Kapitel 7

»Och Leon, jetzt krieg dich aber mal wieder ein!«, schimpfte ich am Telefon. Mischa war bei Leon und gemeinsam hatten sie sich ein Herz gefasst und mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie das mit Ilian nicht gut fanden. Aber in der Schule hatten sie mir noch schweigend ins Gesicht gelächelt, während ich viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, meine linke Handfläche anzustarren, als mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu kam noch erschwerend, dass Conny mich ungefähr hundert Mal dazu gezwungen hatte, ihr die Geschichte DER Spanischstunde zu erzählen.

»Mensch Lissy, bist du blind?«, hämmerte Leon weiter auf mich und meine Kopfschmerzen ein. »Seine Clique hat dich vermöbelt und du hast nichts Besseres zu tun, als dir einen von ihnen ins Bett zu holen?« Okay, jetzt ging er zu weit. So musste ich nicht mit mir sprechen lassen.

»Ach daher hoppelt der Hase«, keifte ich. »Sorry, aber nur weil du einmal mit mir schlafen durftest, heißt das nicht, dass ich jetzt für immer dir gehöre, du Egomane!« Damit legte ich auf und widerstand nur ganz knapp der Versuchung, das Telefon durch mein Zimmer zu schmeißen. »Arschloch!«, kreischte ich und wuschelte nervös durch meine Haare. Ja, ich war aufbrausend, aber das kannten meine Freunde zum Glück schon von mir und sie wussten ganz genau, dass es das Beste war, mich jetzt einfach für ein paar Stunden in Ruhe zu lassen. Ich atmete tief durch und ging an meinen Laptop. »Hass, Hass, Hass, Hass, Hass!«, nörgelte ich vor mich hin. Was hatten die zwei nur gegen Ilian? Er war zu meiner Rettung gekommen. Sie wussten ja nicht, dass die Situation bei der Stufenparty durch ihn hervorgerufen worden war und das würden sie auch nie erfahren. Ich startete meine Browser und rief Facebook auf. Eigentlich wollte ich mit Conny chatten, aber ich sah zuerst in meine Nachrichten, denn eine kleine Eins verriet mir, dass ich eine neue hatte. Ilian Balaur lachte mich vom Profilbild an. Mein Herz machte einen Satz.

Sag mal Elisabeth, so als dein Freund … darf ich da deine Handynummer haben?

Mit einem Lächeln auf den Lippen antwortete ich.

Du? Niemals!

Na ja gut, ich schrieb sie ihm dann doch noch drunter. Es dauerte keine fünf Minuten, ich hatte nicht mal Zeit Conny ausführlich zu schreiben, was Leon und Mischa am Telefon gesagt hatten, da vibrierte mein Handy. Eine SMS von Unbekannt.

Bitte speicher diese Nummer unter Sexgott ab!

Was soll ich sagen? Ich nahm ihn beim Wort! Vorname Sexgott, Nachname Ilian. So erschien bei meinen SMS immer in der Zeile »Sexgott Ilian schrieb«. Passte doch, oder? Ich sah wieder auf den Bildschirm meines Laptops, wo mich eine weitere Nachricht von Ilian erwartete.

Was machst du gerade?

Mich bei Conny über Leon und Mischa auslassen.

Was ist los? Habt ihr Streit?

Ja, aber nichts Schlimmes. Mach dir keinen Kopf!

Es ist wegen mir, richtig?

Woher weißt du das?

Sie haben in der Kantine am Tisch keinen Hehl draus gemacht.

Anscheinend war es jedem aufgefallen, außer mir, denn auch Conny hatte es schon geahnt gehabt.

Die kriegen sich schon wieder ein. Du bist halt der Feind ;-)

Lissy? Darf ich dich was fragen?

Oh oh …

Ja?

Hättest du Lust am Wochenende bei mir zu übernachten?

In meinem Bauch begann es hysterisch zu kribbeln, mein Herz pochte mir zum Hals heraus und meine Finger wurden ganz zittrig, als ich die Antwort tippte.

Ja, gerne! Gibt es einen bestimmten Grund?

Ja … dich!

Ich lächelte. Okay, konnte er haben. Schnell schrieb ich Conny eine Nachricht, dass wir Unterwäsche kaufen fahren mussten. Als ich ihr den Grund nannte, flippte sie fast aus. In mir jubelte alles. Eine Nacht mit Ilian! Mir ging es da nicht mal um die Aussicht eventuell Sex mit ihm zu haben. Nein, mir reichte schon der Gedanke, in seinen Armen zu liegen, ihn zu riechen, seinem Atem und seiner Stimme zu lauschen, seine Wärme zu spüren. Ich bekam Gänsehaut. Nur gut, dass mein Vater, was so was anging, echt locker drauf war. Wann war endlich Wochenende?

***

Am nächsten Tag wartete ich sehnsüchtig darauf, dass die Drachen endlich die Kantine betraten. Ich hatte Ilian absichtlich nicht gefragt, was mit Audrina gewesen war, da er auf das Thema immer so befindlich reagiert hatte, aber ich erhoffte mir, etwas aus Audrinas Mimik lesen zu können. Und ich wollte wissen, ob Ilian sich wieder zu uns an den Tisch traute, obwohl er wusste, dass Leon und Mischa mit ihm auf Kriegsfuß standen.

»Setzt er sich wieder zu uns?«, fragte Leon, als er meinen suchenden Blick bemerkte.

»Keine Ahnung, kann ich hellsehen?«, knurrte ich zurück.

»Mensch Lissy, versteh uns doch«, flehte Mischa. »Wir wollen doch nur das Beste für dich.«

»Lissy ist schon ewig in Ilian verknallt!«, kam mir Conny zur Hilfe. »Jetzt gönnt es ihr doch.«

»Ja, aber warum ausgerechnet einer von denen?«, jammerte Leon.

»Okay«, lenkte ich ein, »ihr versprecht, dass ihr Ilian eine Chance gebt, und ich schwöre, dass ich mich vorsehen werde.«

Mischa und Leon tauschten kurz Blicke aus und nickten schließlich zufrieden, wenn auch nicht glücklich.

»Aber wirklich, Lissy«, schob Leon noch nach, »wenn er auch nur irgendwie merkwürdig wirkt, lass ihn fallen!«

Das würde schwer werden – als Drache war beinahe alles seltsam, was Ilian so den ganzen Tag trieb. Ich musste also lügen und nicken. Zum Glück betrat endlich besagter Drache den Saal und meine Stimmung hellte sich sofort auf. Er hätte total heiß ausgesehen, in seinen Jeans und dem hellblauen, engen T-Shirt, wenn nicht Arva an seiner Seite geklebt hätte. Verträumt ruhte ihr Kopf an seiner Schulter, während er Musik zu hören schien. Er zog die Kopfhörer aus und legte sie um seinen Nacken, als er den Raum nach mir absuchte. Auch Arva löste sich von ihm und ging mit Milda zur Essensausgabe. Ich hob meine Hand und winkte, als er in meine Richtung sah. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und machte meine Beine zu Pudding. Zum Glück saß ich.

»Der Hintern ist nicht zu verachten«, sagte Conny, als sich Ilian zur Essenausgabe drehte.

»Hey«, protestierte ich. »Du redest da von meinem Freund!« Gott, war das geil, das zu sagen! »Das ist mein Arsch!« Und oh ja … hmmh … lecker!

»Sabberst du?«, wollte Conny wissen und riss mich damit aus nicht jugendfreien Gedanken.

»Ich will auf jeden Fall mal mit ihm duschen!«, plapperte ich verträumt und für alle total zusammenhangslos. Dann würde ich seinen Hintern einseifen … hmmmm.

»Aha«, sagte Leon und rollte mit den Augen. Ilian kam zu uns herüber und das Kribbeln, welches er immer in mir verursachte, setzte sofort wieder ein. Er fragte nicht, sondern zog sich einen freien Stuhl vom Nachbartisch herüber, um sich neben mich zu setzen.

»Mahlzeit«, sagte er lachend und lehnte sich vor, um mir einen sanften Kuss auf den Mund zu drücken. Mehr, mehr, mehr, mehr, kreischte alles in mir, als er sich zurückzog und seinen Teller begutachtete.

»Ich habe dir meine beiden Frikadellen aufgehoben«, plapperte ich vor mich hin, als sei ich gehirnamputiert. Herrje, wollte ich ihm auf den Schoß sabbern wie eine undichte Irre? Ilian lachte über meinen verplanten Gesichtsausdruck, jedenfalls nahm ich das an.

»Danke, Häschen.« Hatte er mich gerade ernsthaft Häschen genannt? Oh mein Gott, wieso gefiel mir das? Wo starrte er denn da hin? Ich sah an mir herunter und entdeckte meine silbrige Playboy-Hasen-Kette. Ah, daher wehte der Wind. Ich nahm den Anhänger und ließ ihn mit einem lasziven Zwinkern in seine Richtung durch meine Finger gleiten. Dann fiel mir wieder etwas ein und ich suchte im Raum nach Audrina. Sie saß mit den anderen an einem Tisch, den Rücken zu mir gewandt. Ihre Körperhaltung verriet, dass sie entspannt war. Hmmh – okay, dann konnte die Situation ja nicht allzu schlimm sein, oder?

»Hast du in Bio den Versuchsbericht komplett mitgeschrieben?«, wollte Conny von Ilian wissen und verwickelte ihn in ein Gespräch, was mir die Gelegenheit gab, Leon mittels meiner Augen zu besänftigen. Es schien zu wirken, dennoch ging er, gleich als er fertig mit Essen war, mit Mischa in den Park. Vielleicht hätten sie das so oder so gemacht, damit Mischa ihr mitgebrachtes Essen auspacken konnte. In der Kantine sah man das nicht gerne. Ich seufzte. Mit den beiden würde es nicht leicht werden. Es waren einfach viel zu viele Jahre der Fehde zwischen uns und ich liebte sie dafür, dass sie nicht bereit waren Mendels Schlag zu verzeihen, denn im Grunde hieß das doch nur, dass ich ihnen sehr viel bedeutete. Allerdings wurde diese Liebe in der Woche arg auf die Probe gestellt, weil sie sich konsequent weigerten, mehr als einsilbige Worte mit Ilian zu wechseln. Ich machte wirklich drei Kreuze, als das Wochenende vor der Tür stand. Die Woche an sich war hektisch gewesen, wegen Tests und Klausuren. Ilian sah ich in der Regel nur in Spanisch und in der Kantine. Jeden Tag setzte er sich nicht zu uns, aber er kam immer kurz vorbei, um mir einen Kuss zu geben. Audrina beobachtete das oft mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Ich hoffte inständig, dass mir Ilian das mal erklären würde. Vielleicht bekam er ja am Wochenende Gelegenheit dazu? Bei Facebook wollte ich ihn nie darauf ansprechen. Dort war er abends auch oft kurz angebunden gewesen, weil er sich um seine Geschwister kümmern musste. Manchmal tat er mir echt leid, aber das war wohl der Preis dafür, wenn man so viele Geschwister hatte.

***

Mit gepackter Tasche setzte mich Carmen am Freitag im Innenhof der Balaurs ab. Irgendwie hatte ich erwartet, dass Ilian auf mich warten würde, aber es war seine Schwester Mayla, die draußen mit den Kleinen spielte und auf mich zugelaufen kam. Ein kurzer Blick auf meine quietschgelbe Ice Watch verriet mir, dass ich pünktlich war. Achtzehn Uhr und keine Minute später. Ich winkte Carmen zum Abschied und lächelte Mayla an.

»Hey Lissy«, begrüßte sie mich und sah auf meine Arme. Ich hatte das Tattoo unter einem langärmeligen, weißen Top versteckt.

»Tut mir leid, dass ich im Schuhladen so komisch war«, begann sie und warf kurz einen Blick über die Schulter, wo Nino gerade versuchte, mit einem Spielzeugtraktor einer, wie ich vermutete, Freundin von ihr über die Schuhe zu fahren. Pippa und ein mir unbekanntes Mädchen mit brünetten Zöpfen schaukelten und johlten vergnügt, während Milan sie abwechselnd anstieß.

»Halb so wild, Mayla«, sagte ich und atmete tief durch. Ich war total aufgeregt und das Seufzen beruhigte mich ein wenig. »Ist Ilian drinnen?«

Sie nickte und ich konnte nicht anders, als mir vorzustellen, wie sie wohl als Drache aussehen würde?

»Ich rufe ihn für dich.«

Ich ging mit ihr hinein und atmete den Geruch nach Büchern und Abendessen ein.

»ILIAN!«, schrie Mayla aus voller Seele. »LISSY IST DA!«

Na danke, das hätte ich auch gekonnt.

»GENAU«, passte ich mich der Hausordnung an, »ALSO SCHWING DEINEN GEILEN ARSCH SOFORT HER!«

Mayla sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als Ilian mit dem weltweit süßesten Lächeln der Welt um die Ecke kam. Zu meinem Erstaunen trug er eine Brille.

Mayla rollte lächelnd mit den Augen. »Ich bin draußen mit den Zwergen«, nuschelte sie und schloss die Haustür hinter sich.

Ich sah Ilian an und lachte. »Du hättest dich für mich echt nicht so in Schale werfen müssen«, gluckste ich über seine ausgewaschene, graue Jogginghose, das viel zu große, weiße T-Shirt und natürlich der ungewohnten Brille im Gesicht.

»Sorry, aber zu Hause trage ich selten Jeans, erst recht nicht nach dem Duschen.« Abwartend zog er die Augenbrauen hoch.

»Sexy, und seit wann trägst du eine Brille?« Nicht, dass sie ihm nicht stand. Ganz im Gegenteil und schöne Menschen entstellt ja bekanntlich nichts. Das schien auch für schöne Drachen zu gelten.

»Ich bin ein klein wenig weitsichtig und benutze sie manchmal zum Lesen oder am Computer.« Er kam auf mich zu und nahm mir meine Tasche ab. Mit einem Lächeln auf den Lippen beugte er sich zu mir herunter und gab mir einen sanften Kuss, der dank seines Dufts auch für meine Nase ein sinnliches Erlebnis war. Er roch sauber nach Seife und Creme. Nach Nivea, wenn ich mich nicht irrte.

»Hallo, meine Schöne«, hauchte er schließlich in meinen Nacken und vergrub kurz sein Gesicht in meinen Haaren, bevor er sich wieder aufrichtete und grinste. Meine Schöne? Das ging runter wie Öl, kann ich euch sagen.

»Hallo, mein Schöner«, gab ich schließlich zurück und befahl dem Pudding in meinen Knien, sich auf der Stelle zu verfestigen.

»Hast du Hunger?«

»Was gibt es denn? Fleisch und als Beilage: Fleisch?«, scherzte ich und sah ihn fragend an. Er lachte und nahm mich an seine freie Hand. Die Wärme seiner Haut und der saubere Duft, der ihn umgab, ließen mir einen wohlig warmen Schauer über den Rücken laufen. Gott, ich hätte ihn fressen können. Er führte mich in die Küche und stellte meine Tasche auf dem Boden neben der Tür ab.

»Die Kleinen essen noch normal«, begann er und führte mich zur Kochstelle, wo es in mehreren Töpfen brodelte. Ein benutztes Schneidebrett und eine Schüssel Salat standen auf der Arbeitsplatte.

»Du kannst kochen?«, fragte ich erstaunt. Er zuckte mit den Schultern und öffnete einen der Töpfe. Soweit ich sehen konnte, waren die Griffe der Töpfe nicht geschützt und er hatte keinen Topflappen benutzt.

»Sind die nicht heiß?«

Er sah mich amüsiert an. »Drache! Schon vergessen, meine Schöne?« Meine Schöne – ich glaube das Kribbeln in meinem Bauch kam davon, dass dort lauter kleine, rote Seifenblasen in Herzform platzten. Er steckte den Finger in die kochende Soße und lutschte dann daran. Einen skeptischen Blick später nickte er und wiederholte die Prozedur, ohne sich zu verbrennen oder auch nur mit der Wimper zu zucken. Dieses Mal hielt er jedoch mir den Finger hin. Wenn in jedem von uns wirklich ein Engelchen und ein Teufelchen wohnte, dann machte mein Teufelchen gerade so richtig Party! Diese Gelegenheit konnten Teufel-Lissy und ich uns nicht entgehen lassen. Ich griff nach seiner Hand und nahm seinen Finger in den Mund. Liebevoll saugte ich daran und vergaß nicht seine raue Fingerkuppe mit meiner Zunge zu streicheln. Ilians Augen weiteten sich und seine Haut begann zu glühen. Ich gab ihn frei und lächelte.

»Schmeckt sehr, sehr lecker«, gurrte ich und ging näher an ihn heran. Hustend drehte Ilian sich weg und ich sah etwas Rauch aufsteigen. Als er sich wieder zu mir drehte, konnte ich gerade noch erkennen, dass seine Augen geflimmert hatten.

»Rauchmelder wären bei euch vollkommen fehl am Platz, oder?«

Ilian versuchte locker zu seufzen, doch ich konnte das Verlangen in seinen Augen lichterloh brennen sehen. Teufel-Lissy begann bereits ihre Sachen auszuziehen und auf Engel-Lissy johlend durch meine Hirnwindungen zu reiten.

»Sie wären eher ungünstig, das stimmt.«

»Wie ist das mit dem Feuer, wenn du ein Mensch bist?«

»Ich bin niemals ein Mensch, Lissy«, sagte er und zwinkerte mir zu. Einen Moment lang rührte er gedankenverloren in den Töpfen. »Bisher habe ich es mich noch nicht getraut«, gab er dann zu. »Ich will erst die Verwandlungen in den Griff bekommen und dann kann ich damit anfangen meine Kehle an Feuer zu gewöhnen.«

»Das verstehe ich«, gluckste ich. »Aber dieser Rauch, wo kommt der her?«

Ilian deckte die Töpfe wieder ab und zog mich in seine Arme. »Es ist eine Art Drüse. Schwer zu erklären, aber extrem nervig, wenn man auf den siebzehnten Geburtstag zusteuert. Vorher sind diese Drüsen inaktiv. Meist passiert es vollkommen überraschend, bei starken Emotionen oder bei einem Niesen. Das Feuer zischt durch unseren Hals und man löscht es instinktiv durch das Zusammenziehen der Halsmuskulatur aus. Dann steht man da, mit Rauch im Hals und kann nur hoffen, dass einen keiner sieht.«

»Klingt anstrengend.« Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust. »Du riechst so gut«, summte ich vor mich hin. »Schade, dass du schon ohne mich duschen warst.« Ich spürte, wie er verkrampfte, als wollte er etwas sagen, traute sich aber nicht. »Schon gut, raus damit! Ich habe dir doch schon mal gesagt: Ich kann was ab.« Ich sah zu ihm hoch und grinste. Er ebenfalls und in seinen Schokoladenaugen lag eine dunkle Verführung, der ich mich nur zu gern hingegeben hätte.

»Mir fallen einige Dinge ein, die dafür sorgen würden, dass ich noch mal duschen muss«, traute er sich schließlich zu sagen. Liebevoll zwickte ich ihn in die Seite.

»Ilian Balaur, ich hätte echt NIE gedacht, dass du so locker drauf bist.«

In dem Moment kam seine Familie in die Küche, Hunger im Gesicht.

»Was gibt es?«, wollte Milan wissen, während Pippa sich an ihm vorbei drängte und mit großen, vor Freude strahlenden Augen vor mir stehen blieb. Ach herrje, mein Fan! Und ich war doch gar kein Kindermensch.

»Ciorbă de perişoare«, sagte Ilian und deutete auf einen großen Suppentopf. Danach zeigte er auf die anderen Töpfe und die Arbeitsplatte. »Klöße, Gulasch und Salat.«

»Was ist das Erste?«, fragte ich.

»Eine rumänische Fleischklößchensuppe.«

»Kommt ihr aus Rumänien?«, hakte ich nach. »Wegen eurem Nachnamen und der fremden Sprache?« Dank meinem Bruder wusste ich ja nun, was Balaur bedeutete.

Ilian schüttelte den Kopf. »Drachen kommen von nirgendwo her und unsere Sprache ist eine richtige Zigeunersprache, ohne feste Grammatik oder Regeln. Sie ist abgefärbt von allen Ländern, in denen sich Drachen niedergelassen hatten.« Irgendwie fand ich das unheimlich interessant und wollte mehr wissen, aber Ilian war damit beschäftigt, Mayla zu helfen, die Kleinen zurechtzuweisen und den großen Tisch zu decken. Wo war eigentlich der kleine Roran? Pippa stand immer noch vor mir und himmelte mich an, also ging ich runter zu ihr in die Hocke und begrüßte sie. Quietschend rannte sie weg und umklammerte Ilians Beine. Ooookay? Ein protestierendes Schreien drang aus … Ilians Hose. Teufel-Lissy hatte dazu eine Menge zu sagen, aber ich sagte ihr, dass sie die Klappe halten sollte.

»Ilian, in deiner Hose klingt jemand sehr verzweifelt«, raunte ich ihm schließlich ins Ohr und biss mir auf die Unterlippe. Na ja gut, Teufel-Lissy ist stärker als ich. Ilian gluckste und sah mich unter dichten Wimpern an.

»Das ist das Babyphone. Roran ist wach.« Er fasste in die Tasche seiner weiten Jogginghose und zog ein kleines Gerät heraus. Roran klang schon richtig beleidigt. Mayla winkte uns zu und verschwand, um sich um ihn zu kümmern. Schon kurze Zeit später hörte ich sie in der mir fremden Sprache über das Babyphone auf das Baby einreden. Ein Mann mit blonden Haaren kam herein, eine brünette Frau mit einem vertrauten Gesicht im Schlepptau. Ich erkannte den Mann als Ilians Vater. In der Kantine hatte ich gar nicht wirklich Zeit gehabt, ihn mir genauer anzusehen. Pippa kam am ehesten nach ihrem Vater, die anderen sahen eher aus wie die Mutter. Hinter der Frau standen Maylas Freundin und die Kleine mit den Zöpfen. Felicia schoss, ohne ein Wort zu sagen, an mir vorbei und setzte den kleinen Nino etwas ruppig auf einen Stuhl. Herrje, die mochte mich immer noch nicht. Ilians Vater kam auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich ergriff sie und schenkte ihm ein freundlichen Lächeln.

»Das ist mein Vater«, erklärte Ilian.

»Ich weiß, ich habe ihn schon in der Schule gesehen.«

»Schön, dich kennenzulernen, Elisabeth.« Ilian hatte seine liebe Stimme von seinem Papa.

»Bitte nennen Sie mich Lissy, Herr Balaur.«

»Okay, wenn du mich Gerome nennst.« Ui, das würde irgendwie merkwürdig für mich werden, aber ich nickte tapfer.

»Frau Dragão, Lissy«, erklärte Ilian weiter und deutete auf die brünette Frau. »Sie ist Mendels Mutter und das sind ihre Töchter Amber und Alizee.« Amber war die Größere. Mendels Mutter, daher kam sie mir so bekannt vor … uff. Sie beäugte mich kritisch und nickte mir kurz zu, bevor sie eine Verabschiedung in die Runde rief.

»Sie ist die Geliebte meiner Mutter«, flüsterte Ilian mir ins Ohr und mir wurde schlecht. Ausgerechnet Mendels Mutter!

Die Familie Balaur versammelte sich um den Tisch, als auch Mayla mit Roran im Arm dazustieß. Irgendwie war es seltsam, den Kleinen zu sehen, jetzt wo ich wusste, wer wirklich sein Vater war. Ich musste ihn so angestarrt haben, dass Mayla mit ihm auf mich zukam.

»Du siehst so aus, als würdest du ihn mal haben wollen«, lachte sie und drückte mir das kleine Bündel in den Arm. Ilians braune Augen sahen mich skeptisch aus einem süßen, runden Babygesicht an. Sein Vater hatte original den gleichen Blick aufgesetzt.

Mayla schob in der Zeit einen Hochstuhl mit einem leicht in die Liegeposition gekippten Sitz heran. »Leg ihn einfach da rein, wenn wir essen.«

Ich nickte gedankenverloren. Ilians Baby.

»Möchtest du Suppe?«, fragte er mich. Ich sah ihn etwas verwirrt an, nickte dann aber.

»Alles okay?«

»Ja, es ist nur so komisch, jetzt wo ich weiß, dass er – du weißt schon.«

Roran gähnte und zeigte mir seinen zahnlosen Mund. Es war für mich unverständlich, dass Drachen keine wirkliche Bindung zu ihren eigenen Kindern hatten. Schön und gut, sie zogen sie gemeinsam auf, aber gerade jetzt, wo es nur noch so wenige gab, und sie genau wussten, welches Kind von wem war, mussten sie doch etwas empfinden? Ich verfrachtete das kleine Bündel in den Hochstuhl und lächelte Ilian an. Er durchbohrte mich kurz mit seinen Augen, machte dann jedoch weiter und verteilte Essen an seine Familie.

Ich muss zugeben, dass es mir richtig Spaß gemacht hat, mit den Balaurs am Tisch zu sitzen und beim Essen den Geschichten der anderen zu lauschen. Nur Felicia schwieg sich aus, sah mich aber hin und wieder wütend an.

»Gehst du mit Lissy heute Abend auch zur Beach Party?«, fragte Mayla beim Abräumen ihren großen Bruder.

»Das wollte ich sie noch fragen«, antwortete dieser und sah mich fragend an. »Wir haben die Wahl. Hierbleiben, einen Film sehen und reden oder wir gehen zusammen mit Arva und Milda zur Beach Party am Rhein.«

»Äh!«, machte ich und überlegte. »Ich glaube, ich habe nichts Passendes für eine Party dabei.«

»Ich könnte dir ein Bikinioberteil von Mama raussuchen?!«, schlug Mayla vor und sah zwischen Ilian und mir hin und her. »Die Hose kannst du ja anlassen, das passt gut dazu.«

Ich trug meine hellblaue Chino, die ich unten an den Beinen zur Caprihose umgeschlagen hatte.

»Wenn du willst, mache ich dir eine schöne Flechtfrisur?«

Ilian sah mich gespannt und mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Kann sich dein Bruder denn zur Musik bewegen?«, überging ich ihn und sah Mayla an. Ich hörte Ilian lachen.

»Mehr schlecht als recht, aber für ein bisschen Hüpfen in der Masse reicht es«, antwortete Mayla mit einem amüsierten Glucksen in der Stimme.

»Na danke«, maulte Ilian und nahm Roran auf den Arm. Der Kleine schmiegte seinen Kopf an die Brust seines Vaters und schien den Geruch seiner Haut zu inhalieren.

»Also?«, hakte Mayla nach und ich überlegte. Ich hatte Lust auf Musik, einen leckeren Cocktail und ein wenig Tanzen. Dazu könnte ich versuchen, Arva besser kennenzulernen. Apropros Arva …

»Denkst du, das geht mit Arva und Milda in Ordnung? Also, weil wir zwei jetzt ein Paar sind?«, fragte ich Ilian.

»Nein, das geht in Ordnung. Sie wollen dich besser kennenlernen.«

»Okay«, seufzte ich und sah zu Mayla. »Auf die Gefahr hin, dass ich mich mit ihm blamieren werde: Beach Party!«

Sie klatschte in die Hände und ging los, um mir ein Bikinioberteil zu suchen. Ilian sah mich gespielt eingeschnappt an.

»Pack die Tanzschuhe aus, Cinderella!«, gurrte ich und zwinkerte ihm zu.

***

»NOSSA, NOSSA!«, dröhnte uns schon Michael Telós Sommerhit entgegen, als wir uns durch die Security zu dem abgesperrten Strandbereich am Rhein kämpften. Arva und Milda trugen beide so kurze Röckchen, dass die Herren von der Sicherheit nicht nur einen, sondern zwei Knüppel in der Hose stecken hatten. Wir hatten also kein Problem, reinzukommen und uns an der schummrigen Atmosphäre zu erfreuen. Strandfackeln waren fast die einzige Lichtquelle, neben der Bar, die mit Bambus verkleidet war. Ein kleines Stück Urlaub zusammengefasst auf vielleicht zweihundert Quadratmetern. Die Leute tanzten in lockeren Strandklamotten und hielten bunte Cocktails in den Händen, bei denen mir sofort das Wasser im Mund zusammenlief.

»Was willst du?«, brüllte mir Ilian ins Ohr, nachdem wir an der Bar angekommen waren. Er sah so süß aus in seinem weißen Achselshirt und der kurzen Hose. Seine Haut hatte genau den richtigen Ton. Nicht blass, aber auch nicht wie ein Stammkunde auf Münz-Mallorca. Nein, von der Sonne geküsst und unheimlich lecker. Besonders gefiel mir sein Shirt, denn es zeigte ganz genau, wie muskulös sein doch so dünn wirkender Oberkörper in Wirklichkeit war. Lecker, lecker, wie hatte ich es nur geschafft, mir den zu angeln?

»Lissy? Was willst du trinken?«

Ich schüttelte mich aus meinen Gedanken. »Sex on the beach!«, schrie ich und zwinkerte ihm zu.

»Ernsthaft?« Er zog die Augenbrauen hoch und ich nickte. Ich war gespannt, ob man uns das Zeug überhaupt verkaufen würde. Aber siehe da, ein paar Minuten später hielt ich ein großes, bauchiges Glas mit einem Schirmchen und einer Orange geschmückt in der Hand. Vorsichtig nippte ich daran und schmeckte als erstes Pfirsiche und Ananas. Lecker! Arva und Milda hielten jeweils einen Caipirinha in der Hand und Ilian entschied sich ganz klassisch für Bier. Wie ungefähr jeder zweite Mann an diesem Strand. Ein Lied mit einem treibenden Beat begann und ich konnte sehen, wie es Arva und Milda kaum noch auf der Stelle hielt. Sie nahmen beide einen tiefen Schluck aus ihren Caipis und mischten sich tanzend unter das Volk. Na ja, reden wollten sie anscheinend noch nicht mit mir. Na, dann nicht. Ilian zog mich zu einem freien Barhocker rüber und ich setzte mich drauf. Ich machte meine Beine breit, um ihn ganz nah an mich heran zu ziehen. Er roch wie die Verführung selbst, als er sich mir zu einem Kuss näherte. Kaum hatten seine Lippen meine berührt, brummte er zufrieden.

»Lissy«, flüsterte er an meinen Mund und begann im Kuss sanft den Cocktail von meinen Lippen zu saugen. Ich spürte ganz genau, wann es zu heftig wurde. Seine Haut wurde heiß und der Geschmack nach Rauch wurde intensiver. Er wich zurück und nahm einen Schluck Bier. Auch ich nutzte die Gelegenheit und setzte mein Glas an. Mann, war das lecker!

Ilians Bier war leer und er sah mich amüsiert an. »Ich glaube, ich habe jetzt genug Alkohol zum Tanzen drin«, gluckste er und ich musste lachen.

»Dann auf«, sagte ich, nahm noch einen Schluck und stellte mein Glas auf der Theke ab. Culcha Candelas »Von allein« begann und mein Herz machte einen Sprung. Ich liebte dieses Lied! Wir drängelten uns zu Arva und Milda durch und begannen uns zum Takt der Musik zu bewegen. Zu sagen, dass Ilian nicht tanzen konnte, war die Untertreibung des Jahrhunderts! Er konnte nicht nur nicht tanzen, nein, er negierte jeden Rhythmus mit seinem Gezappel, aber was soll ich sagen? Ich hatte noch nie, wirklich noch nie mit jemandem so viel Spaß auf der Tanzfläche gehabt! Arva, Milda und ich hatten Tränen in den Augen vor Lachen und irgendwann passte ich mich Ilian einfach an.

»Du tanzt wie ein Holzfäller!«, sagte ich und schüttelte meinen Kopf. Aua, ich hatte Bauchweh vor Lachen.

»Warte mal ab, es wird besser, je mehr ich trinke.«

»Ilian, soviel kannst du gar nicht trinken!«

Irgendwann kickten wir unsere Schuhe von den Füßen und zappelten ohne Rücksicht auf Verluste im Sand durch die Menge. Mein persönliches Highlight des Abends war, als Ilian auf ein Knie herunterging und ich an einem seiner Finger um ihn herumtanzte, als seien wir beim Mitsommerfest und er der Baum, den es mit bunten Bändern zu schmücken galt.

»Ich bin eine Elfe!«, jubelte ich und tanzte weiter um Ilian herum, welcher daraufhin so lachen musste, dass er fast vornüberkippte. Ich zog ihn hoch und ging lachend mit ihm zur Seite. Wir stützten uns gegenseitig, weil wir beide nicht mehr konnten. Arva und Milda kamen dazu und wirkten verschwitzt vom Tanzen.

»Ilian, du wirst nie ein Tänzer«, gluckste Arva und klopfte ihrem besten Freund auf die Schulter. Eifersucht biss mich kurz in den Nacken, löste sich aber in Nichts auf, als Arva Milda mit einer Hand an sich heranzog und ihr einen langen, ausgiebigen Kuss gab. Hui, da wurde auch mir heiß! Aber hatte sie Ilian auch so geküsst, als sie Roran gezeugt hatten? Ich musste schlucken, nein, wohl eher nicht. Sie hatte ihm im Eifer des Gefechts den Arm gebrochen und ich erinnerte mich noch dunkel daran, dass Ilian sehr mitgenommen ausgesehen hatte. Ob ihre Freundschaft das unbeschadet überlebt hatte? Ich konnte es mir nicht so richtig vorstellen?!

Arva kam zu mir und legte einen Arm um mich. »Möchtest du mal richtig tanzen?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Milda leiht mich dir bestimmt mal aus, oder?«

Sie nickte, Ilian ebenfalls.

»Ich muss doch mal das Mädel meines besten Freundes antesten.«

Leider war die Musik zu laut, als dass ich ihren Tonfall hätte genau hören können, aber ich schwöre bei Gott, sie hatte das in einem sehr tiefen, anzüglichen Ton gesagt. Es heißt, dass man beim Tanzen offenbart, was man für eine Persönlichkeit hat. Ilian war ohne Frage ein Chaot, aber Arva war genau das, was ich mir unter einer Drachenfrau vorgestellt hatte. Wild, elegant und sehr autoritär. Es schien so, als würde sie den Takt vorgeben. Als würden ihre Augen meine Muskeln bewegen und mich so formen, wie sie mich brauchte. Hätte sie nicht dabei gelächelt, hätte es mir Angst einjagen können. Sie war eine starke Tanzpartnerin und ich ließ mich gerne von ihr leiten und versuchte mich ihren Bewegungen, so gut es ging, anzupassen. In meinem Kopf rauschte es vor Energie, als das Lied endete und wir zurück zu den anderen gingen. Ilian starrte mich mit offenem Mund an. Er hatte sich auf einen Barhocker gesetzt und hielt ein neues Bier in der Hand. Milda unterhielt sich angeregt mit dem Barkeeper.

»Sie kann sich gut bewegen, Ilian«, summte Arva vor sich hin und gab dann Milda einen Klaps auf den Po, bevor sie sich von hinten an sie heranschmiegte.

»Du solltest öfter ohne mich tanzen!«, rief mir Ilian ins Ohr, um gegen die Musik anzukommen. Ich lächelte ihn an und lehnte mich an seine Brust. Sein Geruch nach Seife hatte sich in Schweiß verwandelt, was mir aber nicht weniger gefiel. Im Gegenteil!

»Sex on the beach!«, rief Milda und hielt mir ein neues Glas voll von flüssigem Sommer vor die Augen. Ich nahm es ihr noch leicht verträumt ab. Das hier würde definitiv mein letzter Cocktail sein. Ich wollte mich ja nicht gleich vor Ilian blamieren! Den anderen war das aber anscheinend egal, sie tranken lustig weiter, während ich auf Cola umstieg.

***

Auf dem Heimweg zur Bahn stützen Ilian und ich uns gegenseitig. Nicht unbedingt weil wir betrunken waren, sondern viel mehr vor Lachen. Die letzte Runde Tanzen hatte uns den Rest gegeben. Milda und Arva liefen gackernd hinter uns her. Irgendwie schafften wir es in die Bahn hinein. Ich verfrachtete Ilian ans Fenster und lehnte mich dann gegen ihn. Arva und ihre Freundin nahmen uns gegenüber Platz. Nachdem unser Lachanfall verebbt war, drohte mir Ilian einzuschlafen. Ich stieß ihn mehrmals an, damit er mir nicht einfach so wegdriftete.

»Weißt du Lissy«, begann Arva vom Alkohol angeheitert, »ich bin so froh, dass Ilian dich jetzt hat.« Sie hickste. »Er ist ein guter Junge, weißt du? Er hat was Besseres verdient als ein Leben als … du weißt schon.« Zum Glück besaß sie noch die Geistesgegenwart, nicht lauthals ihr Geheimnis in die Welt zu schreien, aber etwas merkwürdig war das schon. Sie freute sich, dass Ilian ein Mädchen aus einer Jägerfamilie liebte? Ein paar Türen weiter stiegen ein paar Leute ein, die der Kleidung nach zu urteilen ebenfalls auf der Beach Party gewesen waren. Musik plärrte laut aus einem ihrer Handys. Ilian schien, im Gegensatz zu mir, das Lied zu kennen. Seine treuen, braunen Augen sahen mich alkoholgeschwängert an, als er begann lauthals mitzusingen. Lachend strich ich ihm über den Kopf.

»Zu deinem Glück bist du klug und hübsch«, gluckste ich, »denn du kannst nicht nur nicht tanzen, Singen ist auch nicht dein Ding.«

»Komm sing mit mir, Lissy!«, flehte er nuschelnd.

»Ich kenne das Lied nicht!«

»Oh Gott, Arva, sie kennt ACDC nicht!«, maulte mein Freund.

»Du kennst Thunderstruck nicht?«, fragte Arva amüsiert.

Ich schüttelte meinen Kopf.

»Oh je, dann wirst du es mit Ilians Musikgeschmack aber schwer haben!«

Milda fiel in das Lied mit ein und Arva zog nach. Ich konnte nur dasitzen und mit einem Lächeln auf den Lippen meine lustige Gefolgschaft beim Abrocken beobachten. Wenigstens drohte Ilian jetzt nicht mehr einzuschlafen. Besonders nicht, als die anderen mit der Musik sich zu uns gesellten. Ich unterhielt mich mit einem der Jungs angeregt über Musik. Er wollte mir nicht glauben, dass es durchaus auch im Pop-Bereich gute Mucke gab. Alle meine Einwände wehrte er ab und fand darin Ilians totale Zustimmung. Als wir uns der Haltestelle näherten, an der wir raus mussten, verabschiedeten wir uns und standen auf. Müdigkeit hatte sich heimlich in meine Knochen gestohlen und machte es mir am Anfang schwer, mich zu bewegen. Meine Uhr verriet mir, dass es bald schon wieder hell werden würde.

»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, sagte Milda, als wir ausgestiegen waren, und klatschte in die Hände.

»Morgenstund hat Gold im Mund«, meinte Arva.

Ilian hatte ein Fragezeichen über dem Kopf, um welches lauter kleine Schwipps-Seifenblasen platzten. »Sagen wir jetzt jeder einen klugen Spruch?«, wollte er wissen und stützte sich an einem Laternenpfahl ab. Er schwankte ein klein wenig und ich musste kichern.

»Wer abends saufen kann, kann am nächsten Morgen arbeiten«, fügte ich hinzu und Ilian lachte.

»Genau, und wer abends vögelt, kann am Morgen fliegen«, sagte er daraufhin. Ich konnte nicht mehr – ungelogen, ich hätte mich fast bepinkelt. Wir mussten ganz, ganz dringend ins Bett. Es war höchste Eisenbahn! Wir verabschiedeten uns von Milda und Arva auf dem Innenhof und Ilian kramte seinen Schlüssel hervor. Er brauchte mehrere Versuche, ihn in das Schloss zu stecken.

»Ich hoffe, nüchtern triffst du besser«, gluckste ich angeschickert. Ilians Lache, die er daraufhin von sich gab, machte mir klar, wie betrunken er war. Irgendwie schafften wir es in sein Zimmer, ohne gleich das ganze Haus zu wecken. Ich bahnte mir meinen Weg durch seine Unordnung und ließ mich auf sein Bett fallen.

»Was dagegen, wenn ich so schlafe?«, murmelte ich in sein Kopfkissen. Er ließ sich neben mich fallen und legte einen Arm um meine Taille. Das war ein unglaublich schönes Gefühl. Ich fühlte mich so geborgen und seine Nähe ließ mich ein klein wenig erschauern.

»Nein«, säuselte er und zog mich näher an sich heran. »Gott, so viel habe ich doch gar nicht getrunken!«

»Du bist liebestrunken!«, triumphierte ich und seine Augen funkelten mich freudig an. Unsere Lippen fanden sich und ich ließ mich fallen. Ilian rollte sich auf mich herauf und ich spürte, wie verzweifelt er mit seinem Verlangen nach mir kämpfte. Seine Haut wurde schneller heiß, als uns beiden lieb war. Ein wenig frustriert rollte er sich von mir herunter und blies einen Kringel weißen Rauch in die Luft.

»Cool!«, staunte ich. »Kannst du auch andere Formen?«

»Nein, leider noch nicht.«

Ich sah mich in seinem Zimmer um. Die armen Fische hatten einen Vorhang in Form einer Jacke, so dass man nur das halbe Aquarium sehen konnte. Überall lagen Klamotten herum und ja, die Coladose war noch immer da!

»Du bist so ein Chaot!«, schimpfte ich ihn liebevoll. Mein Chaot, flüsterte mein Herz.

Ilian folgte meinem Blick. »Sorry, sobald meine Mama wieder da ist, schwöre ich hoch und heilig, dass ich ordentlicher werde!«

Ich lehnte mich an seine Schulter. »Ilian, schwöre mir etwas anderes, ja?«

»Was denn?«

»Ändere dich niemals, für niemanden.«

Er lachte leise. »Ich schwöre.« Er setzte sich auf und zog erst mir und dann sich selbst die Schuhe aus. Als er sich wieder zurücklehnte, legte er eine Decke über uns.

»Ich hoffe nur, dass die Nacht nichts passiert«, sagte er schließlich.

»Was sollte denn passieren?«, fragte ich verwirrt. Meine Gedanken waren gerade voll und ganz damit beschäftigt, seine Nähe zu verarbeiten. Immerhin lag ich mit Ilian Balaur in einem Bett. Das alleine reichte schon, um alles in mir in Aufruhr zu versetzen.

»Na ja, ich könnte einen interessanten Traum haben und dich dabei verbrennen.« Er sah mich mit Schalk in den Augen an.

Ich lachte und knuffte ihn, während mein Herz einen kleinen Sprung machte.

»Oder ich könnte niesen müssen und dir die Haare versengen.«

Jetzt war ich plötzlich hellwach! »Freundchen«, schimpfte ich, »wenn du mir die Haare abfackelst, wachse ich dir einen Brasilianer!«

»Was ist das denn?«, fragte er lachend.

»Untenrum keine Haare!«

»Oh!«

»Ja genau, oh!«

Ilian sah mir tief in die Augen. »Hast du denn eine Brasilianerin?«

»Das wirst du irgendwann mal selber herausfinden müssen«, seufzte ich. »Aber jetzt bin ich zu müde.«

Doch gerade, als ich die Augen endgültig schließen wollte, klingelte mein Handy. Das Display zeigte ein Bild von Conny und mir an Karneval. Wir waren als Burlesque-Tänzerinnen gegangen. Das erklärte dann auch Ilians Blick. Es sah aus, als wolle er sich das Bild gleich als Desktophintergrund einrichten. Ich drückte Conny weg und sah ihn an. Sanft fuhr ich mit meinem Finger seine wunderschöne Nase entlang.

»Hast du die Klamotten noch, Lissy?« Er meinte das Foto auf dem Handy.

Ich nickte lächelnd. »Ja, aber weißt du was? Conny und ich waren extra für diese Nacht einkaufen. Hätte ich gewusst, dass wir ausgehen, hätte ich mir das gespart!«

Plötzlich schien Ilian wach und fit. Er setzte sich auf. »Wie jetzt?«

»In meiner Tasche ist ein wunderschönes, neues Set Spitzenunterwäsche.«

»Was hattest DU denn für die Nacht geplant, liebste Elisabeth?«

»Nichts, ich wollte nur auf alles vorbereitet sein.« Ich sah in seine braunen Augen, die vor Müdigkeit ganz matt wirkten.

»Darf ich es sehen?«

»Jetzt nicht«, maulte ich, »lass uns erst etwas schlafen!« Ich zog ihn zu mir herunter und schloss selber die Augen. Ganz in Gedanken legte ich meine Hand auf seinen Bauch, der sich sanft im Takt seines Atems hob und senkte. Ich jammerte und heulte innerlich, weil ich ihn so gerne küssen wollte. Teufel-Lissy flüsterte mir ins Ohr, dass ich mich einfach auf ihn drauf legen sollte. Nur um zu testen, wie sich das anfühlte. Engel-Lissy flehte mich an, ihn schlafen zu lassen.

Scheiß auf das Federvieh! Ich setzte mich auf, zog meine Hose aus und kletterte vorsichtig über den auf dem Rücken liegenden Ilian. Nur einmal ganz kurz!, flüsterte der Teufel auf meiner Schulter. Nur einmal spüren! Ganz sachte ließ ich mich auf ihn heruntersinken, ein Bein zwischen seine. Er seufzte, als mein Gewicht auf ihm zu liegen kam. Gooooott, fühlte sich das gut an! Ich schwöre, ich hätte fast geheult … oder gekreischt … jedenfalls irgendetwas Extremes, denn es fühlte sich auch extrem an. Ich schloss meine Augen und sog seinen Geruch nach salziger Haut und einer Spur Alkohol tief ein. Als ich sie jedoch wieder öffnete, durchbohrten mich zwei schwarze Pupillen, die von einer Iris aus brauner Schokolade umgeben waren. Seine Arme legten sich um meine Taille und wir wälzten uns herum, so dass er nun auf mir lag. Seine Augen fixierten meine mit einem fiebrigen Verlangen, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte.

»Gott, Ilian«, zischte ich ungeduldig und rollte wieder mit ihm herum. Ich presste ihn in sein Kissen und setzte mich auf. Mit einem Lächeln im Gesicht zog ich das Bikinioberteil aus und schmiss es auf das Aquarium. Jetzt konnten die Fische gar nichts mehr sehen und ich trug nur noch meine Unterhose. Nicht nur Ilians Augen wurden groß. Ich bewegte mein Becken ein wenig und nickte anerkennend. Das fühlte sich schon mal gut an.

»Damit kann man arbeiten«, sagte ich und Ilian errötete leicht. Ich ließ meine Hände seinen Bauch über die Brust bis zu seinen Schultern hoch streifen. Er war bereits ziemlich heiß und damit meine ich nicht nur seine Haut. Mit einem Knurren in der Kehle setzte er sich auf und zog meine nackte Brust an seine. Würziger Rauch füllte meinen Mund, als er mich zu küssen begann. Seine Hände fuhren um meine Hüfte hin zu meinem Po und drückten mich dort fester gegen sein Becken. Wir sahen uns beide kurz in die Augen und ich konnte ein Meer aus Flammen darin erkennen. Irritiert wich ich ein Stück zurück und bemerkte, dass seine Haut zwar nicht mehr heißer, dafür aber bläulich wurde.

»Ilian?«

»Das ist normal«, keuchte er und wollte mich wieder küssen, doch ich wies ihn ab.

»Du wirst blau!«

»Das schützt dich vor Verbrennungen.« Seine Stimme bebte vor Erregung und auch ich fühlte ein heftiges Kribbeln im Unterleib.

»Heißt das, du kannst nur mit mir schlafen, wenn du blau bist? Also ich meine jetzt nicht Alkohol!«

Er lachte und nickte. Ich strich über seine Haut. Sie fühlte sich zwar nicht schuppig an, aber auch nicht wie Menschenhaut. Irgendwie fester, wie Leder. Sie war warm, fieberwarm, aber nicht so heiß, wie ich sie schon erlebt hatte.

»Oh mein Gott, ich bin auf Pandora gelandet und habe mir gleich einen Avatar angelacht!« Denn genau so sah er mittlerweile aus – zumindest von der Hautfarbe her. Ilian brach in Gelächter aus und ich musste einfach mit einstimmen.

»Du meinst einen Na’vi!«, korrigierte er mich, als er wieder zu Atem kam.

»Nein, ich meine einen Avatar! Na’vi sind doch die Eingeborenen, die immer so aussehen!«

Er biss sich auf die Unterlippe. »Klugscheißerin!«

Ich boxte ihn auf den Oberarm. »Du hast angefangen!«

Wir sahen uns eine Weile an und ich musste lachen.

»Irgendwie hat das ja was … das Blau.«

»Jetzt machst du dich über mich lustig«, maulte er mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich rutschte mit meinem Becken ein wenig weg und griff nach unten. Hui! Teufel-Lissy riss sich vor Freude alle Haare aus, während Ilian ein keuchendes Stöhnen von sich gab.

»Ist der auch blau?«, wollte ich wissen. Das fühlte sich richtig, richtig gut an, was ich da in meinen Händen hielt. Ilians Augen brannten, das sah so befremdlich, aber auch irgendwie wunderschön aus. Sein Atem ging heftig und stoßweise.

»Da hat aber wer Hormonstau, was?«

Ein Stöhnen war Antwort genug. Seine Hände krallten sich in meinen Rücken, als es plötzlich klopfte. Einmal, dann ging die Tür auch sofort auf und Arva erschien. Kreischend nahm ich meine Hand hoch und klammerte mich an Ilian, um meinen Busen zu verstecken.

»Oh!«, rief Arva. Ja, das hätte ich an ihrer Stelle wohl auch gesagt.

»Ich … ähm …«, sie verzog angewidert das Gesicht. Hey, wer von uns beiden hatte schon mit Ilian geschlafen, jetzt brauchte sie nicht so zu tun. Oder war es wegen mir?

»Ich … wollte eigentlich nur kurz mit Lissy reden, wegen dem, was auf der Stufenfeier passiert ist. Ich wollte erst noch meine Süße nach Hause bringen und dachte mir, dass ihr noch wach wärt. Auf der Feier hielt ich es für unpassend ...«

»Jetzt auch«, knurrte Ilian.

»Da muss ich ihm Recht geben«, sagte ich.

Irgendetwas an Arvas Gesichtsausdruck war merkwürdig. Eifersucht? Eigentlich unmöglich … »Ich werde Menschenfrauen nie verstehen«, murmelte sie und verzog ihr Gesicht. Oh Mann, Unnötiger-Kommentar-Alarm. »Männer … wääh!«

Ich strich Ilian über den Kopf und da war es wieder, dieses Funkeln in ihren Augen. Eifersucht, definitiv! Aber nicht die Eifersucht einer Liebenden, nein, mehr so, als hätte ich ihr ihr Spielzeug weggenommen. Als könnte sie es nicht ertragen, dass Ilian jetzt mir gehörte.

»Jedenfalls soll ich mich stellvertretend für die anderen bei dir entschuldigen. Ilian hat dir ja sicherlich schon die ganze Situation erklärt.«

»Ja, danke.« Ich nickte genervt.

»Denk dran, er ist ein Drache«, deutete Arva kryptisch an. »Verwöhne ihn also nicht zu sehr.«

Wie jetzt? Was meinte sie denn damit? Betrunken war sie wohl eher zickig, was? Ich erkannte sie kaum wieder.

»Behalt deinen Drachenmädchen-Müll für dich«, keifte ich genervt und schenkte ihr einen wütenden Blick. Arva wirkte verletzt und irritiert.

»Ich störe anscheinend wirklich sehr«, murmelte sie und schloss die Tür hinter sich zu. Unglaublicher Auftritt! Hoffentlich lag das am Alkohol.

Alles, was ich nach dieser Zickerei tun konnte, war den Drachenjungen neben mir ganz nah an mein Herz zu ziehen.

»Für mich bist du das Wertvollste der Welt«, flüsterte ich in sein Ohr. Er sagte zwar nichts, aber seine Hand um meine Taille drückte mich etwas fester an sich, bevor wir schließlich einschliefen.