Guy wollte über den bevorstehenden Einbruch reden. Er und Bianca würden das eigentliche Suchen übernehmen, aber solange ich dabei war, konnte ich helfen, und das bedeutete, dass ich wissen musste, was sie finden wollten. Somit glaubte ich, ich würde zumindest die Adresse des Mannes erfahren, vielleicht auch seinen Namen.
Nichts dergleichen. Guy ließ mich wissen, nach was ich Ausschau halten sollte, und das war alles. Selbst mit meinen Reportertricks bekam ich nichts weiter aus ihm heraus. Er vertraute seiner Gang, aber er strapazierte dieses Vertrauen nicht mehr als unbedingt nötig. Er machte die Pläne, und wir anderen erledigten unseren Teil davon. Für die meisten, wie auch für Jaz, war es das perfekte Arrangement: geringstmögliche Verantwortung, größtmöglicher Lohn. Aber wenn man als Spionin da war und die Gang, bei der man eingeschleust worden war, gerade einen Einbruch bei einem Angestellten jenes Mannes plante, der einen angeheuert hatte, und möglicherweise auch die Folter dieses Angestellten – in diesem Fall war das Arrangement nicht sonderlich hilfreich.
Ich hatte die Pflicht, Benicio Bescheid zu sagen. Aber während der Taxifahrt zu meiner Wohnung blieb mir Zeit, die Sache zu überdenken, und ich begann mich zu fragen, ob es wirklich die beste Vorgehensweise war, Benicio zu informieren.
Wenn er nicht für den Überfall auf Jaz und Sonny verantwortlich war, und das glaubte ich, dann hatte er wahrscheinlich keine Ahnung, wer dieser Angestellte war. Was, wenn er überreagierte? Wollte ich Jaz, Guy, Sonny und die anderen kassiert und möglicherweise gefoltert sehen, alles wegen eines abtrünnigen Kabalenagenten?
Und was, wenn ich mich im Hinblick auf Benicios Beteiligung an der Sache irrte? Würde er in diesem Fall der Gang nicht eine Falle stellen, und es würde mit dem gleichen Ergebnis enden wie Szenario Nummer eins: dass alle im Gewahrsam der Kabale endeten? Die Kabalen waren dafür bekannt, dass sie diejenigen folterten, die ihnen Informationen vorenthielten. Vielleicht würde es auch gar nicht so weit kommen – ein »Unfall« bei dem Versuch, sie zu schnappen, würde auf bequeme Weise ein unbequemes Problem aus dem Weg schaffen.
Wenn ich die Reaktion der Kabale fürchtete, dann sollte ich Lucas anrufen. Aber wenn ich das tat, ohne einen Beweis dafür zu haben, dass sein Vater im Begriff war, etwas Falsches zu tun – würde ich dann nur unnötig Alarm schlagen? Die Sache schlimmer machen?
Was ich wirklich brauchte, war ein Zuhörer, jemand, der mir half, die Möglichkeiten zu sortieren. Jemand, auf dessen Urteil ich mich verlassen konnte, der keiner Seite verpflichtet war. So ungern ich es auch zugab, ich wollte mit Karl reden. Aber bei dem Gedanken, ihn um Hilfe zu bitten, bekam ich eine Gänsehaut.
Wenn er in meiner Wohnung war, würde ich ihm erzählen, was gerade vorging. Wenn er sich dann dafür entschied, mir seinen Rat anzubieten – und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Karl nicht seine Meinung äußern wollte –, würde ich zuhören.
Aber er war nicht in der Wohnung.
Ich ging unter die Dusche in der Hoffnung, ein Schwall kaltes Wasser würde mir helfen, den Kopf klar zu bekommen.
Ich kam in ein Handtuch gewickelt aus dem Bad und wäre beinahe in Karl hineingerannt. Natürlich wusste ich im ersten Moment nicht, dass es Karl war. Ich hatte den Blick gesenkt, war mit den Gedanken anderswo, kam aus dem Bad und traf einen Mann an. Ich quiekte und stolperte nach hinten, das Herz in der Kehle.
»Himmeldonnerwetter, Karl …«
»Ich muss mit dir reden.«
»Prima. Versuch’s mal mit der Klingel unten im Foyer. Oder noch besser mit dem Telefon, damit ich weiß, dass du vorbeikommen willst.«
»Ich hab geklingelt. Du bist nicht drangegangen.«
»Und das gibt dir das Recht, hier einzubrechen?«
»Ich muss mit dir reden. Zieh dir was an!«
Ich dachte an Jaz am Mittag dieses Tages, wie er mich gebeten hatte, mich auszuziehen, wie er mich beobachtete, als ich es tat. Ich sah den Ausdruck auf seinem Gesicht, der mir mitteilte, dass ich schön war, noch bevor er es ausgesprochen hatte.
Und hier stand Karl. »Zieh dir was an!« Als wäre ich im Handtuch aus dem Bad stolziert, nur um ihn zu ärgern.
Ich marschierte in mein Schlafzimmer und schlug die Tür zu.
Zehn Minuten später rüttelte er an der Klinke. Die Tür hatte kein Schloss, aber er versuchte gar nicht, sie zu öffnen, er ließ einfach die Klinke rappeln, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Himmel verhüte, dass er einfach klopfte wie ein normaler Mensch.
»Ich bin noch nicht angezogen.«
Ein leises Knurren. »Du schindest Zeit, Hope.«
»Nein, ich ziehe mich an.«
Oder würde es jedenfalls tun, sobald ich entschieden hatte, was ich anziehen sollte. Es war keine allzu wichtige Entscheidung – ich konnte mich ja wieder umziehen, bevor ich Jaz das nächste Mal traf –, aber ich starrte mit eingefrorenem Hirn auf die Sachen, außerstande, sie einzuschätzen, ganz zu schweigen davon, dass ich mich für etwas hätte entscheiden können. Ich war zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie ich mich Karl gegenüber verhalten sollte. Oder noch besser, wie ich vermeiden konnte, mich ihm gegenüber irgendwie verhalten zu müssen.
Die Tür krachte in ihrem Rahmen und vibrierte zurück, als habe Karl ihr probeweise einen Stoß versetzt. Ich konnte geradezu spüren, wie er auf der anderen Seite lauerte und darauf wartete, dass sie sich öffnete, damit er auf mich losgehen konnte.
»Ich weiß nicht, warum du hier bist, Karl, aber …«
»Ich bin hier wegen deines Vorhabens heute Abend.«
Ich erstarrte, ein seidenes Tanktop in der Hand. »Woher weißt …«
»Die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Nachtclub lassen einiges zu wünschen übrig.«
»Oh.«
»Du hattest nicht vor, mich anzurufen, stimmt’s?«
»Hätte ich sollen?«
Stille, dann ein Rascheln, als hätte er die Tür gestreift. Ging er weg? Nein, ich spürte ihn immer noch auf der anderen Seite, die Wellen von Ärger gedämpft, aber klar.
»Du hast nicht vor, mich um Hilfe zu bitten.«
»Ich brauche keine …«
»Natürlich brauchst du keine.«
Ich griff nach einem einfarbigen T-Shirt und zerrte es mir über den Kopf. »Ich komme allein …«
»Natürlich kommst du allein zurecht. Die Tatsache, dass du einen möglicherweise schwierigen und gefährlichen Einbruch planst und einen professionellen Dieb bei der Hand hast, der dich dabei beraten könnte, ist irrelevant, stimmt’s? Weil du ja allein zurechtkommst und mich ganz sicher nicht um Hilfe zu bitten brauchst.«
Und jetzt ging mir auf, dass er mir seine Hilfe bei dem Einbruch anbot und nicht anzudeuten versuchte, ich könne die Entscheidung, ob ich Benicio Bescheid sagen sollte, nicht allein treffen. Was ich in diesem Fall wirklich nicht konnte … Aber das brauchte er nicht zu wissen.
»Ich bin mir sicher, die Gang kann diesen Einbruch …«, begann ich.
»In L.A. hast du Jeremy veranlasst, mich dazuzuholen, um bei einem Einbruch zu helfen.«
»Weil er das tun sollte. Er ist dein Alpha.«
»Du selbst wolltest mir aber nicht Bescheid sagen, richtig?«
Ich entschied mich gegen die Röcke und zog Jeans an, dann öffnete ich die Tür. Er stand unmittelbar vor mir, so nah, dass ich überrascht war, ihn nicht ins Zimmer fallen zu sehen.
»Ich hab dich in der Sache angerufen«, sagte ich.
»Um einen Rat einzuholen, nicht meine Hilfe. Ich habe Hilfe angeboten, und du hast sie ausgeschlagen, was mir die Verantwortung zugeschoben hat, nach L.A. zu kommen und über dich zu wachen.«
»Du hast gesagt, du wärst gekommen, um über Jeremy zu wachen.«
Er antwortete nicht.
»Nur damit wir uns hier richtig verstehen«, sagte ich. »Du willst mir nicht helfen. Du willst mir den Rücken nicht freihalten. Aber jetzt beschwerst du dich, weil ich dich nie drum bitte, es zu tun?«
»Es ist nicht, dass ich nicht helfen will. Es ist nur, dass ich nicht wollen will.«
Ich schob mich an ihm vorbei. »Für einen Mann, dessen beste Waffe die Worte sind, hast du entweder einen wirklich üblen Tag, oder du drückst dich mit Absicht unverständlich aus.«
Ich setzte mich aufs Sofa und sah mich nach ihm um. Er stand immer noch neben der Schlafzimmertür.
»Als ich in Europa war, hast du dich nicht gemeldet, richtig? Und nicht angerufen, nachdem ich wieder zu Hause war. Wenn ich nicht den ersten Schritt getan hätte, hättest du es einfach … sein lassen.«
»Du hast es zu Ende gebracht, Karl. Hätte ich dir nachrennen sollen? Wenn ein Mann mich abserviert, dann versuche ich ihn nicht umzustimmen. Dafür habe ich zu viel Selbstachtung.«
»Ich habe dich nicht abserviert …«
»Du hast zu mir gesagt, ich soll mit anderen Typen ausgehen.«
»Ich habe …« Er schüttelte den Kopf und kam weiter ins Zimmer hinein. »Unter welchen Umständen ich auch gehe – guten, schlechten –, es ist immer meine Pflicht, den Kontakt wiederherzustellen.«
»Ich lasse dir Freiraum, und du beschwerst dich? Der Mann, der von Anfang an klargestellt hat, dass diese Beziehung – wenn wir sie so nennen können, und im Grunde wäre es dir lieber, wir täten es nicht …«
»Das ist …«
»Unfair? Vielleicht, und in diesem Fall entschuldige ich mich. Aber der springende Punkt ist, dass du klargestellt hast: Du hast das Sagen, und jeder Kontakt würde nach deinen Bedingungen ablaufen. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis du mir auch nur deine Telefonnummer gegeben hast.«
»Niemand außerhalb des Rudels hat meine Nummer, Hope, und dort haben sie sie nur, weil Jeremy drauf bestanden hat. Du bist der einzige Mensch, dem ich sie jemals freiwillig gegeben habe.«
Ich wusste nicht, was ich darauf hätte sagen sollen, und der Streit kühlte zu einem verlegenen Schweigen ab; ich auf dem Sofa, den Blick gesenkt, Karl vor mir stehend und verlegener, als ich ihn jemals gesehen hatte.
»Ich könnte wirklich deine Hilfe brauchen, Karl«, sagte ich ruhig. »Nicht bei dem Einbruch – ich weiß absolut nichts drüber, also werde ich der Gang da einfach vertrauen müssen. Aber es gibt da etwas …« Ich sah zu ihm auf. »Da brauche ich wirklich einen Rat. Deinen Rat.«