Kapitel 13
»Und? Wie geht es dir?«, fragte ich Ilian, nachdem ich in der Pause in seine Arme gestürzt war. Er lächelte mich unverschämt süß an.
»Gut, nur etwas paranoid«, antwortete er und suchte mit den Augen den Schulhof um uns herum ab. »Aber im Großen und Ganzen gut.«
»Gehen wir in den Park?«
»Ja, wozu sind wir denn sonst in der Oberstufe?«, quatschte Conny dazwischen. »Damit wir in der ersten Pause nicht auf dem Schulhof festsitzen.«
»Echt jetzt?«, staunte ich. »Ich dachte, ich wäre in der Oberstufe, um Abitur zu machen?!«
Ilian sah mich an, als sei ich irre, und schüttelte lachend den Kopf. »Nein, wir sind in der Oberstufe, um in den Pausen hingehen zu können, wo wir hinwollen! Tse, tse, tse, Lissy, also ehrlich. Ah-bi-tuuur?!«
Ich boxte ihn kräftig in die Seite. »Ich mag euch nicht«, zickte ich gespielt herum. Einen Arm um meine Schulter gelegt, zog mich Ilian meiner besten Freundin hinterher. Die Hotpants, die sie trug, bedeckten aber auch nur so gerade den Hintern. Meine Güte, die musste echt total auf diesen André stehen. Moment mal … ich blieb stehen.
»Starrst du gerade Conny auf den Hintern?«, fragte ich meinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen. Conny drehte sich um und sah Ilian erstaunt an.
»Sorry«, begann dieser sich zu verteidigen, »aber da ist nur wenig der Fantasie überlassen.«
Conny stemmte ihre Hände in die Hüften und schüttelte lachend den Kopf. Dabei hatte meine beste Freundin nicht mal einen anständigen Hintern, was auch sicher der Grund dafür war, dass sich weder an Ilians Haut, noch in seinen Augen etwas getan hatte. Ich seufzte und verzieh ihm innerlich. Er konnte nichts dafür, diese Hose war wirklich total knapp.
»Willst du dir dieses Teil nicht mal ausleihen?«, flüsterte er mir ins Ohr und ich konnte nur mit den Augen rollen. Wir betraten gerade den Park, als sich André offen zu uns gesellte. Wir suchten uns einen schattigen Platz unter einem Baum und breiteten unsere Sachen darauf aus. Ilian zog seinen Rucksack vom Rücken und kramte eine gefühlte Ewigkeit darin, bis er schließlich ein Heft vorzog. Es hatte an den Seiten Eselsohren.
»Erinnere mich daran, dir niemals ein Buch zu leihen«, gluckste ich beim Anblick des zerknitterten Hefts. Er reichte es Conny, die anfing, daraus etwas für Bio abzuschreiben.
»Mit fremden Eigentum gehe ich besser um«, verteidigte sich mein Freund. Ja, ne … ist klar. Er drehte sich mir zu. »Conny hat mir heute in Bio ein paar interessante Dinge von dir erzählt.«
Ich sah zu meiner besten Freundin, die abschrieb und sich nebenbei mit André unterhielt. Hatte sie ihren BH ausgestopft?
»Ach ja?«, grübelte ich laut.
»Ja, darüber dass du in Panik gerätst, wenn du oder jemand anderes weint.« Ich wusste, dass er mich auf den gestrigen Abend ansprach und fühlte mich ein klein wenig unwohl.
»Ja, ja, stimmt schon.« Ich wurde rot und musterte das Gras, auf dem wir uns niedergelassen hatten. »Keine Ahnung wieso, ich vertrage das nicht gut.«
Ilian zog meine Stirn sanft zu sich herüber und küsste sie. »Dann werde ich mein Bestes geben, dass keine Tränen fließen müssen.«
»Deal«, stimmte ich zu.
»Deal«, wiederholte er.
***
Obwohl Thomas unsere nächtlichen Aktivitäten nicht unbedingt guthieß, fuhr er uns nach der Schule zu Ikea, damit ich mir eine neue Matratze aussuchen konnte. Kaum wieder zurück, blieben wir schon im Türrahmen damit stecken.
»Schieb doch«, forderte Ilian.
»Mach ich doch! Zieh halt!«, rief ich zurück.
»Du gibst dir keine Mühe!«
Ich trat wütend gegen die Matratze. Von wegen, ich gab mir keine Mühe!
»Dreh sie mal ein wenig«, bat Ilian.
»Welche Richtung?«, fragte ich.
»Links!«
Ich tat, was er sagte.
»NEIN! ANDERE RICHTUNG!«
»Das nennt man dann rechts, Ilian!«
»Ja, dann halt eben rechts!« Er fluchte etwas in seiner Drachensprache. »Schieben!«
»Ja-ha! Tu ich doch!« In Wirklichkeit stand ich nur mit verschränkten Armen da und beobachtete eine fluchende Matratze, die sich ihren Weg in mein Zimmer bohrte.
Irgendwie schafften wir es schließlich, die Matratzen auszutauschen, und ich machte mich daran, die neue zu beziehen.
»Fertig, großer Feuergott!«, triumphierte ich.
Ilian seufzte lachend und fuhr sich durch die Haare. Es klopfte an der Tür und Conny steckte ihren Kopf herein.
»Was machst du denn hier?«, jubelte ich freudig. Conny bahnte sich ihren Weg vorbei an der alten Matratze zu mir herüber. Wir begrüßten uns mit Küsschen und auch Ilian bekam eins, was mein Herz kurz freudig schneller klopfen ließ. Es war für mich wichtig, dass er sich mit meiner besten Freundin verstand. Scheiße, dabei wurde mir bewusst, dass ich dringend mit Arva sprechen musste.
»Ich treffe mich gleich mit André und da dachte ich, ich schaue mal, was ihr zwei so treibt?!« Conny grinste Ilian an. »Offensichtlich betreibt ihr hier gerade so etwas wie Nestbau?«
»Ilian badet wohl eher die Folgen eines Unfalls aus.«
»Die Strafe dafür, dass er deine Matratze abgeflämmt hat?«
Ilian sah erschrocken zwischen mir und Conny hin und her.
»Ja, ja, ich habe es ihr erzählt«, gestand ich. Zum Glück lächelte er mich dafür nur schief an. Puh.
»Könntest du das mal für mich machen?«, fragte Conny und Ilian runzelte die Stirn. »Ich meine das mit dem Feuer. Es, es würde es etwas einfacher für mich machen, nicht zu glauben, dass ich den Verstand verloren habe oder in einer Komafantasie lebe.«
Er sah sich um, sein Blick blieb kurz an den ihn anknurrenden Frettchen im Käfig hängen, dann fand er eine fliederfarbene Kerze auf meinem Schreibtisch in seiner Nähe. Er nahm sie und hielt sie an seinen Mund. Ein Aufflammen an seinen Lippen später brannte sie. Conny staunte Bauklötze und auch ich hatte mich an diesen Anblick noch nicht gewöhnt.
»Wow«, brachte meine beste Freundin nur so gerade hervor.
»Du solltest ihn mal als Drachen sehen«, sagte ich.
Conny grinste. »André müsste jeden Moment da sein.« Wir seufzten synchron. »Ist er nicht süüüüß?«
»Und wie!«, stimmte ich zu.
Ilian räusperte sich lauthals. »Ich bin genau hier«, murmelte er, »direkt neben euch.«
»Was macht ihr denn Schönes?«, überging ich Ilians Eifersuchtsanfall.
»Wir wollen am Rhein spazieren gehen und uns unterhalten. Ein Eis essen, am Wasser sitzen und so was.« Conny errötete und ich quietschte vor Freude. Ilian versuchte unterdessen, die alte Matratze in Richtung Tür zu schieben.
»Na, dann wünsche ich euch viel Spaß.« Ich brachte Conny noch nach unten und winkte ihr und André zum Abschied. Als ich wieder zurück nach oben wollte, stieß ich auf Rabyia, die mir ein großes blaues Buch in die Hand drückte.
»Gibst du das bitte Ilian?«, bat sie mich. Ich nickte und hob fragend die Augenbrauen, aber Rabiya war schon wieder in der Küche verschwunden.
In meinem Zimmer fand ich Ilian am Fenster neben dem Frettchenkäfig lehnend. Trulli war auf eine Erhöhung geklettert, um meinem Freund ins Gesicht zu knurren. Ilian ging näher an sie heran.
»Ich grill dich, du Fußabtreter!«
»Bah, pfui! Sei lieb zu Trulli, alles klar?«, sagte ich und hob drohend den Finger. Ilian lächelte und sah das Buch in meiner Hand an.
»Das soll ich dir von deiner Mom geben«, sagte ich und reichte es ihm. »Was ist das?«
»Mein Tagebuch«, antwortete Ilian.
Ich sah ihn erstaunt an. »Du schreibst Tagebuch?« Ich ließ mich neben ihm auf meinem Bett nieder. Die neue Matratze war etwas härter als meine alte, ausgelegene. Eigentlich ganz gut, so ein Matratzentausch,
»Na ja, ich beschreibe nicht wirklich, was den ganzen Tag so passiert ist, sondern es ist viel mehr etwas, wo ich meinen Kopf entleere. Einzelne Gedanken, die wirr sein mögen, wenn man die Hintergrundgeschichte nicht kennt.«
Ich nickte und starrte gebannt auf das blaue Buch in seinen Händen. Er grinste mich an und drückte es an sein Herz.
»Vielleicht lasse ich es dich eines Tages mal lesen«, murmelte er noch, dann schlug er eine leere Seite auf, angelte sich einen herumliegenden Kuli und begann zu schreiben.
Liebes Tagebuch,
ich will nicht dran denken.
An den Hunger, die Angst, … die Dunkelheit.
Ich halte mich lieber an Elisabeths Lachen fest. Es macht mir Mut, gibt mir Kraft. Ein Gefühl von Sicherheit, Normalität und Geborgenheit in einer Welt von Feuer.
Es brennt in mir … und überall außerhalb von uns steht alles in Flammen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Feuer der Brutmutter uns erreicht.
Sie sieht es nicht. Aber ich.
Ich kämpfe die Wut in mir nieder.
Für sie. Für Roran. Für meine Familie.
I.
»Bist du fertig?«, fragte ich Ilian. Er nickte und klappte das Buch zu. Seine braunen Augen hatten merkwürdig gezündelt, während er geschrieben hatte. Wie Streichhölzer. Ich fragte ihn nicht danach. Es schien mir falsch, ihn wegen seiner privatesten Gedanken zu nerven, also kuschelte ich mich mit ihm unter die Bettdecke und knipste das Licht aus. Dunkelheit umfing uns und ließ mich eine Weile lang nichts anderes als Ilians Wärme spüren. Zu gern hätte ich ihn gefragt, wie lange diese ganze Situation seiner Meinung nach noch andauern würde, aber ich wollte den Frieden nicht zerstören.
»Was denkst du gerade?«, stellte ich die Mutter aller Fragen. Gestellt zu 99,99 % von Frauen. Ilian lachte leise.
»Ich habe einen bescheuerten Ohrwurm«, flüsterte er und stieß mir dabei seinen rauchig-würzigen Drachenatem entgegen. Seine Haut war ein Tick wärmer als normal. Die Nähe unter der Bettdecke ließ ihn also nicht kalt – im wahrsten Sinne des Wortes.
»Raus damit!«
»Dann schau mal, ob du ihn rausziehen kannst«, antwortete er belustigt und hielt mir sein Ohr hin.
Ich lachte. »So meinte ich das nicht. Was für ein Lied?«
»Soll ich es dir vorsingen?«
»Oh, bitte nicht«, jammerte ich. Ilians Singstimme war gruselig, zum Zehennägelaufrollen.
Er schnaubte beleidigt. »Dabei singe ich so schön!«
»Ja, wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten hat.«
Er zog sich zurück von mir und verschränkte die Arme. »Pff!«, machte er. »Kunstbanausin.«
»Das Lied, Ilian?« Ich hörte ein Schnarchen. »Ach komm schon, ich weiß, dass du nicht schläfst!«
Er schnarchte weiter.
»Wollen wir poppen?«
»Was?«, schoss er hoch. »Hier bin ich – was ist los?«
Ein alter Trick, der immer klappte.
»Das Lied, Ilian!«
»Hab ich vergessen.«
Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. Er grinste und kuschelte sich wieder an mich heran.
»Habe ich da was von Sex gehört?«, brummte er mit Schlafzimmerstimme.
»Nein.«
»Doch!«
Ich wollte gerade Luft holen und wiedersprechen, da hatte eine Hand von Ilian bereits meinen Hintern gefunden. Was soll ich sagen? Ich schmolz dahin. Der feste Griff an meiner Pobacke, der mich gegen sein Becken presste, überzeugte mich nachzugeben.
»Weihen wir die neue Matratze ein?«, raunte Ilian fragend.
Sex mit einem Drachen war der Wahnsinn! Nicht nur die fremdartige Haut, Ilians rauchiger Geschmack und seine brennenden Augen – nein, alles. Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Welt um mich herum bebte. Es war einfach unbeschreiblich. Diese rohe Kraft. Friedlich schlief ich danach in seinen Armen ein. Anscheinend schlief ich sogar zu fest, denn es war noch mitten in der Nacht, als mich plötzlich jemand wachrüttelte.
»Lissy?«, flüsterte eine weibliche Stimme, die ich schlaftrunken erst gar nicht zuordnen konnte. »Komm bitte, ich brauche deine Hilfe.«
Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Zu meinem Erstaunen lag Ilian nicht mehr neben mir.
»Wo ist …?«, krächzte ich verschlafen.
»Unten.« Es war Rabiya und sie klang genervt. Ich war plötzlich hellwach.
»Ist was passiert?« Die schlimmsten Bilder liefen mir binnen Sekunden vor den Augen ab. Ilian verletzt, tot, verstümmelt …
»Ilian ist betrunken.« Das kam unerwartet. »Du musst mir helfen, ihn ins Bett zu bringen.«
»Wie? Betrunken?«, fragte ich. »Woher hat er denn den Alkohol?«
»Es ist noch vom Grillen genug übrig geblieben«, seufzte Rabiya.
»Ich komme sofort nach«, sagte ich und suchte meine Klamotten zusammen, nachdem Rabyia das Zimmer verlassen hatte. Sie wartete draußen auf mich und nahm mich an der Hand. Gemeinsam schlichen wir die Treppe herunter in die Küche. Mein Bruder stand, eine Knarre in der Hand, lachend an den Kühlschrank gelehnt dort und beobachtete Ilian, der auf dem Fußboden zwischen leeren Glasflaschen saß. In der Dunkelheit konnte ich sie nicht genau zuordnen, aber es war kein Bier gewesen, was er da getrunken hatte.
»Dein Freund ist betrunken«, sagte Thomas. »Ich hab gedacht, wir hätten ungebetene Gäste«, erklärte er die Waffe in seiner Hand. Ilian sah auf. Seine Augen waren glasig, doch er grinste selig, als er mich erspähte.
»Das tut mir leid«, sagte Rabiya zu meinem Bruder. »Das kommt nicht wieder vor.«
Ich ging zu Ilian und lächelte ihn an. »Na? Worin sind wir denn schwimmen gewesen?«
Er roch wie ein Nachtclub. Sein Grinsen erstarb und er sah mich, so gut er das konnte, an.
»Ich hatte einen Albtraum, Elisabeth«, säuselte er. »Ich war wieder im Keller.«
»Tut mir wirklich sehr leid«, wiederholte sich Rabiya und packte ihren Sohn an einem Arm. Ich nahm den anderen und gemeinsam zogen wir Ilian auf die Beine. Er schwankte ganz schön.
»Schon gut«, sagte mein Bruder und kam uns zur Hilfe. »Nach der ganzen Scheiße steht ihm ein kleiner Ausrutscher zu.«
Das war, glaube ich, der falsche Zeitpunkt zu beichten, dass Ilian schon wieder was verbrannt hatte, oder? Diesmal hatte mein Kissen dran glauben müssen. Orgasmen bei Jungdrachen sind wirklich eine brandheiße Angelegenheit. Wenn man brennbar war, sollte man in Deckung gehen, wenn man merkt, dass er so weit war. Wenigstens war die neue Matratze heil geblieben. Thomas nahm Rabiya ihren Sohn ab und half mir, ihn nach oben zu bringen.
»Geh schon mal in dein Zimmer«, sagte mein Bruder. »Ilian und ich machen einen kurzen Abstecher zur Toilette.«
Ich runzelte die Stirn, tat aber, was er sagte. Rabiya sah ihnen mit sorgenvollen Augen nach.
»Was mache ich nur mit dem Kind?«, seufzte sie.
»Ich fürchte, er wollte seine Angst ertränken«, dachte ich laut und Rabiya nickte.
»Seine Augen wirken ganz verstört, seit er wieder da ist.«
Echt? Oh Mann, war mir das entgangen? Ich fühlte mich plötzlich ganz mies. Rabiya legte einen Arm um mich.
»Wenn irgendetwas ist, komm mich wecken, okay?«
Ich nickte und ging in mein Zimmer. Es dauerte einige Zeit, bis Thomas und Ilian herein kamen.
»Was habt ihr gemacht?«, wollte ich wissen.
»Etwas, was ich schnell wieder vergessen will«, antwortete Thomas und gähnte noch ein »Gute Nacht« hinterher. Ilian stolperte zum Bett herüber und legte sich neben mich. Er war zwar blass, wirkte aber irgendwie nüchterner.
»Alles okay?«, fragte ich. Glasige Augen sahen mich erschöpft an.
»Dein Bruder hat mir seinen Finger in den Hals gesteckt«, erzählte er mit säuselnder Stimme. »Das war unschön.«
Mein Mund verzog sich angewidert.
»Er wollte nicht, dass ich dir ins Bett kotze.«
»Aha.« Hättet ihr was Intelligenteres gewusst?
»Lissy?«
»Hmh?«
»Ich habe Angst.«
Ich drückte seinen Kopf an meine Brust. »Ich weiß, Schatz.« Sanft küsste ich seine Stirn. »Ich weiß.«
***
Rabiya schimpfte mit Ilian schon seit zehn Minuten im Gästezimmer. Ich verstand nicht, was sie sagte, weil sie die Drachensprache benutzte. Dennoch war es hart für mich, nicht einfach hereinzuplatzen und Ilian zu verteidigen. Gott, unterm Strich war es doch meine eigene Schuld. Er war wegen mir so überdreht gewesen, hatte seine Ängste zurückgestellt. Ja, es war nicht sonderlich klug von ihm gewesen, sich in dem Haus, in dem er zu Gast war, die Kante zu geben, wo er am nächsten Morgen doch zur Schule musste. Aber er hatte die Hölle durchgemacht und da konnte man doch etwas Gnade walten lassen, oder?
»Na, Schwesterchen, wie war die Nacht?« Thomas stellte sich neben mich in den Flur und starrte mit mir auf die Tür zum Gästezimmer.
»Laut«, seufzte ich. »Ilian hat geschnarcht.« Ich sah Thomas an. »Danke für deine Hilfe.«
Er lächelte und legte einen Arm um mich. »Es ist seltsam, aber ich mag deinen Freund.«
»Obwohl er ein Drache ist?«
»Ich finde, er hat Mut bewiesen.«
Ich runzelte die Stirn.
»Er hat dich gegen sein Nest verteidigt, er ist zu uns nach Hause gekommen, obwohl er wusste, dass wir zum Orden gehören und er ist dir zuliebe mit zwei Jägern ins Kino gegangen. Spätestens da habe ich mir gedacht, dass der kleine Drache echt Eier in der Hose hat und es ernst mit dir meint.«
Ich atmete tief durch.
»Das heißt nicht, dass ich glücklich bin, dass du mit einem Drachen zusammen bist, aber die Balaurs scheinen wirklich anders zu sein.«
»Wie ich es gesagt habe.«
»Ja, Klugscheißer.« Damit ließ er mich wieder alleine stehen, ging die Treppe herunter und pfiff dabei das Lied Whistle von Flo Rida. Wenigstens hatte einer hier gute Laune. Die Tür des Gästezimmers ging auf. Rabiya kam heraus, Ilian folgte ihr. Als sie mich sah, wechselte sie die Sprache.
»Das mit Roran muss ich mir noch einmal gut überlegen, wenn du dich so unreif benimmst«, schimpfte sie und Ilian, der vorher noch den Boden gemustert hatte, sah jetzt erschrocken auf. Er schenkte mir einen kurzen Seitenblick, dann sah er seine Mutter an.
»Das kannst du nicht machen. Roran ist mein Sohn!«
»Den ich großziehen soll, Ilian! Er ist ein Baby, er braucht einen verantwortungsvollen Erwachsenen und keinen betrunkenen Vater.«
Ilians Augen flackerten vor Wut. Rabiya bemerkte das.
»Beherrsche dich, Sohn!«
»Als ob du nie mal einen schwachen Moment hast«, zischte er in leisem Ton. »Roran war bei dir in Sicherheit! Und ich habe dir doch schon gesagt, dass er und ich dich auch weiterhin brauchen werden.«
Rabiya atmete tief durch und schloss einen Moment die Augen, bevor sie sie wieder öffnete und Ilian mit einem liebevollen Blick bedachte.
»Tut mir leid, Schatz.« Sie ging auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. Ich musste lächeln. Als sie sich wieder von ihm löste, legte sie ihre Hände auf seine Schultern.
»Ich gebe zu, dass deine Bitte mich schwer beschäftigt hat, weil ich … na ja, ich liebe Roran wirklich sehr, und als ich dich dann gestern Abend betrunken gefunden habe, da habe ich rotgesehen. Ich schätze, die Menschen haben mich noch nicht genug geprägt, um wirklich beruhigt bei dem Gedanken zu sein, dass ein Mann ein Kind großzieht.«
Wovon sprachen die beiden? Hatte Ilian darum gebeten, Roran als das großzuziehen, was er nun mal war: Sein Kind?! Rabiya ging an Ilian vorbei ins Gästezimmer. Mein Freund sah mich mit einem flehenden Ausdruck im Gesicht an.
»Ich erkläre dir gleich alles, Lissy!« Er sah sich nervös um. »Eigentlich wollte ich das anders machen, aber …«
Rabiya unterbrach uns. Sie hielt Roran im Arm und sprach liebevoll auf ihn ein. »Die Oma gibt dir gleich Frühstück, ja?« Sie sah zu Ilian, dessen Gesicht sich erfreut aufhellte. »Geh noch ein bisschen zu deinem Papa!« Damit überreichte sie ihm Roran und mein Herz klopfte vor Freude etwas schneller. »Ich gehe jetzt, bevor ich weine«, sagte Ilians Mutter hastig und ließ uns im Flur alleine stehen.
»Lissy?!« Seine Stimme klang voller Reue. »Ich wollte das mit dir besprechen, glaub mir bitte.«
Verwirrt sah ich ihn an. »Komm, lass uns in mein Zimmer gehen, ja?« Ich ging vor und setze mich auf mein Bett. Roran lächelte mich an, als sich Ilian mit ihm neben mich setzte.
»Da ist ja mein Lieblings-Balaur«, begrüßte ich das Baby. »Hast du besser geschlafen als dein Papa?«
Roran gluckste freudig. Ich sah hoch zu Ilian, der mich erstaunt ansah.
»Hast du deine Mutter wirklich gebeten, ihn als dein eigenes Kind großzuziehen?«
Er nickte. Lachend gab ich ihm einen Kuss.
»Ich bin stolz auf dich. So ist es besser für ihn, glaube mir.«
»Ich dachte, nach der Sache mit der Eifersucht auf Arva, da wäre dir das vielleicht gar nicht mehr so recht?!« Schokoladenaugen durchleuchteten mich wie ein Röntgengerät. Ich seufzte.
»Ilian, ich war eine blöde Kuh. Eine gestresste, blöde Kuh. Arva und ich … das bekomme ich schon irgendwie hin, okay?« Ich sah zu Roran. »Und du weißt, dass ich mir gewünscht habe, dass du zu ihm stehst.«
Ilian wirkte immer noch ein wenig erstaunt.
»Was ist aber jetzt mit Audrina?«
»Das ist genauso unklar wie die ganze Situation des Nests«, seufzte er. »Wenn Mama Brutmutter wird, dann hat Audrina ausgedient und Mayla wäre die nächste Brutmutter-Generation. Roran und ich würden also weiterhin zu Mama gehören.«
»Ist das kompliziert«, jammerte ich.
»Ich weiß nur eins, ich möchte, dass er lernt, dass ich sein Vater bin, bevor er spricht.« Ilian betrachtete das Baby in seinem Arm. »Ich weiß auch nicht, seit du damit angefangen hast, konnte ich nicht aufhören darüber nachzudenken und im Keller«, er schluckte und ich sah, dass seine Finger an Rorans Köpfchen zitterten. Himmel, ich hatte Ilians Angst vollkommen und total unterschätzt. »Ich musste ständig daran denken, dass er vielleicht nie seinen Vater kennenlernen wird und dann hörte ich wieder dich von deinem Papa sprechen, wie viel er dir bedeutet und so weiter.«
»Schon gut, Ilian«, sagte ich und rutschte zu ihm herüber, um meine Arme um ihn und den kleinen Roran zu legen. »Ich bin vielleicht nicht Mutter, aber ich glaube, ich kann das ganz gut nachvollziehen.«
Ilian lehnte seine Stirn an meine.
»Du hast richtig entschieden. Im Grunde ändern sich doch nur Worte. Statt Mama heißt es jetzt Oma. Statt Bruder, Papa. Er braucht deine Mama noch sehr und das ist bei euch Drachen doch vollkommen legitim, oder? Also ihr zieht doch sowieso die Kids im Rudel groß?!«
Ilian nickte und ich strich ihm über die Wange.
»Du musst dich rasieren.«
»Nimmst du Roran so lange?«
»Ja, gib mir den kleinen Scheißer.«
Ilian überreichte mir das Baby und wollte gerade aufstehen, als ich ihn festhielt.
»Schatz?«
»Ja?« Er wirkte kurz irritiert, wusste dann aber sofort, worum es ging.
»Wenn du nochmal so Angst hast, sag es mir. Sollte ich schlafen, weck mich. Solltest du gerade nicht in meiner Nähe sein, ruf mich an. Versprochen?«
»Versprochen!« Er beugte sich über mich, um mich zu küssen. Dann verschwand er aus dem Zimmer und ließ mich mit seinem Sohn zurück. Ich betrachtete Roran und dachte an die Zukunft. Ilian und ich würden nie Kinder haben können. Roran hingegen würde immer zu ihm gehören, und wenn wir eine Partnerschaft hatten, machte mich das zur …
»Alles klar?«, fragte meine Stiefmutter und steckte den Kopf zur Tür herein.
»Ja, Carmen. Alles in Ordnung.«
»Ah, da ist ja der kleine Schatz«, trällerte sie freudig und kam, ohne hereingebeten zu werden, zu mir auf das Bett. Sie setzte sich und starrte Roran an, als wollte sie ihn mir am liebsten aus den Armen reißen.
»Ilian übernimmt seine Vaterrolle«, klärte ich Carmen auf. Ihr Gesicht wurde ernst und ihre intelligenten Augen sahen mir bis auf die Seele.
»Du weißt, dass das dann auch dich betrifft?«
»Ja«, nuschelte ich. »Ich bin jetzt so etwas wie seine Teenie-Stiefmutter.«
Carmen nickte, während ich unruhig seufzte.
»Aber ich kenne Ilian doch noch gar nicht so lange und ich bin nicht so der Kindermensch.«
»Das war ich auch nie«, sagte Carmen lachend. »Und dennoch habe ich dich unheimlich ins Herz geschlossen, Lissy. Thomas kenne ich ja nun noch nicht so richtig, aber ich liebe deinen Vater und ich liebe es zu sehen, wie sehr er dich liebt. Klingt komisch, oder? Ne Menge Liebe.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Aber es ist wirklich so.« Carmen lächelte Roran an, der aber tief in meinen Augen versunken war. »Niemand erwartet von dir jetzt, dass du eine Mutter für ihn bist. Du und Ilian, ihr seid noch so frisch zusammen. Aber eins sollte dir klar sein: Ihn gibt es jetzt nur noch mit ihm, und Ilian zu lieben, seine Freundin zu sein, bedeutet auch, ihm gelegentlich mit dem Kleinen zur Hand zu gehen und ihm den Freiraum zu geben, den er benötigt, um sich um sein Kind zu kümmern.«
Ich nickte. »Das bekomme ich hin.«
Carman streichelte mir über den Arm. »Ich weiß.« Wir lächelten uns an. »Und wer weiß, vielleicht – wenn Ilian und du auch noch in vier bis fünf Jahren ein Paar seid – vielleicht wirst du dann sogar eine richtige Mutter für Roran.«
Ich seufzte wieder.
»Und ich werde die stolzeste Oma der Welt sein, denn manchmal ist Wasser eben doch dicker als Blut. Wenn man es nur mit der richtigen Portion Liebe versetzt.«
»Ilian und ich werden nie eigene Kinder haben können«, plapperte ich laut vor mich hin. »Vielleicht ist Roran die Gelegenheit für uns.«
»Scheiße«, raunte mein Vater lachend. Ich hatte nicht bemerkt, dass er im Türrahmen gelehnt hatte.
»Jetzt hat mich der Bengel doch noch zum Opa gemacht.«
Ich grinste zu ihm herüber.
»Ich schneide ihm die Eier ab«, brummte er, zwinkerte mir dabei aber zu.
»Bitte nicht, Papa – auch wenn Ilian mir kein Kind machen kann, so glaube ich doch, dass wir sie noch brauchen.«
Carmen rollte mit den Augen. Sie würde wohl nie mit der Art klarkommen, wie Papa mit uns Kids sprach. Ja, es war nicht gerade intelligent. Nein, eher trashig, aber ich liebte es!
»Balaurs?«, rief mein Bruder von unten. Sein Ton klang ernst und durchschnitt die gute Stimmung wie einen seidenen Faden. »Diese Audrina ist hier!«
Drachenkacke!