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Auf dem Schild, das zwischen den beachtlichen Wachtürmen hing, stand zu lesen: WILLKOMMEN IM FLÜCHTLINGSLAGER 17 VON RUAN. Unter diesen Gruß hatte jemand mit winziger, kaum zu entziffernder Schrift gesetzt: LETZTE CHANCE UMZUKEHREN.
Im Gedränge der Flüchtlinge, die aus den Transportschiffen geströmt waren, las Melisma – noch immer nass und vermutlich auch vergiftet von der äußerlichen Dekontaminationsprozedur – das Schild laut vor und warf Gaph einen besorgten Blick zu, während der Dromas Neffen auf einer Schulter balancierte.
»Letzte Chance umzukehren!«
»Da hat sich wohl jemand für sehr witzig gehalten«, tat Gaph den Zusatz ab. »Komm, Kind, wie schlimm kann es schon werden? Wir haben eine wunderbare Landschaft um uns herum, bekommen frische Luft anstelle von aufbereitetem Sauerstoff, Essen und Trinken und zehntausend melancholische Empfindungsfähige als Gesellschaft.« Er grinste und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: »Und wo es melancholische Empfindungsfähige gibt, bieten sich den Ryn stets die besten Chancen.«
Melisma lächelte unsicher, obwohl das, was Gaph über ihre Umgebung gesagt hatte, nicht zu bestreiten war, denn Ruan gehörte zu den schönsten Welten des Kerns.
Als eine der achtzehn Agrarwelten, die von Salliche Ag verwaltet wurden, hatte Ruan – oder zumindest jener Teil, auf dem man die Flüchtlinge untergebracht hatte – das gepflegte Aussehen eines Parks. Die schnurgerade Straße, die den hektischen Raumhafen mit dem Flüchtlingslager 17 verband, wurde von hohen und hübsch beschnittenen Hecken gesäumt; dahinter erstreckten sich, so weit das Auge reichte, sorgsam gehegte Felder mit Gemüse in verschiedenen Reifegraden. Anders als auf Orron III, Ukio, Taanab und den meisten übrigen Landwirtschaftswelten verließ man sich auf Ruan nicht nur auf sorgfältige Beackerung und fruchtbare Erde, sondern kontrollierte außerdem das Klima und schuf so Bedingungen für maximale Erträge. Auch kamen erheblich weniger Erntedroiden, Agrarbots und Arbeitsdroiden zum Einsatz, als Melisma erwartet hatte, demnach gab es vermutlich noch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Empfindungsfähige.
Sie sog die süße Luft in sich hinein. Gaph hatte Recht. Die Ankunft auf Ruan nach über einer Standardwoche an Bord des voll gestopften, stinkenden Transporters war wie der Einlass ins Paradies. Dennoch wollten ihre unbestimmten Ängste einfach nicht verstummen. Wie lange würde man sie auf Ruan dulden, und wohin ginge die Reise anschließend? Prinzessin Leia hatte ihnen versichert, der Aufenthalt auf Ruan sei lediglich vorübergehend, doch da die Yuuzhan Vong bereits in die Expansionsregion vorgedrungen waren, wie lange mochte es da dauern, bis sie ihren Krieg in den Kern trugen? Und was dann?
Die Abfertigung der Neuankömmlinge war eine höchst langwierige Angelegenheit. Da alle dicht gedrängt standen, konnte man sich nicht setzen geschweige denn irgendwie ausruhen, zudem gab es keinen Schutz vor dem starken Sonnenschein, den die Klimaaufsicht offensichtlich für den heutigen Tag angeordnet hatte. Die Menge dehnte sich scheinbar endlos nach vorn und hinten aus. Nach langem Warten erreichten die fünf – Gaph, Melisma, ihre beiden Kusinen aus dem Clan und das Kind – endlich einen Aufnahmekontrollpunkt, den bewaffnete Sicherheitsleute mit dem Abzeichen von Salliche Ag auf der Uniform bewachten.
Ein Mann mit vernarbtem Kinn betrachtete sie abschätzend aus dem Fenster des Häuschens. »Was bei der Galaxis sind das für welche?«, fragte er jemanden, der nicht zu sehen war.
Kurz darauf erschien eine nicht weniger ernst dreinschauende uniformierte Frau am Fenster und richtete einen kugelförmigen optischen Scanner auf Melisma. »Vermutlich braucht das System einen Moment, um sie zu erkennen«, erklärte sie der ersten Wache. Dann gab der Scanner einen Ton von sich, und sie blickte auf die Anzeige. »Ryn.«
»Ryn? Von welchem Gesteinsbrocken stammen die?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Herkunftsplanet unbekannt. Welchen Unterschied macht das schon, sie kommen jetzt von Gyndine. Sieh nach, ob wir noch mehr von ihrer Sorte haben.«
Melismas böse Ahnungen kehrten zurück. Am Flughafen waren sie von den Repräsentanten der SELCORE und den Honoratioren von Ruan herzlich begrüßt worden, doch diese Wachen erinnerten in ihrem Gehabe und in ihrer Uniform an die Espos, die vor Jahren die Kontrolle über viele Welten des Korporationssektors innegehabt hatten.
»Ja, wir haben tatsächlich noch welche«, sagte die erste Wache. »Bei der letzten Zählung zweiunddreißig.« Er grinste Gaph an. »Sektion 465, Ryn. Hinter den Gemeinschaftssanitäranlagen.«
Gaph hörte, wie Melisma scharf Luft holte, und wandte sich ihr zu. »Also gut, vergiss alles, was ich über frische Luft gesagt habe. Bleiben uns Essen und Trinken und ein Dach über dem Kopf.«
»Im Gefängnis hätten wir das auch gehabt«, meckerte Melisma.
Daraufhin drohte ihr Gaph mit dem Zeigefinger. »Vertrau mir, Kind, das Gefängnis ist kein guter Ort für die Ryn. Hier können wir wenigstens singen und tanzen und uns über unser Glück freuen.«
»Folgt dem Droiden«, knurrte die Wache. »Und keine Trödelei, kein Abweichen vom Weg, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun.«
»Ach, was für ein Glück«, sagte Melisma sarkastisch. »Hoffen wir zumindest auf ein Dach über dem Kopf, Gaph.«
Der Droide, ein humpelndes, quietschendes Protokollmodell, trieb sie durch ein Wirrwarr aus baufälligen Behausungen, die aus alten Erntemaschinen und Raumschiffteilen zusammengezimmert waren – Lukendeckel, Klingenblätter, Bleche und Ähnliches. An anderen Stellen standen vorgefertigte Duraplast-Hütten, primitive Schuppen, frei stehende Unterkunftsblasen, elliptische Hütten mit Tierfellen oder kegelförmige, die mit ölbefleckten Plant MI abgedeckt waren.
»Lager 17 wurde auf einem alten Schrottplatz errichtet«, erläuterte der Droide stolz. »Man geht hier sehr erfindungsreich mit eigentlich nicht mehr verwendbaren Materialien um.«
Im lichtlosen Inneren der Behausungen, auf dem schlammigen Boden davor oder auf kleinen Flecken zertrampelten Grases hockten Angehörige von Spezies, die aus so fernen Sektoren wie den Imperialen Restwelten oder so nahen wie dem Koornacht-Cluster stammten und die alle ihre Heimat verloren hatten. Manche der Welten hatten die Yuuzhan Vong unbewohnbar hinterlassen, andere gleich vollständig zerstört. Bei einem Blick in die Runde entdeckte Melisma Ruurianer, Gand, Saheelindeeli, Bimms, Weequays, Myneyrshi, Tammarianer, Gotals und Wookiees. Allerdings herrschte hier nicht unbedingt eine Atmosphäre des Friedens vor; stattdessen lag Rebellion in der Luft. Man starrte sich gegenseitig finster an oder stand mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten da.
Als würde er die Sorgen in ihren Gedanken lesen, kommentierte der Protokolldroide in Basic die Situation.
»Weil alle auf so engem Raum ohne Rücksicht auf Unterschiede zusammenleben müssen, entladen sich gelegentlich unterdrückte Ressentiments und Feindseligkeiten in Auseinandersetzungen um Wohnplätze oder Lebensmittel, und überall im Lager kommt es zu Tumulten. Natürlich werden solche Unruhen rasch von Salliche Ags hervorragend ausgebildeten Fachkräften beigelegt, wobei Gewalt nur in Fällen angewendet wird, in denen sie sich nicht vermeiden lässt.«
Wie unterwegs auf dem Transportschiff wurden die Ryn von allen Seiten mit Misstrauen und Abneigung beäugt. Väter bewachten die Habseligkeiten ihrer Familien noch aufmerksamer, Mütter riefen ihre Kinder zu sich. Manche vollführten magische Gesten, um sich zu schützen, andere äußerten lauthals ihren Unmut darüber, dass man die Ryn überhaupt ins Lager eingelassen hatte.
Melisma starrte vor sich ins Leere. Sie war solcherlei Behandlung gewöhnt, und sie begriff sehr wohl, dass die Wanderlust und die Vorliebe für Heimlichkeiten der Ryn immerhin zum Teil für die Gerüchte verantwortlich waren, die sich um ihre Spezies rankten. Da sie aus vielen Gesellschaften ausgestoßen worden waren, hatten sie sich immer mehr zurückgezogen. Durch ihr Außenseitertum hatten sie sich zu aufmerksamen Beobachtern des Verhaltens anderer entwickelt; so konnten sie häufig voraussehen, was andere Wesen, vor allem Menschen, als Nächstes sagen wollten. Daher rührte auch ihre Freude an Liedern, Tanz und scharfem Essen und ihre Geschicklichkeit beim Fälschen und Wahrsagen, wozu sie keine echten übersinnlichen Fähigkeiten brauchten. Das heutige Sabacc hatte zum Beispiel seine Ursprünge in einem Kartenspiel, welches die Ryn erfunden hatten, um ihre mystischen Lehren zu verschleiern.
»Wir nähern uns nun der Essensausgabe«, verkündete der Droide.
»Ich habe mich schon gewundert, was das für ein Geruch ist«, sagte Melisma zu Gaph, der sie zunächst rügte, seine Meinung jedoch sofort änderte, nachdem er einen Blick auf die Zustände geworfen hatte.
In gewundenen Schlangen warteten hunderte vor behelfsmäßigen Ständen, wo jeder einen Klacks von einer eklig gefärbten synthetischen Speise erhielt, die Droiden aus riesigen Behältern pressten. Andere standen an, um sich aus bis an den Rand gefüllten uralten Ruderbooten mit schaumigem Wasser zu versorgen.
»Für eine geringe Summe«, bemerkte der Droide, »können Sie beim geschulten Personal von Salliche Ag Speisen erwerben, die selbst den anspruchsvollsten Gaumen zufrieden stellen. Außerdem kann man sich zu vernünftigen Preisen in den besseren Unterkünften wie auf dem Noob Hill einmieten.«
Melisma folgte dem Metallfinger des Droiden zu einer von einem Schockzaun umgebenen Parzelle auf höher liegendem Gelände. Dort konnte man ungefähr zwanzig Ithorianer beobachten, die in einem offenen strohgedeckten Pavillon hockten. Auf einer Seite trennte sie ein tiefer Graben von einer Schar Gamorreaner, die Bungalows aus luftgetrockneten Ziegeln bewohnten. Auf der anderen Seite, jenseits einer Wand aus Dornensträuchern, hatten sich Wookies ein Baumhaus aus Balken errichtet.
Je tiefer man ins Lager kam, desto schlimmer sah es aus. Der Schlamm, der zunächst nur ein Ärgernis dargestellt hatte, wurde über weite Strecken knöcheltief, und die Unterkünfte – ein Ghetto aus Hütten ohne Dach und grob gezimmerten Baracken – drängten sich an den Fuß eines Hügels, wo kaum Sonne hingelangte und das Regenwasser direkt in den Essensausgabebereich lief. Anstelle der vorgefertigten Zelte und Unterkunftsblasen standen hier Schuppen, die eher für Vieh als für Empfindungsfähige geeignet waren. Hier hatten einfallsreiche, hohlknochige Vors aus den Landeklappen von Sternschiffen einen Bauer für sich konstruiert; dort drüben hatte eine Horde krötenartige Rybet einen geräumigen Verschlag aus leeren Frachtkisten und Stützsäulen von Y-Flügler-Motorgehäusen errichtet.
Alle anderen lebten im Dreck.
Ein durchdringender Gestank verriet Melisma, dass sie sich den Gemeinschaftssanitäranlagen näherten. »Vielleicht riecht es nur so, wenn kein Wind geht«, mutmaßte Gaph.
»Dann sollten wir eine Eingabe an die Klimaaufsicht machen, uns einen Orkan zu schicken«, sagte Melisma mit zugehaltener Nase.
Wie versprochen lag gleich hinter den Sanitäranlagen die Sektion 465, wie ein Schild verkündete, und jemand hatte die Worte Ryn City hinzugefügt.
Über die Hälfe der zweiunddreißig begrüßten Gaph, Melisma und die anderen, als sie auf den Hof trotteten, der gemessen an den Umständen ungewöhnlich sauber wirkte. Das war jedoch für Ryn normal, da sie stets für Reinlichkeit und Ordnung sorgten; es war für sie fast ein Ritual.
Der Anführer der Gruppe, ein großer Mann namens R’vanna, hieß sie willkommen, reichte jedem von ihnen etwas Schmackhaftes und von Ryn Hergestelltes zu essen und fragte sie über die Umstände aus, die sie nach Ruan geführt hatten. Gaph berichtete, wie sie auf der Flucht aus dem Korporationssektor mit ihrer Schiffskarawane auf eine Patrouille der Yuuzhan Vong gestoßen waren. Durch die Not-Hyperraumsprünge wurden sie in alle Winde zerstreut, und einige landeten auf dem Jubelrad bei Ord Mantell, wo sie erneut in einen Angriff der Yuuzhan Vong gerieten. Daraufhin wurden sie auf verschiedenen Transportschiffen untergebracht, von denen manche nach Bilbringi, einige nach Rhinnal und andere nach Gyndine weiterflogen.
Anschließend erzählte R’vanna seine Erlebnisse, die zwar in der Tion-Hegemonie begannen, ansonsten Gaphs Leidensgeschichte jedoch sehr ähnelten.
Eine der Frauen zeigte Melisma und ihren Kusinen einen Schlafraum. Dort überließ sie das Kind der Obhut ihrer Verwandten und gesellte sich zu Gaph und R’vanna, wobei Letzterer gerade ein eindringliches Bild vom Leben in Lager 17 zeichnete.
»Obwohl Wasser eigentlich kein Problem ist – unsere Aufseher erzeugen einfach einen Regenschauer, wenn er gebraucht wird –, kommt es regelmäßig zu Lebensmittelknappheiten, und Krankheiten breiten sich aus. Natürlich könnte man die Krankheiten leicht bekämpfen, und Ruan hätte die Möglichkeit, ausreichend Lebensmittel zur Verfügung zu stellen, wenn man nur das nimmt, was die Arbeitsdroiden auf den Feldern verrotten lassen, aber je miserabler es den Lagerinsassen geht, desto günstiger ist dies für Salliche Ag.«
»Wieso ist das günstig für Salliche Ag?«, fragte Melisma. »Und weshalb sollte Prinzessin Leia die vorbehaltlose Großzügigkeit der Gesellschaft preisen, wenn wir für diese nur eine Bürde sind?«
»Salliche giert geradezu nach Flüchtlingen, Kind, aber nicht in den Lagern. Die wollen uns für die Felder.«
»Als Arbeiter?«
»Gewissermaßen.« R’vanna hielt kurz inne und klopfte verkohlten T’bac aus dem Kopf seiner handgeschnitzten Pfeife. »Die Neue Republik ist ernsthaft bemüht, alle Insassen auf besiedelte Welten zu verlegen, doch angesichts des Krieges sind die Chancen dafür gering – wovon man allerdings in den Vorbereitungskursen nichts hört.«
»Vorbereitung?«, hakte Melisma nach. »Wozu das?«
»Nun, um uns das Leben in der Zivilisation des Kerns näher zu bringen. Wie gesagt, die Chancen sind dürftig. Mancher oben auf Noob Hill kann sich die Reise mit privaten Transportgesellschaften leisten, nur leider hat nicht jeder dieses Glück. Niemand will hier länger als unbedingt notwendig bleiben, und deshalb haben viele die Angebote von Salliche Ag angenommen, sich die Reise zu erarbeiten.«
»Auf den Feldern«, sagte Gaph.
R’vanna nickte. »Bloß verdienen die wenigsten genug, damit es für die Reise reicht. Viele der frühesten Ankömmlinge im Lager wurden zu langfristigen Verträgen gezwungen, entweder hier auf Ruan oder auf Welten, die von Salliche Ag verwaltet werden, und die Gerüchte, dass jene, die sich Salliches Wohltätigkeit verweigern, einfach verschwinden, wollen nicht verstummen.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, meinte Melisma. »Empfindungsfähige werden niemals Droiden bei der Arbeit ersetzen. Empfindungsfähige brauchen mehr als nur gelegentlich ein Ölbad und Programm-Updates. Ganz zu schweigen davon, wie drastisch die Produktion zurückgehen würde.«
R’vanna lächelte sie geduldig an. »Genau das Gleiche habe ich einem Repräsentanten von Salliche erklärt, der erst letzte Woche Ryn City besucht hat. Und weißt du, was er mir erzählt hat? Die Anstellung der Empfindungsfähigen lindere nicht nur das Flüchtlingsproblem, sondern die Gesellschaft könne so auch mit dem Slogan ›handgepflückte Frischware‹ werben.«
Gaph dachte darüber einen Moment nach. »Im Augenblick haben wir also die Wahl, entweder für Salliche Ag zu schuften oder hier im Schlamm zu versinken.«
Melisma blickte sich auf dem Hof um und bewunderte die meisterhaft gebauten Schlafhütten und Küchen. »Wie habt ihr das so schön hinbekommen? Auf dem Weg durchs Lager hatte ich Angst, überfallen und umgebracht zu werden. Wenn die Leute hier könnten, würden sie uns auch noch die gesamte Invasion der Yuuzhan Vong in die Schuhe schieben.«
R’vanna lächelte traurig. »So war das Leben schon immer für die Ryn. Aber nicht alle fürchten oder misstrauen uns. Denen haben wir es zu verdanken, dass es uns so gut geht.«
»Almosen?«
»Also bitte, Kind«, sagte Gaph theatralisch. »Ryn nehmen keine Almosen an. Wir arbeiten für alles, was wir bekommen.«
Melisma schaute R’vanna an. »Was für eine Arbeit können wir hier leisten?«
»Diejenige, bei der wir am besten sind: Die Leute über ihre Möglichkeiten aufklären, ihnen ihre Fehler aufzeigen und sie mit hilfreichen Tipps versorgen, wie sie das tägliche Leben bewältigen können.«
»Wahrsagen«, meinte Melisma ein wenig geringschätzig. »Sabacc-Karten lesen.«
Gaph grinste breit. »Singen und Tanzen sind der Lohn für die, die guten Rat spenden… Das Leben könnte es schlimmer mit uns meinen, Kind. Das Leben könnte es viel schlimmer mit uns meinen.«
»Waren Sie nicht derjenige, der behauptet hat, Hilfe sei schon da?«, fragte die Ryn mit der roten Mähne Wurth Skidder an Bord des Sklavenschiffes Creche.
»Möglicherweise habe ich so etwas gesagt«, räumte der Jedi ein. – »In der Hitze des Gefechts vermutlich.«
Roa betrachtete Skidder interessiert, dann blickte er an ihm vorbei Sapha an. »Wann war das denn?«
»Auf Gyndine«, erklärte sie, »als er sich extra noch beeilt hat, damit er von diesem vielbeinigen Wesen gefangen genommen wurde, das uns zusammentrieb. Er sagte: ›Nur Mut, Hilfe ist schon unterwegs.‹«
Erneut sah Roa Skidder an. »Er hat sich extra noch beeilt?«
Sapha zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls wirkte es so von meiner Position aus.«
Seite an Seite standen die drei bis zur Hüfte in zähflüssiger rotbrauner Nährflüssigkeit, in welcher der junge Yammosk schwamm wie ein extrahiertes Gehirn in einer Autopsieschale. An den durchdringenden Geruch – nach Knoblauch mit Nlora-Parfüm gemischt – musste man sich erst gewöhnen, doch inzwischen hatten die Gefangenen den Brechreiz überwunden, abgesehen von einem Sullustaner, der vor kurzem ohnmächtig hinausgetragen worden war.
Einer der grazileren der mannigfaltigen Tentakel des Wesens befand sich vor Skidder und seinen Gefährten, und sie massierten und streichelten es fleißig, so wie es Bimms mit bestimmten Nerf-Arten machen, um besonders zarte Steaks zu erhalten. Roas Besorgnis erregend bleicher Freund Fasgo und zwei Ryn führten das Gleiche auf der anderen Seite des Tentakels durch. Die Anordnung von sechs Sklaven pro Tentakel wurde fast überall in dem runden Becken beibehalten, nur nicht bei den kürzeren und dickeren, wo zwei bis drei Gefangene ausreichten.
»Er hat sich beeilt«, wiederholte Roa, eher für sich selbst; dann fixierte er Skidder mit bohrendem Blick. »Das hört sich fast so an, als hätten Sie sich absichtlich gefangen nehmen lassen, Keyn.«
»Um hier oben zu enden?«, erwiderte Skidder. »Da müsste ich entweder geistesgestört oder tollkühn sein.«
Falten eines Lächelns bildeten sich in Roas Augenwinkeln. »Ich habe schon genug Leute kennen gelernt, die beides waren. Zwar weiß ich noch nicht genau, weshalb, aber irgendwie könnte das auf Sie auch zutreffen.«
Zwei schlauchstarke pulsierende Röhren ragten aus dem knolligen Kopf des Yammosk und verschwanden in der gewölbten, membranartigen Decke des Raumes. Skidder nahm an, dass zumindest eine für die Versorgung mit den notwendigen Atemgasen zuständig war, obwohl Chine-kal ihnen erklärt hatte, Yammosks würden Sauerstoff atmen, während sie zu Kriegskoordinatoren heranreiften.
In diesem Augenblick beendete der Kommandant des Traubenschiffes seine Runde über den Gittersteg, der sich um den Rand des Beckens aus Yorikkorallen zog. Am Rand stand außerdem eine Kompanie leicht bewaffneter Wachen.
»Trotz des Abscheus, den der Yammosk in manchen von euch zu erregen scheint, ist er ein äußerst sensibles Wesen«, sagte er. »Eine Auswirkung seines mächtigen Drangs, sich zu verbinden, stellt seine Empathie dar, die sich später zu einer Art Telepathie entwickelt. Schon früh wird der Yammosk daran gewöhnt, ausgewählte Dovin Basale als seine Kinder, seine Brut zu betrachten – die gleichen Dovin Basale, die unsere Sternschiffe antreiben und auch die kleinen Schiffe mit nur einem Piloten, die die Neue Republik als Korallenskipper bezeichnet. Wenn es schließlich zum Kampf gegen die Streitkräfte eurer Welten kommt, erscheint die Situation für den Yammosk so, als wären seine Kinder bedroht; er versucht dann, sie auf eine Weise zu koordinieren, dass die Verluste auf ein Minimum reduziert werden.«
Chine-kal blieb dicht bei Skidder und den anderen stehen und deutete zur Decke. »Die dunkelblaue Arterie, die beim Yammosk genau über dem Auge ansetzt, ist schon jetzt mit dem Antrieb dieses Schiffes verbunden, weil er sich mit dem Dovin Basal vertraut machen muss. Je besser ihr den Yammosk behandelt, je mehr Zuneigung ihr ihn spüren lasst, desto besser funktioniert die Verbindung mit dem Dovin Basal, was wiederum die Leistung des Schiffes steigert.«
Der Kommandant drehte sich um zu einer der membranartigen Wände. In einer Blase, die für alle Gefangenen zu sehen war, befand sich ein pulsierender, herzförmiger Organismus.
»Hier seht ihr einen kleinen Dovin Basal, der ungefähr der Größe jener entspricht, die in den Nasen der Korallenskipper sitzen. Die Farbe verrät, wie gut ihr eure Aufgabe erledigt, und das gegenwärtige Hellrot zeigt mir, dass ihr im Augenblick recht gut seid, doch noch nicht so gut, wie es möglich wäre. Daher werden wir also den Rhythmus des Streicheins erhöhen, und zwar in dem Takt, den der Dovin Basal vorgibt. Wenn wir Erfolg haben, wird das Schiff darauf reagieren. Fangen wir also an…«
Skidder riss sich zusammen. Die Arbeit war eigentlich gar nicht so anstrengend, doch führte der intensive und permanente Kontakt mit den Tentakeln rasch zur Erschöpfung, fast als würde der Yammosk den Gefangenen die Energie aussaugen. Es war leicht, sich nicht zu beteiligen, doch ebenso leicht wurde man entdeckt und bestraft.
Der Dovin Basal pulsierte schneller, und die Gefangenen erhöhten die Geschwindigkeit und die Stärke ihrer Massage und bemühten sich, einen Rhythmus zu finden. Der Takt legte noch einmal an Schnelligkeit zu; die Bewegungen wurden drängend und hektisch. Und abermals erhöhte sich die Frequenz. Viele Gefangene atmeten schwer, manche schnauften. Der Schweiß rann ihnen über Gesicht und Arme. Jene, die nicht mithielten, brachen über den Tentakeln zusammen oder sackten in die klebrige Nährflüssigkeit. Doch die Übrigen schafften es, einen kollektiven Rhythmus zu finden, und der Yammosk reagierte, indem sich seine Tentakel mit Grübchen überzogen.
Skidder konnte das Wogen des Traubenschiffes regelrecht fühlen.
Dann wurde der Dovin Basal langsamer und pulsierte wieder ruhiger.
»Gut«, sagte Kommandant Chine-kal. »Sehr gut.«
Skidder schluckte heftig und beruhigte sich rasch. Sapha und Roa keuchten, Fasgo wirkte benommen.
Chine-kal begann seine nächste Runde über den organischen Steg. »Wie manche von euch bereits wissen, ist die Schlacht-Koordination nur eine der Begabungen des Yammosk. Als ich vorhin sagte, seine Empathie grenze schon fast an Telepathie, habe ich nicht übertrieben. So wird bei der Abrichtung des Yammosk auch eine kognitive Beziehung zu dem Kommandanten aufgebaut, dem er dienen wird. Und zwischen mir und diesem Yammosk besteht schon ein Vertrauensverhältnis. Doch wir wollen einen Versuch unternehmen, den bisher niemand gewagt hat – etwas wirklich Außergewöhnliches. Wir wollen, dass der Yammosk auch mit euch vertraut wird – mit euch allen –, damit wir die Invasion zu einem schnellen und relativ schmerzlosen Ende bringen können.«
Skidder sah Roa an. »Haben Sie das schon gewusst?«
Der ältere Mann antwortete mit einem grimmigen Nicken.
»Während sich der Yammosk mehr und mehr an eure Berührungen gewöhnt«, fuhr Chine-kal fort, »wird in ihm vielleicht der Wunsch wach, euch ebenfalls zu berühren, vor allem an der Brust, an den Schultern, am Hals und im Gesicht. Ihr werdet ihm dies erlauben. An manchen von euch findet er möglicherweise kein Interesse; zu anderen verspürt er hingegen tiefe Zuneigung. Auf jeden Fall warne ich euch davor, sich seinem telepathischen Forschen zu widersetzen, denn dabei riskiert ihr, euch selbst ebenso wie den Yammosk zu verletzen. Widerstand kann leicht in Wahnsinn und Tod resultieren. Lacht, weint, schreit, wenn es sein muss, aber leistet keinen Widerstand.«
»Er macht keine Scherze«, meinte Roa, plötzlich sehr ernst. Er sah zunächst Sapha und dann Skidder eindringlich an. »Versucht, euren Kopf leer zu machen, sonst verfolgt er eure Gedanken wie ein Raubtier seine erste Beute des Tages. Dabei kann man schnell die Orientierung verlieren. Ehrlich, das habe ich schon mehr als einmal gesehen.«
Skidder hatte sein Bestes getan, um sein Jeditum zu verbergen, seine Stärke in der Macht, die Ereignisse, die ihn dazu gebracht hatten, sich gefangen nehmen zu lassen, seinen Wunsch nach Rache, weil seine Gefährten gefallen waren. Angesichts von Chine-kals Enthüllung erinnerte er sich plötzlich daran, was Danni Quee ihm erzählt hatte: Die Yuuzhan Vong hatten einen Yammosk eingesetzt, um Miko zu brechen. Und auch den Drang, Kontakt zu den anderen Jedi aufzunehmen, um sie von dem neuesten Plan des Feindes zu unterrichten, konnte er nicht mehr unterdrücken.
Er drehte sich leicht um, blickte dem Yammosk in die tintenschwarzen Augen, und der Koordinator schien den Blick zu erwidern. Der Tentakel in seinen Händen riffelte sich, und die stumpfe Spitze kam aus der Nährflüssigkeit und wickelte sich um Skidders Schultern.
Roa, Sapha und die anderen wichen überrascht zurück.
»Keyn, Sie Glückspilz«, sagte Roa kurz darauf, »ich schätze, der Yammosk mag Sie.«