7.
Knoten, Liften, Tackern
Das Elixier der ewigen Jugend. Man könnte Millionen damit verdienen, ach was, Milliarden! Aber eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr oder wird der 1. FC Köln Deutscher Meister, als dass dieses Elixier Wahrheit wird. Die Natur ist grausam und zieht es durch: Wir Menschen altern, werden welk und klapprig, egal ob Mann oder Frau.
Aber einen Unterschied gibt es doch. Männer werden anders alt als Frauen. Frauen schauen zum Beispiel sehr oft und sehr ausgiebig in den Spiegel. Und sie kontrollieren sich dabei: Wie ist das Gesicht? Liegen die Haare richtig? Kann man die teuren Ohrringe auch sehen? Sitzt der Busen noch? Wie ist der Po? Ähh, nee, ach doch, geht … Und irgendwann, so um die vierzig, entdecken sie das erste graue Haar oder die erste kleine Falte. Sofort wird der halbe Douglas aufgekauft, um diesen Prozess möglichst lange aufzuhalten. Frauen sind halt klug.
Männer schauen höchstens in den Spiegel, um die Essensreste aus dem Gesicht zu entfernen oder um zu kontrollieren, ob sie überhaupt eine Hose anhaben. Dafür reicht ein kurzer Blick.
Ein Mann schaut nur ein einziges Mal sehr intensiv in den Spiegel: An seinem achtzehnten Geburtstag. Dann sieht er einen jungen, gutaussehenden Mann mit sehr vielen Haaren, wenig Bauch und vor allem sehr viel Sex-Appeal. Dieses Bild gefällt uns, diese Information brennt sich bei uns Männern auf die Festplatte. Das reicht für die nächsten vierzig Jahre.
Aber irgendwann bricht das Kartenhaus zusammen. Ich habe vor einigen Jahren den Fehler gemacht, versehentlich länger als zwei Sekunden in einen Spiegel zu schauen. Was ich da sah, gefiel mir gar nicht. Das hatte mit dem achtzehnjährigen Holzfäller-Body-Bill aus Kanada nicht mehr viel zu tun, bis auf die Spiegeleireste im Mundwinkel.
Ich ging erschrocken zu meiner Frau und fragte: »Margie, wie sehe ich denn aus?«
Sie scannte mich mit ihren Augen langsam von oben bis unten ab und antwortete: »Bill, du wolltest als junger Schauspieler immer aussehen wie Sean Connery.«
Ich dachte kurz nach: »Jaaa, ja das stimmt.«
Sie lächelte mich an: »Das hast du jetzt geschafft.«
»Aber Sean Connery ist doch ein alter, dicker Mann – mit Glatze und Bart!«
»Eben!«
Selbst schuld! Warum frage ich auch so doof? Na warte, irgendwann wird sie vor mir stehen, vielleicht in einem neuen Kleid, und mich fragen: »Na, Bill, wie sehe ich aus?« Und ich werde mir eine gute Antwort zurechtgelegt haben, hehehe.
Manchmal sind es aber auch die Kinder, die einem Mann einen neuen Blick auf den eigenen Körper offenbaren. Vor vielen Jahren, mein Sohn Teo war gerade fünf Jahre alt geworden, und ich war, äh, sagen wir: jünger als heute. Jedenfalls kam er aus dem Kindergarten, schaute mich genau an und sagte: »Dad, wir haben heute im Kindergarten gelernt, dass die Erwachsenen, wenn sie erwachsen sind, nicht mehr wachsen.«
Mit Stolz blickte ich auf meinen klugen Sohn: »Ja, Teo, das stimmt. Das ist der Sinn des Wortes ›Erwachsen‹: Man wächst nicht mehr.«
Teo gab sich mit der Antwort nicht zufrieden: »Aber Dad, du wächst doch noch!«
Ich lächelte milde den dummen Jungen an: »Nein, ganz bestimmt nicht. Meine Taille vielleicht, aber in die Höhe schon lange nicht mehr.«
Teo wollte auch diese klugen Worte nicht schlucken: »Doch, Dad! Guck mal da oben, dein Kopf! Der wächst noch durch deine Haare durch!«
Ich nahm einen Spiegel und habe zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen, dass ich am Hinterkopf langsam eine Glatze bekam. Viele Männer drehen in so einem Moment durch. Ich nahm es gelassen. Teos Taschengeld habe ich natürlich für die folgenden Wochen gestrichen.
Ich habe in der »Men’s Health« – das ist diese »Brigitte« für Männer – gelesen: Wenn du vorne die Haare verlierst, bist du sexy. Wenn du hinten die Haare verlierst, bist du ein Denker. Ich verliere vorne und hinten die Haare, das heißt: Ich denke, dass ich sexy bin. Na, wenigstens einer.
Ja, ich stehe zu mir! Zu meinem Körper, wie Gott ihn schuf und was französische Winzer und mein Lieblingsitaliener daraus gemacht haben. Ja gut, es gibt schon diese Momente, in denen sich so eine Art schlechtes Gewissen in mir regt, und ich denke: Fitness wäre schon eine gute Sache, zumindest würde sie nicht schaden. Ich habe mich vor Jahren auf den Weg zu einem Fitness-Center, ach was, Fitness-Wellness-Alle-sind-super-drauf-Palast begeben. Das hatte ich mir zumindest fest vorgenommen. Ich hielt die Klinke wirklich schon in der Hand – von unserer Haustür. Da hörte ich eine kleine, aufgeregte Stimme in mir: »Bill! Bill, hör mal zu! Willst du jetzt wirklich den gesamten Körper bestrafen, für das, was alleine der Mund verbrochen hat?« Wer immer das war, er hatte recht: Ich schicke die Lippen auf das Laufband, aber ich bleibe zu Hause!
Auch diese sechzigjährigen Männer, die plötzlich durchdrehen. Wollen auf jugendlich machen. Tragen die Jeans knapp unter dem Hintern, fahren mit dem Skateboard in die Stadt und lassen sich piercen. Wie sieht das denn aus? Ein Ohrring neben dem Hörgerät, ein Nasenring im Nasenhaar-Dschungel und ein Hodenring zwischen den Knien. Oder gar ein Tattoo auf dem schlaff gewellten Unterarm.
Oh, das bin ja ich! Ja, ich muss ein Geheimnis lüften: Ich trage ein Tattoo auf dem Unterarm. Auf dem linken. Jetzt ist es raus! Aber der feine Unterschied ist, dass ich mir das blutige Bildchen im süßen Alter von fünfzehn Jahren habe stechen lassen und nicht mit bitteren sechzig.
Wollen Sie es wirklich wissen? Na gut! Das kam so: Als Jugendlicher erkundete ich regelmäßig mit meinem Kumpel Jonny May die Straßen unserer Heimatstadt Toronto. (»Ich kaufe ein O!« Bink-Bink-Bink!) Rein zufällig führte eine dieser Straßen direkt in das Rotlichtviertel. In diesem kanadischen Kiez gab es jede Menge Tattoo-Shops, und einer zog uns ganz besonders an. Eine Wand des schmuddeligen Ladens war tapeziert mit Postern, auf denen tätowierte Frauen abgebildet waren. Damit wir uns verstehen: Die Frauen trugen nur Tattoos, sonst nichts. Jonny und ich standen immer wieder mit offenen Augen und Mündern vor den Nacktaufnahmen. Wo gab es das in den fünfziger Jahren (des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht des neunzehnten) schon zu sehen. Bei uns zu Hause jedenfalls nicht. Wir führten also, in immer kleiner werdenden Abständen, unsere Anatomiestudien in der Körperstecherei fort. Eines Tages wurde unser Gegaffe dem zwei Meter großen und drei Zentner schweren Oberchirurgen der Tintenklinik wohl zu viel. Wir waren gerade dabei, das Foto einer Frau abzuspeichern, die mit dem Schnittmuster eines Brautkleides, inklusive sechs Meter Schleppe, verziert war, als sich langsam eine riesige Pranke auf meine Schulter legte. Auch diese Hand war ausgiebig beschriftet, unter anderem mit dem Satz: »Got save the Quen«.
Als ich die Orthographie des Geschreibsels eingehend studiert hatte, wusste ich: Dieser Mann ist zu allem fähig! Es gab nur eine Rettung: »Äh, Hallo! Können wir auch ein Tattoo haben?«
Ja, wir konnten! Es gab in Kanada bestimmt ein Gesetz, dass Jugendlichen unter einundzwanzig Jahren die Verschandelung des eigenen Körpers mittels Tätowierungen verbot. Der monströse Nadelstecher hatte es aber anscheinend nicht gelesen – oder nicht verstanden. Nach eingehendem Studium der großen Vorlagenbücher entschieden wir uns für einen Puma. Der geschmeidige Räuber war das Symbol der »Puma Squadron« – der besten Bande in unserem Internat. Jonny und ich waren kurz zuvor beigetreten. Über das Aufnahmeritual darf ich laut Ehrenkodex nicht sprechen.
Auch über die Schmerzen beim eigentlichen Vorgang des Tätowierens kann ich bis heute nicht reden. Ich verspüre immer noch höllische Phantomschmerzen in meinem linken Arm, wenn ich im Zoo einen Puma sehe. Aus diesen Gründen trage ich auch ausschließlich Turnschuhe der Firmen »Adidas«, »Nike« und »Romika«.
Zum Glück hatten Jonny und ich nur eine geringe Geldsumme zur Hand, sonst hätte uns das Tattoo-Monster sicher gleich den gesamten Körper zerstochen. Ich bekam meinen Puma für drei Dollar. Das sind in Kanada heute umgerechnet drei Dollar. Jonny hatte nur zwei Dollar flüssig, dafür blieb sein Puma schwarz-weiß. Wenigstens waren wir zum Glück Mitglieder der »Puma Squadron« und nicht der »Stinktier Army« …
Ich habe Jonny vor ein paar Jahren am Flughafen in Toronto getroffen. Ich war mit meiner kompletten Familie auf der Rückreise nach Deutschland. Jonny sah fabelhaft aus, und auch er erkannte mich sofort wieder. Als meine Söhne erfuhren, dass der aus meinen Erzählungen berühmte Jonny May vor ihnen stand, ließen sie natürlich nicht locker: Sie wollten unbedingt den Zwillingsbruder meines Pumas sehen. Jonny zierte sich kurze Zeit, gab dann aber dem Druck meiner Jungs nach. Einer gegen sechs – keine Chance, ich kenne das. Er zog seine Jacke aus, krempelte den linken Ärmel seines Hemdes auf und deutete mit einem »tut mir leid-Gesicht« auf seinen haarigen Arm. Statt eines stattlichen Pumas war nur eine kleine, schrumpelige Narbe zu sehen. Auf meinen fragenden Blick antwortete er: »Meine Frau und der Vorsitzende der Barclays Bank waren dagegen.«
Einfach so weggelasert! Hätte man die Haut nicht transplantieren können? Vielleicht in ein Heim für Tiertattoos? Ich war von Jonny ein wenig enttäuscht. Meine Jungs erst recht. Klar, Jonny und ich waren jung und dumm, aber als Mann muss man doch zu seiner Geschichte stehen, auch wenn nicht alle Kapitel daraus rühmlich sind.
Zugegeben: Mein bunter Puma sieht nach fünfzig Jahren eher aus wie überfahrene Ente, aber er wird mich auch den Rest meines Lebens begleiten dürfen, obwohl das Tattoo in meinem Beruf sehr hinderlich war und ist. Ewig muss ich auf der Bühne und bei Dreharbeiten meinen linken Unterarm bedeckt halten. Wer will schon einen Faust sehen mit einer toten Ente auf dem Arm? Und ich frage mich: Wäre Erich Schiller wirklich mit Helga Beimer zusammengekommen, wenn er im Reisebüro der »Lindenstraße« zur Begrüßung mit einen halbverwesten Puma gewunken hätte?
Aber gerade in meinem Beruf sind viele Kollegen und vor allem Kolleginnen bereit, ihren Körper bearbeiten zu lassen. Da wird geliftet, da wird gerafft, gestrafft, da wird abgesogen, abgehoben, eingeschoben, da wird poliert und geschreddert – abenteuerlich!
Ich habe eine Kollegin, die ist jetzt so Mitte sechzig. Sie sieht wirklich wunderbar aus, hat mit ihrem Körper aber ein Problem: Sie möchte lieber aussehen wie Mitte dreißig. Darum fliegt sie alle zwei Jahre in die Schweiz und lässt sich raffen und straffen, an der Stirn, den Augen, um den Mund herum und was die Anatomie sonst noch zu bieten hat. Wenn ich sie nach ihrem Ausflug in die Alpen wieder treffe, dann muss ich schon sagen: Ja, sie sieht echt ein bisschen jünger aus, im Gesicht. Aber der Rest ist und bleibt einfach Mitte sechzig. Sie ist eine Mischung aus jung und alt. Eine Mixtur aus Heidi Klum und Alfred Biolek.
Wenn ich sie dann ganz offen frage: »Sag mal, hast du an dir was machen lassen?«, antwortet sie mit ihrem straffgetackerten Mund, der aussieht, als hätte sie gerade eine ganze Zitrone ausgeluscht: »Nöö, wö kömmst dö dönn dödrööf?«
Nee, nee, mir macht keiner was vor, ich bin doch nicht blind. Wenn sie die Mundwinkel heben möchte, muss der Rest des Körpers eine kurzfristige Hautspende geben. Darum hebt sie auch immer das Bein, kurz bevor sie ein Lächeln ansetzt.
Aber nicht nur Frauen sind von diesem Virus infiziert: Ein Bekannter von mir arbeitet als Tenor in der Oper in Bonn. Er ist sehr eitel, Mitte fünfzig, ein sehr netter Mann – aber auch er wollte jünger aussehen. Er heißt Dieter Schabbel, nennt sich aber Schabelle. Französisch ausgesprochen – also Schabelle, nicht Dieter. Er kam neulich ganz aufgeregt zu mir und sagte: »Bill, ich habe eine kahle Stelle hier vorne am Kopf. Ich kann doch nicht in der ersten Reihe auf der Opernbühne stehen, und alle Leute schauen auf meine kahle Stelle.«
Dabei trägt er auf der Bühne seltsamerweise immer nur Kopfbedeckungen: Er singt bei »Toska« im Extrachor und trägt dabei einen Helm bis über die Augenbrauen, bei der »Entführung aus dem Serail« einen riesigen Turban, aber er denkt immer nur an seine kahle Stelle.
Es gibt in Bonn-Godesberg eine Spezialklinik, die hat eine bahnbrechende Methode entwickelt: Die reißen gesunde Haare samt Wurzeln aus und pflanzen sie in kahle Stellen wieder rein. Das wächst und wächst, und man bekommt in wenigen Wochen blühende Landschaften, wo vorher noch die Wüste Gobi war. Als Dieter diese Klinik aufsuchte, haben die Ärzte kurz vorher in Versuchsreihen an bulgarischen Rentnern herausgefunden, dass Schamhaare für diese Methode ganz besonders geeignet sind. Wahrscheinlich, weil die Wurzeln immer schön feucht gehalten werden, vor allem im Alter. Ich habe Dieters Sackgesicht nach dem Eingriff kaum erkannt. Also der sah aus, der saaah auuus …
Dieter hat nach der Behandlung richtig Geschmack daran gefunden, sich zu verändern. Er wollte auch sein Gesicht glätten lassen, weil er ein paar Falten entdeckt hatte. Er ist extra nach Düsseldorf gefahren, zu dem bekannten Schönheitschirurgen Dr. Dipan Sen Gupta. Das ist, glaube ich, kein Rheinländer. Dieter hat sich nach kurzer Beratung das Gesicht liften lassen. Und er hat mir nachher die Narben gezeigt und haarklein die Operation beschrieben. Mir ist bei dem Gedanken daran heute noch schlecht: Also, die schneiden hinter den Ohren auf, ziehen die ganze faltige Haut hinter die Lauscher, legen die Haut wie eine Serviette ein, zwei Mal um und tackern das Ganze fest. Fertig ist die Mumie! Die Falten aus Dieters Gesicht waren definitiv weg, leider der Ausdruck auch.
Außerdem waren Dieters Lippen so unerträglich gespannt, dass er kaum noch singen konnte und Dr. Sen Gupta einen zweiten Eingriff für nötig hielt. In der Klinik wurden Dieter zarte, glatte Hautstreifen angenäht. Dr. Sen Gupta hatte in eigenen Versuchsreihen an tschechischen Prostituierten herausgefunden, dass dazu die Haut in Gesäßnähe besonders geeignet ist. Aus den gespannten Lippen wurden, dank Dieters Eigenhautspende vom Hintern, riesige Karpfenlippen. Ganz wichtig: Die fischigen Lippen muss man ständig feucht halten, sonst platzen sie auf. Also züngelt Dieter nun den ganzen Tag wie eine Ringelnatter an seinen Lippen rum. Das sieht echt bescheuert aus, aber er hat es ja gewollt. Immerhinn kann er sich jetzt selbst am Arsch lecken! (Entschuldige, Dieter.)
Jeder Mensch hat sein eigenes Gesicht, und das ist wie sein Ausweis. Liften bedeutet, seinen Ausweis zu fälschen. Ich finde, man sollte einem Gesicht ansehen, dass man gelebt, gelitten, gelacht und geliebt hat. Ich sehe das Gesicht meiner Frau, ein wunderschönes Gesicht, und es wird von Jahr zu Jahr schöner. Ich kann darin lesen wie in einem Buch:
Ich sehe die ganzen Lachfalten um die Augen – das sind dreißig Jahre Springmaus. Die eine Falte an der Stirn – das ist die Geburt von unserem ältesten Sohn. Dann die beiden tiefen Furchen links und rechts vom Mund – das war die Sechs in Latein von Nicky, das hat ihr damals sehr zugesetzt. Aber genau das möchte ich in ihrem Gesicht sehen, daran erkenne ich, dass sie gelebt, gelitten, gelacht und geliebt hat.
Ein Gesicht zu liften ist wie Bücher zu verbrennen oder wie im Laptop eine Geschichte zu löschen. In dem Moment, in dem ich das schreibe, kommt meine Frau ins Arbeitszimmer und fragt mich: »Na, Bill, wie sehe ich aus?«
Sie trägt wahrscheinlich ein neues Kleid. Wie war noch mal die Antwort, die ich mir zurechtlegen wollte?
Ach ja: »Phantastisch, Margie. Einfach phantastisch!«