Siebenundzwanzig
Vollkommen verschwitzt und nach Luft hechelnd, wuchtete Paul seinen fülligen Körper von der zierlichen Dame, die immer noch in Wonnegefühlen zerfloss. Die Matratze bebte für einen Augenblick, als er sich schnaufend neben sie auf das Bett fallen ließ. Könnte er in diesem Moment noch irgendwelche Energiereserven mobilisieren, hätte er sich anerkennend auf die eigene Schulter geklopft und die Dienstleisterin neben sich mit Applaus überschüttet.
Da capo. Da capo.
Alleine bei dem Gedanken daran begann sein Herz bereits die weise Fahne zu hissen.
»Süßer, ich mach mich mal wieder aus dem Staub.«
Sie erhob sich aus den Kissen, setzte sich auf die Bettkante und streifte sich ihre Stofffetzen über den benutzten Körper. Die Kleidung war so gewählt, dass der Fantasie nicht viel Spielraum gelassen wurde, was sich unter ihnen befand. Paul bemerkte, dass sich zumindest ein Teil seiner südlichen Anatomie genügend regeneriert hatte, um eine weiter Runde bestreiten zu können.
»Gib mir bitte meine Bluse.« Sie streckte ihm eine Hand entgegen, ohne sich dabei umzudrehen. Ihre Finger griffen auffordernd in die Luft und Paul kam ihrer Bitte nach, wobei er sich wie in Trance bewegte.
»Danke Schätzchen.«
Sie schenkte ihm ein weiteres bezauberndes Lächeln, von denen sie ihn an diesem Morgen mit so vielen beglückt hatte. Er lag einfach da und begaffte sie mit offenen Mund. Sie sah umwerfend schön aus. Makellos. Für eine Nutte musste das gleichzeitig Segen und Fluch sein. Zum einen dürfte sie sich nie über einen Mangel an Kundschaft beklagen müssen. Und auf der anderen Seite dürfte sie sich nicht über einen Mangel an Kundschaft beklagen müssen. Jede Medaille hat zwei Seiten.
»Was schulde ich dir?« fragte Paul sie, nachdem er sich leicht geräuspert hatte. Er wendete sich seinem Nachttisch zu, öffnete die oberste Schublade und hob den doppelten Boden an. Dort befand sich ein Teil des Geldes, das er mit dem Verkauf des Zeugs an Prince verdient hatte.
»Du hast mir gestern genug zugesteckt. Du weißt ja, wo du mich findest, wenn du nochmal was in einen guten Fick investieren willst.«
Mit diesen Worten trat sie aus dem Schlafzimmer und im nächsten Moment hörte Paul, wie sie leise die Haustür hinter sich zuzog.
Ein guter Fick.
Er hatte dieser vulgären Ausdrucksweise nie etwas abgewinnen könnten. Andererseits hatten sie heute morgen wohl kaum Liebe gemacht. Sie war mehr das Stück Fleisch gewesen, das seine Begierde stillte.
Gedämpft drangen Paul Pfiffe an sein Ohr, die durch den Flur des oberen Stockwerks hallten. Die beiden Latinos vor Prince Wohnung riefen der Frau anstößige Angebote hinterher, die Paul zum Schmunzeln brachten.
Wie hieß sie gleich? Paul versuchte sich zu erinnern. War es Sarah? Nein, irgendetwas Exotischeres. Ach wen kümmerte das. Er konnte sich jede Hure der Welt leisten. Wenn er wollte konnte er sich ein Haus kaufen und es zu seinem persönlichen Harem umfunktionieren. Scheiß auf das kleine Vögelchen, das für so viele gezwitschert hat.
Genüsslich streckte er sich, erhob sich aus den zerwühlten Laken und schlenderte in Richtung Bad. Vor dem Spiegel im begutachtete er sich. Seit seinen Jubeljahren im Collegefootball waren einige Jahre ins Land gezogen.
Paul musterte seinen Körper von oben herab, als ihm der Vorwurf von Prince wieder in den Sinn kam.
»Und ob ich meinen Schwanz noch sehen kann.« lächelte er. Auch wenn er sich dazu leicht vornüberbeugen und die Luft anhalten musste. Er konnte ihn sehen.
Paul zog den Duschvorhang zurück und stellte sich unter das angenehm warme Wasser. Die gute Laune stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Wenn ein Tag so anfing, wie würde er dann wohl enden?
***
»Ist deine Freudendame inzwischen von Dannen gezogen?« fragte Prince mit belustigtem Glucksen. Paul stand in seinem Rahmen seiner Türe, nachdem er auf das penetrante Klopfen von Prince reagiert hatte. Da die Erinnerung an Prince Ungeduld am vorigen Abend noch präsent war. Paul sprang deshalb hektisch unter der Dusche hervor und hastete mit einem Handtuch, das die notwendigsten Regionen bedeckte, durch die Wohnung.
Aus den Boxen der Stereoanlage in seinem Rücken drang leise Musik. Notorious BIG gab zum Besten wie er zurück nach „Cali“ gehen würde. Hätte er gewusst, dass ihn dort jemand an einer roten Ampel mit Blei stopfen würde, wie andere Leute es bei einem Weihnachtsbraten mit Gemüse hielten, hätte er den Songtext wohl nochmals überdacht.
Or do you wanna see about seven digits,
fuck hoes exquisite, Cali, great place to visit.
»Das sollte dir das Pfeifkonzert auf dem Flur vor kaum einer Viertelstunde eigentlich beantwortet haben.« gab Paul feixend zurück.
Prince trug statt der weiten Basketballkleidung einen schwarzen, dreiteiligen Anzug mit dem klassischen weißen Hemd. Er hatte sich sogar, mit einem bisher noch unbekannten Knoten, eine Krawatte um den Hals befestigt. Zu sagen, dass sie vorschriftsmäßig gebunden sei, wäre eine maßlose Beleidigung für dieses Chaos, das sich unglücklich unter seinen Hemdkragen versteckte.
»Was denkst du?« erkundigte er sich bei Paul nach dessen Meinung und drehte sich dabei um die eigene Achse. Sarah, oder wie sie auch immer hieß, verschwand in den Senken ihrer beider Erinnerungen.
»Gar nicht schlecht. Man könnte direkt denken du bist ein anständiger Bürger dieser Stadt.« Paul zog sich ins Bad zurück, um sich anzuziehen. »Womit haben wir diesen Aufzug verdient? Triffst du dich mit deinem neuen Partner?« rief er Prince durch die Tür zu, die er einen Spalt offen ließ.
»Gehen wir nicht zur Bank?«
»Wir?« Paul stand wieder, sehr zur Freude von Prince, in Jeans gekleidet in dessen Blickfeld. Sein Bauch hing über den Gürtel am oberen Ende und verdeckte ihn beinahe vollständig.
»Hey, ich habe einen Anzug angezogen. Sag mir nicht, dass das umsonst passiert ist.« schlug es Paul sofort in anklagendem Tonfall von Prince entgegen.
»Entspann dich. Natürlich nehme ich dich mit,« entschärfte Paul die Situation und schlug Prince freundschaftlich auf die Schulter »Lass mich fix etwas für meinen adonisgleichen Oberkörper heraussuchen.«
»Mir ist heute Morgen schon aufgefallen, dass du ein paar Pfunde verloren hast.«
»Ich meine mich daran zu erinnern heute Morgen noch Ekel auf deinem Gesicht erkannt zu haben, als ich mich dir in meiner gesamten Pracht präsentiert habe.« sagte Paul mit zusammengekniffenen Augen. Prince zuckte unbeholfenen die Schultern. Paul wandte sich von ihm ab und begab sich in sein Schlafzimmer.
»Ach übrigens, ich kann meinen Schwanz sehen, wenn ich an mir herabblicke.« teilte Paul seinen Sieg mit Prince. In seiner Stimme schwang eine gewisse Genugtuung. Prince konnte diese Äußerung zunächst nicht richtig einordnen. Sobald sein Verstand die richtigen Schlüsse gezogen hatte, überkam ihn ein Lachanfall, der erst abebbte, als er sich auf die Couch fallen ließ und entspannt hinlegen konnte. Dort japste er nach Luft und rieb sich die Tränen aus seinen Augen.
»Hast du zufällig irgendwo meine Joardens gesehen?«
Prince, der noch nicht wieder fähig war sich zu artikulieren, zeigte mit einem Finger Richtung Terrasse. Paul schlurfte zur Türe und fand seine Schuhe dort.
»Sobald du wieder Herr über deine motorischen Fähigkeiten bist könnten wir aufbrechen.« sagte Paul, woraufhin Prince von der Couch aufsprang und imaginären Schmutz von den Ärmeln seines Sakkos strich.
»Ich dachte es gibt Frühstück?«
»Willst du wirklich wie ein Burgerbrater bei McDonalds riechen, wenn du das erste Mal in diese Bank marschierst?«
»Wie unendlich weise sie sind. Holen wir uns ihre Millionen mein guter Herr.«
Paul schaltete die Musik der Stereoanlage aus und trat hinter Prince hinaus auf den Flur. Dort wurde Paul auf einen lautstarken Tumult in Prince Wohnung aufmerksam. Unter der Tür wabbte grünlich schimmernder Rauch hervor, bei dem einem die Krebszellen vom alleinigen Anblick in den Gedärmen wucherten. Der Gestank, der sich zu dieser Situation gesellte, erinnerte an eine Woche alten und ungekühlt ruhenden Fisch.
Die beiden Latinos hatten ihren Posten geräumt und mit großer Wahrscheinlichkeit das Weite gesucht. Stirnrunzelnd blieb Paul stehen und warf Prince einen fragenden Blick zu.
Plötzlich hörten sie Bobby aus dem Inneren laut auf Russisch fluchen. Andere Stimmen gesellten sich schreiend dazu. Paul meinte diejenigen von Svenja und Natascha erkennen zu können. Bevor er genauer nachfragen konnte ergriff Prince das Wort.
»Als ich vorhin in meine Wohnung kam, war alles normal. Bobby hat den Scheiß zusammengemischt, Svenja und Natascha haben ihm geholfen und die ersten Kunden haben sich ihren Trip abgeholt.«
Er begann gemächlich die Treppen hinabzusteigen, wartete auf der fünften Stufe bis Paul ihm folgte, und sprach dann weiter »Für knappe zehn Minuten war ich unter der Dusche. Was diesen Vollpfosten gereicht hat, um währenddessen das zweite Tschernobyl heraufzubeschwören.«
Mit den Händen versuchte er eine Explosion darzustellen, die er mit dazu passenden Geräuschen untermalte.
»Was genau ist denn passiert?«
»Der Verrückte hat zu viel Phenylaceton beigemischt, weshalb die Pampe sich in eine Blase verwandelt hat, die aufgegangen ist wie ein Hefepilz. Sie konnten sich gerade noch hinter den Vorhang retten, bevor sie geplatzt ist. Jetzt hängt der Schmodder überall herum und läuft an den Wänden herab. Der Gestank kommt anscheinend von dem Gas, dass sich in der Blase gebildet hatte.«
»Wenigstens ist keinem etwas passiert, oder?«
»Da du den Gestank dort oben gerochen hast, halte ich das für eine rhetorische Frage. Das Zeug scheint zwar nicht ätzend zu sein, aber was auch immer so stinkt, kann nicht gesund sein. Vielleicht fühlen sie sich jetzt noch gut. Mich würde es trotz allem nicht wundern, wenn Bobby heute Abend eine zweite Nase und den beiden Kampflesben eine dritte Titte gewachsen ist.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
So etwas passiert. Ist alles mit einkalkuliert.
Sie traten hinaus auf die Straße. Direkt vor dem Hauseingang stand Prince babyarsch-pinkes Präsent seines Partners.
»Oh schick!«
»Du hast jemand anderes dein neues Heiligtum fahren lassen?«
Prince sah Paul mit einem zweifelnden Blick an. Er schien zu hinterfragen, ob Paul tatsächlich dasjenige Spermium gewesen war, dass in jener Nacht gegen all die anderen Millionen Kontrahenten das Rennen gemacht hatte.
»Wir sind gestern anscheinend noch heimgefahren.« schlussfolgerte Prince. Er sprach die Worte aus, als würde er sie jemandem vorlesen, der schwer von Begriff war.
»Ich habe Millionen auf dem Konto und du setzt unser Leben aufs Spiel, indem du betrunken fährst?«
»Sieht so aus.«
»Du hast dir gestern das letzte bisschen Verstand weggeballert, oder?« warf Paul seinem Freund in einer extrem hysterischen und hohen Tonlage vor.
»Hey, du rennst bei mir mit diesem Thema offene Türen ein, aber ich bin nicht schuld.«
»An wen muss ich mich denn mit meiner Beschwerde dann wenden?«
»An den betrunkenen Prince. Es verhält sich bei ihm wie mit dem Hulk. Er schlummert in mir, bis dieser eine unglückselige Moment der Verwandlung eintritt. In meinem Fall ist das für gewöhnlich nach dem dritten Drink.«
Pauls hochroter Kopf verriet Prince, dass er unmittelbar davor stand seine imposante Masse in Bewegung zu setzen und ihm den Hals unnatürlich weit um die eigene Achse zu drehen.
»Als dein Freund habe ich deine Beschwerde selbstverständlich zur Kenntnis genommen und werde sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit an mein zweites Ich weitergeben.«
Paul schüttelte seinen Ärger ab. Er setzte zu einer Entgegnung an, beließ es jedoch bei einem grimmigen Gesichtsausdruck und einem beherzten Mittelfinger. Jedes Wort wäre eine Verschwendung gewesen. Lachend schloss Prince den Wagen auf und sie stiegen ein.
»Wohin darf ihr Kutscher sie chauffieren Miss?«
Selber Gesichtsausdruck.
Selber Finger.
»Ihr Wunsch ist mir Befehl Miss Piggy.« ahmte Prince Curmit den Frosch nach, drehte den Zündschlüssen und ließ den Motor aufheulen. Paul drückte sich angespannt in den Sitz hinein und umklammerte mit der rechten Hand krampfhaft den Haltegriff an der Innenseite der Tür, sodass seine Knöchel weiß hervorstanden. In Erwartung des Kommenden sendete er ein Stoßgebet gegen Himmel, dass Prince Fahrkünste sie nicht frühzeitig unter die Erde befördern würden.
Prince scherte in den Verkehr aus und manövrierte den Wagen über die erste sich bietende rote Ampel und entlockte Paul mit dieser Aktion damenhafte Quieklaute.
Sein Leben lag jetzt in Gottes Hand, wobei ironischerweise ein Handlanger des Teufels am Steuer seines pinken Sarges saß.