Kapitel 4

Neve ließ Max’ Hand los, um die altmodische Stehlampe in der Ecke anzuknipsen und spürte, wie er sie von hinten umarmte und ihren Nacken küsste. Er ließ die Hände über den seidigen Stoff ihres Kleides gleiten, und Neve zog etwas halbherzig den Bauch ein, obwohl es Max nichts auszumachen schien, dass sich ihr Bauch nach außen und nicht nach innen wölbte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass dein Schlafzimmer so unordentlich ist«, flüsterte Max ihr ins Ohr.

»Ich hatte keine Besucher erwartet.« Neve schloss die Augen und lehnte sich an seine Brust, um sich nicht das Chaos ansehen zu müssen, das Celia und Yuri verursacht hatten in dem Versuch, ihr bei der Auswahl eines Party-Outfits zu helfen. Sie hatten praktisch jedes einzelne Kleidungsstück aus Neves Schrank sowie den Inhalt der Kommodenschubladen über ihr Bett, ihr Sideboard aus den 1950-ern und die zwei dazu passenden Lloyd-Loom-Korbsessel verteilt. Neve trug fast ausschließlich Kleider in gedämpften Farben, und die Berge aus dunklen Klamotten bildeten einen krassen Kontrast zu dem in Weiß und Rosa gehaltenen Interieur ihres Schlafzimmers. Es sah aus, als hätten die Besucher einer Beerdigung einen improvisierten Massenstriptease hingelegt.

Neve wankte mit Max im Schlepptau zu ihrem Bett hinüber. Es war so ziemlich das einzige Möbelstück, das sie neu gekauft hatte. Sie hatte ein richtiges Mädchenbett mit einem verschnörkelten elfenbeinweißen Eisengestell haben wollen, auf das sie jede Menge geblümte Bettwäsche türmen konnte. »Ich werfe einfach alles auf den Boden«, sagte sie, hob einen Haufen Röcke und ließ sie auf die weiß getünchten Bodendielen fallen. »Normalerweise würde ich sie natürlich in den Schrank hängen.«

»Natürlich«, sagte Max, als würde er ihr nicht glauben.

»Ehrlich!«

»O.K., du machst das Bett frei, und ich mache dich frei«, sagte er spielerisch und hob ihre Haare hoch, um den Hakenverschluss ihres Kleides in Angriff zu nehmen.

»Nein, tu das nicht«, rief Neve. Sie fuhr herum und schlang ihm die Arme um den Hals. »Du hast mich seit mindestens fünf Minuten nicht mehr geküsst.«

»Das tut mir leid …« Seine Lippen berührten die ihren, noch ehe er den Satz beendet hatte. Dann ließ er sie sanft nach hinten auf das Bett sinken und legte sich auf sie.

Es war viel besser als unten auf dem Sofa – erstens konnte Neve hier den Kopf auf ihr Schaumstoffkissen mit Memory-Funktion betten, und zweitens lag Max jetzt auf ihr und rieb sich an ihr, was Neve erregender als erwartet fand. Außerdem bedeutete es, dass er nur ihr gerötetes Gesicht sehen konnte. Es bestand also kein Grund zur Beunruhigung, selbst als der Rocksaum zwischen ihren Knien hochrutschte und Max ihre Schenkel zu streicheln begann. Berühren war nicht dasselbe wie betrachten. Ein Glück, dass sie sich vorhin noch die Beine rasiert hatte, obwohl Celia behauptet hatte, ihre Männerjagd würde garantiert erfolglos bleiben, wenn sie sich vor dem Ausgehen schon siegessicher die Beine rasierte. Was nur ein weiterer Beweis dafür war, dass Celia keine Ahnung hatte.

»Du bist so hübsch«, murmelte Max, während er ihr Dekolleté mit Küssen übersäte. »Was hältst du davon, wenn wir mal das eine oder andere Kleidungsstück ablegen?«

Er richtete sich auf, um sich das Hemd aufzuknöpfen und blickte erwartungsvoll auf Neve hinunter. Sie stützte sich auf die Ellbogen auf, weil das erfahrungsgemäß etwas vorteilhafter wirkte als flach auf dem Rücken zu liegen. Das Zimmer war zwar nur schwach beleuchtet, aber nicht schwach genug. Max würde genauso viel von ihr sehen wie sie von ihm. Seine Brust, die nun unter dem schwarzen Baumwollhemd zum Vorschein kam, war nicht nur perfekt zum Anlehnen geeignet, sondern bot auch einen sehr erfreulichen Anblick. Nicht zu behaart, leicht durchtrainiert und auch was die Breite anging gerade richtig. Neve streckte die zitternden Hände aus und ließ sie über seine angenehm festen Brustmuskeln gleiten. Seine Brustwarzen waren kleiner, flacher und dunkler als ihre. Sie spreizte die Finger und rieb mit dem Daumen darüber. Dann fuhr sie mit beiden Händen über seinen Brustkorb, einfach so, aus purer Freude daran, und weil Max es so wollte – sonst würde er nicht lächeln und sich das Hemd ausziehen.

Ihre Finger wanderten erst über das eine, dann über das andere Schlüsselbein und von dort über die Rippen bis hinunter zum Bauch. Als sie beim abgetragenen Ledergürtel angekommen war, hielt sie kurz inne und schielte nach unten. Seine Erektion zeichnete sich deutlich unter dem Hosenstoff ab. Und sie war dafür verantwortlich. Neve konnte es kaum fassen.

Max öffnete grinsend seine Gürtelschnalle. »Okay, jetzt bist du an der Reihe.«

Spätestens jetzt sollte sie mit rudernden Armen und gellenden Angstschreien das Weite suchen, doch Neve hatte das Gefühl, langsam auf ihrer Cath-Kidston-Rosen-Bettwäsche dahinzuschmelzen. Sie wusste, dass sie jederzeit das Recht hatte aufzuhören. Aber wenn man mit einem so aufregenden, glamourösen, erfahrenen Mann im eigenen Bett lag, und wenn dieser Mann, den man mit dem fadenscheinigen Versprechen einer Tasse Kaffee zu sich in die Wohnung gebeten hatte, obwohl er Lichtjahre außerhalb der eigenen Liga spielte, nun langsam seinen Hosenbund aufknöpfte, dann schien ein »Nein« schlichtweg unangebracht.

Wenn sie jetzt »Nein« sagte, würde sie unerfahren und prüde wirken. So etwas taten doch nur verklemmte Freaks, die nicht einmal mit Sicherheit wussten, ob sie noch Jungfrau waren oder nicht. Jungfräulichkeit wurde ohnehin total überbewertet. Sowohl Celia als auch Neves Arbeitskollegin Chloe hatten mit sechzehn ihre Unschuld verloren, und Neve war bereits fünfundzwanzig. Es wäre schon vor Jahren fällig gewesen. Ein unverbindliches sexuelles Abenteuer stand zwar nicht ganz oben auf ihrer Liste mit dem Titel »Einschlägige Erfahrungen sammeln«, aber auf diese Weise konnte sie den Punkt wenigstens schon mal abhaken …

»Ich bin nicht besonders attraktiv«, platzte Neve hinaus. »Ich bin weder dünn noch gut gebaut.«

Max schnaubte. »Ich kenne mindestens zehn Frauen, die für deine Kurven töten würden.« Er tätschelte ihr das Knie und begann dann mit den Fingerspitzen Muster auf Neves Haut zu malen, während er mit der anderen Hand ihr Kleid ein wenig nach oben schob.

Neve biss die Zähne zusammen und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es würde nicht einfach werden, aber sie war wild entschlossen, es durchzuziehen. Sie brauchte Max ja nicht wiederzusehen. Sie musste bloß künftig einen großen Bogen um sämtliche Skirt-Partys machen.

»Komm schon, Neve«, sagte Max sanft. »Wenn du nicht sexy wärst, hätte ich doch keine Erektion. Hier, fühl mal …«

Er nahm ihre Hand, die bisher nur tatenlos neben ihr gelegen hatte, und platzierte sie auf seinem Penis. Neve konnte spüren, wie er unter dem Stoff pulsierte, und als sie nun vorsichtig die Finger um ihn legte, wölbte er sich ihr erfreut entgegen.

»Das war ich?«, fragte sie ungläubig.

»Das warst du«, versicherte ihr Max und ließ die freie Hand unter ihrem Kleid nach oben wandern, wobei der Saum ihres Unterkleids sichtbar wurde.

Bei seinem Anblick atmete Neve erleichtert auf. Sie trug ein Unterkleid! Das war ihre Rettung, denn ihre schwabbeligen Oberarme würden nicht allzu sehr auffallen, und Sex im Unterkleid, das war hocherotisch, das hatte etwas von einer Femme fatale in einem Film noir.

Neve tastete nach ihrem Reißverschluss und öffnete ihn langsam. Max war aufgestanden und zog im selben Moment den Reißverschluss seiner Hose nach unten, sodass ein Duett von kratzendem Metall erklang. Sie starrten einander mit großen Augen an. Dann bückte sich Max.

»Ein nackter Mann in Socken ist ein Stimmungskiller«, bemerkte er beiläufig. Neve nützte die Gelegenheit, um hastig aus ihrem Kleid zu schlüpfen, dann legte sie sich wieder hin und drückte die Arme fest an ihren Oberkörper, sodass kein unansehnlich schwabbelndes Fleisch zu sehen war. Ihr schönster Balconette-BH und die schwarze Spitze am Ausschnitt ihres Unterkleids setzten ihre Brüste hervorragend in Szene.

Max richtete sich auf und stieß einen langen, anerkennenden Pfiff hervor. Einen derart bewundernden Blick hatte Neve noch nie geerntet. »Wow! Du siehst aus wie Liz Taylor in Telefon Butterfield 8«, stieß er begeistert hervor. »Deine Titten sind der Hammer.«

»Sie sind ganz okay, ja.« Neve nickte verlegen, aber es stimmte, dank des gepolsterten Bügel-BHs wirkte ihr Busen tatsächlich recht eindrucksvoll. Und mehr würde Max davon auch nicht zu Gesicht bekommen.

Max war lange nicht so schüchtern wie Neve. Er zog den Gürtel aus den Schlaufen, sodass ihm der Bund tief auf der Hüfte saß, dann entledigte er sich rasch seiner Hose, so als könnte er es nicht mehr erwarten, endlich nackt zu sein und zum nächsten Programmpunkt überzugehen. Neve starrte ihn an. Sie konnte nicht anders. Sie hatte noch nie zuvor einen erigierten Penis gesehen – zumindest nicht in echt. Mit dem Philosophiestudenten hatte sich alles unter der Decke und in völliger Dunkelheit abgespielt. Wie versteinert saß sie da und betrachtete mit einer Mischung aus Angst und Faszination Max’ steifen Schwanz. Sah irgendwie schmerzhaft aus. Er war viel größer, als sie vermutet hatte. Der würde doch nie und nimmer in sie hineinpassen. Er sah dermaßen fremd aus, dass Neve ihn am liebsten eine Weile nur angeschaut hätte, bis ihr der Anblick etwas vertrauter vorkam, so wie sie es sonst bei besonders schwierigen Kreuzworträtseln tat.

Aber das musste sie sich wohl abschminken – Max kam bereits mit einem eingepackten Kondom in der Hand auf sie zu, seinen Penis vor sich hertragend wie eine Wünschelrute aus Fleisch und Blut. Neve tat das Einzige, was sie unter diesen Umständen tun konnte: Sie verschwand unter ihrer Bettdecke.

»Ist da drin für mich auch noch Platz?«, fragte Max.

Neve schlug zwei Zentimeter der Decke zurück. »Natürlich«, quiekte sie. Dann nahm sie eines ihrer langen Seitenschläferkissen und warf es auf den Boden. »So. Siehst du? Hier ist jede Menge Platz.«

Max legte sich neben sie und umarmte sie, und es fühlte sich an wie eine wahre Invasion von warmem, männlichem Fleisch. Es war ein einschneidender Moment. Da war ein nackter Mann in ihrem Bett, der sich an die Kurven ihres Körpers schmiegte! Neve konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal von jemand anderem als Celia in den Arm genommen worden war. Eigentlich ging ihr das alles ein bisschen zu schnell. Es war mindestens so Furcht einflößend wie ein Sprung von einem brennenden Gebäude.

Max fuhr mit den Fingerspitzen die Linie ihrer Augenbrauen nach. »Ich weiß, ich wiederhole mich, aber du bist wirklich ausgesprochen hübsch.«

Neve wusste, dass das nicht stimmte. So etwas sagten Jungs, wenn sie Sex wollten, und da sie bereits im Bett lagen, hätte er es sich eigentlich sparen können. Trotzdem taten ihr seine Worte gut. Es war das erste Mal, dass ein Mann so etwas zu ihr gesagt hatte, mit Ausnahme ihres Vaters, und und der zählte nicht, und außerdem wollte sie jetzt wirklich nicht an ihren Dad denken.

»Du bist auch hübsch«, murmelte sie und berührte seinen gebogenen Nasenrücken. »Du erinnerst mich an das Bild von Caravaggio, auf dem David Goliaths Kopf in der Hand hält.«

Max verzog mit gespielter Verärgerung das Gesicht. »Solange du nicht Michelangelos David meinst«, sagte er und wölbte die Hüften nach oben, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen, obwohl Neve auch so völlig klar war, was er meinte.

»Das hättest du wohl gern«, entgegnete sie trocken, so wie sie sonst Celia neckte oder mit Chloe oder Rose im Archiv redete. Im Grunde so, wie sie normalerweise war, wenn sie nicht wie jetzt einen Schwips hatte und am liebsten vor ihrer eigenen Courage davongelaufen wäre.

Neve hätte nie gedacht, dass sie Witze reißen würde, wenn sie mit einem Mann im Bett lag. Oder dass er sie unter sich begraben und sie so lange kitzeln würde, bis sie sich kichernd und keuchend entschuldigte. Danach lag sie eine Weile einfach nur da, das Haar über das Kissen ausgebreitet, während Max sie betrachtete, und sie musste ihm lediglich einen Arm um den Nacken legen und ihn an sich ziehen, damit er sie wieder und wieder küsste.

Es war nicht oft der Fall, dass Neve das Gefühl hatte, dem Gefängnis ihres Körpers entkommen zu können, aber in diesen süßen, sinnlichen Momenten schien ihr, als wäre ihr ganzes Wesen auf die Wahrnehmung körperlicher Empfindungen ausgelegt. Sie konzentrierte sich ganz auf Max, seinen Mund, seine Hände und das ungewohnte, aufregende Reiben seiner heißen, harten Männlichkeit an der Innenseite ihrer Oberschenkel.

»Darf ich ihn anfassen?«, fragte sie, als Max von ihrem Mund abließ, um ihren Hals zu küssen, was sie so erregte, dass sie sich an ihn presste. Ihre Hand war bereits auf dem Weg nach unten, ihre Finger umschlossen prüfend den langen, prallen Schaft. Als sie mit dem Daumen sanft über die Spitze strich, stöhnte Max auf, und sie hielt erschrocken inne und hauchte: »Entschuldigung.« Hatte sie ihm wehgetan?

Er biss ihr sanft in die Halsbeuge. »Hör nicht auf«, murmelte er heiser. »Du kannst ruhig weitermachen.«

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Schon erstaunlich, wie weich und zugleich hart sich so ein Penis anfühlte. Sie wollte ihn noch einmal betrachten, auch wenn sie dafür die Decke zurückschlagen musste. Aber ihr Gedankengang wurde unterbrochen, denn Max hatte sich inzwischen zu ihrer figurformenden Unterhose vorgearbeitet.

»Die muss weg«, meinte er leichthin, und schwupps, hatte er ihr das enge Teil auch schon ausgezogen, mit einer Geschicklichkeit, die Neve kaum fassen konnte. »Viel besser. Und jetzt zeige ich dir mal, was meine Hände so können. Mit der Zunge bin ich übrigens auch sehr geschickt.«

Bei seinen Worten ergriff das ganz auf die Wahrnehmung körperlicher Empfindungen ausgelegte Wesen in ihr prompt die Flucht, und Neve befand sich wieder in ihrem unförmigen Körper. Sie wand sich aus seinem Griff. Sex in der Missionarstellung war kein Problem – wenn Max über ihr war, würde er nicht viel mehr zu sehen bekommen als den gerahmten Modigliani-Druck über ihrem Bett. Aber es kam nicht in Frage, dass sie ihm ihre unteren Regionen präsentierte wie ein sexuelles Selbstbedienungsbüffet. Reiner Beischlaf war definitiv die sicherere Variante.

»Das ist nicht nötig.« Sie presste die Beine zusammen und rutschte ein Stück von Max ab. »Ich bin bereit.«

»Bist du sicher? Ich hätte auch kein Problem damit, wenn du zweimal kommst.«

Seltsam – Celia hatte Max als schmierigen Schürzenjäger beschrieben, als die Sorte Mann, die nach dem Sex sofort die Fliege machte, dabei war er ein richtig zärtlicher und aufmerksamer Liebhaber. Das hier war besser für Neves lädiertes Ego als der einwöchige »Ich bin eine Göttin«-Workshop, den ihr ihre Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte, obwohl sich Neve ausdrücklich eine Wii-Fit-Station gewünscht hatte. Aber sie hatte das letzte Wort gehabt.

»Nein, nein, ich bin bereit, ehrlich«, erwiderte Neve bestimmt und umschloss seinen Schwanz so fest wie die Zitzen der Kuh, die sie im Rahmen eines Schulausflugs zur City Farm in Kentish Town gemolken hatte. Der Bauer hatte gesagt, sie sei ein Naturtalent, und wie es schien, hatte er recht gehabt, denn Max schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken.

»Wenn du so weitermachst, ist es vorbei, bevor wir richtig angefangen haben«, keuchte er. »Kondom.«

Neve lockerte ihren Griff. »Wo hast du es hingetan?«

»Nachttisch.«

»Warum bist du denn auf einmal so einsilbig?«, erkundigte sich Neve, während sie nach dem Kondom griff.

»Du weißt wieso«, stieß Max gepresst hervor. »Würdest du meinem Schwanz die Ehre erweisen, da du ihn ja so liebst?«

Neve versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wie sie im Sexualkundeunterricht mal einen schlüpfrigen Pariser über eine unreife Banane gestreift hatte. Aber dann fiel ihr ein, wie Charlotte gefeixt hatte, Neve könne sich die Mühe eigentlich sparen, weil ohnehin kein Junge mit ihr schlafen würden wolle, worauf die ganze Klasse außer ihrer Freundin Paula in schallendes Gelächter ausgebrochen war. In ihrer Wut hatte Neve ihre Banane aufgegessen, während die anderen einen Film über Geschlechtskrankheiten angeschaut hatten.

Sie schauderte bei der Erinnerung daran und hielt Max das Kondom hin. »Mach du das lieber, bei meinen langen Fingernägeln geht es womöglich kaputt«, sagte sie mit einer Geistesgegenwart, die sie selbst überraschte.

Neve hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich jemand ohne hinzuschauen so schnell ein Kondom überziehen konnte, aber keine zwei Sekunden später war Max wieder über ihr und küsste ihre nach unten gewanderten Mundwinkel. Die unerfreuliche Erinnerung hatte ihr die Laune verdorben, aber deshalb würde sie jetzt keinen Rückzieher machen. Nein. Sie gehörte nicht zu den Leuten, die beim geringsten Widerstand aufgaben. Wenn sie sich etwas vorgenommen hatte, dann zog sie es auch durch. Bis zum bitteren Ende.

Jetzt lagen sie seitlich da, die Gesichter einander zugewandt, die Knie aneinandergepresst. Neve hätte die Dinge gern etwas vorangetrieben und zermarterte sich das Hirn nach einem sexy Spruch, während sich auf den Rücken drehte. »Dann mal los«, sagte sie in einem – wie sie hoffte – verführerischen Tonfall.

Max stützte sich auf einen Ellbogen auf. »Bist du wirklich schon bereit, vernascht zu werden?«

»Absolut«, antwortete Neve knapp und zog ihn über sich. »Bitte, tu es einfach.«

»Meine Güte, bist du ungeduldig«, schnaubte Max, aber es klang nicht, als würde er sich daran stören. Zumindest ging er jetzt über ihr in Position und küsste sie, während Neve schon mal die Beine spreizte.

Dann lag sie stocksteif da, bis ihr auffiel, dass sie das Unterkleid herunterziehen musste, das ihr über den Bauch hochgerutscht war, denn ihr Federbett bot ihr in dieser Stellung keinen Sichtschutz mehr.

Max fummelte ein wenig zwischen ihren Beinen herum, und Neve hatte das Gefühl, dass sich ihre Klitoris ganz klein machte, um nicht von ihm berührt zu werden. Sie starrte an die Decke und versuchte, sich geistig irgendwo anders hinzubeamen, wie sie es tat, wenn sie beim Frauenarzt einen Abstrich machen ließ. Was trieb er da unten bloß so lange?

»Neve? Ich weiß, du hast gesagt, du wärst bereit, aber es fühlt sich nicht so an …«

Sie hob den Kopf. »Glaub mir, ich bin mehr als bereit.«

Max runzelte die Stirn. »Könntest du dein Becken etwas kippen? Nein, in meine Richtung.«

Jetzt kam sie sich vor wie beim Pilates, wenn sie versuchte, die »neutrale Wirbelsäulenposition« zu finden. Durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen schien ihr tatsächlich eine gute Idee zu sein, als Max nun begann, langsam und umständlich in sie einzudringen. Er biss sich auf die Unterlippe. Es schien ewig zu dauern, fast als wären sie zwei Satelliten bei einem Andockmanöver und nicht zwei Menschen, die miteinander schliefen. Eine Haarsträhne hing ihm in die Stirn.

Zumindest wusste Neve diesmal mit Sicherheit, dass ihr Bettgenosse in sie eindrang. Es tat zwar nicht weh, fühlte sich aber ausgesprochen unangenehm an. Diese Prozedur würde sie garantiert nicht allzu bald wiederholen, so viel stand fest. Allerdings war es bestimmt ganz anders, wenn man mit jemandem schlief, den man liebte. Nur Liebe konnte das hier erträglicher machen.

Max zog sich aus ihr zurück, und Neve wünschte, er würde es nicht tun, weil er dann wieder ganz von vorn anfangen musste. Er stöhnte leise, mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Gesichtszüge waren angespannt, seine Hände umklammerten ihre Hüften. Neve kniff die Augen zu, um ihn nicht ansehen zu müssen. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie war zu ungeduldig gewesen, hatte beschlossen, das Thema Sex möglichst rasch anzupacken, damit sie diesen Punkt von ihrer Liste streichen konnte. Aber so einfach war das nicht. Sex war etwas Besonderes und sehr Intimes. Einen Menschen, den man kaum kannte und für den man keinerlei Gefühle hegte, sollte man auch nicht in seinen Körper eindringen lassen, das hatte Neve jetzt begriffen. Aber die Erkenntnis kam zu spät. Die Phase, in der noch eine Umkehr möglich gewesen wäre, war seit zehn Minuten vorbei.

Sie machte sich für die neuerliche Penetration bereit, die Augen geschlossen, die Hände zu Fäusten geballt, doch nichts geschah. Max hatte aufgehört.

»Ist alles okay?« Er nahm die Hände von ihren Hüften und rutschte von ihr runter.

»Ja, ja, alles bestens. Du kannst ruhig weitermachen, wenn du willst.«

»Naja, ich würde ja gern, aber ich finde es nicht besonders erregend, wenn sich die Frau, die unter mir liegt, ganz offensichtlich wünscht, sie wäre irgendwo anders.«

Neve wurde heiß, als hätte sie jemand in kochend heißes Wasser gestoßen. Was für eine Demütigung! Max fand, dass sie schlecht im Bett war. Tja, das war sie ja auch, und obendrein offenbar auch noch so abstoßend, dass seine Erektion flöten gegangen war. Neve versuchte, die Augen zu öffnen, aber sie zogen es vor, geschlossen zu bleiben, um die Abscheu nicht sehen zu müssen, die sich zweifellos in seinem Gesicht spiegeln würde. Es war schon schlimm genug zu hören, wie er fluchend unter der Decke hervorglitt und sich auf die Bettkante setzte, um möglichst viel Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

Was sollte Neve unter diesen Umständen anderes sagen als: »Würdest du bitte gehen?«

»Ich habe dich gefragt, ob du es auch willst, und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder.«

»Geh jetzt, bitte.« Neve wickelte sich in die Decke und rollte sich zur Seite, damit sie Max nicht ansehen musste, als sie nun doch die Augen öffnete.

»Du hättest etwas sagen sollen. Ich hätte nie … Ich dränge mich Frauen nicht auf. Habe ich dir wehgetan?« Er war verärgert, und zu Recht. Aber Neve hörte auch noch etwas anderes aus seiner Stimme heraus: Scham, Schuldgefühle, Verunsicherung. All das empfand sie ebenfalls.

»Nein«, erwiderte sie hölzern. »Und du hast dich mir nicht aufgedrängt. Überhaupt nicht. Trotzdem musst du jetzt gehen.«

Sie hielt es nicht mehr aus, im selben Raum mit ihm zu sein, also schwang sie die Beine aus dem Bett und schnappte sich ihren Morgenmantel vom Stuhl. »Ich lass dich dann mal allein«, murmelte sie und hastete zur Tür.

Sie flüchtete sich in die Sicherheit des Wohnzimmers. Dort setzte sie sich auf ein Fauteuil und schlang die Arme um die Knie. Was für ein Reinfall! Sie hörte, wie sich Max anzog und die Treppe hinunterkam. Ihr Herz zog sich bei jedem seiner Schritte schmerzhaft zusammen. Aber er ging nicht wie erwartet direkt zur Wohnungstür, sondern blieb an der Schwelle zum Wohnzimmer stehen.

Sie hob den Kopf und wand sich unter seinem Blick, der eher nachdenklich als verärgert oder vorwurfsvoll wirkte.

»Schlimme Trennung?«, fragte Max.

Neve blinzelte ihn an. »Was?«

»Du hast gerade eine Trennung hinter dir, und da hast du dir gedacht, du rächst dich an deinem Ex, indem du dir irgendeinen x-beliebigen Kerl aufreißt und mit ihm vögelst, aber dein schlechtes Gewissen hat gesiegt.« Max lächelte schmal. »Allerdings meldet sich das Gewissen normalerweise erst zehn Minuten später und nicht schon währenddessen.«

»Du glaubst ernsthaft, ich hätte schon mal einen Freund gehabt? Eine Beziehung?« Neve schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatte alle Lichter angeknipst, denn die Dunkelheit ließ alles noch, nun ja, düsterer wirken, sodass Max sie nun in ihrem ganzen abgeblätterten Glanz erblickte: das verschmierte Make-up, der zeltartige Morgenmantel und ihre Waden, die, wenn sie wie jetzt die Beine angezogen hatte, noch stämmiger aussahen, als sie ohnehin waren. Und er glaubte trotzdem, dass sie vor ihm schon einmal einen Kerl im Bett gehabt hatte? »Du irrst dich.«

Max verschränkte die Arme. »Was ist es dann?«

»Ich will nicht darüber reden«, sagte Neve steif. »Würdest du bitte gehen? Jetzt, sofort.«

»Tja, ich finde dann allein raus«, knurrte er wütend. Neve konnte es ihm nicht verdenken. Sie hatte seine Wut verdient.

Einen Augenblick später erklang das Quietschen der aufschwingenden Wohungstür, gefolgt von einem Knall, als Max sie hinter sich zuwarf. Prompt fing Charlotte unten an zu toben und wie immer mit dem Besenstiel an die Decke zu klopfen, doch diesmal registrierte es Neve kaum. Sie lauschte nur den stampfenden Schritten auf der Treppe und dem Knallen der Haustür. Als sie ganz sicher sein konnte, dass er weg war, streckte sie sich auf dem Sofa aus. In ihrem Bett würde sie erst wieder schlafen, wenn sie die Bettwäsche ausgekocht hatte.