Keith
11. KAPITEL
Sie schloss das Fenster, kehrte in ihr Bett zurück und gab vor, zu schlafen, obwohl sie hellwach und von innerer Unruhe erfüllt war. Daniel kam einige Minuten später wieder, nachdem Eric sie verlassen hatte, und nahm in der Nähe des Fensters Platz. Tamara beachtete ihn nicht. Sie war noch nicht bereit, sich mit ihm auseinanderzusetzen, auch wenn sie wusste, dass das unumgänglich war. Sie musste aus seinem eigenen Mund hören, dass Eric mit seinen Vermutungen falschlag.
Der Morgen dämmerte herauf, und Tamara konnte den Fängen des Schlafs nicht länger entrinnen. Allmählich hüllte er sie ein und zog sie in tiefen Schlummer. Als ihre Augen nur einen Moment später aufflogen, sah sie, wie die letzten Strahlen des orangefarbenen Sonnenlichts langsam am Himmel verblassten. Daniels Stuhl war leer.
Sie wartete, lag still und reglos da, während das Leben allmählich in ihren Körper zurückkehrte. Es schien unglaublich, dass sie bereits zum zweiten Mal hintereinander den ganzen Tag verschlafen hatte, so gefangen in ihrem Schlummer, dass sie nicht gemerkt hatte, wie die Zeit vergangen war.
Ausgeruht und energiegeladen schlug sie die Decke zurück und begann auf der Suche nach ihren Kleidern Schubladen und Schranktüren zu öffnen. Sie hatte genug davon, eingesperrt zu sein. Das Einzige, was sie an Kleidung fand, waren ihr Nachthemd und ihr langer Mantel mit Hahnentrittmuster. Sie seufzte erleichtert, als sie auch ihre Stiefel im Schrank vorfand.
Vor der Tür hielt gerade niemand Wache. Sie nahm an, dass Daniel mutmaßte, sie müsse lediglich nach Sonnenuntergang bewacht werden. Sie sorgte für einigen Wirbel, als sie den Krankenschwestern bei dem Tresen im Hauptgang mitteilte, dass sie jetzt gehen würde. Entlassungspapiere müssten unterzeichnet und Ärzte benachrichtigt werden. Sie könne nicht einfach so verschwinden. Gelassen verlangte sie, man möge ihr unverzüglich sämtliche Papiere vorlegen, die unterschrieben werden müssten. Sie hatte bereits telefonisch ein Taxi gerufen, und sie war fest entschlossen, fertig zu sein, wenn es kam.
Weniger als eine halbe Stunde später marschierte sie durch die imposante Eingangstür des heruntergekommenen Hauses, das die letzten zwanzig Jahre über ihr Zuhause gewesen war. Daniel stand direkt hinter der Tür; er war gerade dabei, seinen Mantel anzuziehen. Er blickte auf und war überrascht, sie zu sehen. Als sie sein Lächeln nicht erwiderte, erstarb es allmählich.
„Wir müssen reden“, war alles, was sie zur Begrüßung sagte.
Seine trüben kornblumenblauen Augen wichen dem Blick ihrer durchdringenden dunklen Augen aus. Er nickte und atmete langsam aus.
„Das Taxi wartet draußen auf mich. Ich hole bloß meine Tasche und …“
„Ich kümmere mich darum.“ Bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte, trat Daniel an ihr vorbei aus der Tür. Sie hörte, wie der Wagen wegfuhr; die Reifen knirschten auf dem festen Schnee, der auf der Straße lag. Einen Moment später kehrte Daniel zurück. Er legte seinen Mantel ab, hängte ihn an einen ziemlich wackeligen Kleiderständer und half ihr zuvorkommend aus ihrem eigenen. Ihre Stiefel hatte Tamara bereits ausgezogen.
„Du solltest nach oben gehen und dich hinlegen, Tam. Wir können uns in deinem Zimmer unterhalten.“
Sie musterte ihn eingehend. „Steht eine Wache vom DPI vor meiner Tür?“ Er senkte so rasch den Blick, dass an seiner Schuld in dieser Sache kein Zweifel bestand. „Warum stand ich unter Beobachtung, Daniel?“
Er seufzte, und seine Schultern fielen herab. „Ich habe nicht die Absicht, dich zu belügen. Ich hatte Angst, dass Marquand versuchen würde, zu dir zu gelangen.“
„Weil er mich schon einmal in einem Krankenhaus aufgesucht hat?“
Daniels Kopf schoss empor, und seine Augen weiteten sich. „Du … du erinnerst dich daran?“
Sie wandte sich von ihm ab und trat durch die Eingangshalle in das riesige Wohnzimmer. Sie wusste, dass er ihr folgte. Ihre ausgreifenden, schnellen Schritte und ihr kerzengerader Rücken zeigten ihre Wut fast genauso deutlich wie ihre Worte und der Ton ihrer Stimme.
Sie schaute ihn wieder an. „Nein, Daniel. Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht daran erinnern. In den letzten Monaten war ich dabei, langsam, aber sicher den Verstand zu verlieren, eben weil ich mich nicht zu erinnern vermag. Ich versuche es …“ Die Kehle drohte sich ihr zuzuschnüren; sie biss sich auf die Lippen, schluckte zweimal und zwang sich weiterzusprechen. „Du hast die ganze Zeit über von dieser … dieser Verbindung zwischen Marquand und mir gewusst, nicht wahr? Um Himmels willen, Daniel, wie konntest du mir so etwas verschweigen?“
Seine Augenbrauen glitten in die Höhe, und seine Stirn schlug Falten. „Ich habe lediglich getan, was ich für das Beste für dich hielt, Tam. Ich habe versucht, dich zu beschützen …“
„Indem du zusiehst, wie ich verrückt werde? Lieber Himmel, die Albträume, die Schlaflosigkeit – du wusstest, dass all das mit Eric zusammenhängt. Du wusstest es, und du hast nie ein Wort gesagt.“
„Du warst psychisch sehr labil! Ich konnte nichts sagen, was es noch schlimmer gemacht hätte.“
„Natürlich nicht. Und du konntest auch nichts sagen, um meine Ängste zu lindern, oder, Daniel? Nicht so, wie Eric es getan hat. Du konntest mir einfach nicht sagen, dass alles in Ordnung ist, dass ich nicht dabei bin durchzudrehen; dass es einen Grund für all das gab, was ich durchmachte, und dass ich alles verstehen würde, sobald mein Verstand bereit wäre, sich zu erinnern. Es war dir nicht möglich, mich auf diese Weise zu trösten, willst du mir das sagen?“
Daniel hätte nicht schockierter aussehen können, selbst wenn sie ihn geschlagen hätte. „Er …“
„Aber du wolltest nicht, dass ich mich erinnere, nicht wahr, Daniel? Weil du es wusstest. Du wusstest, wie nah Eric und ich uns damals standen, und du wusstest, dass er eines Tages zu mir kommen würde. All diese Jahre über hast du gewartet, gelauert.“
Tamara erwartete ein wütendes Leugnen, entdeckte in Daniels ledrigem Gesicht jedoch nur Gewissensbisse. Sie durfte jetzt nicht nachgeben. Obwohl sie sich davor fürchtete, die Antwort zu hören, musste sie jene letzte Frage stellen. „Ist das der Grund, warum du mich vor all diesen Jahren aufgenommen hast, Daniel? War ich nichts weiter als der perfekte Köder, um ihn zu dir zu locken?“
Eine ganze Weile antwortete er nicht. Als sich Tamara empört von ihm abwandte, schoss seine weiche Hand vor, um sie am Arm zu packen und sie wieder zu ihm zurückzudrehen. „Vor zwanzig Jahren war ich blind vor Ehrgeiz, Tam. In meinem Leben gab es nichts als meine Arbeit. Ich hätte alles getan, um Marquands habhaft zu werden … damals. Aber jetzt nicht mehr.“
Seine Hand glitt von ihrem Arm, und er wich langsam von ihr zurück, die Augen auf seine Füße gerichtet, ohne sie zu sehen. „Ich habe dich nach und nach ins Herz geschlossen, Liebes. Ich konnte nicht anders. Und es dauerte nicht lange, bis ich aufhörte, mich auf den Tag zu freuen, an dem er zurückkäme. Ich fing an, mich davor zu fürchten. Ich hatte Angst, dass er kommen und dich mir wegnehmen würde.“
Tamara hielt ihre Tränen zurück. Sie war sich nicht sicher, woher sie die Stärke dafür nahm. „Mein ganzes Leben war eine Lüge. Von der Sekunde an, als du in mein Krankenzimmer tratst, hast du lediglich eiskalt einen ausgeklügelten Plan verfolgt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Was hattest du mit Eric vor, wenn du ihn gefangen hättest?“
Als er sie dieses Mal ansah, lag keine Reue mehr in seinen Augen, nur der eisige Glanz des Hasses. „Hab kein Mitleid mit ihm, Tam. Er ist nicht mehr als ein Tier – ein tollwütiger Wolf, der aufgehalten werden muss, bevor er seine Krankheit weiterverbreitet. Oh, einstmals hatte ich große Pläne. Ich hatte die Absicht, die Antworten auf alle Fragen zu finden, die ich an ihn hatte – und an seine Art. Jetzt will ich ihn bloß noch daran hindern, dich zu verletzen.“
„Wenn du ihn verletzt, wirst du auch mich verletzen, Daniel.“
Er trat näher zu ihr und schüttelte langsam den Kopf, während seine Augen ihr Antlitz musterten.
„Ich liebe ihn“, sagte sie.
Daniel schloss fest die Augen und gab ein kehliges Grunzen von sich, als hätte ihm jemand einen festen Hieb in den Magen verpasst.
Sie zeigte kein Mitgefühl. Nach dem, was er über Eric gesagt hatte, war sie dazu außerstande. „Du sagst, du liebst mich, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube, du hast mich von Anfang an nur benutzt und kannst es mir gegenüber jetzt einfach nicht eingestehen.“
Wieder schüttelte er den Kopf. „Das ist nicht wahr. Ich liebe dich – ich könnte mein eigenes Kind nicht mehr lieben als dich.“
„Beweis es.“ Er stand ihr stocksteif gegenüber, als wüsste er genau, worum sie ihn bitten würde.
„Tamara, ich …“
„Stell deine Forschungen ein, Daniel. Vergiss dein Vorhaben, Eric oder einen von seiner Art zu fangen.“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu und stellte fest, dass sie gewillt war zu betteln, falls das irgendetwas half. „Er ist nicht das, wofür du ihn hältst. Er ist freundlich, einfühlsam und humorvoll. Träfest du ihn auf der Straße, würdest du nicht wissen, dass er anders ist. Er will niemandem Leid zufügen, sondern bloß in Ruhe gelassen werden. Wenn du Antworten auf deine Fragen wünschst, ist Eric gewiss bereit, sie dir zu geben, sobald er sieht, dass er dir trauen kann.“
„Das ist absurd! Sobald ich in seine Nähe käme, wäre ich ein toter Mann. Nein, Tamara, du bist diejenige, die diesen Mann nicht kennt. Er ist hinterlistig und skrupellos. Du wirfst mir vor, dich zu benutzen, aber er ist derjenige, der dich benutzt … um an mich heranzukommen, nehme ich an.“
Sie blinzelte langsam. „Offenbar ist es unmöglich, dich zur Vernunft zu bringen.“ In dem Bewusstsein, dass ihr Herz unheilbaren Schaden genommen hatte, wandte sie sich um und trat zur Treppe.
„Wohin …“
„Ich werde duschen und mich umziehen. Dann gehe ich aus. Morgen komme ich zurück und hole meine Sachen.“
„Du darfst nicht zu ihm gehen, Tam! Mein Gott, tu das nicht …“
„Ich kann nicht hierbleiben, es sei denn, du kommst meiner Bitte nach. Du solltest nicht vergessen, dass du mich die ganze Zeit über hintergangen hast, Daniel. Habe ich dich jemals um irgendetwas gebeten? Wenn du mich wirklich liebst, tust du das für mich. Wenn nicht, wird es dich gewiss nicht umbringen, dass ich fortgehe.“
Sie stieg die Treppe hinauf und tat genau das, was sie gesagt hatte. Daniel unternahm keinen Versuch, sie aufzuhalten. Als sie schließlich durch die Haustür hinaustrat, war er nirgends zu sehen.
Als er ihr die Tür öffnete, fiel sie ihm in die Arme. Schon als sie näher kam, hatte Eric ihre Unruhe gespürt, und Wut auf jene keimte in ihm auf, die dafür die Verantwortung trugen. Zweifellos St. Claire und sein Protegé. Er hielt sie fest, und ihre Tränen nässten sein Hemd. Er spürte, dass sie von irgendwo hinter ihr, jenseits der offenen Tür, beobachtet wurden, und trat die Tür mit dem Fuß zu. Allmählich begriff er, dass es Rogers war. Er war ihr gefolgt.
Eric fühlte den Zorn des Mannes, sengendem Wüstenwind gleich und nicht allein auf ihn gerichtet. Die Hitze seiner Wut zielte ebenso sehr auf Tamara ab, und diese Erkenntnis erschütterte Eric. Ihm entging der Moment nicht, als der Lieferwagen schließlich davonfuhr; das Hassgefühl verblasste, und Eric schob es beiseite, um sich später damit auseinanderzusetzen. Im Moment verlangte Tamara all seine Aufmerksamkeit.
Eric fasste sie fester und nahm sie mit sich in den Salon, wo ein loderndes Feuer und eine Kanne heißer Schokolade auf sie warteten. Er setzte sich auf das Kanapee und zog sie auf seinen Schoß, so wie er es mit einem kleinen Kind tun würde. Er wiegte ihren Kopf auf seiner Schulter, streichelte ihr Haar und spürte das schmerzhafte Pochen in ihren Schläfen ebenso wie die Feuchtigkeit der Tränen auf ihrer Haut.
„Oh Eric, du hattest recht. Daniel wusste all die Jahre über uns Bescheid. Er wusste, dass du eines Tages zurückkehren würdest, und das war der einzige Grund, warum er mich bei sich aufnahm, als meine Eltern starben.“ Er spürte ihren zittrigen Atem.
„Er hat das dir gegenüber zugegeben?“
Sie nickte. „Er konnte … konnte mir kaum in die Augen sehen.“
Eric stieß einen Seufzer aus und wünschte, er könnte das Leben aus diesem herzlosen Mistkerl herauswürgen, weil er Tamara solchen Kummer bereitete. „Es tut mir so leid, Liebes. Ich wünschte, ich hätte mich geirrt.“
Die Luft blieb ihr im Hals stecken und ließ jeden ihrer Atemzüge zur Qual werden. „Es tut weh, die Wahrheit zu kennen. Ich liebe ihn so sehr, Eric.“
Ich liebe ihn, nicht: Ich habe ihn geliebt. Eric runzelte die Stirn.
Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter. „Ich kann nicht einfach aufhören, ihn zu lieben, bloß weil er mich angelogen hat. Ich glaube … auf seine Art … liebt er mich ebenfalls.“
„Ich vergesse immer wieder, wie gut du meine Gedanken zu lesen vermagst“, erwiderte er. „Wie kannst du glauben, dass er sich um dich sorgt, nachdem …“
„Ich muss es einfach glauben. Es schmerzt zu sehr, daran zu denken, dass er mir all die Jahre über bloß etwas vorgespielt hat. Er behauptet, dass er mich nach und nach ins Herz geschlossen hat und dass sich die Gründe, warum er mich bei sich behielt, seitdem geändert haben.“ Sie blinzelte die letzten Tränen fort und strich mit ihren Fingerspitzen sanft über sein weißes Hemd. „Ich habe dich ganz nass gemacht.“
„Ich würde mit Freuden jede Träne aufnehmen, die du vergießt, wenn du es nur zuließest, Tamara.“
Ihre Lippen hoben sich leicht zu den Mundwinkeln hin, zitterten jedoch noch immer. „Ich gebe ihm noch eine letzte Chance.“ Erics Augenbrauen hoben sich, eine höher als die andere, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er verblüfft war. „Ich sagte Daniel, wenn er mich wirklich liebt, würde er seine Forschungen einstellen und deine Verfolgung ebenso.“
„Süße, vertrauensselige Tamara“, sagte er, während er eine Locke ihres Haares mit dem Zeigefinger anhob und sie hinter ihr Ohr steckte. „Glaubst du tatsächlich, er würde dem zustimmen? Wir beide wissen, dass er mich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Schon bevor du geboren wurdest, hatte er ein Auge auf jede meiner Bewegungen.“
„Ich weiß nicht, ob er zustimmen wird. Aber wenn er es nicht tut, dann denke ich, dass du von hier fortgehen solltest, Eric. Ich habe Angst vor dem, was er im Schilde führt.“
Er lächelte. „Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, was er mit mir im Schilde führt. Und nein, ich werde dir keine neuen Albträume bescheren, indem ich es dir verrate. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, Tamara. Bei Vampiren bedeutet Alter Stärke. Ich besitze die Stärke von über zweihundert Jahren. Ein gewöhnlicher Mensch – selbst mehrere davon – stellen für mich keinerlei Bedrohung dar.“
„Aber dieses Betäubungsmittel, das sie erwähnt haben …“
„Das ist nicht von Bedeutung. Ich werde dich nicht noch einmal verlassen.“
Sie blickte ihm mit so viel Liebe in die Augen, dass Eric unmerklich zusammenfuhr. „Darum würde ich dich niemals bitten. Ich ginge sogar mit dir.“
Sie würde mit ihm gehen, und er wusste, dass sie bei ihm bleiben würde. Für die Dauer ihres sterblichen Lebens wäre es ihm gestattet, sie in Ehren zu halten und zu vergöttern. Und dann würde sie ihn zurücklassen, damit er an seinem gebrochenen Herzen starb.
Sie würde ihm nicht länger gehören als einen kurzen Moment in der Ewigkeit – zwanzig Jahre allenfalls, wenn er Glück hatte. Obwohl er darüber noch nicht mit ihr gesprochen hatte, war er sich schmerzhaft bewusst, dass Menschen mit dem Belladonna-Antigen nur selten über ihr fünfundvierzigstes Jahr hinauskamen.
Womöglich, dachte er, hatte Roland recht. Vielleicht stand ihm diese Entscheidung nicht zu. Aber konnte er sie zu einer Ewigkeit in Dunkelheit verdammen? Würde sie das überhaupt wollen?
Ihre Hand auf seinem Gesicht unterbrach seinen Gedankengang, und er schaute ihr in die Augen. „Was ist mit dir?“, fragte sie. „Ich spüre Traurigkeit, aber ich war nicht imstande, zu erkennen, woran du gedacht hast.“
„Ich habe daran gedacht, dass du mich am Morgen verlassen musst.“ Heute Nacht gab es bereits genug, das sie zu bewältigen hatte. Die Frage ihrer Sterblichkeit würde ein andermal geklärt werden müssen. „Ich bin mir nicht sicher, ob es so klug ist, dass du hier bist, jetzt, da St. Claire und Rogers über die Art unserer Verbindung Bescheid wissen. Es widerstrebt mir, daran zu denken, dass du dich nach wie vor in Reichweite ihres Zorns befindest.“
„Wenn Daniel seine Ansicht nicht ändert, werde ich morgen zum letzten Mal einen Fuß in dieses Haus setzen.“ Sie sah ihn an und lächelte sehr sanft. „Es sei denn natürlich, ich war voreilig. Immerhin hast du mich nicht eingeladen …“
„Soll ich vor dir auf die Knie sinken? Soll ich dich anflehen, bei mir zu bleiben?“
„Du brauchst mir nur zu sagen, dass du mich willst.“ Ihre Stimme war kaum ein Flüstern, und er erkannte, dass sich der Schimmer, den ihre Tränen zurückgelassen hatten, dank ihrer Leidenschaft in ein weiches Glühen verwandelt hatte.
„In meinem Leben habe ich Frauen von solcher Schönheit erblickt, dass über sie gesagt wurde, sie könnten einen Mann in den Wahnsinn treiben. Neben dir würden sie alle verblassen wie die Flamme einer Kerze neben dem Herzen der Sonne. Nie zuvor hat eine Frau solch ein Feuer in mir entfacht wie du.“ Er senkte den Kopf und hob ihr Kinn mit einer Hand hoch, um seine Lippen auf die ihren zu legen. Zärtlich knabberte er daran, saugte an ihnen, zuerst an der oberen, dann an der unteren.
Er hob seinen Kopf gerade weit genug, dass er sprechen konnte und in der Lage war, dabei in ihr entzückendes Antlitz zu schauen. „Zu sagen, dass ich dich will, reicht nicht aus. Ebenso könnte ich sagen, dass die vertrocknete, unfruchtbare Wüste den Kuss des Regens herbeisehnt. Du bist jener Teil meiner Selbst, der mir seit mehr als zwei Jahrhunderten fehlt.“
Das Schimmern in ihren Augen hatte nun nichts mehr mit ihrem vormaligen Kummer zu tun. „Eric, du verführst mich mit deinen Worten ebenso vollkommen, wie du es mit deinem Körper tust.“ Sie drückte ihren Mund auf den seinen, öffnete ihre vollen Lippen und lud seine Zunge ein, in sie zu dringen. Er kam ihrem Wunsch voller Hingabe nach, und ihr Geschmack erregte ihn noch mehr als bei ihrem letzten Kuss. Schließlich hob er seinen Kopf, um Atem zu schöpfen.
„Ich vermag es vielleicht nicht so gut auszudrücken wie du“, raunte sie ihm – jetzt atemlos – zu. „Doch ich empfinde dasselbe. Mein Leben war so leer. Ich war sicher, dass ich niemals aufhören würde, mich zu fragen, warum. Dann traf ich dich und mit dir die Antwort darauf. Ich weiß nicht, was damals zwischen uns war, Eric. Ich weiß nicht, warum wir uns so nahestehen, aber was immer einst den Ausschlag dazu gab, hat ein Band zwischen uns geschaffen. Du bist ein ebenso lebenswichtiger Teil meines Lebens wie mein eigenes Herz. Wenn du mich erneut verlässt …“ Sie sprach nicht weiter. Der Schluchzer, der ihr die Worte abschnitt, kam ohne jede Vorwarnung, so viel war gewiss.
Er schloss sie in seine Arme, als er sich von dem Kanapee erhob. „Dich verlassen? Dich verlassen? Lass dein Herz einen Blick in das meine werfen. Sieh, was dort ist, und zweifle nicht länger. Für dich würde ich nackt durch ein Becken voller Glasscherben schwimmen. Bäuchlings würde ich über heiße Kohlen krauchen – ja, durch die Hölle selbst –, um zu dir zu gelangen. Du gehörst zu mir, Holde, wie ein Fieber in meinem Blut. Alles, wonach es mich in diesen Tagen verlangt, bist immer nur du.“
Ungestüm nahm Eric ihren Mund, überfiel ihn so, wie sie es sich von ihm ersehnte. Er wusste, dass sie sich nach ihm verzehrte. Er hatte ihr stummes Flehen vernommen. Noch während er sie küsste, bewegte er sich mit ihr zur Treppe und die Stufen hinauf. Als sie schließlich am Ende der Stiegen anlangten, keuchte er genau wie sie.
Ihre Finger vergruben sich in seinem Haar und spielten damit. Ihre Zunge drang vor und kostete ihn, dann schlang sie sich um seine und entführte sie in einen wilden Tanz. Sie saugte an ihr wie an einer seltenen, kostbaren Frucht – etwas, das sie zum Überleben brauchte.
Er trat die Schlafzimmertür auf und trug sie über die Schwelle, sicher, dass sie die Kerzen und Öllampen nur verschwommen wahrnahm, die ihren flackernden bernsteinfarbenen Schein über das Bett warfen, das er für sie bereitet hatte. Er legte sie behutsam auf die hohe Matratze, ehe er sich aufrichtete und sich gestattete, sie mit seinem Blick zu verschlingen.
Er hatte nie viel von den Jeans gehalten, die die Frauen von heute mit Vorliebe trugen; bei ihr allerdings fand er es verführerisch, wie der Stoff ihren Körper wie eine zweite Haut umgab. Dann wiederum ging ihm durch den Sinn, dass er Tamara selbst in einem Kartoffelsack bezaubernd gefunden hätte.
Sie blinzelte, brach den Blickkontakt ab und sah sich in dem Raum um. Die Satinbettdecke, auf der sie lag, konnte sich glücklich schätzen, dass sie mit ihrer nicht minder weichen Hand langsam und voller Anerkennung darüberstrich. Sie betrachtete erst das übergroße Himmelbett mit den vier Pfosten aus handgearbeitetem Hartholz und dann die Unmengen von Kerzen sowie die beiden Lampen, die Duftöl verbrannten. „Hast du das alles für mich gemacht?“
Er nickte und beobachtete ihr Gesicht. „Gefällt es dir?“
Sie antwortete mit einem Lächeln. Sie hielt seinen Blick gefangen, als sie sich die Bluse aufknöpfte. Er trat einen Schritt auf sie zu. Sie hielt ihn mit einem kleinen Kopfschütteln auf. Eric schluckte schwer, fügte sich jedoch ihrer stummen Bitte. Er blieb stehen, wo er war, während das Feuer, das in seinem Innern brannte, zunehmend außer Kontrolle geriet.
Sie zuckte mit den Achseln, sodass die Bluse von ihren Schultern rutschte, und er sah das cremefarbene Negligé darunter. Sie glitt vom Bett, öffnete ihren Hosenknopf und dann ihren Reißverschluss. Sie schob die Jeans über ihre Hüften, ihre langen bloßen Beine hinunter und trat aus ihnen heraus.
Er spürte, wie sein Begehren erwachte und er sie wie ein Konfekt betrachtete, das eigens für ihn kredenzt worden war. Cremefarbene Spitze bedeckte ihre Oberschenkel und die Rundungen ihrer Brüste. Während er mühsam nach Worten rang, wiederholte sie seine. „Gefällt es dir?“
Alles, was er hervorbrachte, war ein dumpfes Grummeln, bevor er sie in die Arme schloss und an sich drückte. Als seine Hände die spärliche Spitze anhoben, um ihren Po zu berühren, fand er sie unverhüllt. Eigens für mich hat sie auf Unterwäsche verzichtet, um mir zu gefallen, um mich vor Erregung wahnsinnig zu machen, dachte er.
Er bewegte seine Hüfte, sodass die schmerzende Schwellung, die gegen seinen Reißverschluss drückte, gegen ihre Mitte stieß. Er hob eine Hand, um den dünnen Träger beiseitezustreifen und ihre Brust bloßzulegen, damit er sie begierig erkunden konnte.
Als er ihre Brustspitze zu fester, kieselgleicher Härte gereizt hatte, glitten seine Lippen über ihren Hals, und er sagte: „Willst du mich in den Wahnsinn treiben, Weib? Ich hoffe, du bist dir sicher, dass du das hier möchtest. Ich glaube, du hast mich bereits über den Punkt hinausgebracht, an dem ich noch an mich halten könnte.“
Er hob sie hoch, die Hände auf ihren seidenbedeckten Seiten, und ließ sie aufs Bett sinken. Mit Blicken verfolgte sie, wie er sich aus seinem Hemd kämpfte. Ohne zu zögern, entledigte er sich auch seiner Hosen und seiner Shorts. Er konnte es kaum erwarten, in ihren köstlichen Körper zu dringen. Er bemerkte, wie ihr Blick zwischen seinen Beinen ruhte, und kletterte neben sie aufs Bett, begierig darauf, sie zu beglücken.
Dann beherrschte er sich und erinnerte sich daran, dass sie ihm die ganze Nacht lang gehören würde. Er brauchte sie nicht in aller Hast zu nehmen. Er konnte sich Zeit nehmen, sie zu lieben, sie vor Verlangen so verrückt zu machen, wie sie es bei ihm bereits getan hatte.
Sie streckte die Arme nach ihm aus, und ihre Augen glommen vor Leidenschaft.
Leise neckend fragte er sie: „Hast du es so eilig, süße Tamara? Willst du mir die Freude verwehren, dich zunächst zu genießen?“
„Möchtest du wieder von mir trinken?“ Ihre Worte waren kaum mehr als Seufzer. „Tu es, Eric. Heute Nacht bin ich deine Sklavin. Mach mit mir, was du willst.“
„Was ich will, ist, dich zu verschlingen. Jeden köstlichen Zentimeter von dir, in aller Ruhe. Ich frage mich, ob du still daliegen und es mir gestatten wirst?“
Er kniete auf der Matratze neben ihr nieder und griff nach ihrem Fuß. Er hob ihn empor, küsste einen heißen Pfad um ihren Knöchel herum, knabberte daran. Ihr Atem ging schneller, und er bewegte den Kopf. Sein Mund wanderte ganz langsam über die weiche Haut ihrer Wade. Er hob ihr Bein und schnellte mit seiner Zunge über die empfindliche Stelle hinter ihrem Knie.
Sie erbebte heftig, und er sah auf, um festzustellen, dass sie die Augen fest geschlossen hielt. Oh ja, meine Liebste. Heute Nacht werde ich dir die wahre Bedeutung der Lust zeigen!
Sie musste seine Gedanken hören, da sein Mund damit beschäftigt war, sein Versprechen wahr zu machen. Er knabberte, kostete und leckte an ihrem Oberschenkel, während er langsam und stetig höherglitt, sodass sie keine Zweifel daran hegte, was er im Sinn hatte. Als er schließlich zu ihrer empfindsamsten Stelle gelangte, war ihr Verlangen so gewaltig, dass sie bei jedem Atemzug wimmerte. Ein Schlag seiner Zunge genügte, dass sie aufschrie. Öffne dich mir, Liebste. Gib mir deinen süßen Nektar.
Sie tat wie geheißen. Er ließ die Hände unter ihren Po gleiten, hob sie an und gab ihr, worum sie ihn angefleht hatte. Er liebkoste sie mit Mund und Zähnen. Er drang mit seiner Zunge in sie. Ihr Geschmack berauschte ihn.
Sie rang nach Atem, warf ihren Kopf auf dem Kissen vor und zurück, und ihre Hüften wanden sich unter ihm. Er drängte sie schonungslos an den Abgrund und dann darüber hinaus. Sie schrie lustvoll auf – und doch hielt er nicht inne. Sie zitterte unkontrolliert und schob keuchend seinen Kopf fort.
„Nein, nicht mehr … ich kann nicht …“
„Oh, und ob du kannst! Soll ich es dir beweisen?“ Er richtete sich auf und bewegte sich, bis sein Körper den ihren zur Gänze bedeckte. Er drängte sich an sie und genoss es, sie so feucht und immer noch erregt an sich zu spüren. Ohne Vorwarnung drang er in sie. Sie erbebte unter ihm, als er sich zurückzog, bloß um wieder und wieder in sie einzutauchen. Er ließ ihr keine Zeit, sich von der ersten mitreißenden Woge der Leidenschaft zu erholen.
Er zwang ihren zitternden Körper immer weiter, hin zur nächsten köstlichen Welle des Glücks. Er hielt sie mit den Armen an sich gedrückt und zwang sie, jeden einzelnen seiner Stöße hinzunehmen. Er presste seinen Mund auf den ihren und stieß seine Zunge hinein, die noch immer nach ihr selbst schmeckte. Er drang härter und schneller in sie, und als sie die Hände zu Fäusten ballte und danach die Fingernägel an seinen Rücken drückte, wusste er, dass sie sich einmal mehr am Rand des Abgrunds befand.
Dieses Mal schluckte er ihre Schreie, als sie hinabstürzte, und sie schluckte seine, da er mit ihr fiel. Sein ganzer Körper erzitterte unter der Wucht seiner Erlösung. Er hielt sie fest umfangen, und sein Leib entspannte sich an ihrem.
Noch immer durchliefen ihn Nachbeben der Lust, als er von Neuem begann, sich in ihr zu regen.