8. Kapitel
Im Aurora-Heilinstitut auf Obroa-skai summten und piepsten Bioscanner und Lebenserhaltungssysteme einander zu. Um das Bett des Patienten hatte sich eine Gruppe von Ärzten und Medidroiden versammelt, die ihre Ansichten austauschten.
»Die Hirnwellen weisen auf einen Anstieg von Phase drei zu hypnopomp hin«, meldete einer der Droiden. »Der REM-Schlaf hat aufgehört.«
»Ganz vorsichtig jetzt«, wies Sompa den Droiden an. Seine Schädelzöpfe wanden sich vor Anspannung. »Er kommt zu sich, aber der Übergang muss behutsam durchgeführt werden.« Der Ho’Din-Mediziner hielt inne, um die Anzeigen zu studieren, und wandte sich dann an einen anderen Droiden. »Erhöhe die Dosierung um einen halben Punkt!«
Der Droide gehorchte und drehte die Blende der Ventilapparatur weiter auf, die den Arzneimittelfluss in den Arm des Patienten regulierte.
»Vorsichtig!«, warnte Sompa. Er warf erneut einen verstohlenen Blick auf die Monitore und fand die Neurobilder angenehm ermutigend. »Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, ihn diesmal wieder ganz zurückzubringen.«
Der menschliche Patient stöhnte, jedoch nicht vor Schmerz, eher, als würde er aus einem langen Mittagsschläfchen erwachen.
Wie um dem Ruf des Aurora gerecht zu werden, gehörten die Medidroiden zum Besten, was man mit Geld kaufen konnte: ein humanoider 2–1B von Industrie-Automaton, ein zwanzig Jahre alter Medtech-Mediassistent der FX-10-Serie, ausgestattet mit den modernsten Entscheidungsprozessoren, zwei GH-7 von Chiewab, deren Repulsorlifts es ihnen erlaubten, unter der Decke zu schweben und niemandem in die Quere zu kommen, und zwei medizinische Spezialisten der MD-11-Serie, die auf neurologische Analyse programmiert waren. Keins der Mitglieder des aus verschiedenen Spezies bestehenden Ärzteteams trug Chirurgenhandschuhe, Kittel oder Masken. Alle waren mit weißen Jacken, Hosen und Hemden bekleidet, wie sie im Aurora-Zentrum üblich waren.
Die Medidroiden waren vor Ort, um Arzneimittel zu verabreichen und die Behandlung zu überwachen und aufzuzeichnen. Der Chefneurologe Lial Sompa rechnete nicht mit irgendwelchen Überraschungen. Die Vitalwerte des Patienten waren ausgezeichnet, und das Risiko, dass er einen Schock oder einen Herzstillstand erlitt, war minimal. Er hatte das Herz und die Lunge eines Dreißigjährigen – im wahrsten Sinne des Wortes –, und die Nieren, die Milz, die Bauchspeicheldrüse und die Leber von jemandem, der halb so alt war wie er. In den Wochen nach der letzten Nervenspleißung samt Tiefenneuronenstimulation war er nie wirklich bei Bewusstsein gewesen, sondern hatte Schlaf-Wach-Zyklen durchgemacht, sich hin und her geworfen und umgedreht, laut gesprochen, mit den Zähnen geknirscht, gelacht und geweint, vielleicht als Reaktion auf einige der lebhaften Träume, mit denen Sompa ihn nunmehr seit einem Jahrzehnt fütterte. Tatsächlich wurde der Patient wie ein Tiefseetaucher auf einem Wasserplaneten an die Oberfläche seines Bewusstseins geholt – langsam und methodisch, um zu verhindern, dass ihn die Dekompressionskrankheit befiel. Erfolgssicher hatte Sompa befohlen, den Ernährungsschlauch zu entfernen.
»Sie sind zu selbstsicher«, sagte Ril Bezant. Bezant, eine Twi’lek, war die gefeiertste Psychotherapeutin des Aurora. »Wir waren schon öfter an diesem Punkt, als ich zählen kann.«
»Diesmal wird es anders sein«, versprach Sompa.
»Ich finde es moralisch unverantwortlich, dass Sie weiterhin die Hälfte der Ressourcen dieser Einrichtung für eins Ihrer Lieblingsprojekte verwenden.«
Mit einem Mal gewannen Sompas Schädelzöpfe an Farbe. »Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie bloß als Beobachterin hier sind?«
»Etwas anderes käme für mich ohnehin nicht infrage, Lial.«
Sompa musterte sie. »Warum sind Sie so hartnäckig darauf bedacht, diesen Mann sterben zu sehen?«
»Nicht hartnäckiger, als Sie in Ihrem Bemühen sind, ihn um jeden Preis am Leben zu erhalten – wenn wir gewillt sind, das hier Leben zu nennen.«
»Ich will mehr, als ihn am Leben halten.«
»Sie sind nicht allmächtig, ganz gleich, was die Ihnen auf der Rhinnal-Akademie eingetrichtert haben.«
»Ich bin mir meiner begrenzten Möglichkeiten vollkommen bewusst.«
»Dann haben Sie all diese Jahre über gute Arbeit darin geleistet, viele von uns diesbezüglich an der Nase herumzuführen.« Bezant wies auf einen der Anzeigeschirme. »Der Retikulärgewebeschaden ist nach wie vor sehr umfangreich. Die isolierten kortiko-thalamischen Netzwerke zeigen nur begrenzte Konnektivität und bloß teilweise Funktionsfähigkeit … Selbst wenn er zu sich kommt, sind seine Überlebenschancen minimal.«
Sompa richtete seine Erwiderung darauf an das gesamte Team. »Wir haben seinen Körper am Leben erhalten. Seine Muskeln wurden stimuliert und intakt gehalten. Versagende Organe wurden ausgetauscht. Sein Blut wurde gereinigt. Ungeachtet des Hirnschadens bin ich zuversichtlich, dass wir seinen Verstand genauso gesund erhalten haben wie seinen Körper.«
»Fleisch kann man einfrieren«, konterte Bezant. »Lebewesen können in Karbonit konserviert werden. Doch das empfindungsfähige Hirn ist kein Muskel.«
»Wir haben ihm Träume und Erinnerungen gegeben. Sein Verstand ist gesund.«
»Sie haben ihm Erinnerungen eingepflanzt«, sagte Bezant nachdrücklicher. »Erinnerungen an ein Leben, das er nicht gelebt hat. Selbst wenn er erwacht, wird er in psychologischer Hinsicht im Eimer sein.«
Sompa winkte ab. »Nebenwirkungen können wir mit Therapien behandeln. Damit wird man genauso leicht fertig wie mit wiederkehrenden Träumen.«
»Er wird für den Rest seines Lebens psychologisch betreut werden müssen.«
»Das gilt auch für viele andere, die keinen Nervenschaden erlitten haben wie er.«
Bezant atmete resigniert aus, und ihre Lekku bebten. »Ich werde nie begreifen, was das Ganze soll, Lial. Sie haben doch bereits ein Regal voller Faan’er-Preise.«
»Hierbei geht es nicht um Preise, Frau Doktor.«
»Worum dann? Sie können doch nicht allen Ernstes glauben, dass es für diese Behandlung universelle Anwendungsmöglichkeiten gibt? Die meisten der Leute, die hier behandelt werden, könnten sich kaum leisten, was es gekostet hat, den hier auf Eis liegen zu lassen.«
»Dr. Sompa«, unterbrach der 2–1B.
Sompa drehte sich gerade rechtzeitig um, um die Lider des Patienten flattern zu sehen, dann blinzelten sie und schnappten schließlich auf. Blaue Augen starrten zu der Ansammlung von Menschen-, Fremdweltler- und Droidengesichtern empor.
»Gewisse diskonjugate Bewegungen der Augäpfel«, stellte derselbe Droide fest.
»Reduziert das Licht!«, sagte Sompa, die Augen auf die Anzeigen fixiert, die den Herzschlag und die Atmungswerte wiedergaben. Er beugte sich ein wenig zum Patienten vor und sagte mit sanfter Stimme: »Captain Jadak.«
Jadaks Iris weitete sich, und sein Herzschlag wurde schneller.
»Liegen Sie still«, fuhr Sompa fort. »Versuchen Sie noch nicht zu sprechen.« Sompa wartete, bis sich Jadaks Vitalzeichen stabilisierten. »Sie befinden sich in einer medizinischen Einrichtung, Captain. Sie sind schon eine Weile hier – eine sehr lange Zeit, um genau zu sein, doch darüber reden wir später. Als Folge der multifokalen Hirnverletzungen, die Sie erlitten haben, sind sie in einen anhaltenden vegetativen Zustand verfallen. Während Ihres langen Genesungsprozesses hielten wir es für angebracht, Sie ins Koma zu versetzen, bis wir sicher sein konnten, dass Ihre Verletzungen verheilt sind. Sie mussten sich einer Reihe von Operationen und Behandlungen unterziehen. Ihre Muskeln sind in einem fort stimuliert worden, um Resorption und Atrophie zu vermeiden, und wir haben Ihren Verstand mit Träumen versorgt, die Ihnen möglicherweise eher wie Erinnerungen vorkommen. Mit der Zeit werden Sie allerdings anfangen, sie von Ihren tatsächlichen Erinnerungen zu unterscheiden.«
Jadak blinzelte wiederholt, aus seinen Augenwinkeln quollen Tränen.
Sompa legte Jadak beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Ich werde Ihnen jetzt eine Reihe von Ja-oder-Nein-Fragen stellen. Ich möchte, dass sie für Ja einmal mit Ihren Augen blinzeln, und zweimal für Nein. Haben Sie verstanden?«
Jadak blinzelte einmal.
»Wir haben an Ihrer Kehle ein empfindliches Mikrofon angebracht. Sollten Sie sich dem nachher gewachsen fühlen, möchte ich gern, dass Sie sprechen. Haben Sie verstanden?«
Blinzel.
»Haben Sie Ihren Namen wiedererkannt, als ich ihn nannte?«
Blinzel.
»Erinnern Sie sich an irgendetwas aus Ihrem Leben?«
Blinzel.
Sompa warf Bezant einen flüchtigen Blick zu, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte.
»Hier im Aurora-Heilinstitut sind wir darauf spezialisiert, die Patienten lange über ihre normale Daseinsspanne hinaus am Leben zu erhalten«, fuhr Sompa mit derselben sanften, langsamen Stimme fort. »Doch Ihr Fall ist praktisch einzigartig, mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu hundert Millionen – das, was man ein medizinisches Wunder nennen könnte. Nur wenige haben das Glück, eine zweite Chance zu bekommen. Verstehen Sie das?«
Blinzel.
Sompa richtete sich ein wenig auf. »Haben Sie irgendwelche Erinnerungen an den Vorfall, der Sie ins Koma gebracht hat?«
Jadak blinzelte zweimal.
Sompa warf einen Blick auf die Herzfrequenzanzeige. »Das ist schon in Ordnung, Captain. Ihr Gedächtnis wird zu gegebener Zeit zurückkehren. Haben Sie irgendwelche Schmerzen oder Beschwerden?«
Blinzel, Blinzel.
»Spüren Sie Ihren Körper?«
Blinzel.
»Möchten Sie versuchen, sich aufzusetzen?«
Auf Jadaks einzelnes Blinzeln hin betätigte einer der Medidroiden eine Fernbedienung, um das Kopfteil des Bettes hochzufahren. Ein anderer Droide reichte dem Patienten ein Glas Wasser, an dem Jadak durch einen Strohhalm nippte.
»Möchten Sie sprechen?«, fragte Sompa nach einem Moment.
»Ja.« Jadak keuchte und räusperte sich. »Reeze?«
Sompa sah einen der Droiden um eine Erklärung bittend an.
»Der Kopilot.«
»Es tut mir leid, Captain. Ihr Kopilot hat den Unfall nicht überlebt.«
Jadak senkte bekümmert den Kopf und hob ihn dann wieder. »Das Schiff?«
Sompa überließ es dem Droiden von eben, darauf zu antworten.
»Bezüglich des Schiffs liegen uns keinerlei Informationen vor.«
Unvermittelt legte sich Jadaks Stirn in Falten, und er blickte an seinem Körper hinab. »Ich kann meine Beine nicht fühlen.«
Sompas Schädelzöpfe wogten. »Tja, nun, das liegt daran, dass es uns nicht möglich war, Ihre Unterschenkel zu retten. Wir entschieden uns dafür, keine Prothesen zu implantieren, bis wir sicher sein können, dass Sie imstande sind, sie auch zu benutzen.«
Jadak nahm das schweigend in sich auf. »Wie lange war ich im Koma?«, fragte er schließlich.
Sompa tauschte Blicke mit Bezant, die dem Neurologen bei der Antwort darauf zuvorkam.
»Zweiundsechzig Standardjahre.«
Jadaks blaue Augen quollen ihm förmlich aus dem Kopf.