Wir fuhren in einem clubeigenen Lieferwagen zur Adresse unseres Target. Ich wusste, es war nicht richtig, sie als »Target« zu bezeichnen; sie war eine Frau mit einem Namen, eine Frau, in deren Wohnung wir eindringen und deren Besitz wir stehlen würden, einfach weil sie an diesem Abend ausgegangen war und versucht hatte, sich an ihrem untreuen Ehemann zu rächen. Aber wie jeder andere verdeckte Ermittler würde ich mir bei diesem Auftrag die Hände schmutzig machen müssen.
Die Mentalität der Gang zu übernehmen war einfacher, als es hätte sein sollen. Ich hatte wirklich zu viel Zeit mit Karl verbracht, und obwohl ich mit ihm oft über die moralische Bankrotterklärung des Diebstahls gestritten hatte, hatte ich ihn zugleich verstehen und akzeptieren gelernt. Karl war von einem Dieb aufgezogen worden, kannte kein anderes Leben und brauchte den Adrenalinstoß, um die weniger zivilisierten Bedürfnisse eines Werwolfs zu befriedigen.
Auf der moralischen und intellektuellen Ebene wusste ich, dass das, was ich heute Nacht tun würde, falsch war. Aber auf der körperlichen und emotionalen? Ich konnte es kaum abwarten.
Unser Target lebte in einem luxuriösen Appartementhochhaus. Aus Karls Lektionen wusste ich, dass das Einbrechen hier schwieriger sein würde als bei einem Einfamilienhaus. Der einzige ungefährliche Zugang war die Balkontür. Glücklicherweise erforderte das bei einer Wohnung im zweiten Stock weder viel Geschicklichkeit noch viel Werkzeug. Es half, dass der Balkon auf einen von Bäumen beschatteten Parkplatz hinaussah. Sobald wir unsere schwarzen Hosen und Kapuzenshirts angezogen hatten, würden wir unsichtbar sein.
Jaz und Sonny einigten sich darauf, dass ich als Erste hinaufklettern und mich umsehen sollte, während sie Schmiere standen. Ich schaffte es ohne Mühe auf den Balkon zu kommen. Die Glastür war mit unseren Schlüsseln nicht zu öffnen, aber das Schloss war so primitiv, dass eine Kreditkarte dafür ausreichte. Einfacher ging’s nicht. Ich spähte durch das Glas ins Innere und sah neben der Wohnungstür das Lämpchen einer Alarmanlage blinken.
Ich holte mein Minifernglas heraus in der Hoffnung, den Typ identifizieren zu können. Als ich ihn sah, musste ich mir ein Auflachen verkneifen. Ein Billigprodukt.
Ich zählte bis drei, dann öffnete ich das Schloss, stieß die Tür auf, rannte quer durch den Raum und begann die Alarmanlage auszuschalten, während mein Herzschlag von Trab zu gestrecktem Galopp beschleunigte.
Ich hätte Sonny zu mir rufen und nach seiner Meinung fragen sollen; dann hätte ich, wenn etwas schiefging, die Schuld nicht allein zu tragen brauchen. Aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. In weniger als einer Minute würde diese Alarmanlage losgehen.
Die Anspannung und die Zweifel hätten dazu führen können, dass ich zögerte oder hektisch und ungeschickt wurde. Stattdessen steigerte die Gefahr nur das Hochgefühl. Dann die letzten Sekunden, in denen ich wusste, dass es drauf ankam, ich würde es schaffen oder nicht, und eine zweite Chance würde ich nicht bekommen, denn wenn ich es nicht schaffte, würde die Alarmanlage losgehen, und …
Das blinkende Licht ging aus.
Ich ließ mich zitternd gegen die Wand fallen. Glückseligkeit. Ich lächelte und schloss die Augen, sagte mir, ich müsste zu Atem kommen, aber in Wirklichkeit kostete ich jede Welle von Chaos bis zum süßen Ende aus.
Dann winkte ich Jaz und Sonny zu mir herauf, und wir machten uns an die Arbeit.
Mir wurde schnell klar, dass diese Typen keine Stereoanlagen klauenden Gelegenheitsdiebe waren. Sie wussten, was sich rasch und mit Gewinn umsetzen ließ und wo man es fand. Schnell und sauber – alles, was nicht in den Rucksack passte, blieb zurück.
Die meisten Dinge, die wir mitnahmen, stammten aus dem Safe. Ebenso wie die Schlösser und die Alarmanlage war er ein billiges Modell, das vor allem zu dem Zweck dort stand, Amateure abzuschrecken. Er wurde mit einem Schlüssel geöffnet, und den Schlüssel fanden wir bei unserer Handvoll Duplikate.
Ich machte ein paar Vorschläge, vor allem was das Verwischen unserer Spuren anging, damit wir einen sauberen Schauplatz hinterlassen konnten und die Wohnungseigentümerin nicht als Allererstes durchwühlte Schubladen vorfinden würde – lauter Tipps, die ich von Karl bekommen hatte.
Meine Lektionen bei Karl waren meist theoretischer Natur gewesen, und dazu kamen ungefährliche praktische Übungen, etwa ein Einbruch in die Wohnung eines Ratsmitglieds, der mit dessen Einverständnis erfolgte. Null Ausschlag auf meinem Chaosmonitor.
Der Einbruch mit Jaz und Sonny hätte unterschiedlicher nicht sein können. Sonny hatte seinen Spaß, aber Jaz war wie aufgedreht. Er posaunte jede neue Entdeckung heraus, als hätte er einen vergrabenen Schatz gefunden, kam zu uns herübergestürzt, um sich nach unseren Fortschritten zu erkundigen, pirschte durch die Wohnung, hielt durchs Fenster Ausschau nach Gefahren … und wirkte fast enttäuscht, als er keine entdecken konnte. Die Chaoswellen, die von ihm ausgingen, waren so kraftvoll und so heftig, dass ich zusammenschauderte, wann immer er in meine Nähe kam.
Ich fand auf dem obersten Regalbrett des Kleiderschranks eine staubige Schmuckschatulle – antikes Zeug, das wahrscheinlich aus einem Nachlass stammte. Sonny half mir beim Sortieren des Inhalts; den Modeschmuck ließen wir zurück. Dann platzte Jaz zu uns ins Zimmer.
»Wir kriegen Ärger, Bro«, flüsterte er Sonny zu. »Wir sind schon ziemlich dicht an Guys Zeitlimit, und unten auf dem Parkplatz streitet ein Paar. Wird schwierig werden, vom Balkon runterzukommen.«
Sonny schaltete seine Taschenlampe aus, hob die Schlafzimmerjalousie an und sah hinaus. »Scheiße.«
»Ich weiß.«
Jaz versuchte den Ton sachlich zu halten, aber seine Augen glänzten. Ich spürte, wie das Adrenalin in seinen Adern hämmerte, und drehte das Gesicht in den Schatten, damit er meine Reaktionen nicht sah. Als ich wieder zu den beiden hinübersah, hatte Jaz seinerseits den Blick abgewandt und die Hände in die Taschen geschoben – er versuchte den kühlen Profi zu spielen. Für mich, wie ich annahm.
»Sollen wir noch warten oder vorn rausgehen?«, fragte ich.
»Vorn kommt man leichter raus als rein«, sagte Sonny.
Während wir sprachen, wippte Jaz auf den Fußballen, sagte aber nichts – als wüsste er, dass man sich bei ihm im Augenblick nicht darauf verlassen konnte, dass er den ungefährlicheren Vorschlag machen würde.
»Die streiten immer noch«, sagte Sonny nach einem letzten Blick zum Fenster hinaus. »Habt ihr alles?«
Wir nickten.
»Dann gehen wir.«
Ich ging als Erste. Ich rannte den Hausflur entlang, die Kapuze in die Stirn gezogen, den Kopf gesenkt. Ein Blick ins Treppenhaus zeigte mir nur eine einzige Kamera, weit unten und leicht zu passieren.
Als Sonny die Tür zum Treppenhaus schloss, warnte ich die beiden flüsternd vor der Kamera. Sonny ging zum Geländer. Jaz packte ihn am Arm und zeigte nach oben.
»Scheiße, kommt gar nicht in Frage«, sagte Sonny. »Wir haben einen Zeitplan, und …«
Jaz griff nach meinem Ellbogen. »Komm schon! Ich will dir was zeigen.« Er beugte sich vor, sein Blick fing meinen auf, und das ansteckende Grinsen ließ mein Herz einen Schlag aussetzen. »Du wirst’s nicht bereuen, das kann ich dir versprechen.«
»Dann geht schon!«, knurrte Sonny hinter uns. »Aber machen wir’s kurz.«