1. Kapitel
CORELLIANISCHE INGENIEURSGESELLSCHAFT
ORBITALFERTIGUNGSANLAGE 7 – 60 JAHRE VOR DER SCHLACHT VON YAVIN
Soly Kantt, dessen Schicht langsam, aber sicher zu Ende ging, ließ seinen Blick träge zwischen der Anzeige des Wandchronos und einer Nachrichtenübertragung im HoloNet hin- und herschweifen. Ein Unentschieden im Schockballspiel zwischen Kuat und Commenor gestern Abend und Konflikte unter den Angehörigen eines raumfahrenden Volks, das als die Mandalorianer bekannt war. Kantt, ein schlaksiger Mensch mit einer Familie auf Corellia und zehn Jahre in diesem Job auf dem Buckel, hatte seine empfindlichen Hände hinter dem Kopf verschränkt und seine Füße mit übereinandergeschlagenen Knöcheln auf die Konsole gelegt, die sein ganz persönliches Reich an Bord von CIG-Orbitalstation 7 darstellte. Auf seinem Schoß lag ein aufgeschlagenes Holozin, und ein halbleerer Becher mit kaltem Kaf stand zusammen mit zwei ganz leeren im Getränkehalter des Sessels. Jenseits der Transparistahlscheibe, die das schimmernde Überwachungsdeck krönte, glitt ein steter Strom von YT-1300-Raumfrachtern dahin – frisch aus der Montagestraße, wenn auch noch nicht lackiert –, die von einer Schar Leitbojen dirigiert wurden, die der kybernetische Vorarbeiter der Fabrik bediente.
Mit seinen fünfunddreißig Metern Länge und einem Frachtvermögen von hundert Tonnen war der YT noch kein Standardjahr in Produktion, doch das hatte genügt, um vom Stand weg zu einem echten Klassiker zu werden. Entworfen mit der Unterstützung von Narro Sienar, dem Besitzer eines der größten Mitbewerber der CIG im Schiffsbaugeschäft, wurde der Raumfrachter als kostengünstige und leicht modifizierbare Alternative zu den wenig anpassungsfähigen Schiffen der YG-Serie beworben. Im Gegensatz zum größten Teil der übrigen Raumschiffpalette der CIG, die als ideenlos galt, besaß der YT-1300 ein gewisses Flair der Zweckmäßigkeit. Einzigartig wurde das Schiff durch seinen untertassenförmigen Kern, an den eine breite Vielfalt von Komponenten angebracht werden konnte, einschließlich eines Auslegercockpits und verschiedener Sensormodule. Standardmäßig wurde das Schiff mit zwei Frontmandibeln ausgeliefert, die das Außenhüllendesign in die Länge streckten, und mit einer neuen Generation von Droidenhirn, das die leistungsstarken Sublicht- und Hyperraumtriebwerke des Schiffs überwachte.
Kantt hatte längst aus den Augen verloren, wie viele YTs an ihm vorbeigezogen waren, seit er vor acht Stunden in den Sicherheitsscanner von Anlage 7 geschaut hatte, doch es mussten doppelt so viele gewesen sein wie letzten Monat. Trotzdem verkaufte sich das Schiff so schnell, dass die Produktionskapazitäten nicht ausreichten, um die Nachfrage zu befriedigen. Kantt stellte seine Füße auf den Boden, streckte die Arme über den Kopf und war gerade dabei, herzhaft zu gähnen, als an der Konsole ein schriller Alarm losging, der ihn schlagartig vollkommen munter werden ließ. Seine blutunterlaufenen Augen schweiften über die zahlreichen Anzeigeschirme an Deck, als ein junger Techniker in einem hellen Overall und mit Komlink-Headset von der Station nebenan herübergeeilt kam.
»Das ist das Kontrollventil bei einem der Betankungsdroiden!«
Kantt schoss in die Höhe und beugte sich über die Konsole, um einen besseren Blick auf die Montagestraße zu haben. Auf einer Seite der Anlage, badend im grellen Glanz einer Scheinwerferreihe, war ein Betankungsdroide noch mit dem Backbordtankstutzen des YTs verbunden, obwohl sich alle übrigen identischen Droiden die schwerelose Fertigungsstraße rauf und runter bereits von den anderen Raumfrachtern abgekoppelt hatten. Kantt wirbelte herum.
»Schalt den Droiden ab!«
Der Techniker, der ruck, zuck an einer der Kontrolltafeln stand, schüttelte seinen kahlrasierten Kopf. »Er reagiert nicht.«
»Betankungsprogramm außer Kraft setzen, Bon!«
»Funktioniert nicht.«
Kantt schwang zur Transparistahlscheibe herum. Der Droide hatte sich nicht vom Fleck bewegt und pumpte vermutlich weiterhin Treibstoff in YT 492727ZED. Der Treibstoff, eine Art flüssiges Metall, der die Raumfrachter bis auf manchmal überwältigende Geschwindigkeiten beschleunigte, hatte von dem Moment an eine Kontroverse ausgelöst, als das Schiffskonzept erstmals vorgestellt wurde. Das war beinahe ein Grund dafür geworden, die gesamte Produktreihe einzustellen.
Kantt ließ seinen Blick auf die Monitorschirme und Anzeigen der Konsole fallen. »Die Treibstoffzellen des YT sind im roten Bereich. Wenn wir diesen Droiden nicht vor dem Hochfahren der Antriebssysteme von diesem Raumfrachter losbekommen …«
»Er sollte sich jetzt abkoppeln.«
Kantt drückte förmlich sein Gesicht gegen die kühle Scheibe. »Er ist weg! Aber dieser YT wird uns trotzdem gewaltige Probleme machen!« Er drehte sich um und lief zur Tür gegenüber derjenigen, durch die Bon hereingekommen war. »Komm mit mir!«
Nacheinander eilten sie durch zwei Überwachungsstationen. Als Drittes kam die Datenspeichersektion, und von dem Moment an, als sie dort hineinstürmten, wusste Kantt, dass sich die Lage zunehmend verschlechterte. Die Dralls, die die Sektion betrieben, drängten sich vor dem Sichtfenster, hüpften aufgeregt auf und ab und schnatterten pausenlos miteinander, ohne auf die Bemühungen der Herzogin des Clans zu achten, die Ordnung wiederherzustellen. Kantt bahnte sich seinen Weg durch die Menge kleiner, pelziger Leiber, um hinauszusehen. Die Situation war sogar noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Der YT war jetzt im Testbereich für die Brems- und Höhenregulationsdüsen. Übertankt und damit aus dem Gleichgewicht gebracht, hatte sich das Schiff aus der Reihe gelöst, um mindestens ein Dutzend schwerelose Droiden beiseitezustoßen und umzuwerfen, deren Aufgabe es war, die Reihe der zu montierenden Schiffe in Schach zu halten. Während Kantt zuschaute, brachen noch drei weitere Raumfrachter aus der Reihe aus. Der dafür verantwortliche YT rammte einen davon am Heck, sodass er nach vorn trudelte. Das rotierende Schiff tat dasselbe mit dem Schiff davor, aber in der Gegenrichtung, sodass sich die beiden Schiffe einmal komplett um sich selbst drehten, ehe sich ihre Mandibeln miteinander verhakten und beide gegen die geschwungene Innenhülle der Observationsstation an der Rückseite der Montagestraße donnerten.
Während die Testtriebwerkszündungssequenz weiterging, ruckte der unkontrollierte YT nach Backbord, dann nach Steuerbord, schoss in die Höhe und dann nach unten. Kantt sah gerade lange genug zu, um zu wissen, dass sämtliche Gedanken daran, rechtzeitig zum Abendessen nach Corellia zurückzukehren, soeben in Rauch aufgegangen waren. Wenn er Glück hatte, würde er am Wochenende wieder nach Hause kommen. Kantt und der Techniker überließen es den Dralls, darüber zu streiten, wie sie diesen wirtschaftlichen Verlust für das Unternehmen ausgleichen sollten, und stürmten weiter in die nächste Station, wo eine größtenteils aus Menschen bestehende Gruppe leitender mittlerer Angestellter kurz davor war, sich die Haare auszuraufen. Jeder Einzelne von ihnen sah die Neuankömmlinge um das kleinste bisschen guter Neuigkeiten heischend an.
»Ein Droidenteam ist unterwegs«, sagte Bon. »Kein Problem.«
Kantt warf dem Techniker einen raschen Blick zu und wandte sich an seine Vorgesetzten. »Sie haben ihn gehört. Kein Problem.«
Ein rotgesichtiger Mann, der seine Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgerollt hatte, starrte ihn düster an. »Ach, meinen Sie wirklich?« Sein Arm schoss vor und zeigte aus dem Sichtfenster. »Dann sehen Sie selbst.«
Kantt hatte noch keinen einzigen Muskel bewegt, als er von zwei anderen gepackt und nach vorn geschleift wurde. Das Droidenteam war tatsächlich vor Ort eingetroffen – ein Quartett von Cybot-Galactica-Greifern, die mit ausgefahrenen Armen und schnappenden Zangen auf den bockenden YT zusteuerten. Allerdings machte der Raumfrachter jeden ihrer Versuche zunichte, an den Triebwerkszugängen anzudocken. Und obgleich die Montagestraße abgeschaltet worden war, drängten sich ein Stück hinter 492727ZED, wo die verschobenen Leitbojen ihren unfreiwilligen Ausflug beendet hatten, ein Dutzend identischer Einheiten auf einem Haufen. Noch schlimmer: Die Kettenreaktion, mit der die Raumschiffe einander gerammt hatten, hatte mehrere Betankungsdroiden von ihren jeweiligen Raumfrachtern geschleudert, und zwei davon befanden sich auf Kollisionskurs.
Kantt drückte die Augen fest zusammen, doch der höllische Lichtblitz, der durch seine Lider stach, verriet ihm einen Teil der Geschichte: Einer oder vielleicht auch beide Droiden waren explodiert. Seine Ohren erzählten ihm den Rest, als eine Gischt geschmolzenen Metalls und Trümmer der Montagestraße gegen die Transparistahlscheibe hämmerten. Überall an den Überwachungsstationen plärrten Alarmsignale los, und von den halbrunden Strukturen, die die Produktionsgasse begrenzten, ergossen sich Ströme aus Feuerlöschschaum in die Tiefe. Ein kollektives, zutiefst gequältes Stöhnen ging durch den Raum, und Kantt sah vor seinem geistigen Auge, wie sich sein Bonus in Luft auflöste, zusammen mit den Ohrringen, die er seiner Frau zum Geburtstag schenken wollte, der Spielkonsole für seinen Sohn, dem Urlaub auf Sacorria, den sie geplant hatten, und die Kiste Gizer-Bier, die er eigentlich zu den Schockball-Finalfeiern beisteuern wollte.
Als Kantt seine Augen öffnete, glaubte er einen Moment lang, der Alptraum sei vorüber, oder falls nicht, dass die Explosion den widerspenstigen YT in ein angesengtes Wrack verwandelt hatte. Doch das Schiff war dem Feuersturm und dem Trümmerhagel nicht bloß entronnen, es war ihm sogar gelungen, sich im Zickzack seinen Weg durch das nachfolgende Chaos zu bahnen, und es näherte sich nun rasch der Sublichttriebwerk-Teststation.
Kantt schüttelte den Kopf, wie um ihn freizumachen, und schlug mit seiner Handfläche auf den Kommunikationsschalter der Konsole. »Wir brauchen eine Mitarbeitermannschaft in Gasse vier, Sublichtteststation – sofort!«
Den Atem einsaugend legte er seine andere Hand auf die Konsole und lehnte sich gerade rechtzeitig vor, um zu sehen, wie ein Stück weiter die Montagestraße entlang ein Notfallschlitten aus einer Vehikelbucht aufstieg. Der Schlitten – kaum mehr als ein von einem Käfig senkrechter und waagerechter Stangen umgebenes Antriebsaggregat – hatte sechs Arbeiter an Bord, die mit gelben Weltraumschutzanzügen, Helmen und Jetpacks ausgestattet waren. Alle trugen ein Sortiment von Schneidbrennern, Hydroschraubenschlüsseln und Hohlladungssprengsätzen bei sich, die allesamt wie Waffen von ihren Gürteln hingen. Einer von Kantts Freunden gehörte dem Team an, der wie die übrigen Mitglieder dieses Trupps für Notfallsituationen lebte. Doch ein abtrünniges Schiff war etwas vollkommen Neues.
Anfangs schien es, als hätte der Schlittenpilot ebenso Schwierigkeiten damit, sich den Flugmanövern des YTs anzupassen, wie die Greiferdroiden zuvor. Die abrupten Rucke und Sprünge des Raumfrachters waren nichts weiter geschuldet als dem unregelmäßigen Aktivieren der Schub- und Höhendüsen, doch es gab Momente, in denen die Flugmanöver Kantt geradezu beseelt vorkamen. Als würde das Schiff dem Schlitten ganz bewusst ausweichen oder sich ein Rennen darum liefern, die Sublichttriebwerk-Teststation vor seinen gefälligeren Raumfrachtergenossen zu erreichen.
Grässliche Gedanken schlichen sich in Kantts Bewusstsein, darüber, was wohl geschehen würde, wenn es ihnen bis dahin nicht gelang, das Schiff unter Kontrolle zu bringen. Würde der übertankte YT sich selbst zu Schlacke verbrennen? Explodieren und dabei die gesamte Montagestraße mitnehmen? Der Anlage einen Vakuumbruch bescheren und zu den Sternen aufbrechen?
Nach und nach passte sich der Schlittenpilot dem Rhythmus der Schubdüsen an, und es gelang ihm, das skelettartige Gefährt neben den YT zu bringen. Die Arbeiter flogen von dem Schlitten ab, landeten auf dem Raumfrachter und verankerten sich mit Magnetklammern und Ansaugbefestigungen auf der Oberfläche. Der YT, der sich auf seinem Heck aufrichtete wie ein wilder Acklay in einer Tiershow, schien sich nun alle Mühe zu geben, sie abzuschütteln. Doch langsame und stetige Bemühungen erlaubten es einem der Arbeiter, den Außenhüllenzugang auf dem Rücken des Schiffs zu erreichen und im Innern des Raumfrachters zu verschwinden. Als das geschah, stimmten die leitenden Angestellten einen Jubel an, von dem Kantt betete, dass er nicht zu vorschnell sei.
Erst als das Schiff ruhiger wurde, stellte er fest, dass er den Atem angehalten hatte. Jetzt ließ er ihn in einem langen, tiefen Seufzen entweichen und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Der Jubel ging in erleichtertes Rückenklopfen und schnelle Wortwechsel über, wie die Montagestraße so schnell wie möglich wieder zum Laufen gebracht werden könne. Angesichts des Umstands, dass die Warteliste für den YT von Tag zu Tag länger wurde, musste die Produktion erhöht werden. Urlaube würden gestrichen werden. Überstunden würden zur Norm werden.
Kantt und Bon verweilten nicht länger, wo sie waren.
»Aus Feuer geboren«, sagte der Techniker, als sie durch die Station der Dralls eilten. »Dieser YT«, fügte er hinzu, als Kantt ihm einen Blick zuwarf. »Wenn das gerade keine Heldengeburt war, dann weiß ich nicht, was sonst. Wann hat es so was schon mal gegeben?«
Kantt zog ein Gesicht. »Es ist bloß ein Raumfrachter, Bon. Einer von hundert Millionen.«
Bon grinste. »Wenn du mich fragst, eher einer unter hundert Millionen.«