47

Auf ihrem sechsstündigen Flug zurück nach New York schaute Maggie keinen Film an, las keine Zeitung und blätterte durch kein Magazin. Sie war viel zu beschäftigt.
Ihr gingen die letzten beiden Tage in Donegal durch den Kopf. Das Wetter hatte sich über Nacht geändert, der Himmel verdüstert, und es hatte in Strömen gegossen. Sie hatten den Kamin angemacht, die Vorhänge zugezogen und den ganzen Tag lang Brettspiele gespielt. Um das Abendessen hatten sie kein großes Aufhebens gemacht. Miranda hatte verkündet, sie hätte bei diesem »Verköstigungsspaß« den Bogen raus, und hatte vier Tiefkühlpizzen aufgewärmt und zwei Flaschen noch edleren italienischen Wein aufgemacht. Zum Nachtisch hatten sie die Pralinen gegessen, die Maggie Leo zu Weihnachten geschickt hatte. Sie hatten versucht, sich beim Spielen zu beschummeln, viel gelacht und noch mehr getrunken, während draußen der Regen an die Scheiben trommelte und der Wind heulte.
Am nächsten Tag, als sie geputzt, gewaschen, die Bettwäsche getrocknet und das Haus für die nächsten Gäste vorbereitet hatten, hatte es immer noch gestürmt. Zum Schluss hatten sie alle neben den gepackten Wagen gestanden und zum Haus gesehen.
»Ich frage mich, wann wir uns hier das nächste Mal wiedersehen«, sagte Clementine.
»Nächsten Juli natürlich«, sagte Leo verdutzt.
»Aber ich kann dann nicht kommen, Leo«, sagte Clementine. »Ich bin dann in der Antarktis.«
»Also, wenn sie nicht kommt, komme ich auch nicht«, sagte Miranda. »Wenn sie nicht wäre, würde ich hier den Verstand verlieren.«
»Und wenn ihr beide nicht kommt, komme ich auch nicht«, ergänzte Maggie.
Leo schaute in die Runde. »Also, wenn ihr alle nicht kommt, komme ich auch nicht.«
»Das glaub ich erst, wenn ich’s sehe.« Miranda lachte und ging zu ihrem Wagen. »Du wirst dir doch bestimmt irgendeinen Trick ausdenken, um uns herzulocken. Du würdest doch sogar die Eiskappen schmelzen lassen, damit Clementine die Antarktis verlassen und nach Donegal kommen muss.«
»Und wenn sie kommt, komme ich auch«, sagte Maggie.
Miranda grinste. »Und wenn ihr beide kommt, komme ich auch.«
»Wir müssen es ja nicht jetzt entscheiden«, sagte Leo. »Außerdem wisst ihr doch, dass ich euch niemals zu etwas überreden würde.« Er sah sie an. »Was gibt’s da zu lachen? Was ist daran so komisch?«
Am Flughafen von Belfast hatten sie sich alle voneinander verabschiedet. Leo flog nach London. Er brütete eine neue Idee aus, sagte er. Er wollte deswegen ein wenig recherchieren und mit Experten sprechen, ihnen aber nicht sagen, worum es ging.
»Doch hoffentlich nicht deine Kamera-Idee, oder?«, fragte Miranda.
Er legte die Hände auf die Ohren. »Erinnere mich bloß nicht daran. Habe ich denn nicht genug Erniedrigung erlitten?«
Miranda flog zurück nach Griechenland. In der Villa waren weitere Freunde angekommen. Eventuell kam sogar jemand mit einer Yacht. Eine Woche über das Mittelmeer zu segeln, wäre genau die Erholung, die sie nach diesem traumatischen Familienurlaub brauchte, sagte sie.
Clementine flog zurück nach Tasmanien. Maggie musste ihr etwas versprechen. »Wenn du deine Meinung änderst und nach Hobart kommen möchtest und willst, dass deine Mutter da auf dich wartet, musst du es nur sagen. Meine Pinguine sitzen seit Hunderten von Jahren auf ihrer Scholle, sie werden wohl noch ein paar Hundert Jahre da bleiben.«
»Ich dachte, gerade nicht. Ist es denn nicht Ziel deiner Forschung herauszufinden, ob sie vom Aussterben bedroht sind?«
Clementine hatte nur gelächelt. »Es ist mir ernst, Maggie. Ich bin da, wenn du willst.«
Maggie dachte ernsthaft darüber nach. Es wäre ein Kontrast zu den Menschenmengen, dem Smog, der Hitze und Intensität von New York. Die saubere Luft, die Berge, das Meer und der Frieden von Hobart. Sie könnte Wanderungen unternehmen, all die Bücher lesen, die sie seit Jahren schon lesen wollte. Sie könnte Schulfreunde treffen. Oder sich einfach nur mit Clementine eine ruhige Zeit machen. Das klang am verlockendsten.
Sie versuchte, sich mit allen Mitteln abzulenken, sich auf ihre Familie und Hobart zu konzentrieren, aber es gelang ihr nicht gut. In Gedanken kehrte sie immer zu einem Thema zurück, einer Person: Gabriel.
Warum hatte er seine Freundin niemals erwähnt? Warum hatte er sie gefragt, wann sie wieder nach New York kam? Und warum hatte er sie geküsst? Ein Satz, der bei seinem Streit mit Miranda gefallen war, kam ihr immer wieder in den Sinn: »Ich hatte gehofft, das mit euch beiden weiterlaufen lassen zu können.« Meinte er das ernst? Hatte er wirklich geglaubt, sie – oder diese Susanna – würde sich auf so etwas einlassen? Oder wollte er sich bloß aus Höflichkeit mit ihr treffen, um sich noch einmal zu entschuldigen? Das war am wahrscheinlichsten. Er hielt es wohl für angebracht, sich mit ihr auf einen Kaffee zu verabreden, nach allem, was passiert war. Das wäre schön, dachte Maggie.
Nein, wäre es nicht. Das wäre schrecklich. Zu hart. Sie wollte nicht nur schnell einen Kaffee mit ihm trinken, in dem Wissen, dass er danach seine Susanna traf. Sie wollte ihn nicht sehen bei dem Gedanken, dass er von Susanna kam. Sie wollte diese Susanna auch nicht kennenlernen. Sie wollte Gabriel auch auf keinen Fall mit Susanna zusammen sehen. Schon der Name war albern.
Sie könnte ja zuerst anrufen. Den Umgangston bestimmen. Ein oder zwei Tage nach ihrer Rückkehr. Sie müsste ihn in der Agentur anrufen, denn sie hatte nicht einmal seine private Telefonnummer. Umso besser. Nicht so persönlich. Sie würde ihn anrufen und eine Nachricht hinterlassen, ihm sagen, dass sie wieder da war, hoffte, dass es ihm gut ginge, und sie beide sich ja irgendwann auf einen Kaffee treffen könnten. Perfekt. Freundlich und unverfänglich.
Das war Blödsinn. Sie konnte ihn nicht anrufen. Sie konnte nicht einfach nur eine Bekannte sein, eine gute Freundin. Sie musste sich von ihm fernhalten. Von ihm und seiner Susanna. Damit die beiden bis an ihr Lebensende glücklich sein konnten. Während sie selbst? Noch eine Weile in New York blieb? Zurück nach London ging? Wieder nach Hobart zog? Na also, sagte sie energisch zu sich selbst. Möglichkeiten genug. Und keine davon sah Gabriel vor.

Als Maggie den Flughafen verließ und sich bei der Wartereihe am Taxistand anstellte, ging die Sonne gerade unter. Die Luft war schwül, über der Stadt hing eine Dunstglocke. Auf dem Weg nach Manhattan schaute Maggie mit ganz anderen Augen auf die Wolkenkratzer. Beim letzten Mal, als sie diese Fahrt gemacht hatte, war sie gerade aus London gekommen, aufgewühlt, unsicher und verängstigt. Diesmal war vieles anders. Sie war anders und kannte New York viel besser. Wenn auch nur wenige Ecken: ihr Viertel, Greenwich Village, Dollys Gegend und den Central Park. Aber was sie dort erlebt hatte, hatte sonst niemand von den acht Millionen Menschen in dieser Stadt erlebt. Vielleicht waren ihr Dinge aufgefallen, die niemand sonst bemerkt hatte. Wenn sie gleich wieder abreisen würde, würde sich die Stadt dadurch nicht ändern, aber Maggie hätte bleibende Erinnerungen an New York.
Der Portier begrüßte sie, als wäre sie Jahre fort gewesen. Er erkundigte sich nach Leo und freute sich sehr über die Schachtel mit kleeblattförmiger Schokolade, die Maggie ihm mitgebracht hatte.
Im sechsten Stock hatte sich nichts verändert. Im Flur roch es immer noch nach Frittiertem. Bei ihrem unsichtbaren Nachbarn lief der Fernseher. Das Apartment sah wie vor ihrer Abreise aus.
Maggie packte aus und duschte. Sie wollte noch nicht schlafen. Sie setzte sich auf den Balkon, atmete die feuchte Luft ein und lauschte den Klängen des Spätsommers. Sie schaute auf den kleinen Park, dessen Bäume im Schein der Laternen die ersten Spuren von herbstlichem Gelb und Orange zeigten. Sie sollte sie zählen, vielleicht würde das helfen. Sie brauchte weniger als eine Minute: fünfundvierzig Bäume. Sie zählte sie noch einmal.
Sie zählte gerade zum dritten Mal, als der Türsummer ertönte. Maggie fuhr zusammen. Es war Ray.
»Hi, Maggie. Der Engel ohne Flügel ist wieder da.« Sie hörte, wie Ray mit jemandem sprach, dann lautes Gelächter. »War nur ein kleiner Scherz. Ich meine natürlich Gabriel.«
»Gabriel? Gabriel ist bei Ihnen?«
»Ich hab ihm gesagt, dass sie gerade erst zurückgekommen sind. Soll ich ihn bitten, später wiederzukommen?«
»Nein, nein, ich komme.«
Es musste am Jetlag liegen, dass ihre Hände zitterten, als sie schnell in ihr Lieblingskleid schlüpfte, oder an der schwülen Luft, dass ihre Wangen gerötet waren, als sie prüfend in den Spiegel sah. Der Aufzug schien eine Stunde bis unten zu brauchen. Sie zählte laut die Stockwerke: sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins. Es beruhigte sie, zumindest ein wenig. Fast wäre sie gleich wieder nach oben gefahren, damit sie noch einmal zählen konnte.
Er wartete an der gleichen Stelle wie an ihrem allerersten Abend. Er lächelte. Sie wollte ihn auch anlächeln. Sie wollte zu ihm gehen und ihm um den Hals fallen. Doch sie machte bewusst eine ernste Miene und dachte an Mirandas Rat. Zeig etwas Stolz.
»Gabriel.« Sie sprach mit Grabesstimme.
»Willkommen zu Hause, Maggie.«
Sie setzte sich zu ihm ans Fenster. So weit, so gut. Sie war gefasst, gleichmütig und gesammelt. Alles mit g. Dolly wäre stolz auf sie.
»Woher weißt du, dass ich hier bin? Ich bin doch eben erst angekommen.«
»Ich habe die Fenster am Rockefeller Center geputzt und dabei gesehen, wie deine Maschine gelandet ist.« Er lächelte. »Ich hab Leo angerufen. Es tut mir leid, dass ich dich nicht am Flughafen abholen konnte. Ich musste in letzter Minute einen Hundeausführ-Job erledigen. Ich bin doch nicht zu früh, oder? Ich habe dir ein paar Stunden für die Passkontrolle, die Taxischlange und den Stau gegeben, um deinen Schlüssel zu finden, ins Haus zu gehen und deine Taschen abzustellen, und dann habe ich dir für alle Fälle noch einmal fünf Minuten gegeben. Soll ich trotzdem lieber noch ein paarmal um den Block gehen?«
Maggie war verwirrt. Warum benahm er sich so normal? Sie dachte wieder an Miranda. Ihre Tante würde sie drängen, gleich zur Sache zu kommen. »Gabriel, warum bist du hier?«
»Um dich zu sehen.«
»Aber warum?«
Jetzt war er verwirrt. »Warum wohl?«
»Ich dachte, du wärst bei Susanna.«
»Susanna? Ach ja, Susanna.« Er lächelte. »Du hättest den Streit nach meiner Rückkehr aus Irland erleben sollen, Maggie. Sie war außer sich vor Wut. Hat all meine Sachen auf die Straße geworfen. Meine CDs zerschmettert. Meine Gitarre zertrümmert.«
»Wirklich?« Er fand das wohl auch noch lustig. »Aber ihr habt euch doch wieder vertragen, oder?«
»Oh, sicher doch. Das ist wirklich großartig bei ihr. Sie ist hochgradig erregbar, aber im nächsten Moment ist der Ärger schon wieder verraucht. Das ist das feurige südamerikanische Blut in ihr. Oder war es spanisches? Na ja, egal.«
Südamerikanerin oder Spanierin. Dann war sie nicht nur temperamentvoll, sondern auch noch schön.
»Ich wünschte nur, sie hätte einen Tag später als vereinbart angerufen«, sagte Gabriel. »Sie hat das mit dem Zeitunterschied durcheinandergebracht. Sie hatte gedacht, Irland wäre zeitlich hinter New York, nicht vor. Aber es hat ja auch so funktioniert, oder? Ich bin ja immerhin mit Juliet, Myles und Eliza zum Flughafen gekommen. Nicht dass sie mit mir gesprochen hätten. Aber du wirst ihnen doch die Wahrheit sagen, Maggie, oder? Ich hätte das in dem Moment gerne getan, aber ich wusste ja nicht, wie lange wir das hier durchziehen müssen.«
Maggie starrte ihn an. Das musste der schlimmste Jetlag aller Zeiten sein. »Gabriel, es tut mir leid, aber ich habe überhaupt keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Tut mir leid, ich vergesse, dass du eben erst aus dem Flieger gestiegen bist. Warum gehen wir nicht ein wenig nach draußen, und ich erkläre dir da alles?«
Sie gingen durch den kleinen Park, setzten sich auf eine Bank neben dem Tor. Dicht nebeneinander. Es war warm, der Himmel diesig.
Gabriel fing an. »Dann lass mich von Anfang an beginnen. Wir waren in Dublin, und dann sind wir zurück nach Donegal gefahren …«
Das war ihr doch alles bekannt. »Und dann sind wir ins Haus gegangen, und alle haben …«
Er unterbrach sie. »Du hast etwas vergessen.«
»Ach ja?«
»Dass ich dich dann endlich geküsst habe. Was ich tun wollte, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.«
Hätte er sie doch nicht daran erinnert. Sie tat, als hätte sie das nicht gehört, und fuhr fort. »Und dann sind wir ins Haus gegangen, und Miranda hat erzählt, dass deine Freundin angerufen hätte.«
»Und du hast perfekt reagiert. Besonders die Ohrfeige. Ganz toll.«
Ganz toll? War er etwa auch noch sarkastisch? »Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht ohrfeigen sollen.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Das war das i-Tüpfelchen. Selbst wenn wir vorher geprobt hätten, auf die Idee wäre ich nicht gekommen.«
»Das i-Tüpfelchen?« Wie konnte er damit so locker umgehen?
»Selbst Leo hat entsetzt ausgesehen, und er wusste schließlich, dass alles Theater war. O Maggie, das tut mir leid. Das hätte ich natürlich als Erstes fragen sollen. Hast du mit Leo über Sadie sprechen können? Über die Tagebücher?«
Sie erzählte es ihm, wenn sie auch nicht verstand, warum ihn das noch interessierte. Sein Job war schließlich erledigt.
»Und hat er’s gut aufgenommen? War er nicht zu aufgebracht?«
»Nein, das, was danach passiert ist, hat ihn viel mehr aufgebracht.« Sie schilderte Gabriel Leos Versuche mit der Kamera und welche Folgen das gehabt hatte.
Gabriel war sofort Feuer und Flamme. »Ein schwenkbares Stativ? Das ist brillant. Aber was macht man dann mit den Anschlusskabeln? Das ist nicht leicht zu …«
Sie musste dieses merkwürdige Beisammensein zu einem würdigen Abschluss bringen. »Gabriel, was willst du wirklich hier?«
»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mit mir essen zu gehen. Mir hat die Vorstellung nicht gefallen, dass du ganz allein in deinem Apartment hockst, besonders nach allem, was geschehen ist. Ein paar Straßen weiter gibt es ein tolles vietnamesisches Restaurant. Da kann man sogar draußen sitzen. Es wird dir gefallen.«
»Und Susanna hat nichts dagegen?«
Er lächelte. »Oh, sie hat getobt, aber ich habe gesagt, dass sie sich damit abfinden muss, dass es dich gibt.«
»Ich finde das nicht sehr lustig.«
Gabriels Lächeln erstarb. Plötzlich hatte er etwas begriffen. »Maggie, du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass es Susanna gibt?«
»Etwa nicht?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Du hast keine Freundin namens Susanna?«
»Natürlich nicht. Glaubst du etwa, ich hätte dich sonst geküsst?«
»Manche Männer tun so was.«
»Ich bin aber nicht manche Männer.«
»Aber was ist mit dem Anruf? Mit allem, was du danach gesagt hast?«
»Das war die Schwester meines Mitbewohners. Gina. Ich hatte sie gebeten anzurufen. Weißt du das denn nicht mehr? Ich hatte dir doch in Dublin erzählt, dass ich eine Lösung gefunden hätte.«
»Aber von einer Freundin hast du nichts gesagt.«
»Ich wusste ja auch nicht, was Gina einfallen würde. Ich hatte sie lediglich gebeten, anzurufen und zu sagen, dass es hier eine Krise gäbe. Sie hat sich da ein wenig zu sehr in diese Freundinnen-Sache hineingesteigert. Also musste ich improvisieren. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich in dem Moment gesagt habe.«
»Dass du gehofft hättest, du könntest das mit uns beiden weiterlaufen lassen. Mit Susanna und mir.«
»Wirklich?« Er musste sich das Lachen verbeißen. »Kein Wunder, dass du mich geohrfeigt hast. Aber das hat es vermutlich noch glaubwürdiger gemacht, denn du hast wirklich schockiert ausgesehen, als ich …« Er brach ab. Seine Miene änderte sich. Ihm war noch etwas aufgegangen. »Hast du mich deshalb geohrfeigt? Weil dir die Vorstellung, ich hätte eine Freundin, so gar nicht gefallen hat?«
Sie nickte. Sie hätte ihm etwas vormachen und ihm sagen können, dass es einfach alles zu viel gewesen war, vor allem nach der Sache mit Sadie. Dass sie überreagiert hatte. Doch sie wollte nicht lügen. Er sollte die Wahrheit erfahren. »Ich fand es gar nicht gut, dass du eine Freundin hast.«
»Warum nicht?«
»Weil ich deine Freundin sein wollte. Deine einzige richtige Freundin.«
»Wolltest? Vergangenheit?«
»Will. Präsens.«
Er nickte mit ernstem Gesicht. »Verstehe. Wenn das also der Fall wäre – wenn du meine Freundin wärst -, würde das bedeuten, dass ich dein Freund wäre. Richtig?«
»Richtig.«
»Das würde auch bedeuten, dass ich dich jeden Tag sehen müsste, oder? Und dich an den Tagen, an denen wir uns nicht sehen, zumindest anrufen müsste? Dass ich mit dir ganz häufig essen oder ins Kino oder ins Theater oder zum Konzert gehen müsste? Im Grunde mit dir hingehen müsste, wo immer du wolltest?«
Sie nickte.
»Müsste ich dich dann auch ziemlich oft küssen?«
»Das würde dann wohl dazugehören.«
»Hier und jetzt, zum Beispiel?«
Sie nickte.
Er küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss. Es war sogar noch besser als am See. Sie spürte seine Haut unter seinem T-Shirt, das Gefühl seiner Lippen auf ihren, auf ihrer Haut, seine Hände, mit denen er sie ganz fest an sich zog, die sanft über ihre Haut fuhren, als sie sich immer näher aneinanderdrängten und …
Ray stand vor dem Haus. »Hey, ihr seid in der Öffentlichkeit!«, hörten sie ihn rufen.
Sie lösten sich voneinander. Gabriel sah aufgewühlt aus.
Er küsste Maggie sanft auf die Wange. Eine Berührung voller Verheißungen. »Also, für mich klingt das nach einer guten Regelung.«
»Für mich auch«, sagte Maggie.
»Da gibt es sicher noch den einen oder anderen Punkt zu diskutieren, oder? Ein paar Bedingungen zu klären? Gut, dass ich einen Tisch reserviert habe, und zwar in …« Er sah auf die Uhr. »Vor zehn Minuten.«
Er stand auf und reichte ihr die Hand. »Darf ich Sie durch die Straßen New Yorks geleiten, Ms. Faraday? In großer Eile, damit unser Tisch nicht vergeben wird?«
»Das wäre mir ein großes Vergnügen.« Es war weit mehr als das. Sie konnte nicht aufhören zu lächeln. All die Traurigkeit, die Verwirrung hatten sich in Luft aufgelöst. Sie war, wo sie sein wollte, mit dem Menschen, mit dem sie zusammen sein wollte.
Er gab ihr einen weiteren flüchtigen, schönen Kuss, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. »Ich würde dich niemals hintergehen, Maggie. Ich war mir sicher, dass du dir denken konntest, was los war. Es tut mir leid, dass ich dir Kummer bereitet habe.«
»Ich hätte dich schon in Donegal fragen sollen, aber es ging alles so plötzlich.«
»Nächstes Mal sorge ich dafür, dass du genau weißt, was vor sich geht.«
»Nächstes Mal?«
Er lächelte. »Nächstes Mal, wenn wir so tun, als wären wir verlobt. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mich frage, ob wir das nicht als Beschäftigung in Erwägung ziehen sollten.«
Gabriel blieb kurz stehen. »Da ist noch etwas, was ich dich fragen wollte, seit ich deine Familie kennengelernt habe. Vielleicht ist das kein günstiger Zeitpunkt, denn du hast gerade einen langen Flug hinter dir …«
»Mir geht es prima, wirklich.«
»Ich möchte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Das wirst du nicht. Ganz sicher nicht.«
»Die Frage geht mir schon so lange im Kopf herum, und du bist die Einzige, die sie beantworten kann.«
Jetzt wurde Maggie unruhig. »Na los, frag schon.«
Sein Gesicht war sehr ernst. »Maggie, wie viel ist neunhundertsiebenundvierzig mal zweiundvierzig?«
Die Antwort kam ohne Zögern. »Neununddreißigtausendsiebenhundertvierundsiebzig.«
Er lächelte sie an, ein schönes Lächeln. »Erstaunlich. Genau das hatte ich auch vermutet.« Er nahm ihre Hand. »Weißt du, was ich glaube, Maggie Faraday? Ich glaube, dass wir beide uns sehr gut verstehen werden.«