3. Übung: Das Wasser sucht seinen Weg auf dem Stoff, aus dem die Träume sind
Problemstellung: Sie probieren gegen Ihren Willen eine neue Hose an. Vor der Umkleidekabine warten Ihre Frau und eine junge, bildschöne Verkäuferin auf die Modenschau. Gerade als Sie den Reißverschluss der viel zu engen Hose schließen wollen, reißt der viel zu dünne Stoff im Gesäßbereich auf und gibt den Blick auf denselbigen frei. Vor Aufregung rudern Sie unkontrolliert mit den Armen durch die viel zu enge Umkleidekabine und stoßen dabei eine geöffnete Flasche Wasser um, die sie ständig mit sich tragen müssen, weil Ihre Frau der Meinung ist, dass Sie viel zu wenig trinken. Alkohol nicht mitgezählt. Das kalte Wasser ergießt sich über den vorderen Bereich der Hose. Kurz gesagt: Sie sehen aus wie ein alter Volldepp mit nacktem Hintern, der das Wasser nicht halten kann.
Ergebnis: Tiefe Scham, heftiges Erröten, starke Fluchtgedanken.
Ausweg: Wenn Ihnen einer einfallen sollte, schreiben Sie mir bitte: billmockridge@greisforum.de
Und möglichst schnell. Der Laden schließt in einer Stunde!
Ich muss zugeben, es gibt Situationen im Leben, die nun so gar kein Humorpotential haben. Es ist und bleibt der Alltag, der uns das Lachen nimmt. Der tägliche Trott, der volle Kalender, die Erwartungen der anderen. Und überhaupt: Die anderen sind ja auch nicht lustig, warum dann ausgerechnet ich?
Aber da lautet mein Tipp: Nicht einfach hinnehmen, sondern Initiative ergreifen! Es lohnt sich, glauben Sie mir.
Hier ein kleines Beispiel: Vor einigen Jahren ergab es sich, dass ich mit meinem jüngsten Sohn Liam an einem Montagmorgen mit dem Bus fahren musste. Liam war auf dem Weg zur Schule, ich hatte bei Dr. Peters einen Termin zur Blutprobe. Nüchtern! Und nüchtern setze ich mich grundsätzlich nicht hinters Lenkrad. Ohne meine beiden Spiegeleier im Magen verlasse ich eh nur sehr ungern das Haus. Hungrig, im Nieselregen an der Bushaltestelle – ich wusste, warum ich diese Situation die letzten zehn Jahre vermieden hatte. Um mich herum standen übermüdete Schulkinder und Berufspendler, die mit versteinerten Gesichtern der kommenden Arbeitswoche ohne Feiertag harrten. Ich fühlte mich so unpassend, wie die Rolling Stones im Musikantenstadl, oder sagen wir besser: wie Andy Borg beim Heavy-Metal-Festival in Wacken. Die Stimmung war zum Schneiden. Als der Bus endlich kam, schleppten die Anwesenden ihre feuchten, kraftlosen Körper in das Innere des öffentlichen Verkehrswalfisches. Jetzt fehlte nur noch, dass mir jemand seinen Sitzplatz anbietet. Kaum hatte ich einen bequemen, aber sehr engen Stehplatz zwischen zwei schlanken Oberstufenschülerinnen ergattert, erhob sich ein älterer Herr und murmelte mir zu: »Bitte setzen Sie sich, ich habe ja noch ein paar Jahre bis zur Rente.« Und schon stand der geile alte Sack statt meiner zwischen den Knospen der zarten Jungfrauen und stieß mich mit einem gespielten Lächeln auf den klebrigen Kunstledersitz. Arschloch!
Der Bus nahm Fahrt auf, die Stimmung der Insassen blieb auf dem Nullpunkt. Die Atmosphäre war kalt und feucht, selbst bei den sonst quirligen Schülern. Statt gepflegter Lästereien oder hastigem Abschreiben der dringend erforderlichen Schulaufgaben vernahm ich nur die dumpfe Kakophonie der Kopfhörer: »Dumpfske-Dumpfske-Dumpfkse-Dumpfske.«
Zu allem Überfluss drang auch noch eine schneidende Stimme in mein Ohr, die bedrohlich näher kam. Die Stimme hatte den Charme eines Drill Sergeants im siebten Einsatzjahr auf Guantánamo: »DIE FAHRKARTEN BITTE! FAHRKAAARTEN!! FAHRKAARTEN! BITTE FAAHRKAARTEN!!«
Johnny Kontrolletti war an Bord. Ich dachte: Es wäre doch schön, wenn mir jetzt ein kleiner Scherz einfallen würde, nur so, um die Situation zu entschärfen. Als der Kontrolleur zwei »FAHRKAARTEN BITTE!« vor mir war, nahm ich wie im Reflex die Fahrkarte von Liam und streckte sie dem Zeremonienmeister entgegen. Er blickte kurz auf das Ticket und sah mich finster an: »Hören Sie mal, das ist eine Kinderkarte!«
Das war mein Auftritt. Mit fester Bühnenstimme antwortete ich: »Da können Sie mal sehen, wie lange ich auf diesen Bus warten musste!«
Die ersten Grinser der Mitreisenden verwandelten sich schnell in Gekicher und lautes Gelächter. Die Knospen der bildschönen Nixen hüpften vor Freude links und rechts gegen die schlabberige Brust des geilen Greises.
Der Kopf des Kontrolleurs wurde so rot wie der »Bitte halten«-Knopf in der Haltestange vor mir. So eine Ausrede hatte er in dreißig Jahren Amtszeit bestimmt noch nicht gehört. Doch seine Miene blieb ernst: »Soll das ein Witz sein?«
Jetzt tat er mir fast leid.
»Ja, das war ein Witz!«, antwortete ich trocken.
»Darüber kann ich nicht lachen!«
Er nicht, alle anderen schon.
Dann erhellte sich sein Gesichtsausdruck und nahm sogar erste menschliche Busse, ääh, Züge an. »So eine Ausrede habe ich in dreißig Jahren Amtszeit noch nicht gehört. Hehe, aber nicht schlecht, nicht schlecht.« Mit einer Art Lächeln auf dem Gesicht brach er das Verhör ab und verabschiedete sich an der nächsten Haltestelle mit einem lauten »Schönen Tag noch!« von den Inhaftierten.
So geht es auch: Ein kleiner Scherz zur rechten Zeit, und selbst ein Montagmorgen im Nieselregen wird dein Freund. Hätte ja wenigstens einer klatschen können …
Aber manchmal braucht es nicht mal einen Scherz, um herzhaft lachen zu können. Glauben Sie nicht? Doch, das geht.
Ich wurde vor Jahren für ein Betriebsfest in Bonn gebucht. Die Firma feierte ihr einhundertjähriges Bestehen. Die Produktionshalle war festlich geschmückt, fast 2000 Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner nahmen erwartungsvoll Platz, und fast alle Anwesenden freuten sich auf meinen Auftritt. Plötzlich öffnete sich die Tür meiner kleinen Garderobe, und der Firmenbesitzer höchstpersönlich trat ein. Seine ganze Ausstrahlung ließ vermuten, dass er die Gründungspapiere des Unternehmens vor hundert Jahren selbst unterschrieben hatte. Er gab mir seine kalte Hand und sagte mit tonloser Stimme: »Herr Mockridge, ich bin nicht so auf Humor konditioniert. Meine Sekretärin hat Sie gebucht. Jetzt ist es zu spät. Aber vielleicht können Sie mir helfen.«
Na, das war ja mal eine herzliche Begrüßung. Ich versuchte trotzdem zu lächeln: »Ja, gerne, was kann ich für Sie tun?«
»Wissen Sie, Herr Mockridge, ich habe Probleme mit Witzen. Ich verstehe sie einfach nicht. Ich weiß nicht, wann und vor allem warum ich über sie lachen soll. Könnten Sie mir nicht ein Zeichen geben, damit ich erkennen kann, wann Sie gerade lustig sind?«
Warum nicht, dachte ich bei mir, in vielen deutschen Fernsehserien mit mehr oder weniger humorigem Hintergrund werden ja auch Lacher eingespielt, damit jeder Volldepp merkt, wann er zu lachen hat. Allerdings hatte ich keine Lacher-CD im Koffer.
Da kam mir eine andere Idee: »Das ist kein Problem. Ich fasse mir einfach kurz an die Nase, kurz bevor sich eine Pointe nähert. Wenn ich zweimal auf die Nase tippe kommt ein echter Brüller. Ist es diese Art Hilfe, die Sie meinen?«
Der Chef nahm meinen Vorschlag sichtbar erleichtert auf. Er gab mir erneut die feuchte Flosse, blieb in der Garderobentür stehen und sprach eindringlich: »Herr Mockridge, ich verlasse mich auf Sie!«
Ich legte meine Hand auf seine rechte Schulter und blickte ihm tief in die Augen. Der Vertrag war geschlossen, seine Seele war verkauft.
Mein Auftritt verlief großartig. Dr. Faust saß in der ersten Reihe und beobachtete jede meiner Bewegungen. Wie versprochen fasste ich mir kurz vor jeder Pointe an die Nase und sofort brüllte er laut auf oder versuchte zumindest, mit gutturalen Lauten ein Lachen zu imitieren. Nach einer halben Stunde bekam ich allerdings ein Problem: Mein inzwischen geröteter Zinken fing an, auf die Dauerberührungen meiner Fingerspitzen, mit stärker werdenden Juckreizen zu reagieren. Ich hatte nach weiteren fünf Minuten das Gefühl, ein Bienenschwarm hätte meine Nase als neue Behausung gewählt und feierte nun die Einzugsparty. Immer häufiger griffen meine Finger unkontrolliert nach meiner Nase, um den Insektenstaat zur freiwilligen Emigration zu bewegen. Jeden dieser Versuche quittierte der Chef des Hauses mit heftigem Gelächter. Leider auch den Part meines Vortrages, als ich, mit gutgewählten Worten und sehr bewegender Stimme, die schwierige Fahrt des Unternehmens durch jene dunklen Jahre der deutschen Geschichte einzubauen versuchte. Meine Nase juckte einfach wie Hölle und verlangte nach schneller Linderung. Aber es ging nicht! Wie würde der Chef dastehen? Meine Augen begannen zu tränen, meine Stimme hatte Aussetzer. Meine Zuhörer waren gerührt vor so viel Einfühlvermögen. Nur noch zwei Sätze, und ich hatte die Nachkriegszeit erreicht. Da war er! Endlich! Adenauer – meine Rettung! Ich machte einen mauen Adenauer-Scherz, täuschte einen Niesanfall vor und prügelte mit zwei Faustschlägen die Bienenbesatzer aus meinen Nasenlöchern. Der Chef verbog sich vor Lachen, krümmte sich, fiel fast vom Stuhl. Es war zu spät, ich hatte keine Möglichkeit mehr, ihn zu warnen.
Ich wusste, dass Lachen ansteckend sein kann, aber so eine Epidemie hatte ich bis dahin nicht erlebt. Das Lachen des Chefs verbreitete sich über das gesamte Publikum. Eine Lachwelle schwappte langsam nach hinten in den Saal, eine zweite ergoss sich nach vorne zurück. An den Stellen, an denen sich die Wellen trafen, zog ein Kichergewitter auf, bildete sich ein Grölsturm, gipfelte in einem tosendem Grunztsunami. Ich hatte sie alle in der Hand! Ich fühlte mich wie Hermann der Cherusker während der letzten Minuten der siegreichen Varusschlacht, wenn nicht gar wie Jürgen Drews auf der Bühne des »Oberbayern« kurz vor der Eroberung Mallorcas.
Als ich schweißgebadet in meiner kleinen Garderobe den Triumph genoss, öffnete sich erneut die Tür, und der sichtlich verjüngte Chef betrat meine Ruhmeshalle. Er legte seine immer noch feuchte, aber immerhin warme Hand in meine und sagte: »Herr Mockridge, danke für den herrlichen Abend! Ich habe zwar keinen Ihrer Witze verstanden, aber ich habe mich noch nie so gut amüsiert wie heute!«
»Oh ja, danke! Und tut mir leid wegen Adenauer …«
Er schaute mich verständnislos an: »Äh, war das jetzt wieder, also, helfen Sie mir, war das lustig?«
Es stand um ihn schlimmer, als ich dachte. Da mir keine gute Antwort einfiel, griff ich mir einfach an die Nase.
»Ha! Herr Mockridge! Wusste ich doch! Nee, Sie sind mir einer …«
Mir sind an diesem Abend zwei Dinge bewusstgeworden: Lachen hat nicht immer etwas mit Humor zu tun. Das sieht man auch gut an Guido Westerwelle.
Und zweitens: Wenn man sich auf einer Betriebsfeier schon etwas Ansteckendes einhandelt, dann ist ansteckendes Lachen die bessere Alternative.
Wir halten fest: Ob jung, ob alt, Lachen ist gesund. Senioren sollten sich ihrer besonderen Verantwortung dem Thema gegenüber stellen, schließlich haben sie ja auch die meiste Zeit dazu. Ausreden gelten nicht! Viele Senioren gehen in den Park, Tauben füttern, um ein bisschen Freude zu erleben. Ich frage mich: Was soll das für eine Freude sein? Man wirft das teure Futter den Parasitenschleudern vor die Dreckschnäbel, und als kleinen Dank bekommt man zum Abschied ein weiß-grünes Abzeichen auf die Schulter gezaubert. Wenn Sie wirklich Freude erleben wollen, dann füttern Sie nicht Tauben im Park, sondern Kinder auf dem Spielplatz. Kaufen Sie statt eines Sacks Taubenfutter zehn Tüten Gummibärchen, und dann ab dafür!
(Anmerkung des Verlages: Das Füttern von Kindern sollte nur in Absprache mit den Erziehungsberechtigten erfolgen.)
Spielverderber!
Ich muss los. Ich habe eine neue Geschäftsidee: Gummibärchen-Automaten an Kinderspielplätzen.