22
»Wir haben hier einen Inspektor von der Lebensmittel- und Heilmittelkontrolle«, sagte der Posten am Eingang der Distriktzentrale von Salliche Ag in sein Komlink. »Ein Mensch. Ja, ich habe ihm gesagt, erst letzte Woche hätten wir Leute von seinem Laden da gehabt, aber er meint, es handele sich um eine Stichprobe. Ja, seine Papiere sind in Ordnung.«
Mit seinem schwarz gefärbten Haar und Bart und einer Schirmmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, wartete Han unbekümmert vor der Sicherheitskontrolle. Baffle hatte ihn am Tor abgesetzt und ihm versichert, der hellgrüne leichte Overall sei die Standardausstattung der Inspektoren von der Lebensmittel- und Heilmittelkontrolle, und tatsächlich hatte der korpulente Wachposten seinen mit Computercode versehenen Ausweis so gleichgültig eingescannt wie jemand, der schon hunderte Kontrolleure gesehen hatte.
»Welche Bereiche wollen Sie sehen?«, fragte der Mann plötzlich.
Han setzte ein diensteifriges Lächeln auf. »Wenn ich Ihnen das verrate, würde ich damit den Zweck meines Besuchs sabotieren.«
Der Posten runzelte die Stirn. »Er will es nicht sagen«, murmelte er in das Komlink. »Behauptet, er wolle uns die Überraschung nicht verderben. Nein, ich habe auch nicht gelacht. Okay, er wird hier warten, wenn Sie kommen.« Er beendete die Verbindung und reichte Han seinen Ausweis zurück. »Setzen Sie sich einen Moment. Ihre Eskorte ist im Anmarsch.«
Der leger gekleidete Mann, der kurz darauf in einem viersitzigen Landgleiter erschien, war noch korpulenter als die Wache, strahlte hingegen das gleiche stoppelbärtige, sonnenverbrannte Wesen eines Farmerjungen aus. Beide Männer waren Welten von den Aristokratischen Harbrights entfernt, die Salliche Ag führten und offensichtlich planten, sich mit den Yuuzhan Vong zu arrangieren. Der Fahrer öffnete Han die Tür, als der mit einem Metallkoffer in der Rechten an den Landgleiter herantrat.
»Na, dass man Sie noch nicht in den Ruhestand geschickt hat, alter Knabe«, scherzte er. Ein Namensschildchen an der Hemdtasche identifizierte ihn als Bow.
So viel zur Verjüngungskraft von Haarfärbemitteln, dachte Han und stieg auf den Rücksitz des Gleiters. »Mit ein bisschen Glück ist das einer meiner letzten Aufträge.«
»Wissen Sie, Salliche hat mit euch noch nie ein Problem gehabt«, sagte Bow, während er weiterhin auf die Reste eines Zahnstochers biss. »Wir zahlen gutes Geld, damit das so bleibt.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Han und blinzelte. »Ich führe einfach nur meinen Auftrag aus.«
»Schön. Beeilen Sie sich bloß. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Han rang sich ein nervöses Lachen ab. »Ich möchte auch so schnell wie möglich fertig werden.«
Sie fuhren los, doch schon kurz darauf hielt der Mann von Salliche den Landgleiter an und zog eine große Karte und ein Verzeichnis hervor. Unter einigen Schwierigkeiten drehte er sich auf dem Vordersitz zu Han um.
»Wo fangen wir an? Wir können zunächst Stichproben von einigen Feldern hier in der Nähe nehmen, oder Sie holen sich die Proben von bereits geernteten Produkten.« Er zeigte nach Norden. »Die Verladung ist dort drüben, wenn Sie die ordnungsgemäße Reinigung der Frachtcontainer überprüfen wollen.«
Nachdem er eine Zeit lang die Karte studiert hatte, sagte Han: »Ich denke, wir fangen mit der Produktionsoptimierung an.«
Bow zog die Augenbrauen zusammen. »Sie machen Scherze.«
Han räusperte sich. »Gibt es damit irgendwelche Probleme?«
»Nicht im Geringsten. Ich hoffe nur, Sie werden so gut bezahlt, dass sich das für Sie lohnt.«
Der Landgleiter schob sich über schmale Wege, die sich durch Perlhirsefelder zogen, die auf ihre Ernte warteten. Baumhoch standen die braunen Halme des Getreides rechts und links. Hans Nase warnte ihn vor, als sie sich der Düngemittelabteilung näherten. An einem weiteren Kontrollpunkt händigte man ihm einen Einweg-Overall und eine Atemschutzmaske mit getönter Visierscheibe aus. Bow, der genauso ausgerüstet war, führte ihn zu einem riesigen Lagerhaus mit Flachdach, an dessen Ladeluken sich Bantha, Rontos und andere Lasttiere drängten und darauf warteten, mit Düngerpaketen beladen zu werden.
Baffle hatte ihm bereits davon erzählt, dass Salliche sich bei den Invasoren mit ihren Vorbehalten gegen Technik anbiedern wollte, und so stellte die Gesellschaft von maschineller Produktion auf die Arbeit mit Lebewesen um; aus diesem Grunde war Han nicht sonderlich überrascht, tausende von Crawmaws, Wingles und Nachtsehern zu sehen, die durch Genmanipulation weder Flügel noch Stimme hatten und in Käfigen und Gehegen im Inneren des Gebäudes gemästet wurden. Aus den Behältern unter den Käfigen, die bis zum Rand mit den Hinterlassenschaften der Flugtiere gefüllt waren, lief der Dünger zu den Abfüllanlagen. In anderen Bereichen des Lagerhauses tummelten sich Stinkfische und Fingerflossen aus Ruans reichen Meeren in Wasserbecken. Der getrocknete und zermahlene Fisch wurde dem Dünger als Additiv zugesetzt.
Der Gestank muss wirklich unerträglich sein, dachte Han, als er einige Gotals, Bimms und unglückliche Angehörige anderer Spezies sah, deren Aufgabe darin bestand, übergelaufene Exkremente in die Behälter zu schaufeln. Welche Vergehen den einstigen Flüchtlingen vorgeworfen wurden, vermochte er allenfalls zu vermuten. In einer Gruppe, knietief im Kot und erschöpft auf seine Schaufel gestützt, stand Droma.
»Ich werde schnell ein paar Tests durchführen«, sagte Han zu Bow über die Sprechanlage der Schutzmaske. Er öffnete seinen Koffer und tat, als würde er ein Testkit herausnehmen, das ihm Baffles Droiden gegeben hatten, dann hielt er abrupt inne und zeigte ungläubig auf Droma. »Ist das… ist das ein Ryn?.«
Der Salliche-Mann starrte in die Richtung und nickte. »Ja. Der ist neu hier.«
»Neu oder nicht«, fuhr Han fort und wurde immer aufgeregter, während er sprach, »weiß hier denn niemand, dass die Ryn Hygienevorstellungen haben, die die meisten intelligenten Spezies als absolut ungesund erachten?«
»Aber er arbeitet mit Dünger.«
»Das spielt ja wohl keine Rolle. Wissen Sie, was passiert, wenn herauskommt, dass Salliche Ag Ryn beschäftigt?«
»Es ist doch nur einer«, gab Bow zurück.
»Er muss sofort hier verschwinden. Der Mann muss komplett medizinisch untersucht werden, ehe er wieder an die Arbeit gehen darf – selbst an diese hier.«
Verärgert zog Bow ein schmales Komlink aus der Hemdtasche, schob das Visier des Atemschutzhelms hoch und begann hastig zu sprechen.
Han fragte sich, wodurch Salliche Ag Komlinks und Landgleiter ersetzen würde, wenn die Yuuzhan Vong auftauchten.
»Alles klar«, meinte Bow kurz darauf. »Wir haben Erlaubnis, ihn im Ostflügel zum Arzt zu bringen.« Wütend drehte er sich zu Droma herum. »Ryn! Stell die Schaufel zur Seite und beweg dich hierüber.«
Droma sah auf, stellte sein Werkzeug zur Seite, stapfte zu ihnen hinüber und schüttelte erst das eine, dann das andere Bein, um ich von dem grauen Dreck zu befreien.
»Berühren Sie ihn auf gar keinen Fall«, warnte Han Bow, »sonst müssen wir Sie ebenfalls untersuchen lassen.«
Ohne Han hinter der Atemschutzmaske zu erkennen, blieb Droma in einigen Metern Entfernung stehen.
»Spritz ihn ab!«, befahl Bow einem herumstehenden Arbeiter.
Han zuckte zusammen, als Droma mit einem Hochdruckreiniger abgespritzt und dabei beinahe umgeworfen wurde. »Echte Pechvögel«, schrie er, damit der Mann von Salliche ihn verstehen konnte, »immer geraten sie in Schwierigkeiten.«
Bow blies die Backen auf und nickte grimmig. »Das können Sie laut sagen.«
Dem tropfenden und hoffnungslos elend wirkenden Droma legte Bow dann Schockhandschellen um die Unterarme und schob ihn auf den Ausgang des Lagerhauses zu. Am Kontrollpunkt gab Han die Atemschutzmaske zurück, warf den Overall in einen Wiederverwertungsbehälter und folgte Droma auf die Rückbank des Landgleiters. Der Ryn würdigte Han keines Blicks, bis sie unterwegs waren, und auch dann erkannte er ihn nicht sofort. Schließlich riss er die Augen auf und ließ das Kinn fallen.
»Bitte, beeilen Sie sich«, rief Han Bow zu, ehe Droma seine Tarnung mit einer unbesonnenen Bemerkung zunichte machen konnte. »Es ist nicht sonderlich angenehm, neben einem solchen… solchen Übeltäter zu sitzen.«
»Der Ostflügel liegt schon vor uns«, sagte Bow über die Schulter.
Han wechselte einen versteckten Blick mit Droma, sah ihn danach jedoch nicht wieder an, bis sie in die Kabine eines Turboliftes gestiegen waren, der sie ins erste Untergeschoss bringen sollte, wo sich das medizinische Labor befand. Dort warf er Droma einen warnenden Blick zu, zog einen kleinen Blaster aus dem Durinium-Schulterholster, das die Droiden für ihn angefertigt hatten, und drückte Bow den Emitter der Waffe an die Schläfe.
»Tun Sie, was ich Ihnen sage, und Sie kommen heil aus der Sache raus.« Der große Mann nickte, in seiner Miene mischten sich Wut und Überraschung, und Han fügte hinzu: »Halten Sie den Lift an und stellen Sie sich in die Ecke, dann öffnen Sie die Handschellen mit der Fernbedienung.« Rasch warf er Droma einen Blick zu, dann befahl er dem Turbolift, auf Ebene fünf hinaufzufahren.
Droma rieb sich die Handgelenke und sah ihn an. »Nach oben?«
»Ich habe dort noch eine Angelegenheit zu regeln.« Han deutete mit dem Kinn auf Bow. »Du kümmerst dich um den hier. Bring ihn ins Untergeschoss und sperr ihn in einen Abstellraum. Wenn er Ärger macht, erschießt du ihn. Anschließend treffen wir uns auf Ebene fünf.«
Bow mahlte mit den Kiefern, wagte es jedoch nicht, etwas zu sagen, das Droma provozieren könnte, Han beim Wort zu nehmen.
Während der Lift nach oben fuhr, zog Han den hellgrünen Overall aus, unter dem ein teurer Anzug zum Vorschein kam. Droma platzte fast vor Neugier.
»Ich habe jetzt keine Zeit, dir alles zu erklären«, meinte Han. Er reichte Droma den zusammengerollten Overall und die offenen Schockhandschellen. »Pass gut darauf auf; wir werden die Sachen später noch brauchen.«
Auf Ebene fünf zog er sich einen hauchfeinen Handschuh über die rechte Hand und eilte einen breiten blitzblanken Korridor entlang auf den Sender-Empfänger-Raum zu. In der Linken hielt er die Datenkarte, die ihm die Droiden gegeben hatten.
Der Handflächenscanner befand sich in einer Nische neben der Tür zum Kontrollraum. Han legte die Rechte mit dem Handschuh auf und wurde als Dees Harbright identifiziert, Sohn eines Cousins von Graf Borert Harbright und seines Zeichens Vizepräsident der Marketingabteilung von Salliche Ag. Ihm ähnelte Han mit seinem schwarzen Bart und dem maßgeschneiderten Anzug verblüffend – so sehr jedenfalls, dass das halbe Dutzend Techniker im Kontrollraum bei seinem Eintreten aufsprang.
»Bleiben Sie sitzen, behalten Sie doch Platz«, forderte er sie so jovial wie möglich auf. »Ich möchte nur einen Blick auf unser Deaktivierungssystem werfen. Läuft alles nach Plan?«
»In diesem Quartal wurden eintausendzweihundertfünfzig Droiden abgeschaltet und eingelagert, Sir«, sagte eine gertenschlanke Technikerin. »In der gleichen Zeit haben die Werber der Personalabteilung über dreitausend Flüchtlinge eingestellt, die von nun an auf Ruan arbeiten.«
»Prächtig, prächtig«, lobte Han und ging durch den Raum, während er die Datenkarte in seiner linken Hand versteckt hielt. Die Technikerin leierte weitere Statistiken herunter, und Han – der mit dem Rücken zu einem Peripheriegerät stand, von dem er sich den geringsten Widerstand erwartete – schob die Scheibe ein. Baffle hatte ihm versprochen, sie würde sich buchstäblich auflösen, nachdem sie ihre teuflische Arbeit getan hatte.
»Bis zum Ende des nächsten Quartals erwarten wir weitere tausendfünfhundert Droiden in den Lagern«, berichtete die fröhliche Frau gerade, als das Computersystem eine Reihe schriller Töne von sich gab, die Han wie Hilfeschreie einer Maschine erschienen.
»Systemabsturz!«, rief einer der anderen Techniker ungläubig.
An allen Arbeitsstationen blinkten Warnleuchten auf und erloschen Bildschirme, und die Techniker arbeiteten wie besessen daran, das System wieder hochzufahren. Angesichts ihrer Verzweiflung empfand Han sogar so etwas wie Schuldgefühle – zumindest bis ihm einfiel, dass diese Maschine für die Deaktivierung tausender Droiden verantwortlich war.
Die herrschende Panik machte es ihm leicht, unbemerkt den Raum zu verlassen. Auf dem Gang war es so hell und still wie bei seinem Kommen; noch war das Chaos auf den Kontrollraum beschränkt. Han überprüfte den Sitz seines teuren Jacketts, schlenderte lockeren Schritts zum Turbolift und nickte unterwegs allen, denen er begegnete, freundlich zu. Kurz vor dem Lift tauchte Droma hinter einer Plasteelsäule auf, wo er sich offensichtlich versteckt hatte, und trug den hellgrünen Overall über dem Arm.
»Schau nicht so schuldbewusst drein«, flüsterte er.
Han lächelte weiterhin. »Steig in den Lift und leg die Handschellen an«, forderte er ihn auf, ohne die Lippen zu bewegen.
In der Kabine allerdings fiel alle Ruhe von ihm ab. Rasch schlüpfte er in den Inspektorenoverall, dann nahm er Droma den Blaster ab und vergewisserte sich, dass die Waffe entsichert war.
»Ich wage es nicht mal, auch nur zu vermuten, wie du das angestellt hast«, meinte Droma, während er sich die Handschellen anlegte.
»Ja, ich hätte aber viel Spaß daran, mir anzuhören, wie du es vorsuchst.« Han steckte den Blaster in die Tasche. »Sobald wir die Eingangshalle erreicht haben, gehen wir direkt auf den nächsten Ausgang zu. Tu so, als würdest du dich in meinem Gewahrsam befinden.«
Er stellte sich vor die Türen des Lifts. Diese öffneten sich schließlich, und vor lauter Droiden konnte man die Halle kaum überblicken. Schnatternd liefen die meisten herum, und viele eilten zu den Ausgängen.
»Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, du hättest dabei deine Finger im Spiel«, sagte Droma.
»Indirekt.« Han deutete auf einen der Ausgänge in der Nähe, der nicht vollständig von Droiden blockiert wurde. »Da entlang.«
Sie begaben sich ins Getümmel und hatten die Transparistahltüren fast erreicht, als hinter ihnen eine barsche Stimme rief: »Dort sind sie!«
Han wandte sich unwillkürlich um. Er entdeckte Bow, der von mehreren Sicherheitsleuten begleitet wurde und auf ihn zeigte.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst ihn einsperren!«, beschwerte sich Han.
»Habe ich auch«, entgegnete Droma. »Ich habe ihn in einen Raum voll deaktivierter Droiden gesteckt.«
Daraufhin murmelte Han nur einen Fluch und zog seinen Blaster. »Keine Zeit für Spitzfindigkeiten.«
Er zielte kaum und gab ein paar Feuerstöße in Richtung der Wachmänner ab, die daraufhin hektisch Deckung suchten. Geduckt drängten sich Han und Droma durch die Droiden und flüchteten ins Freie. Han entdeckte Bows Landgleiter und dirigierte Droma darauf zu, während babbelnde Droiden aus dem Ostflügel strömten und sich auf dem Rasen und den Parkplätzen vor dem Gebäude verteilten. Mit breitem Grinsen warf sich Han auf den Fahrersitz.
»Auf eins kannst du dich bei diesen Farmerjungs immer verlasen«, meinte er zu Droma, der die Handschellen wieder abgenommen hatte und sich auf den Beifahrersitz setzte. »Die schließen ihr Fahrzeug nie ab.«
Er startete den Repulsorlift des Gleiters. Mit beiden Händen am Lenkrad und dem Fuß auf dem Pedal wendete er das Fahrzeug und schoss die Straße hinunter.
»Am Haupttor brauchen wir es gar nicht erst zu versuchen«, rief er über das Kreischen der Dreierturbine hinweg. »Das haben sie längst dichtgemacht! Wir müssen uns über die Feldwege zu der Straße nach Lager 17 durchschlagen!«
»Entscheide dich lieber schnell«, meinte Droma und betrachtete den kleinen Scanner auf der Konsole vor dem Beifahrersitz. »Sieben, nein acht Fahrzeuge kommen von Norden, Osten und Westen auf uns zu.«
Han biss die Zähne zusammen und betrachtete die hohen Getreidehalme zu beiden Seiten der Straße. »Ach, wer braucht schon eine Straße«, sagte er schließlich und steuerte stur nach Süden ins Feld hinein.
Mithilfe der Satellitenbilder konnte man in der Sicherheitsabteilung der Zentrale die Verfolgungsjagd beobachten, als würde sie von Kameras in hundert Metern Höhe gefilmt und nicht aus einer stationären Umlaufbahn auf halbem Wege zu Ruans nächstem Mond.
»Die versauen uns das ganze Hirsefeld«, sagte der Chef der Sicherheitsleute zu Bow.
Der fette Mann beugte sich dichter an den Flachbildschirm. Der gestohlene Landgleiter schnitt schnurgerade Linien, präzise Parabeln und geschwungene Spiralen in das braune Getreidemeer. Verfolgt wurde er von acht anderen Gleitern, die ebenfalls Streifen und Kreise zogen, wenn auch nicht so ordentlich.
»Der Kerl ist ein begabter Fahrer«, meinte der Chef, während der führende Gleiter zwischen alten Windmühlen Slalom und dann eine Reihe von Achten fuhr, ehe er eine gänzlich andere Richtung einschlug. »Hat man ihn schon identifiziert?«
»Nein«, knurrte Bow. »Aber er ist eindeutig derjenige, der das Droiden-Deaktivierungsssystem auf Ebene fünf zum Absturz gebracht hat.«
Der dicke, schnauzbärtige Chef lachte schwach. »Ich habe gehört, Sie waren bei den Droiden, als die wieder zum Leben erwacht sind?«
Bow schnitt eine Grimasse. »Stimmt. Und ich sag Ihnen was: Von den Droiden hat keiner die Tür geöffnet. Irgendjemand mit Zugang zum System hat das getan, sobald die Droiden wach wurden.«
Der Chef schnaubte. »Wer macht sich die Mühe, tarnt sich als Inspektor der Lebensmittelkontrolle und als Vizepräsident, um einen Ryn zu befreien und einige tausend Droiden zu retten?«
»Jemand mit guten Beziehungen. Der Ryn wurde verhaftet, als er in Begleitung eines Menschen am Eingang von Lager 17 auftauchte und nach Angehörigen seines Clans suchte. Wie sich herausstellte, waren die jedoch schon mit gefälschten Transitdokumenten von dieser Welt verschwunden.«
»Vielleicht hat er sich ja absichtlich verhaften lassen – der Ryn, meine ich.«
»Ergibt keinen Sinn. Der Ryn konnte schließlich nicht ahnen, wohin er gebracht wird. Außerdem hatte er keine Möglichkeit, seinem Partner zu helfen; der allerdings wusste schon hervorragend Bescheid, als er am Tor aufgetaucht ist. Wir lassen gerade von der Raumhafenkontrolle herausfinden, wie und wann die beiden auf Kuan angekommen sind, nur leider gibt es Probleme mit der Einreise-Datenbank.«
»Probleme? Oder Sabotage?«, meinte der Chef. »Ich würde ja eher auf Helfershelfer tippen.«
Schweigend presste Bow die Lippen aufeinander.
Der Chef rief Hologramme des Menschen auf, die die Scanner am Haupteingang und in der Produktoptimierung aufgezeichnet hatten, dazu eins vom Identifizierungsterminal auf Ebene fünf. »Der Bart und die Gesichtszüge wirkten echt«, sagte er, nachdem er die Holos einen Augenblick betrachtet hatte.
Bow rieb sich das Kinn. »Machen Sie doch mal den Bart und die Mütze weg.«
Die beiden Männer sahen sich die bearbeiteten Holos an. »Er kommt mir bekannt vor«, sagte der Chef, »nur weiß ich nicht, woher.«
»Der ist bestimmt ein Agent.«
»Von einem unserer Rivalen? Nebula Consumables vielleicht?«
Bow zuckte mit den Schultern.
»Die ändern die Richtung«, bemerkte der Chef plötzlich und wandte sich wieder den Satellitenbildern zu. »Jetzt geht es nach Osten.«
Die zwei beobachteten, wie der gestohlene Landgleiter ins nächste Getreidefeld preschte; dann wendete er ohne Vorwarnung, verließ das Feld und bog ein auf etwas, das Bow im ersten Moment für einen Feldweg hielt. Keiner der Verfolger hängte sich an sie.
»Was ist denn da los?«, brüllte er.
»Verflucht!«, sagte der Chef. »Das ist keine Straße. Die sind in einen der Bewässerungskanäle gefahren und befinden sich jetzt außerhalb des Erfassungsbereichs unserer Scanner. Unsere Jungs haben keine Ahnung, wo die hin sind.«
»Klinken Sie sich ins Schleusensystem ein und schließen Sie alle Tore in dem Abschnitt!«
»Bin schon dabei«, antwortete der Chef.
Bow drehte sich zu dem Monitor mit den Satellitenbildern um und sah gerade noch, wie der Landgleiter der Saboteure durch ein sich schließendes Schleusentor sauste, über das nächste hinwegsprang und dann scharf in einen breiteren Kanal einbog.
»Das ist ein Ablaufkanal«, erklärte der Chef. »Der mündet in den Fluss, der an Lager 17 vorbeifließt. Wenn die es bis dahin schaffen, verlieren wir sie möglicherweise.« Er reckte sich nach den Schaltern für die Schleusentore, doch Bow hielt ihn zurück.
»Nein, schließen Sie das Tor jetzt noch nicht. Lassen Sie den Kerl denken, er habe Zeit.« Er betrachtete die Satellitenbilder.
»Bringen Sie uns näher ran.« Nachdem der Chef dies getan hatte, konnten sie sehen, dass der Landgleiter seine einziehbare Windschutzscheibe eingebüßt hatte. Abgerissene Halme der Hirse hatten sich in der Schnauze und zwischen den Sitzen verfangen, und die Fahrgastzelle war halb mit Getreide gefüllt.
»Wie schnell ist er, schätzen Sie?«
Der Chef sah es sich an. »Der Kanal ist nicht nur breiter, sondern auch doppelt so tief, und ich würde sagen, er lässt die Turbinen mit Vollgas laufen. So etwa zweihundert.«
»Wie weit ist es bis zum nächsten Tor?«
»Vielleicht einen Kilometer.«
»Und wie rasch lässt es sich schließen?«
»Innerhalb einer Sekunde.«
Bow grinste. »Legen Sie den Finger schon mal auf den Schalter. Ich sage Ihnen Bescheid.«
Der Chef erwiderte das Grinsen. »Ist ja, als würden wir Hürdenspringen mit ihnen spielen.«
Bow beobachtete den Bildschirm und rief schließlich: »Jetzt!«
Der Fahrer des Landgleiters riss das Steuer herum und versuchte verzweifelt zu bremsen, doch das Fahrzeug raste nichtsdestoweniger auf das Tor zu. Die Wucht des Aufpralls schleuderte den Menschen und den Ryn aus der Fahrgastzelle über das Tor hinweg in den Graben.
»Erwischt«, sagte der Chef aufgeregt.
»Stellen Sie mich zu unseren Leuten durch.«
Noch während er die Verfolger dirigierte, sagte der Chef: »Ich habe eine bessere Idee, sie zu kriegen.« Er aktivierte sein Komlink. »Geben Sie mir die Wetterkontrolle.«
Bow runzelte die Stirn und grinste dann. »Hübscher Einfall.«
Der Chef zuckte mit den Schultern. »Den Regen brauchen wir sowieso.«
Der Schlamm war die Rettung – zwar nur knöcheltief, dafür jedoch weich wie Pudding. Han landete nach einem zehn Meter langen Flug mit dem Gesicht im Dreck und zog eine tiefe Furche durch den Graben. Droma, der ein besserer Akrobat war, absolvierte einen makellosen dreifachen Salto, kam mit den Füßen auf und rutschte wie ein Wasserskiläufer über die glatte Oberfläche.
Han hob den Kopf und spuckte braunes Wasser, doch es war Droma, der sich wütend zeigte.
»Im Ablaufkanal wäre es sicherer für uns, hast du gesagt. Ich glaube nicht, habe ich geantwortet, wir sollten bei den Bewässerungsgräben bleiben. Vertrau mir, hast du gesagt. Pass auf die Tore auf, habe ich dich gewarnt. Ein bisschen Spaß muss sein, hast du gesagt…«
»Hör auf zu meckern«, sagte Han. »Oder hast du dich so sehr an die Scheiße gewöhnt, dass du mit ein bisschen Schlamm nicht zurechtkommst?«
Droma half Han auf die Beine und schaute sich um. Als würde der Schlamm noch nicht genügen, waren die Permabeton-Mauern des Grabens über vier Meter hoch. »Und jetzt? Wir können nicht rausklettern.«
»Hier unten sind wir auch besser dran. Auf den Feldern würden wir viel langsamer vorankommen.« Han zog sich den Overall und das Jackett des Anzugs aus und warf die Kleidungsstücke zur Seite. Mit den Fingern wischte er sich den Schlamm von der Stirn und aus dem Haar. »Was hat die Karte angezeigt?«
»Du meinst, bevor du uns vor die Wand gefahren hast?«
Han starrte ihn finster an. »Ich habe uns nicht vor die Wand gefahren. Da wusste jemand einfach, wann er das Tor schließen musste.« Er blickte zum Himmel, der deutlich dunkler wirkte als noch einen Moment zuvor. »Die beobachten uns. Aus der Luft oder von einem Satelliten aus.«
Droma wandte den Blick vom Himmel zu Han, dann zeigte er in die Richtung, der sie vor der Kollision gefolgt waren. »Der Fluss ist nur ein paar Kilometer entfernt. Wenn wir ihm folgen, kommen wir bei Lager 17 heraus.«
»Perfekt. Wir lassen uns den Fluss hinuntertreiben und ziehen uns kurz vor dem Flüchtlingslager heraus. Dann schlagen wir uns zum Raumhafen durch.«
»Wo Salliche inzwischen eine Armee von Wachen aufgestellt hat und jeder Scanner Alarm gibt, sobald einer von uns seinen Ausweis zeigt.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Wir haben Freunde, die uns direkt zum Falken bringen.«
Droma hörte auf, sich den Bart auszuwringen. »Ohne durch die Kontrolle zu müssen?«
Han grinste. »Wir bewegen uns quasi unter ihr hindurch.« Sein Schuh schmatzte, als er den Fuß aus dem Schlamm zog. »Los, weiter.«
Sie hatten kaum dreihundert Meter geschafft, da grummelte es über ihren Köpfen.
»Was zum Teufel war das?« Han blieb stehen.
»Nur die Wetterkontrollstation«, winkte Droma ab. »Salliche schaltet sie mehrmals pro Tag ein.«
Han beobachtete die grauen Wolken, die über ihnen dahinzogen. Er drehte sich einmal im Kreis und schätzte die Höhe der Mauern ab. Selbst wenn sich Droma auf seine Schultern stellte, konnte er die obere Kante nicht erreichen.
»Wir müssen zurück zum Schleusentor«, sagte er plötzlich.
Droma starrte ihn an, als wäre er verrückt geworden. »Wie bitte?«
»Am Tor finden wir die einzige Möglichkeit, aus dem Kanal zu steigen.«
»Ich dachte, hier unten wären wir besser dran?«
Fette Regentropfen gingen auf sie nieder. »Salliche hat einen Sturm angeordnet. Die wollen uns ertränken.«
»Aber diese Landgleiter, die uns verfolgt haben«, schluckte Droma, »die sind doch garantiert inzwischen ebenfalls zu diesem Tor unterwegs!«
Han presste die Lippen aufeinander und nickte. »Da hast du Recht. Vielleicht gibt es zwischen unserer Position und dem Fluss noch ein weiteres Tor.«
Sie begannen zu rennen und halfen einander auf, wenn einer ausrutschte oder stecken blieb. Der Regen wurde heftiger, und das schlammige Wasser war bald nicht mehr knöchel-, sondern knietief. Hinter sich hörten sie das Heulen der herannahenden Landgleiter. Dann trat ein brüllender Lärm anstelle der Motorengeräusche.
Abrupt blieb Han stehen. »Hör mal«, rief er Droma durch den rauschenden Regen zu.
Droma hielt ein paar Meter vor ihm an. »Das gefällt mir überhaupt nicht.«
Beide drehten sich um und sahen eine drei Meter hohe Wasserwand, die sich auf sie zubewegte. Sie hatten kaum Zeit, sich wieder nach vorn zu wenden, da packte die Flutwelle sie bereits und riss sie mit.