Kapitel 14

Neve setzte sich auf einen Hocker in der grün-roten Küche und beobachtete Max bei der Zubereitung des Essens. Eigentlich grenzte das Beobachten eher an Überwachung. Die Steaks mussten gegrillt werden statt mit Butter in der Pfanne gebraten, der Salat sollte mit Balsamico angerichtet sein statt mit Olivenöl. Und wurde eine Ofenkartoffel in der Mikrowelle auch wirklich knusprig?

Da Max ihre Anweisungen genau befolgte, konnte sie sich entspannen und zusehen, wie er die Tomaten schnippelte, den Rucolasalat putzte und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen die Steaks wendete. Er hatte seinen iPod an zwei Lautsprecherboxen angeschlossen und bewegte sich im Takt zur Musik durch die Küche. Dabei hob er gelegentlich den Kopf und sah zu Neve, die die Beine angezogen hatte, weil Keith versuchte, seinen Sabber an ihrer Jeans abzuwischen.

Sie hätte sich keine Gedanken machen müssen, weil sie mit Max allein in seiner Wohnung war, denn in seinen eigenen vier Wänden wirkte er weit weniger bedrohlich, als wenn er durch eine VIP-Lounge streifte.

Er hatte auf Neve schon immer den Eindruck erweckt, als würde er sich in seiner Haut überaus wohlfühlen, doch erst jetzt, als er mit dem Messergriff ein Trommelsolo auf dem Schneidbrett hinlegte, kam es ihr so vor, als würde sie einen Blick auf den echten Max erhaschen, der so tief unter dem Glamour und dem Gratis-Champagner und den Luftküsschen vergraben lag, dass sie seine Existenz erst jetzt bemerkte.

Sie aßen an dem kleinen Tisch in der Küche. Max entzündete ein paar Teelichter, »damit Neve nicht auffiel, dass er den Salat vermurkst hatte«, und wie sie so dort saßen und unter dem Tisch ständig mit den Knien zusammenstießen, wurde aus dem Steak mit Salat an einem Sonntagnachmittag um halb sechs dank des Kerzenscheins plötzlich ein romantisches Abendessen für zwei. Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie Keith in den Flur verbannen mussten, weil er Neve ständig mit der Pfote anstupste und ihr auf den Oberschenkel sabberte.

Neve hätte am liebsten zufrieden gestöhnt, als sie den letzten Happen der äußerst knusprigen Kartoffelschale verdrückte. Sie lehnte sich zurück und tätschelte sich den Bauch. »Das wird mir helfen, die Woche zu überstehen.«

»War doch nichts Besonderes«, winkte Max ab, doch er sah sehr zufrieden aus, als er seinen Teller mit einem Stück Brot abwischte. »Das ist eines meiner Standardgerichte, aber noch öfter gibt es bei mir grünes Thai-Curry. Und bei dir?«

»Hm … Gedünsteten Fisch vermutlich.« Neve zog die Nase kraus, als sie an das spartanische Mahl dachte, mit dem sie am Montagabend meist für die am Verwöhn-Sonntag begangenen Sünden büßte. »Ich mache auch mal Braten oder einen Eintopf, aber nichts sonderlich Aufregendes. Ich habe erst nach meinem Auszug von zu Hause gelernt, dass Bolognese-Soße nicht zwingend aus dem Glas kommen muss.«

»Der einzige Kochunterricht, den mir meine Mutter je erteilt hatte, war: ›Da steht der Wasserkocher, dort die Fünf-Minuten-Terrine. Ran an die Arbeit‹«, sagte Max leichthin.

Neve grinste, bohrte diesmal aber nicht nach, um die fröhliche Stimmung nicht zu verderben.

»Meine Mutter ist so eine grauenhafte Köchin, da wären sogar Instantnudeln besser gewesen als ihre eigenwilligen Wurstauflauf-Kreationen.«

»Du hast offenbar noch nie eine Fünf-Minuten-Terrine gegessen.« Max erhob sich und begann den Tisch abzuräumen. »Nichts da, du rührst keinen Finger, hübsches Kind. Du bist mein Gast«, wehrte er ab, als Neve nach der Salatschüssel griff.

Sie fühlte sich tatsächlich hübsch, wie sie dort saß in ihrem Sommerkleid, an dem die obersten zwei Knöpfe offen standen. Ihre Wangen waren gerötet vom Wein und weil Max die Zentralheizung raufgedreht hatte, nachdem sie ihm vorhin mit eiskalten Fingern einen Kochlöffel gereicht hatte.

Er holte etwas aus dem Kühlschrank, das er hinter dem Rücken vor ihr verbarg. »Ich weiß gar nicht, ob du überhaupt ein Dessert willst, aber in diesem Fall geht es ohnehin mehr um das Drumherhum als um das Essen.«

»Was gibt es denn?«

»Etwas, das ich vorhin vorbereitet habe«, sagte er kryptisch und brachte dann aus einem Schrank einen Gegenstand zum Vorschein, der aussah wie eine alte Thermosflasche mit einer Düse. Neve betrachtete das Ding ratlos. Max besaß eine geradezu erschreckende Menge an Küchengeräten. Er deponierte es auf dem Küchentisch.

»Was ist das, und was hast du damit vor?«

»Wart’s ab.« Er tätschelte ihr die Schulter. Dann stellte er zwei gefüllte Souffléförmchen auf den Tisch, streute etwas braunen Zucker darüber und verkündete feierlich: »Crème brulée.«

Neve betrachtete die Förmchen mit unverhohlener Neugier. Sie durfte sich drei große Löffel Nachtisch genehmigen, weil sie mit dem Fahrrad gekommen war und auch wieder zurückradeln würde. Eigentlich bevorzugte sie schokoladenhaltige Desserts, aber …

Max nahm das Thermoskannending zur Hand.

»Huch!«, quiekte Neve, als es plötzlich Feuer spuckte. »Was machst du denn da?«

»Sieh einfach zu. Das ist sowas von cool.« Max zielte mit der Flamme auf ihr Souffléförmchen, bis der Zucker karamellisierte. »Warte einen Augenblick, bis die Oberfläche hart ist, dann machen wir uns gemeinsam darüber her.«

»Oh Gott«, hauchte Neve, als Max den Feuerspucker nun auf sein Schüsselchen richtete. »Sei bloß vorsichtig.«

Er blies die Flamme aus, die noch über seiner Crème brulée flackerte und setzte sich. »So, das war mein Party-Trick, auch wenn du nichts davon essen kannst.« Er strahlte sie an. »Ich habe unser Dessert mit einer Lötlampe in Brand gesetzt! Hammermäßig, oder?«

»Absolut, obwohl ich etwas Angst um meine Wimpern hatte.« Neve testete mit dem Löffel, ob die Karamellschicht schon fest war. Diese Crème brulée hatte er für sie gemacht, um sie zu beeindrucken, während sie sich bei Chloe über ihn und seine ruchlosen Spielchen ausgelassen hatte.

Er hatte an sie gedacht, hatte Zucker gewogen und Eier getrennt … und dann die Sache mit dem Feuer – das war das metrosexuelle Pendant zum Urzeitmenschen, der ein wildes Tier erlegt und es zu seiner Höhle schleppt, um bei seinem Weibchen damit Eindruck zu schinden.

Das hier war viel mehr als eine Crème brulée. Es war ein Versuch, sie zu verführen. Warum machte er dann nicht endlich Nägel mit Köpfen?

Sie sprang auf, und ehe er es sich versah, kauerte sie neben ihm und übersäte sein Gesicht mit Küssen.

Er versuchte, etwas zu sagen, aber sie wollte es nicht hören, sie wollte nur geküsst werden, wild und leidenschaftlich. Aber er hielt sich zurück, sein Mund bewegte sich kaum, seine Hände lagen auf ihren Schultern, um sie in Schach zu halten.

»Gott, warum weigerst du dich, mich richtig zu küssen?« Neve richtete sich auf, unter anderem, weil ihr höllisch die Knie wehtaten, und stemmte die Hände in die Hüften.

»Weil ich nicht will, dass du mittendrin eine Panikattacke erleidest.« Er sah zu ihr hoch. Seine Miene war ernst; keine Spur von Ironie. »Es wäre schön, wenn du dir diesmal ganz sicher bist, dass du das willst.«

»Entweder machen wir das hier richtig, oder wir lassen es ganz bleiben«, fauchte sie. »Mann, was für ein Desaster. Wir passen überhaupt nicht zusammen. Ich weiß nie, ob du dich über mich lustig machst oder nicht, und du spürst ganz offensichtlich nicht, dass ich geküsst werden will – richtig geküsst –, und wenn du das nicht willst, dann …«

Er erhob sich und unterbrach ihr Gefasel, indem er ihr den Mund auf die Lippen drückte und sie so ungestüm küsste, dass ihr die schmerzenden Knie weich wurden.

In diesem Augenblick erlebte sie eine Art Déjà-vu. Die Küsse waren genauso leidenschaftlich wie damals auf ihrem Sofa, aber als seine Finger diesmal auf ihre Brust und ihren Po wanderten, schmiegte sie sich in seine Handflächen. Diese Küsse würden nicht zu Sex führen; sie hatte ihm klipp und klar gesagt, wie sie zu diesem Thema stand. Es waren Küsse um des Küssens willen, und genau so wollte sie es haben.

Als Keith zu bellen begann und an der geschlossenen Tür kratzte, brachen sie ab und ließen ihn herein. Er trabte in die Küche, hielt inne und musterte sie misstrauisch, die Ohren gespitzt.

Nachdem sie ihn gefüttert und das Geschirr gespült hatten, machten sie es sich auf dem Wohnzimmersofa gemütlich, und Max verabreichte ihr exakt drei Löffel Crème brulée. Dann knutschten sie weiter.

Anfangs hatten ihre Küsse etwas Verzweifeltes gehabt, doch jetzt waren sie langsam und intensiv. Zwischendurch lagen sie einfach nur Arm in Arm da, und Max öffnete den dritten Knopf an ihrem Sommerkleid, oder Neve ließ gemächlich den Finger an der weichen Unterseite seines Arms entlanggleiten. Dann küssten sie sich erneut, und obwohl der Raum weiß und blau gestrichen war, hatte Neve das Gefühl, von einem warmen roten Licht umgeben zu sein.

»Bin ich wirklich nicht zu schwer für dich?«, murmelte sie.

»Zum fünften Mal, nein«, sagte Max und strich ihr das Haar aus dem Gesicht, um sie auf die Nasenspitze zu küssen. Er spähte auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. »Es ist schon spät. Bleibst du hier, wenn ich verspreche, dir nicht an die Thermounterwäsche zu gehen?«

Neve reckte den Hals. Es war fast zehn. William hatte sich um neun melden wollen.

»Ich sollte besser gehen«, sagte sie halbherzig. Die Vorstellung, die angenehm warme Wohnung zu verlassen und sich in der Kälte draußen aufs Fahrrad zu schwingen, war wenig verlockend, und außerdem hätte sie gern noch ein wenig mit Max geknutscht. Aber dann dachte sie an William, an seine erfreute Stimme, wenn er sie begrüßte, sein kehliges Lachen, wenn sie eine auch nur annähernd witzige Bemerkung machte, daran, dass sie sich stundenlang mit ihm unterhalten konnte … Das war noch besser als hierzubleiben und sich von Max küssen zu lassen. Nichts gegen Max’ Kussfähigkeiten – er war, soweit sie das mit ihrer begrenzten Erfahrung beurteilen konnte, ein hervorragender Küsser – aber ein Gespräch mit William toppte einfach alles, und das würde auch immer so bleiben.

Max richtete sich stöhnend auf und stellte die langen Beine auf den Boden. »Nur zum Schlafen. Hast du nicht gesagt, du müsstest üben, neben einem anderen Menschen zu schlafen?«

»Stimmt.« Allerdings hatte Neve während ihrer Knutsch-Session zuweilen den Drang verspürt, sich aus ihren zahlreichen Kleiderschichten zu schälen, Max das T-Shirt vom Körper zu reißen und mehr zu tun als bloß zu knutschen. Was, wenn sich dieser Drang noch einmal bemerkbar machte, während sie nebeneinander im Bett lagen? Außerdem wusste sie nicht recht, was sie davon halten sollte, dass Max gesagt hatte, er würde während ihrer Pfannkuchenbeziehung auch mit anderen Frauen schlafen. Es würde alles verderben, wenn sein Kopfkissen nach einem fremden Parfum roch.

»Hast du schon mal mit einer Frau, mit der … nichts lief, im selben Bett geschlafen?«

Max überlegte. »Nein, aber ich bin bereit, es zu versuchen, wenn du willst.«

»Es ist nicht so, dass ich nicht mit dir schlafen will, aber wir haben eben erst das Küssen gemeistert, und ich muss nach Hause, um einiges zu erledigen …« Es hatte keinen Sinn, ihn anzulügen. Max wusste, dass William der Grund für diese ganze Übung war. Trotzdem rutschte Neve ans Ende des Sofas, ehe sie sagte: »Ich erwarte einen Anruf von William.«

»Meinetwegen kannst du jederzeit nach Hause fahren und mit William turteln, so viel du willst. Du musst ja nicht mit mir schlafen. Aber glaub mir, du verpasst etwas.«

»Naja, wahrscheinlich würdest du dich mit mir ohnehin total langweilen, wo du doch mit den anderen Mädchen, mit denen du schläfst, lauter aufregende Sachen machen kannst.« Neve wollte sich lieber gar nicht erst ausmalen, welche Schweinereien er mit den Frauen, die er sich Abend für Abend aufriss, so trieb, aber es musste doch spannender sein, als ein Mädchen zu küssen, das ein Thermoshirt trug. Trotzdem saß er kerzengerade da und sah aus, als wäre er ganz und gar nicht glücklich darüber, dass Neve gleich auf ihrem Fahrrad in die Nacht entschwinden würde. Er war es eben nicht gewöhnt, abgewiesen zu werden.

»Ich fahre ja nicht nach Hause, um mit William zu schlafen … Das wäre auch schwierig, weil er in Kalifornien ist und ich nicht …« Was faselte sie da bloß für einen Unsinn? Außerdem wollte sie nicht so an William denken – ihre Beziehung war viel spiritueller.

»Ich bumse nicht jede Nacht mit einer anderen«, knurrte Max. »Und auch nicht jede zweite Nacht. Ich habe meinen Schwanz durchaus unter Kontrolle.«

Bei seinen harten Worten zuckte Neve zusammen. »Schon klar, schon klar«, beeilte sie sich zu sagen, obwohl ihr das bis gerade eben überhaupt nicht klar gewesen war. Sie hatten so einen schönen Abend miteinander verbracht, und das Knutschen war einfach paradiesisch gewesen, und jetzt ging auf einmal alles den Bach runter, und sie wusste nicht, wie sie es wiedergutmachen sollte.

»Tja, dann gehst du jetzt wohl besser.« Max stand auf und streckte sich. Und gerade, als Neve zu dem Schluss gekommen war, dass die Situation nicht mehr zu retten und ihre Pfannkuchenbeziehung vorbei war, streckte er ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen und sagte: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«

»Wie wär’s nächsten Sonntag? Komm doch mit Keith zu mir, und ich koche etwas für dich«, schlug Neve zaghaft vor, während sie nach ihren Schuhen angelte. »Ich bin allerdings keine große Köchin, und ich besitze auch keinen Flammenwerfer … Aber wenn du willst, und wenn ich mich bis dahin an den Gedanken gewöhnt habe, könnten wir dann bei mir eine kleine Pyjamaparty veranstalten.«

»Ich bin dabei. Schließlich geht es darum, dass du deine Beziehungsfähigkeit ausbaust. Aber versprich mir, dass du nie wieder das Wort Pyjamaparty in den Mund nimmst.«

»Okay, ich gebe zu, das klingt ein bisschen teenagerhaft …« Neve lächelte ihn unsicher an. »Dann ist also wieder alles in Ordnung zwischen uns? Du bist auch weiterhin mein Pfannkuchenfreund?«

Er erwiderte das Lächeln. »Absolut. Etwas anderes würde ich ehrlich gesagt nie sein wollen.«