Kapitel 3
Die Metzgerei war gut gefüllt um die Mittagszeit. Die Hausfrauen der Umgebung besorgten Frischfleisch für ihre Familien. Irgendwo hier musste auch das Haus sein, auf dem mein Vater zurzeit herumkletterte …?!
Wie Ilian gesagt hatte, nahm ich den kleinen Weg, der gerade mal so für ein Auto reichte, rechts am Haus vorbei. Wenn sich hier zwei entgegenkamen, hatten die ein Problem. Ich ging weiter und erreichte einen kleinen, mit Kopfstein gepflasterten Innenhof. Eingerahmt von dunkelrot verklinkerten Häusern hatte er etwas angenehm Kühles. Gegenüber war wie von Ilian beschrieben ein Torbogen, der auf eine Grünfläche führte. Auf einer Schaukel dahinter saß Ilian, ein kleines Mädchen mit brünetten Zöpfen auf seinem Schoß. Ihre Haare flatterten ihr im Wind um das Gesicht. Daneben, auf einer Schiffsschaukel, gab ein kleiner, blonder Junge lauthals »Überschlag!« schreiend, alles. Ich blieb stehen und winkte Ilian zu. Er bremste ab und rief dem Jungen in einer fremden Sprache etwas zu. Dieser verlangsamte zwar sein Geschaukel, streckte Ilian aber die Zunge raus. Äußerst erwachsen reagierte dieser, indem er es ihm gleichtat. Als Ilian mit dem kleinen Mädchen im Arm näher kam, fielen mir seine Arme auf. Er trug ein hellblaues T-Shirt und eine graue Jogginghose, doch seine Arme waren über und über mit blauen Flecken versehen. Sein Gesicht wirkte nicht nur lädiert, sondern auch zermürbt und müde. Herrje, der war verprügelt worden!
»Ich weiß«, sagte er mit Blick auf seine Arme. »Sieht schlimm aus.«
»Was zur Hölle ist passiert?«, fragte ich.
»Ich habe im Fieber gekrampft und dabei um mich geschlagen.« Seine Stimme bekam einen eigenartigen Unterton. Er log! Das kam doch nicht davon, dass er um sich geschlagen hatte. Er sah aus, als hätte er sich jeden einzelnen Knochen gebrochen, jeden Muskel gerissen und geprellt … ja selbst in seinem Gesicht waren blasse Schatten.
»Du siehst aus, als wärst du vermöbelt worden!«
»So fühlt es sich auch an.« Sein Gesicht wirkte einen Moment lang unsicher, dann lächelte er wieder und musterte den Zettel in meiner Hand.
»Ein Fieberkrampf also?!«
Er nickte nervös und sah dann zu dem kleinen Mädchen. »Darf ich dir meine kleine Schwester Pippa vorstellen?«
Die Kleine versteckte ihr Gesicht in Ilians Shirt. Wie gerne wollte ich mit ihr tauschen!
»Und der Idiot da hinten ist ihr fast dreijähriger Zwillingsbruder Nino.«
»Hi«, stammelte ich unbeholfen. »Aber nicht eineiig, oder?« Hatte ich das gerade echt gefragt? Mann, natürlich waren sie das nicht. Ich war viel zu aufgeregt.
»Nein … von innen und von außen nicht«, sagte Ilian und küsste Pippa lachend auf den Kopf. Ich riss mich zusammen und hielt ihm den Zettel hin.
»Hier, Conny hat alles drauf geschrieben, was du wissen musst.«
Er nahm ihn mir ab und sah unsicher davon auf. »Magst du kurz reinkommen?« Schokoladenbraune Augen sahen mich mit solch einer Wärme an, dass ich kurz vergaß zu atmen. »Vielleicht etwas trinken?« Er betrachtete mein verschwitztes Gesicht.
»Lissy!?« Oh mein Gott … das war die Stimme meines Vaters! Ich drehte mich um und da stand er auf dem Bürgersteig und spähte durch den Weg und den Torbogen zu uns herüber. In der Hand hielt er eine Tüte vom Metzger. Ich erkannte das Logo selbst auf die Entfernung.
»Ey, wer ist der Kerl und warum bist du nicht in der Schule?«
»Dad«, kreischte ich. »Ich habe eine Freistunde und das ist mein Mitschüler Ilian.«
»Also gut, Ilian, ich hoffe, du kannst die Finger bei dir behalten, sonst ziehe ich dich an deinen Klöten durch Köln!« Das passierte gerade nicht …
»Ich muss mich entschuldigen, ich glaube er hat ADHS«, raunte ich und fuhr mir nervös durch die Haare.
»Hey Lissy?«, rief Papa.
»Ja, Vater?« Ob er die Wut in meiner Stimme hörte?
»Hast du wenigstens Kondome dabei?«
Jetzt reichte es aber. »Ne Papa, ich wollte Ilian nur flott einen blasen!«
Eine alte Frau ging hinter meinem Vater vorbei und schob, nachdem sie das gehört hatte, ihren AOK-Shopper etwas schneller.
»FRÄULEIN! Wenn du mir ein Balg anschleppst …«
»Geh nach Hause!«, unterbrach ich ihn.
»Ich muss arbeiten!« Er hielt die Tüte hoch. »Habe nur Mettbrötchen für mich und die Jungs besorgt. Der Chef hat Geburtstag.«
»Na dann«, schrie ich zurück. »Herzlichen Glückwunsch!«
»Richte ich aus, Prinzessin!« Dann wandte er sich noch einmal an Ilian. »Und du denk dran: Aus Spaß wurde ernst und Ernst kann bald laufen!« Damit verschwand mein Papa. Ich sah zu Ilian, der gleichzeitig geschockt und amüsiert aussah.
»Äh?«, machte er.
»Sag nichts, ich kann mich nur bei dir entschuldigen.«
Wir schwiegen eine kurze Zeit.
»Ähm ja«, sagte er schließlich und drückte Pippa so an sich, dass er ihr mit einer Hand und seinem Oberkörper die Ohren zuhielt. »Möchtest du was zu trinken haben, bevor du mir einen bläst, oder wollen wir gleich zur Sache kommen?« In seinen Augen funkelte der Schalk. Ich dachte nicht nach und boxte ihn auf den Oberarm. Er hätte fast seine kleine Schwester vor Schmerzen fallen lassen.
»Oh mein Gott«, plapperte ich, als er Pippa absetzte, um sich den Arm zu halten. »Tut mir so leid!« Da berührte ich Ilian Balaur das erste Mal richtig. Es war nur eine kleine Berührung an seiner Schulter … und es war nicht mal seine Haut, sondern nur sein T-Shirt, aber es war mir, als würde es die Welt bedeuten. Die Wärme, die ich durch den Stoff spürte, die Art, wie meine Hand genau über seine Schulter passte, und die Muskeln, die sich jetzt auf seinem Oberarm anspannten. Mein ganzer Körper wirkte wie elektrisiert.
»Schon gut«, gluckste er. »Das habe ich verdient.«
»Sorry, sorry, sorry, ich bin unter Kerlen aufgewachsen … daher die Fäkalsprache und die schnelle Rechte!«
Nino kam angelaufen und fragte etwas in der fremden Sprache. Ilian antwortete und der Kleine verschwand, nachdem sich sein großer Bruder wieder aufgerappelt hatte.
»Ich sollte jetzt gehen«, trat ich die Flucht an.
»Warte!«, bat Ilian …
… und nahm meine Hand.
***
»Elisabeth?« Schwummrig drang eine wundervolle Stimme an mein Ohr. »Elisa … Lissy?«
Ich öffnete die Augen und erblickte: Chaos. Poster von alten Rockbands, umherfliegende Klamotten … Bücher, gestapelt, aufgeschlagen, geschlossen … ein Aquarium … Schuhe und Socken … Ich erhob mich mit wummerndem Schädel.
»Scheiße, ich dachte, ich müsste den Notarzt rufen!«
»Ist sie kaputt?«, wollte ein zartes Stimmchen wissen.
»Nein, Pippa, ihr war nur zu warm.«
Ich war in Ilians Zimmer … auf seinem Bett. Ich sah mich um. Auf seinem Nachttisch stand eine geöffnete Dose Cola, ein verstaubtes Radio und das Buch, das er neulich gelesen hatte. Über dem Fernseher hing ein achtlos hingeschmissenes Hemd und der Schreibtisch samt Laptop war überfüllt mit Schulbüchern und Heften.
»Oh Mann«, sagte Ilian peinlich berührt, »jetzt weiß ich, warum meine Mutter immer predigt, ich soll aufräumen und mein Bett machen.«
Ich sah herunter auf die zerwühlten Laken, auf denen ich gelegen hatte.
»Ich schwöre dir, das hat meine Mutter heute Morgen nach der Fiebernacht frisch bezogen!« Er hob eine Hand und legte die andere ans Herz. Eine Frau mit braun gelocktem Haar kam mit einem Glas Wasser hereingestürmt, dicht gefolgt von Nino. Als sie näher kam und ich ihre Augen sehen konnte, war mir klar, wer das war. Ilians Mutter.
»Zum Glück, sie ist aufgewacht!«, sagte sie und nahm mit angewidertem Gesicht die alte Coladose vom Nachttisch, um das Wasserglas abzustellen. Offensichtlich klebte das Ding und war noch halb voll. Sie stellte es auf dem Schreibtisch ab und versuchte danach, ihre Hände an der Hose abzuwischen.
»Wie geht es dir?«
»Alles gut«, sagte ich. »Mein Kreislauf spinnt an bestimmten Tagen schon mal und besonders bei dem heißen Wetter.« Damit log ich nicht mal.
Ilians Mutter nickte verständnisvoll. »Bitte entschuldige das Chaos, aber mein Sohn ist unter anderem in dieser Sache sehr … nennen wir es: erziehungsresistent!«
»Nicht schlimm«, sagte ich und winkte die Sache ab. »Ich besitze zwei Frettchen, die verursachen auch ständig Chaos.« Welches bei weitem nicht so schlimm war wie dieses hier.
»Ein Kleingeist hält Ordnung, ein Genie überblickt das Chaos!«, rechtfertigte Ilian sich. Seine Mutter sagte etwas in der fremden Sprache und verschwand dann mit Nino und Pippa aus dem Zimmer. Ein paar Räume weiter hörte ich ein Baby schreien.
»Der Kleinste«, erklärte Ilian, »Roran.« Seine braunen Augen durchforsteten mich. Sicherlich war er es gewöhnt, blöde Kommentare wegen seiner vielen Geschwister zu hören.
»Wenn du und Arva scheitern solltet, muss ich dich mit Conny verkuppeln, die will auch mal so eine Großfamilie.«
Er wirkte verwirrt, schließlich war ich für ihn lesbisch.
»Du nicht?« Diese Augen …
»Ich weiß nicht. Ich bin quasi ohne Mutter groß geworden, von daher kann ich es mir auch nicht vorstellen, selber mal eine zu sein.« Ich zuckte mit den Schultern. »Mütter sind mir suspekt … bis auf Conny und Mischa komme ich eigentlich mit Kerlen besser zurecht.« Ich glaube, deswegen hatte es Carmen so schwer mit mir.
»Das überrascht mich ehrlich gesagt, aber wir sind ja auch einfacher gestrickt«, sagte er und zwinkerte mir zu, bevor er sich erhob und ein paar der herumliegenden Klamotten einsammelte. Er hielt kurz inne und sah mich ernst an. »Darf ich fragen, was mit deiner Mutter ist?«
»Sie war Archäologin und selten daheim.« Ich zuckte wieder mit den Schultern. »Vor ungefähr zwei Jahren ist sie an Krebs gestorben.«
»Das … das tut mir leid.«
»Schon gut«, seufzte ich und befühlte heimlich den Stoff seines Bettlakens. Mein Blick fiel auf ein Bild von Ilian und Arva an der Wand. Sie hatte von hinten ihre Arme um den nach vorne gebeugten Ilian geschlungen und beide lachten aus vollem Herzen. Es war wie ein Stich mitten in meins.
Ilian bemerkte, dass ich das Bild betrachtete.
»Schön!«, kommentierte ich und zeigte kurz darauf. Bevor er etwas sagen konnte, steckte ein schätzungsweise zwölf Jahre altes Mädchen den Kopf zur Tür herein.
»Hi«, piepste sie schüchtern. »Ich wollte nur kurz sehen, wie es dir geht, Ilian?« Sie kam herein und beäugte mich misstrauisch, bevor sie ihrem Bruder einen Kuss gab. Sie war ganz offensichtlich eine Schwester, denn sie war ein Abziehbild ihrer Mutter.
»Lissy, das ist meine jüngere Schwester Felicia.«
Ich hob meine Hand.
»Wo ist Arva?«, wollte sie wissen und Ilian schien über diese doch so zweideutige Frage nicht glücklich zu sein.
»In der Schule, Felicia. Lissy war so freundlich, mir meine Hausaufgaben zu bringen, bevor sie in unserem Hof ohnmächtig geworden ist.«
Felicia schien ihre Frage leidzutun und sah mich entschuldigend an. »Geht es dir wieder besser, Lissy?«
»Ja, danke«, raunte ich vor mich hin, als ich von Ilians Bett herunterrutschte und mich hinstellte. »Ich muss jetzt wirklich los!«
»Ich helfe dir«, sagte Ilian und war sofort an meiner Seite, doch ich wies ihn mit abwehrend erhobenen Händen ab. Er führte mich hinaus durch den Flur und die Diele. Alle Wände hier waren mit Bücherregalen vollgestellt! Das war ja wie in einer Bibliothek!
»Wir lesen gerne«, sagte Ilian und zuckte mit den Schultern, als er meinen erstaunten Gesichtsausdruck bemerkte.
»Wann kommt Arva?«, hörte ich Felicia hinter uns fragen. Ich murmelte eine kurze Verabschiedung und flüchtete so schnell ich konnte.
Er war so anders gewesen.
So … gar nicht eingebildet oder arrogant.
Scheiße, … wieso konnte er nicht einfach ein Arschloch sein?
***
Liebes Tagebuch,
es war die Hölle.
Die Schmerzen hallen noch jetzt in mir nach.
Doch sie wurden gelindert … durch ein Lachen.
Vielleicht können wir Freunde sein?
Nachtblaue Schuppen. Seiryū
Meine Eltern sind überglücklich.
Ich spüre nur Schmerz.
I.
***
Trulli, Egon und ich schmusten auf meinem Bett, während wir uns gemeinsam eine Castingshow ansahen. Na ja gut, Egon und ich schmusten, Trulli suchte mal wieder Streit. Wir ignorierten sie.
Ilian war heute wieder in der Schule gewesen. Ich hatte ihn nur von weitem gesehen, aber es hatte so ausgesehen, als wären alle seine blauen Flecken verheilt gewesen. Was unmöglich war … hatte er sie überschminkt? Ich weigerte mich, das zu glauben.
Wenigstens gab es gute Neuigkeiten an der Tattoo-Front. Carmen hatte es geschafft und meinen Vater weichgeklopft. Yes! Das Teil würde mein Geburtstagsgeschenk werden und damit ich es auf meinem Geburtstag allen zeigen konnte, wollte Papa mit mir die Tage in den Tattooshop gehen und einen Termin zum Stechen vereinbaren. Zum Glück besaß ich ein Foto meines Bruders, worauf das Tattoo sehr gut zu erkennen war. Aber das Beste war, unsere alljährliche Stufenparty fiel auf das gleiche Wochenende wie mein Geburtstag. Ich hatte sonntags Geburtstag und samstag war die Feier …also reinfeiern! Mit Ilian … ach ja, Ilian. Eigentlich hätte ich heute mit Conny mein Glück in der Muckibude probieren sollen, aber ich hatte mir nicht vorstellen können, dass Ilian nach der angeblichen Fieberattacke schon wieder Sport machen gehen würde. Also schickte ich Conny alleine und stemmte lieber eine Tafel Schokolade. Außerdem musste ich mal meinen Kopf frei bekommen. Dieser Kerl bestimmte mein ganzes Sein, das war nicht gut. Seit Conny von meinen Gefühlen wusste, war es noch schlimmer geworden, denn jetzt konnte ich mit jemandem offen darüber sprechen und mich gleichzeitig noch mehr hineinsteigern. Dann Ilians Einladung bei Facebook, die mir schon einen Besuch bei ihm beschert hatte. Ein Jahr lang passierte gar nichts und jetzt, auf einmal, brach alles über mich herein. Ich musste dringend mal wieder was für mich alleine tun, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Nur gelang es mir nicht.
Mein Handy klingelte.
»Ja, Conny?«, meldete ich mich.
»Tja Pech, Lissy, er ist hier.«
»Der ist irre«, seufzte ich.
»Arva ist bei ihm.« Na toll, jetzt brachte er Verstärkung mit zum Sport. Conny sprach das aus, was ich befürchtete. »Ob er sich von uns bedrängt gefühlt hat und absichtlich seine Freundin mit angeschleift hat?«
»Ich schätze, ja. Umso besser, dass ich nicht da bin!«
»Hmmh«, brummte meine Freundin. »Von der Seite betrachtet, ja.«
»Na ja, dann dreh' für mich 'ne Runde mit, ich habe gerade eine ganze Tafel Schokolade vernichtet.«
»Komm halt nach!«, versuchte sie mich aufzumuntern, doch ich verneinte und verabschiedete mich anschließend bei ihr. Nein, mein Leben durfte nicht nur aus Ilian Balaur bestehen!
Carmen öffnete die Tür nach einem zaghaften Klopfen.
»Hey Lissy, alles klar bei dir? Du hast heute Abend beim Abendessen so niedergeschlagen ausgesehen.«
Ich richtete mich ein wenig auf. »Alles okay, Carmen. Nur … Liebeskummer.«
Sie nickte verständnisvoll.
»Er ist schon vergeben.«
»Das ist gar nicht gut. Hast du denn den Eindruck, dass er sie liebt?«
»Warum sollte man sonst zusammen sein?«, fragte ich mit gerunzelter Stirn.
Carmen lachte in sich hinein. »Ach, in eurem Alter ist noch vieles möglich.«
»Nein«, seufzte ich und dachte an das Bild von Arva und Ilian, welches in seinem Zimmer hing, »er liebt sie … leider.« Ich sah zu dem zerknüllten Papier der Schokolade. »Und an sie komme ich nicht ran.«
Carmen sah mich skeptisch an. »Wieso nicht, Lissy? Was hat sie, was du nicht hast?«
»Einen Traumkörper!«
Oh je, jetzt würde Carmen mir wieder eine Predigt über Schönheitsempfinden in den vergangenen Millionen Jahren und Weiblichkeit halten. Ich unterbrach sie mitten im Redefluss.
»Carmen, ich mag meinen Körper, aber er steht eben auf das AKTUELLE Schönheitsideal, sonst wäre er ja kaum mit ihr zusammen.«
»Das weißt du doch gar nicht?! Vielleicht ist es ihr Charakter, den er so anziehend findet?«
Na ja, intelligent war Arva. Aber ansonsten? Ich kannte sie nicht gut genug, um darüber zu urteilen. Ilians Geschwister schienen sie jedenfalls zu lieben, sonst wäre Felicia nicht so loyal gewesen.
»Ich möchte da jetzt nicht weiter drüber reden, Carmen!«, maulte ich. »Ich finde es wirklich total nett von dir, dass du mir helfen willst, aber ich war gerade dabei zu versuchen, mal nicht an Ilian zu denken.«
»Ilian?«, hakte Carmen nach. »Das ist wirklich ein sehr schöner Name.«
Ich seufzte. »Ja … aber jetzt würde ich echt mal gerne für ein paar Minuten nicht an ihn denken.«
Sie nickte und strich mir über das Bein. Irgendwie war es doch cool, eine Mutter zu haben. Manchmal, jedenfalls.
Da saß ich nun alleine in meinem Zimmer und fragte mich, ob ich bescheuert war. Der Sport mit Conny hatte mir Spaß gemacht … und ich saß hier und versauerte mit zwei bekloppten Frettchen! Und zu versuchen, nicht an Ilian zu denken, war, als würde ich ein heranrollendes Gewitter aufhalten wollen. Unmöglich. Ich sollte akzeptieren, dass ich unglücklich verliebt war, und weiter leben. Ehe ich mich versah, war ich wie von Geisterhand aufgestanden und zog mich um. Das Handy in einer Hand simste ich Conny, dass ich mich auf den Weg machte. Sie antwortete mit einem Smiley.
Im Bus öffnete ich die Facebook-App auf meinem Handy und klickte automatisch auf die Neuigkeiten. Ilian Balaur hat an deine Chronik gepostet. Na Bravo! Mit nervösem Zappeln wartete ich darauf, dass das Handy die Nachricht geladen hatte.
Ich danke dir, liebe Elisabeth (ja, du hast richtig gelesen!)!
Pippa hat heute beim Abendessen der gesamten Familie und Arva verkündet: »Lissy hat Ilian geblasen und dann ist sie umgefallen!« Ich glaube, mein Vater hustet jetzt noch.
Er postete das an meine Pinnwand? War er irre? Wenn Arva das las! Wobei, die war ja nicht meine Facebook-Freundin, also dürfte sie es nicht sehen können. Egal, DAS musste ich kommentieren!
Oh Schreck … meine verdorbene Seele hat um sich gegriffen und ein unschuldiges Kind vergiftet! Aber mal ehrlich, Ilian. Was kann ich dafür, dass man sich bei dir so viel Mühe geben muss, dass man vor Atemnot umkippt? ;-)
Ich konnte nicht anders … er hatte mir eine Steilvorlage gegeben! Da blieb mir nur hoffen, dass er das sportlich nahm.
Als ich das Fitnessstudio betrat, erwartete Conny mich bereits an der Saftbar. Sie sah einfach hinreißend aus in ihren knallengen Hotpants und dem Oberteil, das wohl eher ein Sport-BH war.
»Ich bin so froh, dass du doch noch gekommen bist!«
»Ja, aber können wir irgendwo hingehen, wo ER nicht ist?«
Conny sah verwirrt aus, nickte dann aber zustimmend. Wir gingen zu den Fahrrädern in der Hoffnung, dort Ilian nicht über den Weg zu laufen. Ihn sahen wir auch nicht, aber Arva. Und ausgerechnet neben ihr waren die einzigen beiden freien Räder nebeneinander. Vereinzelt gab es noch freie, aber wir wollten uns ja unterhalten. Also bissen wir in den sauren Apfel, in der Hoffnung, dass wir sie vergraulen würden.
»Hi«, begrüßte ich Arva, die sich die Kopfhörer von den Ohren zog und uns überrascht ansah.
»Hallo, ihr zwei.« Ihre Stimme war so melodiös! Ich hasste sie dafür …
»Pass auf, Arva«, kam es plötzlich von hinten. Ich drehte mich um und da stand Ilian. Verschwitzt und unglaublich heiß … ich schwöre, ich wäre fast umgefallen.
»Lissy singt gerne beim Sport!«
»Ha ha!«, machte ich und schluckte einen Kloß im Hals herunter. Mein ganzer Körper vibrierte vor Verlangen, mich auf ihn zu werfen.
»Was singst du uns denn heute?«, fragte er und zog sein T-Shirt hoch, um sich damit den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Meine Augen blieben an seinem flachen, trainierten Bauch und dem dazugehörigen Bauchnabel hängen, bis das Shirt die Sicht wieder verdeckte.
»Hmm«, brummte ich, »ich dachte an Sexy and I know it von LMFAO?«
»Girl look at that body«, sang Conny mit ihrer tiefsten Stimme eine Zeile aus dem Song und ich musste grinsen. Ich sah zu ihr und sie zwinkerte mir zu.
»Schon Facebook gesehen?«, fragte Ilian mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Arva lachte glockenhell neben mir.
»Jap und auch geantwortet!«
Ilian zog sein Handy hervor. Ein Lächeln auf seinem Gesicht verriet mir, dass er meine Antwort gelesen hatte. »Du bist echt unglaublich, Lissy«, gluckste er. »Aber wer ist Ke Vin?«
»Muhahahaha«, lachte Conny künstlich. »Hat der was geschrieben?«
Ilian sah erst sie und dann mich fragend an.
Ich fuhr mir genervt durch die Haare. »Einmal gepoppt, nie mehr gestoppt!«, grummelte ich. »Was hat er geschrieben?«
Jetzt lachte Conny aus vollem Herzen.
»Er schreibt: Wer ist der Kerl, Lissy?«, las Ilian vor.
»Der hat Lissy entjungfert«, plapperte Conny aus dem Nähkästchen, »und rennt ihr nun hinterher wie ein läufiger Hund, obwohl das schon fast zwei Jahre her ist!«
»Ich habe kein Glück mit Kerlen«, seufzte ich und wich ganz bewusst Ilians Blick aus. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass ich etwas rot wurde.
»Moment mal«, sagte Arva und hörte auf, in die Pedale zu treten. »Seid ihr zwei nicht …«
»Ein Paar?«, half Conny ihr. »Nein, nie gewesen. Ich weiß schon gar nicht mehr genau, wie das angefangen hat?! Jedenfalls ist es jetzt unser Running Gag.«
»Sven lässt mich jetzt jedenfalls in Frieden«, sagte ich.
»Der war wirklich aufdringlich«, stimmte mir Arva zu, die in Spanisch oft Zeugin von Svens Annäherungsversuchen geworden war.
»Ja, der kann mich mal!«
»Ich weiß, wer dich wirklich mal kann!«, trällerte Conny vor sich hin und ich sah sie mit einem bösen Blick an. »Schon gut, ich verrate es nicht, auch wenn Ilian und Arva ihn sowieso nicht kennen!«
»Oh Mann, und ich dachte echt die ganze Zeit, ihr wärt ein Paar«, plapperte Arva vor sich hin. Ilian war erstaunlich still geworden, aber ich traute mich nicht, ihn anzusehen.
»Gehen wir, Arva?«, meldete er sich schließlich doch zu Wort. Seine Stimme klang eigenartig belegt. Arva sah zu ihm auf und nickte. Hatte da einen Moment lang Sorge in ihren Augen gefunkelt?
»Wir sehen uns morgen in der Schule!«, sagte sie noch, bevor sie aufstand, und ich nickte ihr zu. Conny und ich wollten gerade mit Sport loslegen, als wir Arva kreischen hörten. Wir drehten uns um und sahen, wie Ilian versuchte, Arva zu umarmen. Die hatte aber anscheinend ein Problem mit seinem verschwitzten Shirt. Lachend verschwanden die beiden aus unserer Sichtweite. Ein Stich in meinem Herzen legte mich fast lahm.
»Was hat sie nur?«, seufzte ich. »Der dürfte mich von oben bis unten vollschwitzen … kein Problem.«
»Oh Mann,… muss Liebe schön sein!«
***
Liebes Tagebuch,
mir ist so heiß.
Die Hitze bringt mich noch um. Ich laufe und laufe …
Seiryū verlangt es ebenfalls nach ihr. Seit er erwacht ist, spüre ich es noch stärker als vorher.
Das Verlangen, die Sehnsucht …
Sie ist nicht so unerreichbar, wie ich dachte.
Dennoch … es ist kein Platz für mich in ihrem Leben.
Ich werde duschen gehen und meinen Körper von dem Druck der Erregung erlösen, in der Hoffnung dass es Seiryū im Zaun hält.
I.
***
»Butter, … Mehl, … Eier, … Zucker, … und … ach ja, Vanillearoma«, grübelte Carmen im Supermarkt neben mir.
»Ich gehe schon mal zur Wursttheke«, erklärte ich und meine Stiefmutter nickte gedankenverloren. Vorbei am Waschpulver und dem Tierfutter ging ich geradewegs auf die Frischfleischtheke zu. Ein einziger Einkaufswagen, in dem vorne ein kleines Mädchen saß, stand dort. Am Regal gegenüber kniete ein junger Mann. Ich linste über die Theke … niemand zu sehen. Sicherlich war nur ein Verkäufer da und der holte gerade etwas für den Mann mit dem kleinen Mädchen.
»Lissy!«, hörte ich plötzlich das Mädchen rufen. Ich sah noch einmal genau hin. Oh Mensch …
»Pippa!«, sagte ich. »Hallo, kleine Maus.«
Der Mann drehte sich um. Brünette Haare, braune Augen. Eindeutig ein Hengst aus der biologischen Erzeugung des Balaur-Stalls. Etwa neunzehn Jahre alt. Vielleicht auch schon zwanzig.
»Hi!«, begrüßte er mich. Die gleichen treuen Augen wie sein kleiner Bruder.
»Hallo, schöner Mann«, trällerte ich.
»Du MUSST Elisabeth sein?« Das warme Braun seiner Iris funkelte aufgeregt. Ilian hatte ihm also von mir erzählt … oder Pippa.
»Und du MUSST Ilians großer Bruder sein.«
»Dean«, sagte er und hielt mir lachend eine Hand hin.
»Dean … wie James Dean?!«, fragte ich und ergriff sie zu einem kurzen Händeschütteln.
»Ja.« Er kratzte sich verlegen am Kopf. »Meine Mutter findet den irgendwie toll … und mein Vater hat sich nie bei der Namenswahl eingemischt.«
»Daher habt ihr also alle die außergewöhnlichen Namen.«
»Sie liest gerne, wie wir alle eigentlich.« Er zuckte mit den Schultern. »Nummer neun wird entweder ein Firnen, wie der Drache aus Eragon, oder eine Rania, wie die Königin von Jordanien.«
»Sie ist wieder schwanger?« Wie alt war der kleine Roran eigentlich?
»Ja, aber es ist noch viel zu früh, um ein Geschlecht zu erkennen.«
»Dean, was denkst du …« Das Mädchen, etwa mein Alter, das da auf uns zugelaufen kam, war eher unscheinbar. Braunes Haar, Brille, recht mager. Aber sie hatte etwas unglaublich freundliches in ihrer Art und ihrer Ausstrahlung. Ein Mauerblümchen, keine Frage, aber ein liebes Mauerblümchen. Sie hielt inne und sah mich an.
»Elisabeth, darf ich dir meine Verlobte Sophia vorstellen?«
Okay, die mussten beide älter sein, als ich gedacht hatte. Wir reichten uns die Hände.
»Verlobte?«, fragte ich. »Hui, wann ist es denn soweit?«
»Dieses Wochenende«, sagte Sophia mit aufgeregter Stimme. Der Metzger erschien hinter der Theke mit einer großen Tüte Fleisch.
»Wow, wollt ihr ein Wolfsrudel füttern oder ist das für die Hochzeit?«, fragte ich bei dem Anblick der Fleischmassen.
»Beides«, gluckste Dean und sah Sophia mit einem Blick voller Liebe an.
»Nicht Metzgerei Drake?«, fragte ich.
Der sanfte Ausdruck in Deans Gesicht verschwand. »Nein, lange Geschichte.«
Sophia wirkte einen Moment unglücklich, doch dann lachte sie wieder tapfer. »Wir feiern im ganz kleinen Kreis. Nur Familie und ein kleines Grillfest nach dem Standesamt.«
»Na dann hoffe ich, Ilian verbrennt die Burger nicht!«
Dean lachte. »Woher weißt du, dass er bei uns der Grillmeister ist?«
»Facebook«, erklärte ich. »Und eine gute Portion vorlautes Raten.«
»Kommst du auch?«, fragte Pippa plötzlich und brachte uns alle in eine peinliche Situation.
»Nein, Pippa, ich gehöre nicht zur Familie«, sagte ich und erlöste das Brautpaar von der Verpflichtung, etwas zu sagen. »Mein Plan für dieses Wochenende ist es, die Weltherrschaft an mich zu reißen.«
Dean und Sophia lachten.
»Nein, in Wirklichkeit muss ich meiner Stiefmutter im Atelier helfen. Als Dank dafür, dass sie meinen Vater für mich wegen eines Tattoos breitgequatscht hat.«
»Kommst du uns mal wieder besuchen?«, fragte Pippa.
Ich war ihr dankbar, dass sie nicht vorschlug, dass ich Ilian dann wieder, wie sie es ausgedrückt hatte, blasen könnte.
»Bestimmt, irgendwann mal«, vertröstete ich sie.
Oh Mann, nicht an Ilian zu denken lief ja richtig gut.
Das Wochenende verbrachte ich damit, Skulpturen meiner Stiefmutter von A nach B zu schleppen und sie »ins richtige Licht« zu setzen. Was auch immer das heißen mochte. Ich war so ausgepowert, dass ich die meiste Zeit über wirklich Ilian vergaß. Dann, in den wenigen Momenten der Ruhe, schnappte ich mir mein Handy und sah bei Facebook rein. Ich hatte die Hoffnung, er würde ein Bild des Brautpaares posten, tat er aber leider nicht. Dennoch schrieb ich ihm kurz per Nachricht, dass er in meinem Namen gratulieren soll. Es kam ein simples, kurzes »Danke« als Antwort.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch machte ich mich am Montagmorgen auf den Weg zum Spanisch-Klassenraum. Wieso musste mein Bauch nur jedes Mal so prickeln, wenn ich wusste, dass ich gleich Ilian sah?
Ich bog um die Ecke und entdeckte Ilian und Arva, die vor dem Gebäude standen. Irgendwas wirkte seltsam an ihnen, und auch wenn Ilian in schwarzem Polohemd und Jeans einfach nur zum Anbeißen aussah, so sagte seine Körperhaltung, dass etwas nicht stimmte. Erst als ich näher kam, begriff ich, was mich an dem Bild gestört hatte. Sie stritten! Ich beschleunigte meine Schritte, um so schnell wie möglich an ihnen vorbei zu kommen. Hastig eilte ich an ihnen vorbei. Nachdem sie mich bemerkt hatten, schwiegen sie sich an. Dann hörte ich ein Klatschen. Ich sah mich um. Ilian hielt sich die Wange. Leider konnte ich sein Gesicht nicht sehen, denn er war jetzt mit dem Rücken zu mir. Dafür hörte ich aber seine wütende Stimme … man, was war das für eine Sprache? Er hatte schon mit seiner Familie so gesprochen.
Das hier ging mich nun wirklich nichts an! Ich sah zu, dass ich weiterkam. Als ich gerade in den Klassenraum ging, stieß plötzlich jemand von hinten gegen mich.
»Hey, keine Augen im …«, schimpfte ich, als Ilian sich an mir vorbeischob. Die braunen Augen sahen mich gestresst, aber um Entschuldigung flehend, an.
»Tut mir leid, Lissy!«, sagte er und hob die Hände, bevor er sich entschlossenen Ganges zu seinem Platz aufmachte.
»Unglaublich«, raunte ich. Verschwitzt ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken. Das Wetter und dieser Kerl machten mich irre.
»¡Hola!«, trällerte unser Lehrer, als er zur Tür hereinkam. Ich mochte Herrn Senker sehr gerne. Er hatte immer gute Laune und war gar nicht so unansehnlich mit seinen rund dreißig Jahren und den schönen, schwarzen Haaren. Ich packte mein Heft aus und öffnete es an der nächsten freien Seite. Was wohl zwischen Ilian und Arva passiert war? NEIN LISSY, das geht dich nichts an!, schimpfte ich mich selbst. Aber was um Himmels willen hatte Ilian getan, dass er sich eine Backpfeife verdient hatte? Arva lief schnell hinter dem Lehrer herein und setzte sich auf ihren Platz in einer der hinteren Reihen. Ich stellte zufrieden fest, dass Sven mich nicht mal angesehen hatte. Sehr gut, meine Warnung wirkte immer noch. Eine Welle Mitleid für Ilian überspülte mich, als ich sah, wie krampfhaft er seinen Stift festhielt. Vor ein paar Tagen war er mal ohne jeden Kommentar aus dem Klassenzimmer gestürmt und hatte mir damit einen riesigen Schrecken eingejagt. Die Angst davor, er könnte das noch einmal tun, wuchs immer mehr in mir, bis er es schließlich auch tat. Was hatte er nur? Ich sah zu Arva, die stur geradeaus sah. Tolle Freundin!
In der Kantine saß ich mit meinen Freunden am Tisch neben den Perfekten. Irgendwie hatte schon die ganze Zeit eine Spannung in der Luft gelegen, ich konnte nicht benennen, was es war, die Stimmung war eigenartig bedrückend. Selbst meine Freunde waren heute sehr schweigsam.
»Wer ist denn das?«, fragte Conny plötzlich und deutete mit dem Kinn auf einen blonden Mann, der gerade mit einem Baby in so einer Babyschale für das Auto hereingerannt kam. Er steuerte geradewegs auf die Perfekten zu und hielt an, als Audrina und Ilian sich erhoben.
»Was willst du hier?«, fragte Audrina mit eiskalter Stimme.
»Meine Frau, sie hatte einen Unfall.«
Mein Herz rutschte mir herunter bis in die Füße.
»Ich muss mit meinem Sohn sprechen.«
Was für ein merkwürdiges Verhalten?! Er war Audrina doch keine Rechenschaft schuldig!?
»Was ist passiert?«, fragte Ilian und seine Stimme klang besorgt. Ich spürte den Drang, mich neben ihn zu stellen, widerstand aber der Versuchung.
»Ilian, deine Mutter hatte einen Autounfall.«
»Wie geht es ihr?« Seine Stimme kippte vor Angst.
»Sie wird gerade operiert.« Ilians Vater fuhr sich durch die Haare. »Ich muss ins Krankenhaus zu ihr und den Kleinen – könntest du Roran …?«
»Du schreibst gleich Mathe«, fuhr Audrina dazwischen, doch Ilian nahm seinem Vater den Autositz samt Kind und die Wickeltasche ab.
»Ist Dean schon im Flugzeug?«, wollte er wissen und sein Vater nickte.
»Ich melde mich aus dem Krankenhaus, sobald ich etwas weiß«, versprach er und gab seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn. Dann sah er kurz zu Audrina und neigte kaum merklich sein Haupt. Was zur …? Ilian stellte den schlafenden Roran mit zittrigen Händen neben sich auf den Boden und hängte die Wickeltasche über den Stuhl.
»Na toll«, hörte ich Arva, doch dann wurde ihre Stimme leiser und ich bekam nicht mit, was sie da zischte. Irgendwas mit besser aufgehoben bei anderen Frauen. Ilian riss die eben erst aufgehängte Tasche wieder herunter und stand auf.
»Es tut mir leid, aber ich habe jetzt andere Sorgen!«, fuhr er die Runde an. »Ich habe keine Ahnung, was mit meiner Mutter ist, habe meinen kleinen Bruder hier und muss jetzt zusehen, dass ich Mathe nachschreiben darf.« Er nahm die Babyschale und ging los. Als er an unserem Tisch vorbeikam, streiften sich kurz unsere Blicke … seine Augen … irgendwas war seltsam blass an ihnen ... und seine Pupille …
»Du weißt, dass wir deine Familie sind?«, rief Audrina ihm hinterher. Ilian ignorierte es und sie setzte sich mit wütend funkelnden Augen hin. Meine Freunde und ich starrten uns sprachlos an. Was war denn da los? Ich sah Conny an und ich glaube, sie las den Schmerz in meinen Augen. Alles in mir drängte mich, ihm nachzulaufen, aber ich konnte mich zurückhalten. Ich war keine Freundin von ihm. Dennoch schnappte ich mir mein Handy und schrieb ihm eine Nachricht über Facebook, dass ich für ihn da wäre, wenn er Hilfe bräuchte. Das konnte ich mir vor lauter Sorge nicht verkneifen.