Kapitel 22

Max war schon weg, als Neve am nächsten Morgen erwachte, aber er hatte sie sorgfältig zugedeckt. Sie war bereits mit Keith vor der Tür gewesen und packte gerade ihre Sporttasche, da erhielt sie eine SMS von Max.

Danke für die schönen Geburtstagsüberraschungen. Vor allem für die letzte. Und, flippst du schon?, wollte er wissen, als wäre das die einzige rationale Reaktion, zu der Neve nach den Ereignissen der vergangenen Nacht fähig war.

Zugegeben, bei dem Gedanken daran gruselte es sie tatsächlich ein wenig, und es war ihr auch etwas peinlich … Okay, total peinlich, aber meine Güte, sie war fünfundzwanzig, und sie hatte, wie sich herausgestellt hatte, gewisse Bedürfnisse, die sie nicht mit links selbst stillen konnte, während sie mit der anderen Hand Das Delta der Venus von Anaïs Nin umklammerte.

Ein bisschen, tippte sie und wollte gerade auf »Senden« drücken, dann kam sie zu dem Schluss, dass Offenheit vielleicht die klügerere Taktik war. Aber ich will es wieder tun, und nächstes Mal werde ich mich revanchieren.

Sie wusste nicht genau, wann sein Flug ging, aber nach neunzig Minuten Cardio- und Hanteltraining wartete eine weitere SMS auf sie.

Kann’s kaum erwarten, du ungezogenes Mädchen! Kuss, auch an Keith, M

Max hatte genügend übelst riechendes Hundefutter für eine Woche bei ihr deponiert, und außerdem einen Zettel mit Pflegeanweisungen für Keith. Er schien kein großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Hundesitter zu setzen, denn statt der Notrufnummer des Tierarztes und einigen Details zum Thema Gassigehen oder Entwurmungskur stand dort:

  1. Lass ihn NICHT ins Schlafzimmer.
  2. Selbstverständlich darf er auch NICHT in deinem Bett schlafen.
  3. Lass ihn NICHT ins Bad, sonst trinkt er aus der Kloschüssel.
  4. Füttere ihn NICHT am Tisch. Er frisst Hundefutter, kein Menschenessen.
  5. Füttere ihn vor allem NICHT mit Schokolade. Ernsthaft. Schokolade kann sehr schädlich für Hunde sein. Habe dir stattdessen eine Tüte Leber-Leckerlis dagelassen.
  6. Er mag keine alten Männer, vor allem, wenn sie einen Stock oder eine Gehhilfe haben.
  7. Er mag weder Luftballons noch Plastikeinkaufstüten oder Drachen.
  8. Halte ihn von kleinen Kindern fern.
  9. Ein kleines Kind mit einem Luftballon, einer Plastiktüte und einem Drachen gibt ihm garantiert den Rest.

Allerdings bellte Keith so laut und kratzte so hartnäckig an ihrer Badezimmertür, während sie duschte, dass Neve ihn hereinließ, weil sie fürchtete, er würde den Lack ruinieren, worauf er versuchte, zu ihr in die Duschkabine zu gelangen, um Wasser zu schlabbern.

Außerdem gab sie ihm ein Stück gedünsteten Schellfisch von ihrem Teller, weil er beim Abendessen die Schnauze in ihrem Schritt vergrub und sie so lange mit der Pfote anstupste, bis sie kapitulierte.

Bislang hatte sie insgeheim angenommen, dass Keith nicht so eine Mimose wäre, wenn Max ihn weniger verwöhnen würde, aber wie sich herausstellte, war sie noch viel weichherziger und völlig außerstande, ihn zu disziplinieren oder zu sagen »Nein, Keith, du schläfst im Wohnzimmer.«

Es dauerte keine fünf Minuten, bis er sie mit seinem jämmerlichen Gewinsel und Geheul so weit hatte, dass sie ins Wohnzimmer marschierte, um sein Hundebett, seine Spielsachen und seine Wasserschüssel zu holen und ins Schlafzimmer zu bringen. Aber sie war wild entschlossen, ihn nicht in ihr Bett zu lassen, wie sie ihm mit einem strengen Blick erklärte. Doch kaum hatte sie ihr Buch zur Hand genommen, hechtete er aus seinem Körbchen und stahl sich in Richtung Bett.

»Ab in dein Körbchen, du Lümmel!«, rief sie mindestens zehn Mal, und er schlich gesenkten Hauptes zurück, wobei er, begeistert von diesem tollen neuen Spiel, verräterisch mit dem Stummelschwänzchen wedelte.

Es war unvermeidlich. Sobald sie das Licht ausknipste, hörte sie seine Krallen über den Holzboden scharren, dann landete er mit einem Plumps auf ihren Beinen. »Böser Hund!«, schimpfte Neve, aber sie spürten beide, dass es nicht von Herzen kam. Nun gut, wenn er auf ihren Füßen lag, brauchte sie wenigstens keine Wärmflasche.

Doch Keith hatte andere Pläne. Spürbar um Unauffälligkeit bemüht, schob er sich auf dem Bauch nach oben und bearbeitete sie dann mit den Pfoten, bis sie ganz an den Rand des Bettes gerutscht war, sodass er den Kopf auf ihr Kissen betten und ihr seinen Hundeatem ins Gesicht pusten konnte.

»Celia hatte völlig recht«, grummelte Neve. »Du bist ein Höllenhund.«

Celia war nach wie vor derselben Meinung, was Keith anging, als sie am darauffolgenden Abend mit Unmengen von chinesischem Essen beladen bei Neve auftauchte.

»Nicht zu fassen, dass du ihn in deinem Bett schlafen lässt!«, entsetzte sie sich und starrte Keith angewidert an, als sie in der Küche saßen. Er wiederum ließ sie nicht aus den Augen, während sie Hühnchen und Cashewnüsse in sich hineinschaufelte. »Das ist total eklig und unhygienisch, und außerdem könnte er dich anfallen, während du schläfst!«

»Ich habe mal gelesen, dass Hundespeichel sauberer ist als Menschenspeichel«, bemerkte Neve. Keith legte ihr zustimmend eine Pfote auf den Oberschenkel und ließ sie dort, bis ihm Neve einen halben gedünsteten Gemüseknödel abtrat. Das Einzige, was er nicht fraß, war Sellerie. »Gib ihm einen Happen von deiner Frühlingsrolle ab, dann hast du einen Freund fürs Leben.«

»Ich denke doch gar nicht daran.« Doch auch Celia konnte Keiths beschwörendem Blick nicht lange standhalten. Sie brach die Frühlingsrolle auseinander und hielt dem Hund eine Hälfte hin. »Ich war mir sicher, dass er mir gleich einen Finger abbeißt!«, rief sie hinterher erstaunt, und Neve lächelte, als sie Keith den Kopf tätschelte und ihm auch die zweite Hälfte verabreichte.

Nachdem Celia mit Keith auch ihre Wan-Tan-Suppe geteilt hatte, gefolgt von ihrem süßsauren Hühnchen, dem gebratenen Eierreis und einer Portion Foo-Yung mit Garnelen, waren die beiden dicke Freunde.

»Wenn er reihert, machst du es weg«, sagte Neve.

»Für einen räudigen Flohzirkus auf vier Beinen, der vermutlich kleine Kinder zerfleischt, wenn man mal kurz wegguckt, ist er gar nicht so übel«, gurrte Celia und kraulte Keith unter dem Kinn. Der süßliche Tonfall war offenbar fest in ihrer beider DNA verankert. »So, jetzt hast du mich wegen Sonntagabend zusammengestaucht, und ich habe dir bis zum Abwinken von Yuri und ihrem lahmen Grafikdesigner erzählt, mit dem sie garantiert spätestens in einer Woche Schluss macht. Es ist an der Zeit, über Charlotte herzuziehen.«

»Ich begebe mich nicht auf ihr Niveau hinunter«, erwiderte Neve scheinheilig und spritzte Geschirrspülmittel über den übrigen Eierreis, damit sie nicht später in Versuchung kam, ihn zu essen.

»Das sagst du immer, aber dann tust du es doch, nachdem ich dich ordentlich aufgeheizt habe.« Celia ließ grinsend die Fingerknöchel knacken. »Wo sollen wir anfangen? Sie hat einen neuen Jogginganzug. Einen babyblauen. Ich frage mich, was das Douglas gekostet hat.«

»Sie geht doch arbeiten. Vermutlich hat sie ihn selbst bezahlt.« Neve setzte sich und nahm einen Schluck Pfefferminztee.

»Wie viel verdient sie wohl damit, dass sie ihren Opfern gegen ihren Willen Farbe ins Gesicht klatscht?«, höhnte Celia. Sie hasste ihre Schwägerin aus vielen berechtigten Gründen, aber am meisten störte sie sich an ihrer Berufswahl. Charlotte stand den ganzen Tag an einem Make-up-Tresen und versuchte, Kundinnen für die neuen Frühlingsfarben zu interessieren. »Sie arbeitet ja nicht einmal bei Selfridges oder so, sondern bei Boots, und diese Jogginganzüge sind nicht billig.«

»Wieso, was kann so ein Ding denn schon kosten?«

Celia bedachte ihre Schwester mit einem mitleidigen Blick. »Das Oberteil gute hundert Pfund und die Hose ungefähr neunzig.«

»Zweihundert Pfund für einen Jogginganzug?«, stieß Neve hervor. »Das ist ja ein Witz! Typisch, sie muss natürlich für das Privileg bezahlen, dass Juicy auf ihrem Hintern steht.«

»Ha! Ich wusste doch, dass du dich nicht lange zurückhalten kannst. Also, was sagst du zu ihrem Streit neulich? Hast du gehört, wie Douglas sie genannt hat?«

Hatte Neve nicht, aber noch ehe Celia es ihr verraten konnte, klingelte das Telefon, was noch nicht weiter ungewöhnlich gewesen wäre. Neu war allerdings, dass Neves Herz einen Salto vollführte und sie sich sofort auf das Telefon stürzte, in der Annahme, es wäre Max.

»Merk dir, was du sagen wolltest«, befahl sie Celia und ging ran. »Hallo?«

»Ist dort Neve, die Freundin von Max?«, fragte eine junge Frau mit unverkennbarem Manchester-Akzent.

»Äh, ja, am Apparat.«

»Super. Hier ist Mandy. Max hat mir alles über dich erzählt. Nicht ganz freiwillig natürlich, aber ich habe gedroht, ihm die Tantiemen zu kürzen, und das hat gewirkt. Also, wie geht’s?«

»Gut«, sagte Neve vorsichtig. Sie hatte keine Ahnung, mit wem sie sprach, aber die Person am anderen Ende der Leitung schien Max gut zu kennen. »Ähm … Wer bist du noch gleich?«

»Mandy McIntyre. Max hat erwähnt, dass du nicht so up to date bist, was die Gegenwart angeht. Er hat gesagt, du hättest dein Nonnenkloster verlassen, weil du noch nicht bereit bist, das Gelübde abzulegen, aber ich dachte, er hätte mich mal wieder veräppelt.«

Ach, diese Mandy! »Ah, entschuldige. Hallo. Ich wusste erst nichts mit deinem Namen anzufangen.« Neve verzog das Gesicht, dann deutete sie auf das Telefon und flüsterte Celia tonlos »Mandy McIntyre« zu. »Er hat dich tatsächlich veräppelt, ich war nie in einem Kloster. Ich sehe nur nicht so viel fern.«

Celia saß nun praktisch auf ihrem Schoß und versuchte mitzuhören. »Was sagt sie?«, zischte sie.

»Was machst du denn die ganze Zeit, wenn du nicht fernsiehst?«, wollte Mandy wissen. »Wir hatten letzte Woche einen Stromausfall, und ich war total mit den Nerven runter, weil ich Glee verpasst hatte. Egal. Du fragst dich bestimmt, warum ich dich anrufe, obwohl es eigentlich ganz nett ist, dass wir uns mal kennenlernen, nicht?«

»Sehr nett.« Neve hielt sich mit dem Ellbogen ihre Schwester vom Hals, die sie daraufhin so heftig anrempelte, dass sie beinahe vom Stuhl gefallen wäre. »Meinen Glückwunsch übrigens. Du bist sicher total aufgeregt wegen der Hochzeit.«

»Ehrlich gesagt ist es der reinste Albtraum.« Mandy seufzte. »Aber genau deshalb rufe ich an. Max hat dir doch erzählt, dass die Gäste alle Weiß oder Schwarz tragen sollen, oder Schwarz-Weiß. Ein weißes Kleid mit schwarzem Blumenmuster zum Beispiel würde auch gehen.«

Celia stöhnte wie unter Schmerzen und schob sich die Faust so weit es ging in den Mund, um ihr Gekicher zu dämpfen.

»Ich glaube, ich werde Schwarz tragen«, sagte Neve. »Ist das okay?« Mandy klang, als wäre sie kein großer Freund von Überraschungen.

»Ja, ja. Und bring irgendeinen sexy Fummel für Freitagabend mit, da ziehen wir ein bisschen um die Häuser. Das ist übrigens der zweite Grund, warum ich dich anrufe. Ich schwör dir, ich habe ein Hirn wie ein Nudelsieb.«

»Ach, was«, widersprach Neve lahm, und Celia rümpfte sichtlich wenig beeindruckt von ihren Small-Talk-Fähigkeiten die Nase. »Ich weiß allerdings nicht genau, wann wir anreisen; könnte sein, dass es später Freitagabend wird.« Von wegen »könnte sein«. Sie würde sicherstellen, dass sie möglichst spät ankamen. Diese Mandy schien ja ganz sympathisch zu sein, aber ihre WAG-Freundinnen waren garantiert alle genau wie Charlotte.

»Nun, ich habe Max bereits darauf hingewiesen, dass ihr schon Donnerstagabend hier sein müsst – und das ist ein Befehl«, sagte Mandy todernst. »Also, wie gesagt, pack irgendein geiles Teil für Freitagabend ein. Tagsüber ist Wellness angesagt, also keine Sorge, falls du nicht mehr dazu kommst, vorher ins Solarium zu gehen. Die Solarien bei euch da unten sind mir ohnehin nicht geheuer. Ich war mal in einem in Mayfair, und hinterher war ich beige. Du kannst alle Behandlungen machen lassen außer einem chemischen Gesichtspeeling – ich will nicht, dass auf meinen Hochzeitsfotos jemand rote Flecken im Gesicht hat.«

»Das ist sehr nett von dir, aber …«

»Du willst mir doch nicht etwa einen Korb geben, Neve?«

»Naja, es ist so …«

»Das Wörtchen ›Nein‹ kommt nämlich in meinem Vokabular genauso wenig vor wie ›ich kann nicht‹ und ›Victoria Beckham‹. Ich würde es also gar nicht verstehen, wenn du Nein sagst. Und zerbrich dir nicht den Kopf wegen der Kosten – das geht alles aufs Haus, weil ich in dieser Wellness-Oase bereits ein Hochzeits-Fotoshooting für Voilà gemacht habe, und weil Shelly, die beste Freundin meiner Schwester, raus ist. Sie war mit einem von Darrens Teamkollegen zusammen, aber dann hat sie’s mit einem Chelsea-Spieler getrieben, und sie hat sich nicht nur dabei erwischen lassen, sondern ihre Story auch noch an die Medien verkauft, und da habe ich zu Kelly gesagt: ›Es ist mir schnurz, ob sie deine beste Freundin ist oder nicht …‹«

Neve hielt das Telefon auf Armeslänge von sich entfernt, während Mandy fröhlich weiterplapperte. »Ich bringe Max um«, informierte sie ihre Schwester, die sich mit den Händen Luft zufächelte und sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen konnte.

»… müsstest du mir noch das Geheimhaltungsabkommen unterschreiben. Du darfst nichts von dem, was sich an diesem Wochenende ereignet, den Zeitungen gegenüber ausplaudern.« Mandy stockte. Wahrscheinlich wurde allmählich der Sauerstoff knapp. »Das hätte ich dir vermutlich faxen sollen, ehe ich dich angerufen habe, aber du klingst echt nett. Ich bin sicher, du würdest nie zu den Zeitungen rennen. Ich bin Expertin in Sachen Menschenkenntnis. Shelly zum Beispiel mochte ich von Anfang an nicht; ihre Augen stehen zu nah beieinander.«

Das Gespräch dauerte noch zehn sehr lange Minuten, und dann rief Mandy gleich noch einmal an, weil sie vergessen hatte, Neve nach ihrer Faxnummer zu fragen. Danach schwieg das Telefon.

Neve ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. »Oh Gott, ich muss ein ganzes Wochenende lang eine ehrenamtliche Spielerfrau mimen.«

»Die machen dich fertig«, stellte Celia mit grimmiger Genugtuung fest. »Ich kann einfach nicht glauben, dass du mir nichts von dieser Hochzeit erzählt hast! Das wird ein Mega-Event. Was ziehst du an?«

»Dasselbe schwarze Vintage-Kleid wie zu eurer Weihnachtsfeier. Das, in das ich nur mit figurformender Unterwäsche reinkomme.«

»Seither hast du doch schon wieder einiges abgenommen.« Celia versuchte vergeblich, Neve hochzuziehen.

»Hab ich nicht. Es sind gerade mal zwei Kilo. Und für Freitagabend brauche ich außerdem ein – ich zitiere – ›Knaller-Outfit, in dem meine Mädels so richtig gut zur Geltung kommen‹. Ich kann das nicht.«

»Ts, ts. Du weißt doch, ›ich kann nicht‹ kommt in Mandys Wortschatz gar nicht vor.« Celia schob Neve eine Hand unter die Achsel und hievte sie hoch. »Los, komm mit. Du musst doch etwas im Schrank haben, das einigermaßen sexy ist.«

Celia gehört auch zu den Menschen, die nicht wisssen, was ein ›Nein‹ bedeutet, dachte Neve, während ihre Schwester sie in ihr Schlafzimmer schleifte. Dort begann sie, ihren Schrank zu durchwühlen. Jeder Fund wurde kommentiert.

»Fünf schwarze Wickelkleider! Fünf Stück? Wozu?« Celia warf die Kleider aufs Bett, als könnte sie ihren Anblick nicht ertragen.

»Naja, eines hat lange Ärmel, das andere Kimonoärmel, das da hat einen Satineinsatz an der Taille und …«

»Kannst du mir mal erklären, woher dieser Riss kommt?« Celia hielt das zuvor erwähnte Kleid von der Skirt-Weihnachtsfeier hoch, das Neves Entschluss, ihre Unschuld endlich ganz zu verlieren, zum Opfer gefallen war.

Neve starrte es heftig blinzelnd an. »Äh … Ich schätze, ich bin irgendwo hängengeblieben?«

»War das jetzt eine Frage oder eine Antwort?«, wollte Celia streng wissen. »Hat Max es dir etwa im Eifer des Gefechts vom Leib gerissen?«

»Nein! Herrgott, warum sagst du immer solche Sachen?« Neve entwand ihr unsanft das Kleid, wobei der Riss gleich noch ein Stück länger wurde. »Die Frage ist doch wohl eher, ob es noch zu retten ist.«

»Vergiss es. Das ist hinüber«, sagte Celia düster. »Du hast ein Vintage-Kleid auf dem Gewissen. Es gibt einen Namen für Leute wie dich.«

Neve wollte ihn nicht hören. Sie deutete auf ihren mageren Kleiderfundus. »Würdest du dich bitte auf das Wesentliche konzentrieren? Siehst du hier irgendetwas, das man deiner professionellen Meinung nach auf einer Hochzeit tragen kann? Oder an einem Discoabend mit einem ganzen Rudel künstlich gebräunter Spielerfrauen?«

Celia ließ sich auf das Bett fallen und verschränkte die Finger hinter dem Kopf. »Eure Pfannkuchenbeziehung hält eigentlich schon ganz schön lange. Hätte ich nicht gedacht. Letzte Woche sah es noch so aus, als wolltest du ihn demnächst abservieren, aber beim Abendessen am Sonntag warst du dann richtig süß zu ihm … Und es hat total authentisch gewirkt und nicht, als würdest du nur üben.«

Neve ließ sich seufzend neben ihr nieder, denn es war offensichtlich, dass die Auswahl ihrer Garderobe für die Hochzeit auf Celias Prioritätenliste ziemlich weit unten stand. Außerdem hatte Celia ohne es zu ahnen eine unangenehme Wahrheit angesprochen: Vor ein paar Tagen noch hatte Neve in Erwägung gezogen, mit Max Schluss zu machen, um einige Probleme loszuwerden – zumindest das Schlafproblem –, aber jetzt war alles anders. Auch wenn sie Celia den Grund dafür nicht hätte nennen können. Ganz egal, wie oft Neve einem Außenstehenden ihr Arrangement mit Max darlegte, es klang immer pragmatisch und bizarr. Aber wenn sie es nicht erklären musste, sondern einfach lebte, fühlte es sich plötzlich ganz natürlich an. Als wäre sie genau da, wo sie sein sollte, nämlich bei Max.

»Tja, er ist mir in den letzten Tagen irgendwie ans Herz gewachsen«, gab sie zu. »Und ja, es ist gewissermaßen eine richtige Beziehung und nicht bloß eine Art Trainingslager, auch wenn wir beide wissen, dass sie ein Ablaufdatum hat.«

»Also, ich weiß nicht …« Celia richtete sich auf und schlang die Arme um die Knie. »Ich verstehe ja, dass es Männer gibt, bei denen man weiß, sie sind ganz sicher nicht der Richtige, aber man geht trotzdem mit ihnen ins Bett. Aber du bist mit jemandem zusammen, der weiß, dass du einen anderen liebst … Max weiß doch von William, oder?«

»Natürlich!«, versicherte ihr Neve gereizt. »Wofür hältst du mich denn?«

»Entschuldige. Also, ich weiß, dir geht es ums Üben, aber was hat Max davon? … Abgesehen von deiner bezaubernden Gesellschaft, die zweifellos von unschätzbarem Wert ist«, fügte Celia hastig hinzu, als sie Neves bitterbösen Blick aufschnappte.

Auf diese Frage hatte Neve auch für sich noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Sie zuckte mit gespielter Nonchalance die Achseln. »Keine Ahnung. Da musst du schon ihn fragen.«

»Als ob er das ausgerechnet mir sagen würde.« Celia erhob sich lustlos vom Bett, um Neves Garderobe noch einmal in Augenschein zu nehmen. »Da ist nichts Brauchbares dabei.«

»Kann ich nicht eines meiner Wickelkleider zur Hochzeit tragen, kombiniert mit ein paar neuen Accessoires?«

»Äh, nein, es sei denn, es ist von Diane von Fürstenberg und mit einem abstrakten Muster bedruckt. Und du hast auch nichts, das annähernd sexy genug zum Ausgehen wäre. Deine Klamotten sind ungefähr so sexy wie Prinz Charles im Stringtanga.« Celia stemmte die Hände in die Hüften. »Wir müssen einkaufen gehen.«

»Alles, nur das nicht!«, stieß Neve entsetzt hervor. Davor ließ sie sich lieber alle Zehennägel einzeln ausreißen. »Ich bin pleite, und ich habe mir vorgenommen, keine neuen Klamotten zu kaufen, bis mir Größe 38 passt.«

»Hör mal, Süße, du gehst auf eine WAG-Hochzeit. Du brauchst etwas Neues.« Celia tätschelte ihr die Schulter. »Übrigens, Mum ist am Wochenende in der Stadt, und ich habe versprochen, mit ihr shoppen zu gehen. Sie glaubt, wir gehen zum Oxford Circus, aber ich will mit ihr ins Westfield Shopping Center, dort sind die Läden viel cooler. Du musst mitkommen. Ich lasse dich nicht unbeaufsichtigt zwei so wichtige Kleider kaufen.«

»Vergiss es. Ich gehe auf gar keinen Fall mit Mum shoppen.«

»Tja, also erstens werde ich Mum erzählen, dass du nicht mit ihr einkaufen gehen wolltest und dafür sorgen, dass sie dich im Stundentakt anruft und dir die Hölle heißmacht, weil du dich weigerst, ein bisschen Zeit mit deiner Mutter zu verbringen, wo sie doch bei deiner Geburt fast gestorben wäre. Sie wird bestimmt eine Viertelstunde lang darüber referieren, dass sogar die Hebamme damals gesagt hat, sie hätte noch nie ein Kind mit einem so großen Kopf gesehen. Und zweitens: Grace leiht mir ihre Rabattkarten, ich bekomme also alles 20 bis 40 Prozent billiger.« Celia grinste. »Aber da dein Entschluss bereits feststeht …«

»Hab ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich hasse?«

»Mehrfach. Und ich hasse dich auch.« Celia legte Neve einen Arm um die hängenden Schultern. »So, und jetzt sollten wir darüber reden, worüber wir in Mums Gegenwart auf keinen Fall reden dürfen.«