42.

Ich bin ein Nicker

Mir ist eben ein schönes Zitat eingefallen: »Süßer Schlaf, du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten.«

Von wem? Richtig: Goethe!

Das Zitat ist mir in den Kopf gekommen, weil ich in der letzten Nacht mal wieder nach Schlaf flehte, er aber nicht willig war zu kommen. Ich kann seit Jahren nachts nur schwer einschlafen. Nein, es bedrückt mich nichts. Ich bin saumüde und kann einfach nicht schlafen. Ich denke viel über den vergangenen Tag nach: Hat Liam die Schildkröte gefüttert? Habe ich die Papiertonne rausgestellt? Wie heißt die Frau, die seit Stunden neben mir schnarcht? Aber ich habe eine gute Methode entwickelt, um den süßen Schlaf, das ungebetene Glück zu locken: Ich zähle bis drei – manchmal auch bis halb vier. Und endlich schlaaaf, uuuäääh, ich ein …

Gut, dass ich nicht einschlafen kann, ist das eine Problem. Das andere ist: Ich leide unter seniler Bettflucht. Punkt sechs Uhr bin ich hellwach und denke: Wie schön wäre es, über die Felder zu gehen! Und dann gehe ich raus und laufe eine Stunde lang durch den Morgentau. Ich fühle mich topfit! Ich sehe aus wie von Gunther von Hagens frisch plastiniert, aber mein Geist tanzt Cha-Cha-Cha.

Mein Freund Hans fragte mich neulich: »Bill, wie machst du das? Jede Nacht nur zweieinhalb Stunden Schlaf. Wie hältst du das nur durch?«

»Och, das ist kein Thema. Ich habe viele Interessen, Schlafen gehört nicht dazu.«

Hans war beeindruckt. Sollte er auch sein. Aber ich war nicht ganz ehrlich zu ihm. Na gut, ich oute mich jetzt: Ich schlafe tagsüber. Ich halte Nickerchen – und das ist auch gut so! Als junger Mann wäre ich nicht auf die Idee gekommen, tagsüber zu schlafen. Nickerchen – das war was für kleine Kinder und alte Greise. Aber irgendwann überkam es mich: Es war an einem Donnerstag vor vielen Jahren, 13:17 Uhr. Die Kinder werkelten nach dem Mittagessen bereits in ihren Zimmern an den Hausaufgaben, meine Frau telefonierte zum achten Mal mit ihrer Freundin, als mein Kopf plötzlich und kraftlos auf den Tisch fiel. Meine Stirn lag in den Resten des Schokoladenpuddings, und ich schlief tief und fest ein. Geweckt wurde ich von unseren beiden Möpsen, als sie versuchten, den Pudding von meiner Stirn zu lecken. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange ich schlief. Aber eins weiß ich noch ganz genau: Es war herrlich!

Klar war ich früher auch müde, aber irgendwie habe ich es immer über den Tag geschafft. Ich bin oft abends eingeschlafen, wenn ich meinen Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen habe. Die bemerkten das nicht, weil ich trotzdem weiter mit lauter Stimme vorlas. Andere Menschen sprechen im Schlaf, ich lese im Schlaf.

Inzwischen kann ich überall schlafen, solange es taghell ist. Ich nutze jede Gelegenheit, die sich mir bietet: Ich stehe mit meinem Auto vor einem geschlossenen Bahnübergang oder einer roten Ampel – Augen zu und zack! bin ich weg. Falls demnächst an einer roten Ampel ein schwarzer Lexus mit Bonner Kennzeichen vor Ihnen steht, hupen Sie, sobald es grün wird, sonst kommen Sie in dieser Grünphase garantiert nicht mit rüber.

Oder mit meinen Jungs im Kino. Am besten Nachmittagsvorstellung, »Star Wars – Die Rückkehr der Jedi-Ritter«. Vor dem ersten Raumschiff war ich schon eingepennt wie ein Siebenschläfer im Oktober. Je lauter die Explosionen und heftiger die Kämpfe, desto weniger fiel mein Schnarchen auf. Ich weiß bis heute nicht, wer der Sohn von Darth Vader ist.

Ich habe meine Nickerchen immer verschwiegen, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Früher war es mir sogar peinlich, wenn ich nachts beim Schlafen ertappt wurde. Müdigkeit bedeutete für mich Schwäche, und ich fühlte mich sehr oft wie ein Schwächling. Etwa wenn nachts das Telefon klingelte und mich ein fröhlicher Jonny May aus Kanada fragte: »Hey Bill, altes Haus, ich habe dich doch nicht geweckt?«

Auch im Tiefschlaf funktionierten meine Reflexe: »Nein Jonny, wo denkst du hin! Ich bin hellwach! Was gibt es?«

Sogar wenn Margie mich mitten in der Nacht leise ansprach: »Bill, schläfst du?«, antwortete ich immer: »Nee, ich liege hier und warte darauf, dass du mich ansprichst.«

Dabei hat die moderne Medizin erkannt, wie gesund kurze Schlafphasen am Tage sind. Mittagsschläfchen sind cool, sie heißen neuerdings »Power Napping«. In vielen Büros wurden bereits Liegen aufgestellt, damit die Mitarbeiter mittags power-nappen können. Das gab es früher nur beim Finanzamt.

Zu Hause habe ich mich regelrecht versteckt, um ein Nickerchen machen zu können. Ich bin aufs Klo gegangen, habe die Tür abgeschlossen und dann »Zzzzzzzzzz Chrrrrrrr …«. Nur eine Viertelstunde, länger nicht. Aber irgendwann wurde Margie misstrauisch: »Bill, was hast du so lange auf der Toilette gemacht? Hast du geschlafen?«

»Äääh, nee, wie kommst du da drauf?«

»Erstens hörte ich dich schnarchen, und zweitens hast du nur den Abdruck der Fußmatte noch im Gesicht! Wenn du nickern willst, dann leg dich doch aufs Sofa.«

Da war es raus – und ich war erleichtert. Margie hatte meine Nickerchen abgenickt, und endlich durfte jeder wissen: Ick bin ein Nicker! Ich gehöre zur Bonner Nickeria! Seit diesem Tag gehören meine Nickerchen zum ganz normalen Familienleben, wie Margies Telefonate mit ihren Freundinnen.

Unangenehm ist allerdings, wenn ich wach bin, aber eines meiner Glieder schläft ein. Mein linkes Bein zum Beispiel, der Querulant meines Körpers. Pennt tief und fest vor sich hin, während ich nichtsahnend am Stammtisch sitze und von meinen sensationellen Bouleerfolgen berichte. Nach dem zweiten Weizenbier wird meine hellwache Blase von der Toilette gerufen: »Hey, wo bleibst du?« Ich entschuldige mich bei meinen Boulebrüdern und stehe leichtfüßig wie ein junges Fohlen … Hoppla! Was ist denn das? In meinem linken Bein ist überhaupt kein Gefühl, das ist nicht nur eingeschlafen, das ist ohnmächtig! Ich laufe wie Capt’n Ahab mit Holzbein. Schlurf-Pock-Schlurf-Pock … Ich versuche, so zu tun, als wäre alles normal bei mir, und wackle durch den voll besetzten Gastraum der »Harmonie« Richtung Toilette. Hinter mir höre ich noch die Endenicher flüstern: »Schau mal, der Bill. Der hat aber heute kräftig einen über den Durst getrunken …«

Auf der Toilette schließe ich mich ein, lasse meine Blase in Ruhe ihre Arbeit verrichten und wecke mein eingeschlafenes Bein mit leichten Schlägen auf den Oberschenkel.

»Alles klar bei dir, Bill?«, höre ich aus der Kabine nebenan meinen Boulefreund Friedhelm fragen.

»Hier ist so eine blöde Fliege, aber ich habe sie erwischt!«

»Ja, ja, die Reflexe … nach fünf Weizenbier.«

Ich warte, bis Friedhelm die Toilette verlassen hat, und stelle mich mit verschränkten Armen vor meinem Körper auf.

»Kinder, so geht das nicht! Wir sind ein Körper, wir müssen zusammenhalten! Ich erwarte ab jetzt unbedingte Solidarität und Geschlossenheit! Ich sage es nur ein Mal: Wenn genickert wird, dann alle gemeinsam. Entweder alle oder keiner. Bein, hast du das verstanden? Ich dulde ab jetzt keine Einzelaktionen mehr! Gesäß, du brauchst gar nicht so dreckig zu lachen, ich meine auch dich! Was war denn neulich los, bei ›Lohengrin‹? Du hast dich nach fünf Minuten angefühlt wie Tante Lenis Sofakissen. Und jetzt gehen wir hier raus, und dann will ich jeden von euch kämpfen sehen! Leber, du übernimmst für heute das Kommando. Bein, wegtreten!«

Das saß! Ich habe meinen Körper inzwischen wie ein Penn-Meister im Griff, und ich kann Ihnen versichern, es wird immer erst dann genickert, wenn ich das Kommando gebe, und keine Sekunde eher.

An dem Abend ist übrigens noch eine andere hochinteressante Geschichte passiert. Friedhelm und Beppo haben … Zzzzzzzzz Chrrrrrr …

Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig
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