24.

Möpse im Netz

Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder mit Tieren aufwachsen. Als Gegengewicht zu der ganzen Technik, die jeden Tag auf die Kleinen einstrahlt. Und die Kinder lernen durch ihre Haustiere, Verantwortung zu übernehmen. In unserem Haus gab es immer Tiere. Die Liste klingt wie die Passagierliste der Arche Noah oder wie die Menüfolge eines Drei-Sterne-Restaurants in Peking:

  • Mäuse,
  • Meerschweinchen,
  • Schlangen (danach keine Mäuse und Meerschweinchen mehr),
  • Goldfische,
  • Wasserschildkröten (danach keine Goldfische mehr),
  • Möpse (danach keine Schildkröten mehr).

Die Verantwortung für die Tiere zeigten meine Jungs meist mit Sätzen wie: »Dad, ich bin mit einem Freund verabredet. Kannst du mir einen Gefallen tun und ausnahmsweise die Meerschweinchen füttern? Und vielleicht kurz den Stall sauber machen? Und Mama auf den Einkaufszettel schreiben, dass sie neues Futter kaufen soll? Danke! Tschüüüß!«

Gut, wenn meine Kinder schon nicht gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen, dann wenigstens das Delegieren. Verantwortung abgeben – das kann im Leben sehr hilfreich sein oder es zumindest angenehmer gestalten.

Vor einigen Jahren kam mein jüngster Sohn Liam abends zu mir und schaute mich mit großen Augen an. Er war damals vier oder fünf Jahre alt und machte die Augen immer besonders groß, wenn er etwas von Margie oder mir wollte – meistens Geld. Ich habe ihn einmal erwischt, wie er vor dem Spiegel im Badezimmer das Große-Augen-Machen regelrecht übte. Wahrscheinlich klemmte er auch heimlich kleine Gewichte an die Augenlider, um sie zu trainieren. Margie ist auf den Augentrick natürlich nie reingefallen. Ich schon. Aber an diesem Tag blieb auch ich hart. Vor allem nachdem ich das Ansinnen von Liam vernahm: »Dad, kann ich einen Hund haben? Einen richtig großen, der gut kämpfen kann! Und mich verteidigt gegen meine fünf großen Brüder!«

Wahrscheinlich hatte er kurz vorher wieder Streit mit einem seiner Brüder und wollte nun die körperlichen Defizite gegenüber seinem Gegner mit einer biologischen Waffe ausgleichen. Ich sah Liam lächelnd an, seine Augen bedeckten inzwischen fast das ganze Gesicht. In diesem Moment fiel mir eine Geschichte ein, die ich als kleiner Junge erlebt hatte. Ich sagte zu ihm: »Liam, in diesem Moment fällt mir eine Geschichte ein, die ich als kleiner Junge erlebt habe. Ich war damals ungefähr so alt wie du, vier oder fünf Jahre …«

»Dad, ich bin sieben!«, sagte mein Sohn – mit kleiner werdenden Augen.

»Dann war ich damals eben auch sieben. Jedenfalls hätte ich als kleiner Junge auch gerne einen Hund gehabt. Wir hatten aber nur einen Kanarienvogel. Der war ganz schön gelb und sang sich die Kehle aus dem Hals, aber er war halt nichts zum Spielen. Man konnte mit dem Vogel nicht toben oder knuddeln. Dann sah ich im Kino einen Disney-Film. In dem spielte ein Mops eine wichtige Rolle. Da war es um mich geschehen: Ich wollte unbedingt einen Mops haben. Ich fand diesen Mops so knuddelig.«

Bei dem Wort »knuddelig« verdrehte Liam die Augen hinter den kaum geöffneten Sehschlitzen. Knuddelig war nicht gerade das Attribut, das er von seinem brüderfressenden Kampfhund erwartete.

Ich fuhr in meiner Geschichte fort: »Mein Vater war gar nicht begeistert und sagte: ›Kommt gar nicht in Frage! Ein Mops ist kein Hund, ein Mops ist ein Unfall!‹ Ich war frustriert, aber wir hatten Gott sei Dank eine nette Nachbarin. Die besaß zwei Rüden, und mit denen durfte ich nachmittags manchmal spielen. Aber es war nicht dasselbe, es blieben die Hunde der Nachbarin und nicht meine.«

Ich war kurz davor, feuchte Augen zu bekommen, so sehr rührte mich meine eigene Geschichte. Gut, ich hatte sie mir auch schon lange nicht mehr erzählt …

Da unterbrach mich Liam mit tellergroßen, leuchtenden Augen: »Dad, wenn du damals so gerne einen Mops wolltest, könnten wir uns nicht einfach jetzt einen holen?«

So ein schlaues Kerlchen! Mein Sohn, durch und durch. Auf die Idee war ich bislang gar nicht gekommen.

»Weißt du was, Liam? Du hast recht! Vielleicht ist es soweit. Aber man kann sich nicht einfach so ein Tier anschaffen. Darauf muss man sich gut vorbereiten. Tu mir einen Gefallen: Du gehst morgen ins Internet und schaust nach, ob es einen Zwinger oder einen Hunde-Club hier in der Nähe gibt. Und dann klärst du ein paar Fragen: Brauchen die Papiere? Was fressen die? Wichtig auch, was kosten die Tiere? Und wenn du die Antworten gefunden hast, dann schreibst du das alles für mich auf. Machst du das?«

»Ja, wird erledigt, Dad!«


Am nächsten Nachmittag saß Liam mit seinem besten Freund Max in meinem Arbeitszimmer am Computer. Max kommt aus sehr gutem Hause. Jeden Sonntag besucht er mit seinen Eltern den Gottesdienst in Bonn-Endenich. Sein Großvater lebt im Heim und glaubt fest daran, er hätte Jehova gezeugt.

Max fragte etwas gelangweilt: »Sag mal, wie sieht so ein Mops eigentlich aus?«

Liam tippte auf der Tastatur herum und erwiderte: »Dads Dad meinte: Wie ein Unfall. Aber wir geben das einfach mal hier in die Suchmaschine ein.«

Liam klickte erst auf das Feld »Suche nach Bildern« und gab dann in die Suchmaschine fünf Buchstaben ein: »MÖPSE«.

Nach 0,7 Sekunden hing der Bildschirm voller Möpse. Große, kleine, verpackt und ausgepackt. Es war sogar ein Hund dabei.

»Huch!«, fragte Max erschrocken »was ist denn das?«

Liam stammelte zurück: »Äh, ja, du, das sind wohl Möpse … Die findet mein Vater so knuddelig. Aber er durfte als Kind nicht damit spielen. Deswegen ist er nachmittags immer zu der Nachbarin gegangen und hat mit ihren gespielt.«

Max war überhaupt nicht mehr langweilig: »Oh, das würde ich auch gerne tun! Wie kann man da mitspielen?«

Auch Liam schien die »Recherche« zunehmend zu gefallen: »Ich weiß nicht. Mein Vater hat nur gesagt, ich soll einen Zwinger-Club suchen, hier in der Nähe. Ich gebe mal ein: »ZWINGER-CLUB + MÖPSE!«

In dem Moment kam ich in mein Arbeitszimmer und konnte gerade noch sämtliche Downloads stoppen. Leicht verlegen habe ich dann den leicht verlegenen Max nach Hause geschickt, mit den Worten: »Äh, Max, sag deinen Eltern, dass mit den Möpsen, das war ein Unfall.«

Und dann war Liam dran: »Junge, du bist für so was viel zu klein. Tu mir einen Gefallen: Wenn du demnächst im Internet bist, bitte immer nur nach Tieren schauen. Nach niedlichen Tierchen. Kann ich mich auf dich verlassen?«

»Klar, Dad!«


Am nächsten Tag saß Liam wieder mit Max vor meinem Computer. Als ich mein Arbeitszimmer betrat, rief er mit freudiger Stimme und hochrotem Kopf: »Dad, komm schnell! Du hattest doch damals diesen Kanarienvogel. Ich habe eine super Seite gefunden, mit Vögeln!«

Einige Tage später bekam ich einen handgeschriebenen Brief.

Absender: Die Eltern von Max.

Inhalt: Die Uhrzeiten für die Beichtgelegenheiten in der Magdalenenkirche.

Ich war da.

Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig
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