchte unterdessen das Letzte aus der Mojito Happy Hour herauszuholen, indem er eine Minute vor deren Ende sechs Gläser bestellte. Wenn man zwei davon intus hatte, hatten sich die Geschmacksrezeptoren an den Zuckerschock gewöhnt und das Getränk war akzeptabel.

Prince zückte unterdessen sein Smartphone und sendete Paul neun Kurzmitteilungen, die alle denselben Wortlaut hatte:

„M.O.B.!“

Denn sollte die Nacht so feuchtfröhlich ausfallen, wie sie gerade kurzfristig geplant worden war, war Prince sich sehr wohl bewusst, dass sie beide sich am nächsten Tag nicht mehr an die Unterhaltung von eben erinnern würden.

Doch das war das Problem von morgen. Heute würden sie Alkohol vernichten. Immerhin wurde man nicht jeden Tag reich. Und außerdem war Donnerstag. Ein guter Tag um sich zu betrinken. Wie eigentlich jeder.

Das Konto
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