Hope

Süßwarenladen

Ich sah mich um, eben noch rechtzeitig, um zu sehen, wie zwei Hände sich zu einer Rückstoßformel hoben. Ich warf mich zur Seite. Die Formel erwischte mich an der Hüfte und kostete mich fast das Gleichgewicht, aber es gelang mir, die Tasche festzuhalten und aus dem Weg zu springen, bevor meine Angreiferin eine zweite sprechen konnte.

In drei Meter Entfernung stand eine junge Frau mit stacheligem blondem Haar und so vielen Piercings, dass sie sich wahrscheinlich eine Stunde lang vorbereiten musste, bevor sie durch einen Metalldetektor gehen konnte.

»Die Konkurrenz, nehme ich an«, sagte ich. »Kein Glück gehabt diesmal, tut mir leid.«

»Oh, das braucht dir nicht leidzutun.«

Sie wirkte wieder. Ich ging der Formel mühelos aus dem Weg. Ihre Lippen wurden schmal, und ihr Ärger spülte in köstlichen Wellen über mich hin.

»Du bist nicht dran gewöhnt, das bei jemandem zu versuchen, der weiß, was du da machst, stimmts?«, fragte ich. »Lektion Nummer eins: Nicht mit den Händen wedeln.«

Noch ein Versuch. Ich duckte mich seitwärts, aber nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen wäre das gar nicht nötig gewesen.

»Kein Saft mehr?«, fragte ich. »Lektion Nummer zwei: Nicht alles auf einmal verbrauchen.«

Ich griff ins hintere Fach meiner Handtasche – ein modisches, beutelartiges Ding, ganz für die Bedürfnisse der jungen Großstädterin des einundzwanzigsten Jahrhunderts entworfen: eigene Fächer für Sonnenbrille, Handy, Organizer und eine verborgene Schusswaffe.

Die Hexe starrte die Pistole an, als wartete sie darauf, dass ich mir damit eine Zigarette anzündete.

»Setz dich hin!«, sagte ich.

Nach einigen weiteren Aufforderungen setzte sie sich auf den Boden, wobei sie irgendetwas von Fair Play vor sich hin murmelte. Unter Paranormalen gilt der Waffengebrauch als ein Zeichen von Feigheit. Aber wenn bei der eigenen Ausstattung weder Feuerkugeln noch übermenschliche Kräfte enthalten sind, muss man ein gewisses Gleichgewicht herstellen.

Als sie saß, verwendete ich eine weitere Waffe – mein Taschenmesser – und schnitt die Verschnürung an einem Stoß Recyclingpapier auf, der in der Nähe stand.

»Man nimmt das, was funktioniert«, erklärte ich, während ich sie fesselte. »Du solltest es selbst mal ausprobieren. Fang damit an, deine eigene Sorte Magie zu lernen! Wenn du einen Hexenbindezauber verwendet hättest, säße ich jetzt hier, und du hättest die Muschel.«

Sie kochte und zappelte und stierte mich wütend an. Ich schloss die Augen, um ihre Wut aufzusaugen. Dann griff ich nach meiner Strandtasche und ging.

 

Ich war darauf vorbereitet, dass Romeo Schwierigkeiten machen würde, weil ich den Test bestanden hatte. Er maulte und runzelte die Stirn, und ich bekam meine Chaosbelohnung, aber er versuchte nicht, mir etwas vorzuenthalten, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem er mich zuvor nicht hatte gehen lassen, als ich es angedroht hatte. Er wurde für seinen Vermittlerjob gut bezahlt und hatte nicht vor, ihn zu verlieren.

Also gab er mir eine Adresse und teilte mir mit, dass ich dort in zwei Stunden erwartet würde.

 

Ich ließ den Taxifahrer auf der Heimfahrt zunächst bei der Adresse der Gang vorbeifahren und war froh, dass ich es getan hatte, denn der Umweg offenbarte mir, dass zunächst eine kleine Einkaufstour anstand.

Der Taxifahrer empfahl Bal Harbour Shops, und die Empfehlung war gut. Ebenso gut war, dass ich nicht meine eigene Kreditkarte verwenden musste.

Unter normalen Umständen hätte sich meine sparsame Seite zu Wort gemeldet, aber ich war immer noch in Hochstimmung, nachdem ich mit dem Magier, der Hexe und dem Troll fertig geworden war, und demgemäß auch in der richtigen Laune, um mich zu belohnen. Und nachdem der Test nicht gerade das Kinderspiel gewesen war, das Benicio mir versprochen hatte, hatte ich auch kein schlechtes Gewissen dabei, sein Geld auszugeben.

 

Ein zweites Taxi setzte mich vor meiner Wohnung ab. Der Fahrer hatte mich beim ersten Wort als Touristin erkannt und sofort versucht, die längstmögliche Strecke zu fahren. Ich kannte mich in Miami vielleicht nicht aus, aber den Trick erkannte ich nach den ersten beiden Häuserblocks, und so scheuchte ich ihn zurück auf die direkte Route.

Unterwegs staunte ich über eine Abrissbirne, die sich durch eine Reihe tadellos aussehender Einfamilienhäuser fraß – großer Häuser, geradezu luxuriös, aber eben doch einzelne Häuser auf wertvollen Grundstücken, die hundertmal so viele Bewohner in Luxuswohnblocks beherbergen konnten. Ein einziger Blick auf die Silhouette von Miami mit ihren Kränen und den Skeletten neu entstehender Hochhäuser hätte selbst dem unerfahrensten Besucher mitgeteilt, dass dies eine Stadt in Bewegung war. Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen!

Mein Appartement war neu, jedenfalls nach meinen Maßstäben; nach denen von Miami war es möglicherweise auch nur noch ein paar Jahre von der Abrissbirne entfernt. Es entsprach nicht gerade meinem Geschmack – klein, aseptisch und kalt, in Weiß-, Grau- und Schwarztönen gestrichen und mit kargen modernen Möbeln ausgestattet. Aber es lag in einer modischen Wohngegend in South Beach, und für ein Mädchen wie Faith Edmonds war die richtige Lage alles, was zählte.

Ich hatte gerade noch genug Zeit, um mich umzuziehen und ein paar Anrufe zu erledigen.

Der erste galt meinem Herausgeber. Benicio hatte mir Einzelheiten über einen Werwolfkult in Fort Lauderdale geliefert, den ich mir angeblich näher ansehen sollte und bei dem möglicherweise ein Zusammenhang mit dem Mord bestand. Seine Leute würden mir genug Material liefern, dass ich einen Artikel schreiben konnte. Er hatte auf meinen Namen ein Zimmer in einem Hotel in Fort Lauderdale gebucht, die Anrufe auf mein Handy umleiten lassen und sogar eine junge Kabalenangestellte beauftragt, täglich in dem Hotel aufzutauchen, um mir ein Alibi zu verschaffen.

Normalerweise gehört »Ich bin wegen einer Story nach Florida geflogen« nicht zu den Dingen, die man seinem Herausgeber am Telefon mitteilt – nicht, wenn man nicht vorher um Erlaubnis gebeten hat. Aber ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinem Boss. Ich mochte meinen Job, machte ihn mit ganzem Einsatz und hatte nicht die Absicht, beim ersten Angebot von einer seriöseren Zeitung auf und davon zu gehen. In der Welt des Boulevardjournalismus wurde ich dadurch zu einer Kandidatin für die Angestellte des Jahres.

Selbstverständlich machte mich mein Herausgeber zur Schnecke. Dann wurde aus »Mach, dass du wieder herkommst« ein »Na schön, aber das machst du auf eigene Kosten, Adams«. Gegen Ende des Gesprächs waren wir bei »Heb die Quittungen auf! Aber wenn ich eine Rechnung vom Hilton kriege, bist du ein Jahr lang zum Fahnenlesen abgestellt.«

Der nächste Anruf fiel mir zehnmal schwerer. Ich hasse es, meine Mutter zu belügen, obwohl ich es nicht gerade zum ersten Mal tat. Wir hatten uns stets nahegestanden, wir redeten immer noch jeden Tag zwanzig Minuten miteinander und sahen uns ein-, zweimal pro Woche, aber es gab Tage, an denen ich mir vorkam wie eine Schwindlerin, die den Platz des jüngsten Kindes meiner Mutter eingenommen hatte. Es gab einfach zu viel, das ich nicht mit ihr teilen konnte.

Sie wusste nicht, dass sie eine Halbdämonin zur Tochter hatte. Sie wusste nicht, dass derlei existierte. Ich war mir nicht sicher, ob ihr auch nur klar war, dass ihr Ex-Ehemann nicht mein biologischer Vater war. Meine Eltern hatten sich um die Zeit meiner Zeugung getrennt, und alle Welt, mein Dad eingeschlossen, glaubte, ich sei sein Kind. Hatte meine Mutter eine Trennungsschmerzaffäre gehabt und sie geheim gehalten? Oder hatte sie sich nach der Affäre kurzzeitig wieder mit meinem Dad zusammengetan und glaubte, er habe mich gezeugt? Oder hatte Luzifer die Gestalt meines Dad angenommen und war zurückgekommen, um »eine letzte gemeinsame Nacht« mit ihr zu verbringen? Ich wusste nur, dass ich als das jüngste Kind der Adams aufgewachsen und nie anders behandelt worden war als meine beiden Brüder und meine Schwester.

Aber ich war anders gewesen. Als Kind war ich durch die Museen gegangen und wie gebannt vor den Waffensammlungen stehen geblieben, bei denen ich prachtvolle Visionen von Tod und Zerstörung hatte. Ich hatte auf der Straße zu Verkehrsunfällen hinübergestarrt, hatte den Gurt geöffnet, um mich nach ihnen umsehen zu können, und meine Eltern mit Fragen bombardiert. Sie hatten es auf eine lebhafte Phantasie und eine Vorliebe für das Makabre geschoben, und weil ich selbst niemals etwas Gewalttätiges tat, hatten sie es einfach als eine harmlose Marotte betrachtet.

Als ich chaotische Gedanken zu hören begann, war ich ein Teenager und mittlerweile auch klug genug, um zu wissen, dass dies nichts war, das ich meinen Eltern erzählen sollte. Aber es war nicht einfach gewesen. Nach einem Nervenzusammenbruch im letzten Schuljahr hatte ich Monate in einer Privatklinik verbracht.

Als ich mich schließlich auf die Suche nach Antworten machte, hatte ich den richtigen Leuten genug Fragen gestellt, um es einer Gruppe von Halbdämonen möglich zu machen, mich zu finden. Ich hatte erfahren, was ich war, und auf diese Weise etwas Frieden gefunden. In den Augen meiner Familie war ich einfach aus meinen Problemen herausgewachsen. Es gab Freunde und entferntere Verwandte, die anderer Meinung waren – ich war eine Boulevardjournalistin in einer Familie von Ärzten und Anwälten, und nach einem kurzen Abstecher nach Los Angeles im letzten Jahr war ich in die kleine Universitätsstadt in der Nähe von Philadelphia zurückgekehrt, in der ich aufgewachsen war, und lebte dort in einer Wohnung, die meiner Mutter gehörte. Nach den Maßstäben der Adams nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Aber in den Augen meiner Mutter war ich zufrieden und gesund, und nach der Hölle, die ich durchgemacht hatte, war ihr nur das wichtig. Und wenn sie zufrieden war, dann sah ich keine Notwendigkeit, sie mit der Wahrheit zu belasten.

Also rief ich an, erzählte ihr meine Story, entschuldigte mich, weil ich unsere Verabredung zum Mittagessen nicht einhalten konnte, und versprach, am nächsten Tag wieder anzurufen.

 

Mittlerweile in ein Wasserfall-Shirt in dunklem Orange und einen mehrstufigen wippenden Minirock gekleidet, schlenderte ich zu dem hässlichen Lieferanteneingang hinüber und klopfte an, um mich meinen neuen Gefährten vorzustellen.

Ganz so einfach war es nicht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, wie ich gleich darauf feststellte. Meine Fingerknöchel waren aufgescheuert, als die Tür sich endlich öffnete. Aber das Warten hatte sich gelohnt.

Ich habe nie zu denen gehört, die angesichts eines heißen Typs in Verzückung geraten, und schob meine Reaktion prompt auf die dünne Höhenluft dank meiner neuen Zehnzentimeterabsätze, aber als diese Tür schließlich doch noch aufging, konnte ich nur glotzen. Er war durchschnittlich groß, durchschnittlich breit, durchschnittlich gebaut … und überdurchschnittlich umwerfend, mit schwarzen Locken, die ihm auf den Kragen fielen, kupferfarbener Haut, tief liegenden, schwerlidrigen grünen Augen und einem Grinsen, das mir die Worte meiner sorgfältig einstudierten Vorstellung geradewegs aus dem Kopf saugte.

Nach einem Sekundenbruchteil des Gaffens hatte ich mich wieder in der Hand, so schnell, dass ihm die Reaktion nicht aufgefallen sein konnte. Er war seinerseits zu sehr damit beschäftigt, mich in Augenschein zu nehmen. Von dem umwerfenden Lächeln wurde mir so schwindlig wie von einem Chaosschub.

»Ich sage das wirklich nicht gern«, fing er an, »aber der Club macht erst in einer Stunde auf, und du wirst den Vordereingang nehmen müssen.«

»Ich bin hier, weil ich mit Guy reden muss.«

»Oh?« Das Lächeln wurde noch eine Spur strahlender. »In diesem Fall – komm rein!«

Er trat zurück. Aber als ich einen Schritt vorwärts tat, versperrte er mir den Weg, trat so nahe heran, dass ich seinen Atem am Scheitel spürte.

»Das hätte ich fast vergessen. Vorher brauche ich noch das Passwort.«

Ich sah zu ihm auf. »Passwort?«

Er lehnte sich in die offene Tür. »Oder den geheimen Händedruck. Eigentlich muss ich nach dem Passwort fragen, aber den Händedruck nehme ich auch.«

»Lass das Mädchen um Gottes willen endlich rein!«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Eine Frau war erschienen. Ihre engen schwarzen Jeans und Doc- Martens-Treter passten nicht recht zu der Donna-Karan-Bluse. Schwarz gefärbtes Haar, zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengefasst. Durchstochene Nasenflügel und Lippen, aber kein Schmuck darin. Schlichtes Make-up, allerdings ein massiver Lidstrich. Sie sah aus wie ein Goth, der sich erfolglos zu tarnen versucht.

Sie winkte mich in die Dunkelheit hinter der Tür hinein. »Ignorier ihn einfach! Er übt schon mal für seine nächste Karriere als Bühnenkomiker, die ihm sehr gelegen kommen wird, wenn wir ihn mit einem Arschtritt zur Tür rauswerfen.« Sie wandte sich an den jungen Mann. »Geh Sonny holen und treibt Rodriguez auf! Guy will mit ihm reden.«

Sein Blick hatte mich nicht losgelassen. »Dürfen wir uns erst vorstellen?«

»Später. Wenn du Glück hast. Geh schon!« Sie führte mich durch einen Vorhang in einen beleuchteten Lagerraum. »Apropos vorstellen, du bist …?«

Ich war davon ausgegangen, dass sie das wissen musste, nahm aber an, dass sie meine Identität überprüfte. »Faith. Faith Edmonds.«

»Die Expisco? Na Gott sei Dank. Guy hat fast einen Anfall gekriegt, als er gehört hat, dass wir Aussichten auf eine Expisco hatten und stattdessen auch eine Hexe hätten kriegen können. Aber Regeln sind Regeln, und das Mädchen ist die Nichte von einem Kontaktmann, wir mussten ihr die Chance also geben.« Sie streckte die Hand aus. »Bianca, Guys Stellvertreterin.«

Dann öffnete sie eine Tür, und wir betraten den Club.

Ich weiß schon, Horrorfilme spielen immer in verfallenden Villen mit knarrenden Treppen und Geheimgängen, aber in der Hierarchie unheimlicher Orte würde ich als Erstes einen noch geschlossenen Tanzclub nominieren.

Wenn die Musik spielt, haben Clubs eine unbestreitbare Vitalität – die Hitze der zusammengedrängten Menschen, der hämmernde Rhythmus, unterbrochen von einem gelegentlichen betrunkenen Kreischen, die manchmal Übelkeit erregende Geruchsmischung aus Parfüm und süßen Getränken und hastig aufgewischtem Erbrochenem. Wenn man nicht in der richtigen Stimmung ist, kann einem das Ganze vorkommen wie der neunte Kreis der Hölle, aber die Lebendigkeit ist unverkennbar. Jetzt durch diesen Club zu gehen war, als schliche man über einen Friedhof.

Meine Schritte und meine Stimme hallten nicht in dem höhlenartigen Raum – die erstklassige Akustik verschluckte sie. Die Notbeleuchtung lieferte das einzige Licht, und dieses Licht war so trüb, dass es nicht einmal Schatten warf. Die aufgedrehte Klimaanlage sorgte dafür, dass mir eine Gänsehaut über Arme und Beine kroch. Der Geruch nach Reinigungsmitteln reichte kaum aus, um den des Schimmels von den in den Teppich der oberen Ebene verschütteten Getränken zu überdecken. Das einzige Geräusch war das langsame Wumm-wumm-wumm von Musik aus irgendeinem Nebenraum; sie pochte wie ein sterbendes Herz.

Bianca sagte irgendetwas, während sie mir voranging.

»Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden.«

»Ich habe gesagt, die Mitglieder der Crew arbeiten offiziell nicht im Club selbst, aber es kann vorkommen, dass du zum Servieren oder zum Aushelfen hinter der Bar gerufen wirst, wenn jemand ausgefallen ist. Wir erwarten von jedem, dass er seinen Teil beiträgt. Ist das in Ordnung?«

Ihrem Ton – freundlich, aber bestimmt – hörte ich an, dass dieser Teil nicht zur Verhandlung stand.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich je gekellnert hätte, aber man macht alles irgendwann zum ersten Mal.«

»Gut. Rodriguez ist unser Techniker; er wird dir ein nicht lokalisierbares Handy geben. Wir erwarten, dass du es immer dabei hast. Wenn Guy dich hier sehen will, dann will er das gleich – ganz egal, ob wir gerade Mittagspause oder zwei Uhr nachts haben.«

»Verstanden.«

»Du bist jeden Tag um fünf Uhr hier. Vielleicht hat er nichts zu tun für dich, aber er will jedes Gesicht sehen. Wenn du also irgendeinem heißen Millionär begegnest, der dich zu einem dreitägigen Jachtausflug auf die Bahamas einlädt, dann ist die Antwort nein. Frag Guy gar nicht erst – es würde ihn nur reizen.«

»Verstanden.«

»Apropos heiße Millionäre, von dir wird erwartet, dass du im Club herumhängst und dafür sorgst, dass die Leute sich hier wohlfühlen. Und nein, dazu gehört nicht, mit ihnen zu schlafen. Manchmal wählen wir ein Target aus, und dann bitten wir dich, uns ein paar Informationen zu beschaffen. Ansonsten bist du einfach hier, tanzt, amüsierst dich und zeigst den Leuten, dass dieser Laden der Ort ist, wo man unbedingt sein muss.«

»Verstanden.«

Sie winkte mich zu einem Tisch unter der Notbeleuchtung. »Noch ein paar abschließende Dinge, bevor wir zu Guy gehen, und die sind es, bei denen du wirklich zuhören musst, also setzen wir uns doch.«

Sie schwenkte den Arm über den Raum hin. »Wahrscheinlich denkst du jetzt, dass das trotz aller Regeln und Vorschriften ein ziemlich unproblematischer Job ist. Aber ich warne dich gleich jetzt, Faith – wenn du in der Clubszene zu Hause bist, dann ist das hier, wie wenn du ohne Geld im Süßwarenladen stehst. Ich habe schon gesagt, wir erwarten nicht, dass du mit den Gästen schläfst. Korrektur: Du darfst nicht mit ihnen schlafen. Kein Sex mit ihnen, keine Verabredungen mit ihnen, kein Austausch von Telefonnummern mit ihnen. Du bleibst bei einem alkoholischen Getränk pro Abend, einfach damit dein Atem entsprechend riecht. Danach wirst du natürlich immer noch Getränke bestellen, aber bekommen wirst du alkoholfreie Cocktails und Limo. Solange du hier im Club bist, bist du ein Vorzeigegast. Wenn Guy dich auch nur dabei erwischt, dass du auf dem Klo rauchst, fliegst du raus. Wenn du Drogen nimmst, hör ab sofort auf damit! Ich meine damit nicht nur hier im Laden. Guy erwartet, dass du jederzeit einsatzbereit bist.«

»Ganz schön straff.« Nichts davon störte mich. Ich hatte nicht vorgehabt, mich zu betrinken und mit Fremden zu schlafen – aber ich hatte das Gefühl, Faith würde das etwas anders sehen.

»Das ist einfach Guys Stil. Wir müssen unter dem Radar bleiben. Du kannst dich nicht mit den Targets anfreunden. Du kannst uns nicht die Behörden auf den Hals schicken, weil sich deinetwegen jemand über die Missachtung des Rauchverbots beschwert. Du kannst dich nicht zukiffen und irgendein Unternehmen in den Sand setzen. Dieser Laden ist nach außen hin absolut sauber. Damit verhindern wir, dass die Leute zu genau hinsehen.« Sie lächelte. »Ich sage Guy immer, er hätte eigentlich Schleifer werden sollen, aber der Mann ist einfach genial bei dem, was er macht. Er wird dir den Arsch aufreißen, aber wenn du es durchhältst – die Belohnung ist es wert.«

Aus dem Glitzern ihrer Augen, wenn sie Guys Namen aussprach, schloss ich, dass sie in dieser Frage nicht ganz unparteiisch war.

»Und, bist du jetzt so weit, deinen neuen Boss kennenzulernen?«