Sechsundzwanzig

»Setz dich.« begrüßte der Captain Coleman ohne von seinem Schreibtisch aufzublicken.

Er war ein ungemütlicher Zeitgenosse. Einige Jahre zuvor, als er noch Streifenpolizist war, wurde er auf offener Straße von einem Gangmitglied niedergeschossen. Das einzige Problem des Captains war an diesem Tag gewesen, dass er Polizist war.

Drei Kugeln hatte man damals auf ihn abgefeuert. Zwei bohrten sich in das rechte Schulterblatt, wohingegen ihm die Dritte ein Stück von seinem rechten Ohr einbüßen ließ. Der Schütze wurde vom ehemaligen Partner des Captains gefasst. Einem Richter wurde er nie vorgeführt. Angeblich sei er ihnen wieder entkommen.

Die Presse versuchte nach diesem Vorfall ein paar Wochen Schmutz aufzuwirbeln, wobei es bei dem Versuch blieb. Selbst die interne Ermittlung ging dem Fall nur halbherzig nach. Keiner im Revier wusste etwas, keiner fragte. Die kalten blauen Augen des Captains waren Antwort genug. Und nach einer Weile interessierte sich niemand mehr für einen namenlosen Verdächtigen, den niemand vermisste.

Bevor der Detective eintreten durfte, hatte ihn sein Vorgesetzter fünf Minuten vor dem Büro schmoren lassen, um ein Gespräch mit einem seiner Betthasen zu beenden. Die samtweiche Stimme, mit der er seiner Liebsten Versprechungen ins Ohr säuselte, war bei Colemans Eintreten einer harten, zähneknirschenden Aussprache gewichen. Der Mann erwartete Erfolge zu sehen.

»Guten Morgen Captain«.

Er zog es vor Captain genannt zu werden. Nicht Captain Thompson, wie es von dem goldenen Namensschild auf seinem Schreibtisch prangte.

»Steve, Steve, Steve.« begann er seufzend. »Ich habe eine Frau, die jeden Abend meinen Gaumen verwöhnt, drei wundervolle Kinder, die in ihren Klassen zu den Besten gehören und zwei junge Hüpfer, die ihre Strafzettel bei mir persönlich abarbeiten. Und sie haben viele. Den ganzen Tag über kommandiere ich Leute in der Gegend herum und werde dafür bezahlt. Wie hört sich das in deinen Ohren an?«

Der letzte Satz erweckte den Anschein einer Frage, klang aus dem Mund des Captains jedoch wie eine Beleidigung. Wie ein tollwütiger Hund torpedierte sein Speichel ohne jegliche Kontrolle alles, das sich vor seinem Gesicht befand. Die Reste standen ihm in der Form von weißlichem Schaum auf den Lippen.

»Gut Sir. Captain.« bekam Coleman leise über die Lippen.

Trotz der guten Nachrichten, die er mitgebracht hatte, musste er sich diesem Veteranen unterwerfen. Und der verstand es die Leute einzuschüchtern. Selbst wenn jemand mit dem Heilmittel für Krebs in dieses Büro marschieren würde, so käme er nicht um die Standpauke herum.

Warum hat das so lange gedauert?!

Die stand Coleman unausweichlich bevor.

»Warum denkst du, fühle ich mich in den letzten zwei Tagen trotz all dem, als hätte ich einen Sack voll Hämorrhoiden in mein jungfräuliches Arschloch geschoben bekommen?«

Der Captain stand mit weit aufgerissenen Augen über den Tisch gebeugt und fixierte Coleman angriffslustig.

»Sir, trotz den anfänglichen Schwierigkeiten, bin ich gestern auf eine Spur gestoßen, die mich zur Favre Global Bank führt.«

Captain George Thompson schnaubte verächtlich. Es war allgemein bekannt, dass man aus der verschwiegenen schweizer Bank keinen Tropfen an Information herausdrücken konnte. Egal wie groß der Druck sein mochte, den man auf sie ausübte.

»Bitte lassen sie mich ihnen zeigen, was ich entdeckt habe.« bat Steve seinen Vorgesetzten.

Der Captain nickte daraufhin kaum wahrnehmbar. Coleman zog eine ausgedruckte Kopie des Inhaltes hervor, der sich auf dem USB Stick befunden hatte. Vorsichtig übergab er das Dokument Thompson.

»Auf diese Information wurde ich durch ein Speichermedium aufmerksam, das ich in Diane Leavits Haus gefunden habe.« begann Coleman seinen Report und deutete auf das Schriftstück, das der Captain rasch überflog. Die Augenbrauen des Captains näherten sich währenddessen unaufhörlich seinem spärlichen Haaransatz.

Nachdem Steve ihn im Detail über den Auffindungsort und den Bearbeitungsverlauf aufgeklärt hatte, lehnte der Captain sich in seinen Stuhl zurück. Seine Stirn lag nachdenklich in Falten. Er wirkte ungewohnt ruhig, was Coleman dazu verleitete ungeduldig seine Hände zu kneten.

»Sir?«

»Raus aus meinem Büro.« warf George Thompson dem Detective barsch entgegen und widmete seine Aufmerksamkeit dem Telefon. Mitten in der Nummerneingabe entschied er sich dagegen, legte es beiseite und begann auf seinem Handy zu wählen.

»Wie bitte?« fragte Coleman perplex.

»Raus. Und warten sie vor der Tür.«

Mit diesen Worten wurde Coleman widerwillig des Büros verwiesen. Durch die Scheibe beobachtete Steve seinen Vorgesetzten.

Der Captain tigerte aufgeregt mit seinem Handy am Ohr in seinem Büro auf und ab. Angeregt sprach er mit jemanden, stets seinen Blick auf den Ausdruck gerichtet, den Coleman ihm gerade eben übergeben hatte. Ab und an schüttelte er ungläubig den Kopf, bis er aufsah und bemerkte, wie Coleman ihn durch die Scheibe beobachtete. Kurzerhand zog Thompson die Schalosien zu und raubte Steve jegliche Sicht.

Gedankenversunken plumpste Coleman auf einen der drei Stühle vor dem Büro seines Vorgesetzten. Gedämpft konnte er die Stimme des Captains vernehmen, den genauen Wortlaut zu verstehen, war leider unmöglich. Dafür war der allgemeine Lärmpegel zu hoch. So blieb ihm nichts anderes übrig, anstatt brav auf seinem Platz sitzen zu bleiben und geduldig abzuwarten.

Jeder der vorbeilaufenden Kollegen bedachte ihn mit einem wissenden Lächeln. Noch einer, der dem armen Irren im großen Büro ausgeliefert war. Mögen die Götter ihm gnädig sein.

Eine schiere Ewigkeit hockte Coleman neben der Türe wie bestellt und nicht abgeholt, begafft von Kollegen und gelangweilt von seinem Leben. Die Scotchfasche in seinem Schreibtisch schien nach ihm zu rufen. Zunächst drang sie ganz leise an sein Ohr, nicht mehr als ein leichtes Wispern. Von verstrichener Minute zu Minute wurde die Stimme immer lauter, bis sie letztendlich an einen Mob voll Hooligans erinnerte, der durch seinen Kopf geisterte. Kurz bevor Steve dem Ruf nachgeben wollte, wurden die Türangeln zum Büro des Captains einem aussagekräftigen Qualitätstest unterzogen. Thompson riss sie mit brachialer Gewalt auf.

»Coleman! Setzen sie ihren Arsch in Bewegung und kommen sie in mein Büro!« hallte die raue Stimme des Captains durch das gesamte Stockwerk.

Ein wenig verunsichert erhob sich Coleman gehorsam. Die spitze Bemerkung auf seinen Lippen konnte er im letzten Augenblick hinunterschlucken. Dies war ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt für Machtspielchen. Vor allem nicht mit solch einem Gegenüber.

Langsam schloss Steve die Tür. Abwartend stand er vor Thompson und warf seinem Vorgesetzten einen skeptischen Blick zu.

»Detective Coleman. Ich muss mich bei ihnen entschuldigen.«

Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, dann...

Der Captain streckte Steve die Hand entgegen. Misstrauisch nahm Coleman die Entschuldigung an. Wobei der Händedruck sich wie eine Abmachung mit dem Teufel anfühlte, dem Steves Seele als Unterpfand diente.

»Ich habe soeben ein überaus aufschlussreiches Telefonat geführt. Bitte, setz dich erst einmal.« bot der Captain seinem scheinbar neuen besten Freund einen Platz an. Bei Coleman schrillten sämtliche Alarmglocken. Dennoch kam er der Einladung nach und machte es sich auf einem der beiden gepolsterten Stühle vor Thompsons Schreibtisch bequem.

»Steve, Steve, Steve. Ich wusste immer, dass sie viel Potential besitzen, das war mir immer klar. Doch solch einen Volltreffer hatte ich nicht erwartet.«

Coleman nahm die Lorbeeren gerne entgegen, obwohl ihm noch nicht bewusst war, wofür er sie sich verdient hatte. Er saß einfach da, grinste dämlich und nickte, als wäre alles selbstverständlich. Was sich gerade in diesem Raum abspielte, war das absolute Gegenteil. Insgeheim wartete Steve darauf, dass die Bombe platzte, die Thompson ganz offensichtlich zu verschleiern versuchte.

»Ich bin, unter anderem wegen des Telefonates eben, zu der Entscheidung gelangt, dass ihr Fall höchste Priorität besitzt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich der Brisanz bewusst sind?«

Coleman schüttelte den Kopf. Der Captain lächelte ihn an. Es lag ein gewisses Maß an Erleichterung damit herüber, die der Detective nicht einordnen konnte.

»Wir wissen, dass sie es gewohnt sind alleine zu arbeiten. Ich werde dennoch alle wissen lassen, dass alles stehen und liegen gelassen werden muss, wenn sie bei jemandem um Hilfe bitten.«

Coleman machte Anstalten etwas entgegnen zu wollen, was Thompson sofort mit einer beschwichtigenden Geste unterband. Mit dem selben Grinsen auf den Lippen fuhr er fort. »Und ich denke, dass sie eventuell bald jede Unterstützung benötigen werden, die sie erhalten können.« Er trat bei diesen Worten um den Tisch herum und klopfte Steve freundschaftlich auf die Schulter.

Ich will doch das Beste für dich mein Junge.

»Wenn sie Informationen zu diesem Fall besitzen, dürfen sie diese gerne mit mir teilen Captain. Ansonsten sind sie richtig informiert, ich arbeite alleine. Und solange die von mir erbrachten Ergebnisse stimmen, sehe ich keinen Grund warum ich etwas an dieser Arbeitsweise ändern sollte.« brachte Coleman verhalten hervor, wobei seine Tonlage am Ende eher eine Frage erahnen ließ.

»Passen sie auf Steve. Sie werden jetzt gleich zur Favre Global Bank fahren und Einsicht in dieses Konto verlangen. Bleiben sie beharrlich, die Rechtsabteilung arbeitet an einem Gerichtsbeschluss.« lautete die knappe Order. Die Hand ruhte auf Colemans Schulter. Leiser setzte der Captain hinzu »Inoffiziell sollten sie nicht davor zurückschrecken, sich in rechtlichen Grauzonen der Ermittlungsarbeit zu bewegen. Wie gesagt: je früher wir etwas in Erfahrung bringen können, desto besser.«

»Verstehe.«

Coleman verstand nicht. Sein Verstand versuchte weiterhin die Situation zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Währenddessen schob Thompson den Detective in Richtung Türe.

»Sagen sie mir Bescheid, wenn sie etwas haben Detective.« Mit einem Augenzwinkern übergab der Captain das stimmungsaufhellende Dokument wieder an Steve.

Schnapp sie dir Tiger. Ich glaube an dich.

Natürlich wusste Coleman, dass wesentlich mehr hinter dem Süßholz steckte, als es der Captain in diesem Moment bereit war zuzugeben. Dies war nicht der richtige Moment, um Fragen zu stellen. Dies war der Moment, in dem man Befehle auszuführte. Steve würde einfach tief genug graben und ans Tageslicht befördern, was ihm hier vorenthalten wurde. Und dann würde er sich gehörig vom Captain den Arsch küssen lassen. So viel war sicher.

Sie verabschiedeten sich wie alte Freunde, wobei der Captain nochmals ausdrücklich darauf hinwies, dass Coleman ihn unverzüglich anrufen solle, wenn er etwas herausgefunden hatte.

»Rufen sie niemanden sonst an. Sagen sie keinem etwas. Graben sie ihr Handy aus der Jackentasche und rufen sie mich an. Mich. Unverzüglich.«

Steve nickte und erntete einen erneuten freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.

Die große Wanduhr des Büros zeigte kurz vor elf Uhr an, als Steve aus dem Büro heraustrat. Ein verstohlenes Grinsen trat auf sein Gesicht. Er nahm sich seine blaue Polizeijacke mit grellgelber „Polizei“-Aufschrift auf dem Rücken und ging gemächlich die Stufen zum Erdgeschoss hinunter. Heute benötigte es einen offizielleren Aufzug, dem seine Lederjacke nicht gerecht werden konnte.

Die Dinge hatten sich letztendlich zum Guten gewendet. Nun galt es zu dieser Bank zu gelangen und den Mitarbeitern mit Hölle und Verdammnis zu drohen, damit sie ihn in ihr Allerheiligstes spähen ließen und er einen Einblick in die privaten Daten dieses Kontos erhielt.

Den gesamten Weg zur Bank dachte Coleman darüber nach, was im Bruchteil eines Momentes mit dem Captain gerade passiert war. Er versuchte Diane Leavit und das Konto mit einer ihm genannten Komponente und dem Captain in Verbindung zu bringen.

Vergeblich.

Letztendlich begnügte er sich mit dem Eigenversprechen, dass seine Ermittlungen am Ende Licht ins Dunkle bringen würden.

Mit heulender Sirene und blinkendem Blaulicht schlängelte er sich durch den vormittäglichen Stadtverkehr. Kurz vor halb zwölf hielt er mit quietschenden Reifen an der Ecke Michigan und Kennedy. Vor ihm erhob sich der imposante Bau mit der Nummer 43. Steve zückte sein Dokument und verglich die Nummer nochmals mit der auf seinem Blatt.

 

Michigan Street 43

Favre Global Bank

 

Gemächlich stieg er aus dem Auto aus und erklomm die Treppe vor dem Gebäude. Das Wachpersonal an der Tür würdigte ihn keines Blickes und ließ ihn unbehelligt passieren.

Nach einer flüchtigen Orientierung wandte Coleman sich der Rezeption zu, an der er dieselbe Angestellte antraf, die Paul am Tag zuvor angesprochen hatte.

»Guten Morgen Sir.« begrüßte ihn die Dame mit einem blendenden Lächeln. Der wohlriechende Duft ihres Parfums umgarnte Steve wie eine Geliebte. »Wie kann ich ihnen behilflich sein?«

Coleman versuchte zurück zu grinsen, verzog sein Gesicht hingegen zu einer verstörenden wirkenden Fratze. Betont lässig legte er seine Jacke auf die Ablage der Rezeption, sodass der Aufdruck gut lesbar war. Die Frau wurde durch die grellgelbe Aufschrift keineswegs verunsichert. Ihr Lächeln glänzte durch Beständigkeit.

»Guten Morgen Püppchen.«

Das Konto
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