Kapitel 8

Schon nach wenigen Stunden brummte mich mein Handy wach. Müde öffnete ich die Augen und schielte auf das Display. Mein Bruder. Oh, oh. Papa war ja ganz cool gewesen, als ich ihm gesagt hatte, dass ich bei einem Jungen übernachte. Immerhin schlief ich auch schon mal bei Leon. Sein einziger Kommentar dazu war gewesen: Nimm dir Kondome mit, ich ziehe keine Enkelkinder groß! Thomas hingegen hatte ich gesagt, dass ich bei Freunden übernachtete. Carmen oder Papa schienen ihm das Gegenteil gesteckt zu haben.

»Ja?«, meldete ich mich knurrig.

»Du bist bei den Drachen!?« Er klang fast schon hysterisch. Hyperventilierte er? »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Lissy?«

»Bleib mal cool, ich lebe noch. Wir waren die ganze Nacht tanzen. Niemand hat mir hier etwas getan, im Gegenteil, ich durfte gestern mit der ganzen Familie zu Abend essen!«

Ilian wurde neben mir wach und sah mich mit strubbeligen Haaren an.

»Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gerne noch etwas schlafen!«, fuhr ich Thomas an.

»Du kommst SOFORT nach Hause!« Jetzt schrie er so laut, dass auch Ilian ihn hören musste. »Sag mir wo du bist, ich hole dich ab!«

»Thomas, bleib mal locker!«, keifte ich.

»Locker bleiben?«, wiederholte er und seine Stimme ging so hoch, dass sie kurz brach. »Lissy, das sind menschenfressende Monster!«

Ilian schüttelte mit sorgenvollen Augen den Kopf, worauf er sich sofort an die Stirn packte. Haha, Kopfschmerzen! Herzlichen Willkommen, Kater.

»Mich hat noch keiner angenagt, beruhige dich! Ilian wird nicht zulassen, dass mir irgendwer etwas tut.« Ich hörte Kassandras Stimme im Hintergrund, verstand aber nicht, was sie sagte. Jedenfalls klang Thomas danach ein wenig ruhiger.

»Wann kommst du nach Hause?«

»Keine Ahnung? Heute Nachmittag oder erst am Abend?«

»Wir reden, wenn du wieder da bist.« Damit legte er auf und ich ließ meinen Kopf zurück ins Kissen fallen.

»Meinst du, deine Eltern würden mich adoptieren?«, scherzte ich und Ilian lächelte. »Thomas dreht mir den Hals um, wenn ich heimkomme.«

»Ich wollte dich auch noch gefragt haben, was er dazu gesagt hat, dass du hier schläfst.« Er überlegte einen Moment. »Weiß er überhaupt, dass wir zusammen sind?«

Ich schüttelte meinen Kopf und flehte ihn mit den Augen um Verzeihung an.

»Dann wird das heute die Gelegenheit sein, es ihm zu sagen.« Ilian gähnte und streckte sich. Gott, ich liebte diesen Kerl! Er lachte leise, als hätte er einen guten Witz gehört. »Ich freue mich darauf, deinen Vater mal richtig kennenzulernen.«

»Oh Gott!«, jaulte ich. »Ich hoffe du wirst nicht so schnell rot.«

Ilian küsste meine Haare. »Auch ich kann ein bisschen was ab, Lissy.«

Innerlich sah ich meinen Vater schon, wie er Ilian drohte, ihm die Rübe wegzuschießen, wenn er sich wagen würde, mich zu schwängern. »Ilian?«

»Hmmh?«, brummte er mit geschlossenen Augen.

»Können ein Drache und ein Mensch Kinder haben?«

Die Frage schien ihn ein wenig zu erstaunen, er hatte ja nicht meinen Gedankengang verfolgen können. Seine Augen öffneten sich wieder und er sah mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. »Nein, Lissy. Genau so wenig, wie ein Hund und eine Katze Kinder bekommen können.«

Wieso spürte ich einen Stich in meinem Herzen?

»Okay«, seufzte ich. Warum wurmte mich das? Es klopfte an der Tür und Mayla steckte ihren Kopf herein. Sie sah ein wenig müde aus.

»Darf ich euch Roran hierlassen?«, fragte sie. »Ich habe euch reden gehört und würde nur zu gerne duschen gehen. Roran hat die halbe Nacht geweint.«

»Ja«, brummte Ilian verschlafen und setzte sich auf, um Mayla das Baby abzunehmen.

»Ich komme ihn gleich wieder holen«, versprach sie hastig.

»Kein Ding«, sagte ich, »mach langsam.«

Roran hatte ganz kleine Äugelein und würde sicher gleich schlafen. Außerdem war es ja wohl an Ilian, sich um den Wurm zu kümmern! Ach nein, … Menschenlogik. Mein Freund bettete den Kleinen zwischen uns und legte sich wieder hin. Roran sah mich mit seinen Kinderschokolade-Augen an. Ein Schnuller verdeckte sein halbes Gesicht und das Näschen wippte ein klein wenig im Takt seines Saugens.

»Hallo Baby-Ilian«, summte ich und hörte meinen Freund leise glucksen.

»Lissy, du musst dich von dem Gedanken freimachen. Ich habe deinen Blick gestern Abend beim Abendessen gesehen. Wir empfinden anders.«

»Ich weiß«, seufzte ich, »ich weiß ja auch nicht, warum das nicht in mein Hirn will. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Papakind bin und meinen Vater über alles liebe?! Er reißt sich Tag und Nacht den Hintern für seine Familie auf, hat Thomas und mich quasi alleine großgezogen. Er bedeutet mir alles und es kann sein, dass ich es deswegen so seltsam finde. Du musst Roran doch auch viel bedeuten, Ilian. Ich habe gestern Abend gesehen, wie er sich an dich geschmiegt hat, und es wirkte so, als hätte er an deiner Haut geschnuppert. Er erkennt dich als sein Papa, da bin ich mir sicher!« Ich hob meinen Kopf ein wenig an, um Ilian zu sehen. Sein Gesichtsausdruck gab mir Rätsel auf. »Ja, ja, ich weiß, für dich ist diese Art zu empfinden fremd.« Ich seufzte frustriert. Keine Ahnung, warum ich wollte, dass Ilian für das Baby einer anderen Verantwortung übernahm. Eigentlich hätte ich froh sein sollen, aber irgendwie war ich es nicht.

»Väter haben bei uns keine Rechte, Lissy«, sagte er nach ein paar Minuten des Schweigens. »Die Frauen ziehen die Kinder groß, damit sie gleich mit dem Bild der herrschenden Frau groß werden. Besonders kleine Jungs werden direkt darauf gedrillt, dass die Mütter den Ton angeben.«

»Und Arva? Ist es ihr total egal, dass der Kleine nicht bei ihr ist?«

»Keine Ahnung, wir streiten uns die letzte Zeit häufiger über verschiedene Dinge. Das ist eins davon.« Ilian klang niedergeschlagen. Vielleicht war das jetzt nicht der richtige Moment, um das Thema anzuschneiden, aber wann würde wohl die nächste Gelegenheit dazu kommen?

»Und was sind die anderen Sachen?«

»Alles Mögliche«, seufzte er müde und gähnte. »Seit Rorans Zeugung ist nichts mehr normal. Ich glaube, unsere Freundschaft hat erheblich Schaden dadurch genommen.«

Ich nickte verstehend, heilfroh, dass Leon und ich unseren Ausrutscher gemeistert hatten. Aber bei uns war auch kein Leben dadurch entstanden.

»Wie hat sie es eigentlich geschafft, dir den Arm dabei zu brechen?«

Rorans kleine Hand suchte Kontakt zu seinem Vater und ich musste schlucken, weil sich in Sekundenschnelle ein Kloß in meinem Hals gebildet hatte. Ilian reagierte zum Glück auf seinen Sohn und reichte ihm gedankenverloren seinen Finger, welchen der Kleine sofort umklammerte.

»Dein Bruder hat ja schon erklärt, dass Audrina selbst ein Nest gründen muss, sobald das erste Kind aus ihrer Generation entstanden ist?!«

Ja, ich erinnerte mich dunkel daran. An dem Tag waren so einige Dinge auf mich eingeprasselt, inklusive Mendels Faust.

»Aus dem Grund wollten Arva und ich das eigentlich gar nicht machen. Also sie nicht, ich schon.« Er grinste mich an und ich musste lächeln. Na klar, Kerle eben. »Arva hat totale Panik davor, dass Audrina unsere Brutmutter werden könnte. Sie will mir einfach nicht verraten warum, es sei ein Geheimnis unter Frauen, sagt sie immer.« Er rollte mit den Augen und ich war erstaunt, dass Arva auch nüchtern auf der Frauen-sind-die-besseren-Drachen-Sache herumritt. Selbst vor ihrem besten Freund machte sie keinen Halt, wie ich vor einigen Stunden miterleben durfte.

»Aber dann war da diese eine Nacht, sie hat hier übernachtet und wir haben etwas getrunken, einen Film gesehen. Anscheinend war sie fruchtbar und begann irgendwann meinen Hals zu küssen. Neugierig ließ ich mich darauf ein. Sie warnte mich noch vor der Wildheit der Drachenfrauen und ihrer übermenschlichen Stärke, die sie während der Verbindung mit einem Drachenmann entwickeln. Voll von Hormonen war mir alles egal, selbst die Tatsache, dass wir keine Kondome dahatten – doch dann brach sie mir den Arm, nachdem ich in ihr gekommen war. Mit der bloßen Hand!«

»Wie jetzt?«

»Sie saß auf mir und ich wollte sie zu mir herunterziehen, sie packte meinen Arm und es krachte.«

Ich riss meine Augen auf. Das war ja … gruselig.

»Danach hatte sich alles verändert. In einer Nacht- und Nebelaktion brachte sie mir das Ei und ich konnte zusehen, was ich damit tun wollte. Sie überließ mir die Wahl: Vernichten oder ins Feuer legen. Ihre einzige Bedingung war, dass niemand erfahren durfte, von wem das Kind wirklich stammte. Ich ging sofort zu meiner Mutter und wir legten gemeinsam das Ei ins Feuer. Den Rest kannst du dir ja denken. Mama gab es als ihr Ei aus. Arva weiß bis heute nicht genau, ob Roran nicht vielleicht wirklich Mamas Kind ist und ich unser gemeinsames Ei vernichtet habe. Sie hat mich nie danach gefragt und sie blockt immer wieder ab, wenn ich sie darauf ansprechen möchte.« Merkwürdiges Verhalten. Drache hin oder her, da war doch was im Busch. »Sie scheint sich mehr Gedanken darum zu machen, dass sie mich verletzt hat.«

»Na ja, ihr seid zusammen groß geworden. Sie liebt dich, wenn auch auf eine andere Art.«

Er nickte. »Ja, es macht sie fertig, obwohl ich ihr hundert Mal verziehen habe.«

»Wann kommt deine Mutter wieder aus dem Krankenhaus? Ich bin echt gespannt darauf, sie so richtig kennenzulernen!«

Ilian lächelte. »Wir hoffen, nächste Woche. Sie ist wieder fit, aber die Menschen misstrauen der unnatürlich schnellen Heilung.« Er zwinkerte mir zu.

»Ilian?«

»Ja?«

»Ich verstehe nicht so ganz, warum Arva heute früh in der Bahn meinte, dass sie sich freut, dass wir zusammen sind. Ich meine, sie kennt meine Familie und ich nehme ihr doch quasi den Wächter?!« Dass ich bei ihrem Besuch danach Eifersucht in ihren Augen gelesen hatte, ließ ich mal außen vor.

»Nun ja, das mit dem Kinderzeugen hat sich zwischen uns erledigt. Arva liebt mich viel zu sehr, so sagt sie, als dass sie mir noch einmal so wehtun könnte. Was dich angeht, so hat sie zu mir gesagt, dass es vielleicht gar nicht so verkehrt wäre, Freunde unter den Feinden zu haben.«

»Spricht sie oft in Rätseln?«

»Seit einigen Monaten, ja.« Ilian seufzte. »Es tut mir leid, Lissy. Mir, als Mann, sagt keiner etwas, aber irgendwie glaube ich, dass Arva, sobald sie Vertrauen zu dir gefasst hat, sich an dich wenden wird und das bereitet mir Kopfschmerzen.«

»Nein, Ilian, das macht der Alk!« Wir lachten.

»Ja, ich habe Superkräfte! Ich kann Alkohol in Kopfschmerzen verwandeln.« Er überlegte und wurde dann wieder ernst. »Ich habe Arva vor einigen Wochen mal gestanden, dass ich mich gefragt habe, wie es wohl wäre, aus Liebe geküsst zu werden.« Er sah mich an und seine Augen wirkten glasig. »Das kennen bei den Drachen ja nur die Frauen.« Das Lachen, welches aus seinem Mund kam, war aufgesetzt und sollte mich beruhigen. »Ich fragte sie, wie es ist, während des Sexes sanft berührt zu werden.« Er sah weg und atmete tief durch. »Ich glaube, das hat sie sehr mitgenommen und ist vielleicht noch ein Grund, warum sie einfach nur froh ist, dass du jetzt in meinem Leben bist.«

Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und stieß sanft mit meiner Nasenspitze an seine. »Eine Frage habe ich dir schon beantwortet.« Ich küsste ihn kurz, aber voller Liebe. »Die andere werde ich dir auch noch beantworten.«

Dieses Lächeln war nun wieder ehrlich und kam direkt aus seinem Herzen.

»Wann hast du dich eigentlich in mich verguckt?«

»Das erste Mal, dass du mir bewusst aufgefallen bist, war kurz nachdem Arva mir den Arm gebrochen hatte. Du hast mich so voller Mitleid angesehen, dass es mir Gänsehaut gemacht hat. Das war ich nicht gewohnt, … sind Drachenmänner doch, entschuldige wenn ich es etwas überziehe, kaum etwas wert.«

Ich legte meinen Kopf schief.

»Ab dem Tag begann ich mich für dich zu interessieren, beobachtete immer mal wieder, was du so getrieben hast. Ich lernte dein heiteres Wesen kennen, lachte heimlich mit über deine Witze. Du hast dich in mein Herz geschlichen und in meine Träume.« Seine braunen Augen badeten mich in einem Meer aus warmer Schokolade. »Mir fehlte es nur immer an Mut dich anzusprechen.«

Die Tür flog auf, als wir uns gerade erneut küssen wollten. Mayla kam hereingestürmt, die Haare noch nass und nur in BH und Unterhose bekleidet. Sie riss Roran hoch und zog an meinem Arm.

»Elyra kommt!«, flüsterte sie und ich kletterte so schnell wie möglich in meine Hose und zog das Bikinioberteil über. »Du bist meine Freundin und hast bei mir übernachtet. Roran war die ganze Zeit bei uns!«

»Was?«, stammelte ich verwirrt. Sie zog mich in ein Zimmer, welches ein Mädchen-(Alb-)Traum in Rosa war. Die Tür fiel leise ins Schloss.

»Setz dich!«, befahl sie mir und deutete auf ihr Bett.

»Wer ist Elyra?«

»Die Brutmutter«, klärte sie mich auf und versuchte Roran zu beruhigen, der angefangen hatte zu weinen. Ich hörte eine fremde Frauenstimme vom Flur herannahen. Mayla schmiss mir einen Pullover zu und ich zog ihn über. Er war zu eng, verdeckte aber mein Tattoo.

»Ich bin die älteste Frau hier und somit ihr Ansprechpartner.«

Ach herrje. Die Tür ging auf – genau wie meine Augen.

»Wow!«, staunte ich laut und konnte sehen, wie Mayla sich fast auf die Zunge biss. Die Brutmutter sah mich mit ihren giftgrünen Augen erstaunt an.

»Sorry, aber Sie sind wirklich die hübscheste Frau, die ich je gesehen habe«, erklärte ich mein Verhalten wahrheitsgemäß.

»Äh, das ist meine Tante Elyra«, stammelte Mayla. »Elyra, das ist meine Freundin Elisabeth.«

Die Brutmutter lächelte mich zufrieden an und fuhr sich durch die langen, gewellten, roten Haare. Sie reichten ihr bis zum Po und umflossen ihre gertenschlanke Taille wie Seide.

»Eine ungewöhnliche, aber schöne Begrüßung«, erklang ihre scharfe Stimme.

Ich errötete und starrte meine Füße an.

»Ich wollte nur kurz nachsehen, ob du klarkommst, Mayla?«

Ilians Schwester nickte.

»Das ist gut. Deine Mutter kommt bestimmt bald aus dem Krankenhaus.«

Wo diese Kuh sie überhaupt erst hingebracht hatte. Heuchlerische Schlampe!

»Das hoffen wir.«

»Und wo ist unser Goldstück?«, trällerte sie und sah sich um.

»Ilian?«, rief Mayla und ich musste schlucken. Ilian erschien kurze Zeit später. Er hatte sich angezogen und seine Haare gekämmt. Die Brutmutter öffnete die Arme und zog Ilian in eine einseitige Umarmung. Ich hätte schwören können, dass sie leise die Bezeichnung des blauen Drachens, Seriüüü oder so, geflüstert flüsterte.

»Wie geht es dir? Wieder einen Fieberkrampf gehabt?« Zu Deutsch: Hast du dich noch einmal verwandelt?

»Gut, Tante, danke der Nachfrage. Ja, ich hatte einen weiteren, der aber bei weitem nicht so schlimm war.«

Die Brutmutter nickte zufrieden, was in Anbetracht des Themas merkwürdig wirkte. »Dein Geburtstag war sehr erfolgreich und die Verwandten sind glücklich darüber. Ich werde deswegen noch einmal mit dir und Arva reden müssen.« Deutsch: Ich habe allen erzählt, dass du blaue Schuppen hast und wir sind froh, einen Zuchtbullen zu haben.

Ilian stand Angst ins Gesicht geschrieben, was Elyra sofort bemerkte.

»Du bist hoffentlich klüger als dein großer Bruder!«

Ich glaube, das braucht niemand übersetzen.

Elyra sah zufrieden in die Runde und schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Mach es gut, Elisabeth. Schön dich kennengelernt zu haben.« Sie wandte sich zum Gehen ab und Mayla begleitete sie hinaus. Erst als die Haustür ins Schloss fiel, traute ich mich wieder zu atmen.

»Was wollte sie?«, fragte Ilian, als Mayla zurückkam. Seine Schwester zuckte mit den Schultern.

»Ich bin genauso ahnungslos, aber eins steht fest: Sie hasst uns! Sie weiß ganz genau, dass Mama nicht wirklich mit Letitia zusammen ist und sie weiß auch ganz genau, dass Roran dein Kind ist. Da kannst du sagen, was du willst! Okay, das mit Roran sollte ihr in den Kram passen. Audrina bleibt länger unter ihrer Fuchtel und der blaue Drache hat bereits einen Nachkömmling, der ihrem Nest angehört.«

»Aber wieso ignoriert sie es?«, fragte Ilian.

»Ich weiß es nicht«, seufzte Mayla.

»Moment mal«, begann ich. »Wer ist Letitia?«

»Mendels Mutter«, half mir Ilian auf die Sprünge. »Mama sagt zwar, dass sie ihre Geliebte sei, aber Lissy, die Wahrheit ist, Mutter ist anders. Sie ist einzigartig in ihrer Empfindung, denn sie liebt unseren Vater wirklich. Das musst du bitte, bitte für dich behalten und es nicht mal vor Mama oder Papa erwähnen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn das jemand herausfindet.«

»Eure Mutter steigt mit Mendels Mom in die Kiste, um euch zu schützen?«

Die Geschwister nickten.

»Ich schätze, diese Familie innerhalb des Nestes ist eine einzige Kuriosität«, sagte Ilian. »Ein Heteropärchen zieht Kinder groß, die anders denken. Mama hat schon Deans Entscheidung zu heiraten bitter bezahlen müssen.«

»Und du schleppst ausgerechnet die Tochter einer Jägerin an«, sagte ich seufzend. »Aber ich frage mich, warum Audrina ihr nichts von mir erzählt hat?!«

Mayla nickte zustimmend, ihre Stirn war in Falten gelegt.

»Sie hat es mir versprochen«, sagte Ilian beinahe so leise, dass ich es überhört hätte. Mayla und ich sahen ihn fragend an.

»Ich musste ihr dafür versprechen, ihr treu zu bleiben.« Wenn das mal kein Fehler gewesen war. »Was für ein Tag. Ich will, dass Mama nach Hause kommt«, brummte Ilian und rieb sich müde die Stirn.

»Ich will auch, dass eure Mama nach Hause kommt.«

Mayla lächelte mich an.

»Ist die Brutmutter eigentlich echt eure Tante?«

»Ja, väterlicherseits.«

Ach herrje, das nutzte sicher nix. Mütterlicherseits wäre besser gewesen, wenn die Männer bei den Drachen eh nur Fußabtreter waren. Es sei denn, sie hatten blaue Schuppen wie Ilian.

»Mir ist irgendwie nicht gut«, maulte dieser und verschwand. Roran weinte bitterlich und sah mich dabei an. Ich nahm ihn Mayla aus dem Arm und versuchte ihn ein wenig zu wiegen. Leise summte ich dabei das Lied aus der Coca-Cola-Werbung. Hey, ich bin nun mal kein Kindermädchen! Mayla lachte und Roran beruhigte sich.

»Ich kann Ilian nicht verstehen«, dachte ich laut beim Anblick des kleinen Babys.

»Es ist zu gefährlich für ihn, mehr zu empfinden, Lissy.« Maylas braune Augen bohrten sich in mich, zwangen mich zwischen den Zeilen zu lesen. »Unsere Familie ist anders, empfindet anders. Vielleicht ist es der Einfluss der Menschen, vielleicht aber auch Evolution, aber anders zu sein, bedeutet auch immer, sich Feinde zu machen.« Sie beugte sich vor, direkt an mein Ohr. »Schau in Ilians Augen, wenn Roran ihn anlacht.«

»Willst du mir sagen, es ist ihm verboten, ihn zu lieben?« Ich sah auf das Baby in meinen Armen. Mayla antwortete nicht, aber ihr Blick sagte alles: Ja. Jetzt verstand ich auch, warum er wollte, dass ich aufhörte, ihn wegen Roran zu nerven. Irgendwann würde mir dank der Drachen noch der Schädel platzen.

»Mayla?«

»Hmmh?«

»Wieso tut ihr das? Ich meine, mich hier, bei euch zu Hause, akzeptieren?«

»Weil wir Ilian lieben.«

Dass die Familie Balaur was Besonderes war, war mir von Anfang an klar gewesen, doch dass sie, in Anbetracht ihrer Lage, mich – als Jägerskind – noch unter ihnen willkommen hieß, war ein Zeugnis davon, wie groß ihr Herz war und wie sehr sie sich doch von den anderen Drachen zu unterscheiden schienen.

»Nur bitte beachte Felicia nicht. Sie wird es schon verstehen, die Pubertät ist auch für Drachen nicht leicht.«

Ich nickte.

»Sie will so gern dazu gehören und es geht ihr gegen den Strich dass hier alle so anders sind. Mama, Dean und jetzt auch Ilian.«

»Darf ich dich was fragen, Mayla?«

»Na klar.«

»Du stehst aber auf Mädels, oder?«

Sie senkte ihre Augenlider und lächelte. »Und wie – dein Busen ist mir schon aufgefallen, als er noch nicht in einem viel zu engen Pullover von mir steckte.« Sie zwinkerte mir zu und ich wurde kurz rot. »Es ist echt zu lustig, dass Ilian lange dachte, du wärst lesbisch.« Wir lachten. »Das hat ihn echt fertiggemacht.«

»Wirklich?«, hakte ich neugierig nach und sie nickte. Deswegen also damals in der Kantine dieser Abgang unter dem Vorwand kotzen gehen zu müssen. Mit einem Lächeln nahm Mayla mir Roran aus dem Arm. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er eingeschlafen war. Sie legte ihn in einen Stubenwagen und legte einen Finger auf ihre Lippen. Lächelnd nickte ich und verabschiedete mich mit einem Winken.

***

Liebes Tagebuch,

heiß, … mir ist so heiß. Seiryū wütet in mir, verstärkt meine eigenen Gefühle um ein Vielfaches. Die Erlösung war zum Greifen nah gewesen!

Arvas Worte beschäftigen mich. Wird sie zu einer von denen? Sie hatte mich doch immer gleichberechtigt behandelt?! Ist es der Drache, der in ihr erwacht? Es macht mir Angst, sie so sprechen zu hören … und es tut weh.

Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Lissy in eine Welt gezogen habe, die so kompliziert ist, dass nicht mal ich sie verstehe. Ich sehe sie morgen wieder. Wir fahren Mama besuchen. Vorausgesetzt, Thomas lässt sie noch einmal aus dem Haus.

Ich vermisse sie jetzt schon.

I.

***

»Was findest du an dem Kerl?«, knurrte mein Bruder beim Abendbrot. Kassandra zwinkerte mir zu, als wollte sie mir sagen, dass sie es wusste.

»Er ist klug, liebenswürdig, sieht gut aus und ist unten herum verdammt gut ausgestattet!«, antwortete ich wohlwissend, dass es Thomas die Sprache verschlagen würde. Er konnte mir nicht mit Drachen kommen, da Carmen und Papa mit am Tisch saßen. Letzterer sah mich mit großen Augen an.

»Wenn du schwanger wirst«, begann er, doch ich unterbrach ihn.

»Ziehst du mein Kind groß, ich weiß!«

Papa und ich lachten uns an und er schüttelte den Kopf. Mein Vater war echt eine coole Sau, was das Thema anging.

Carmen räusperte sich. »Also ich fand ihn auch sehr freundlich – und gut aussehend«, informierte sie meinen Bruder, den das nicht die Bohne zu interessieren schien. Mein Handy klingelte und ich ging kurz dran, um Conny zu sagen, dass ich sie nach dem Abendessen zurückrufen würde. Sie kreischte mich fast taub vor Neugierde!

»Ich weiß nicht, was du hast!«, sagte Kassandra. »Wenn er mit Lissy zusammen ist, wird er wohl kaum andere beglücken.« Auf Deutsch: Er wird nicht als Zuchtbulle viele lustige Na’vi zeugen. Ich musste lachen bei dem Gedanken daran, dass sein Ding vermutlich auch blau war. Muhaha, … Schlumpfeis am Stil!, brüllte mir Teufel-Lissy ins Ohr und ich gab ihr gedanklich eine High-Five für das eindeutig zweideutige Kopfkino! Engel-Lissy saß heulend in der Ecke und hielt sich singend die Ohren zu – die gefiederte Memme.

»Das stimmt schon«, gestand Thomas ein und Papa runzelte schon verwirrt seine Stirn.

»Mach dir keinen Kopf, Junge«, sagte er. »Wenn der Schönling Lissy das Herz bricht, schießen wir ihm die Eier weg!«

Carmen schnalzte mit der Zunge. »Sei einfach vorsichtig, Elisabeth«, sagte sie und ignorierte meinen geknurrtes »Lissy!«, einfach. »Es stimmt schon, dass die Schulschwärme gerne die Mädels wie Unterhosen wechseln.«

»Keine Sorge, ich werde eine gute Unterhose sein. So gut, dass Ilian sie nie wieder ausziehen will. Er wird sogar mit mir duschen wollen.«

Papa grinste dreckig, während Carmen und Thomas seufzten. Kassandra schien in Gedanken zu sein. Ich nahm den letzten Bissen meines Butterbrots und verabschiedete mich, wohlwissend, dass Thomas noch Redebedarf hatte. Da er aber sicherlich ein paar Minuten warten würde, bevor er mir hinterhergestürmt kam, wählte ich schnell Connys Nummer.

»Waaaaaaaaaaaaaaaaaaah!«, meldete sie sich.

»Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!«, kreischte ich zurück. Glaubt es oder nicht, damit hatten wir zwei uns unterschwellig so gut wie alles gesagt. Wir hätten auch auflegen können.

»Es war geil, oder?«, blubberte meine beste Freundin los.

»Jaaaaa und wie!« Ich berichtete ihr von der Strandparty und von Ilians Untergeschoss. Auch Arvas merkwürdiges Verhalten ließ ich nicht aus, ich verschwieg nur den ganzen Drachenkram. Natürlich erwähnte ich auch Ilians blaues Partyoutfit nicht, auch wenn ich ihr DAS nur zu gerne erzählt hätte.