22. Er musste sein Vorhaben einige Minuten lang erklären. Der Bürgermeister konnte seine Überlegungen nicht ganz nachvollziehen, aber er akzeptierte sie. Darr wollte eine detaillierte Begründung haben, verstand aber ziemlich sofort, dass je eher sie wie auch immer geartete Feinde sahen, desto größer ihre Chancen auf einen siegreichen Kampf werden würden.
Es wurde immer kälter, in den Savannen des Sudans herrschte das Tageszeitklima, die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht waren größer als die zwischen den Jahreszeiten. Aber noch war es relativ warm und Kepler schwitzte, weil sein Anzug wegen der thermoisolierenden Eigenschaft die Wärme seines Körpers nur minimal zwischen den Streifen entweichen ließ. Das störte Kepler nicht weiter, Hitze konnte er schon immer viel besser als Kälte vertragen. Zudem brauchte er den Ghillie nur kurz zu öffnen, um den Temperaturausgleich herzustellen. Er tat es nicht, um nicht im Infrarot aufzufallen, falls die Gruppe tatsächlich beobachtet wurde. Und weil er ahnte, wie kalt die Nacht werden würde. Zu seiner Zeit konnte die Temperatur in der Savanne nachts bis fast auf Null fallen. Millionen Jahre später fühlte das Klima sich insgesamt etwas kälter an, damit würde es in der Nacht höchstwahrscheinlich frieren.
In etwa einem Kilometer Entfernung von der nächsten Maschine gab es freie Sicht in alle Richtungen. Kepler wollte ein Feuer anzünden, aber in der Umgebung gab es nur zwei winzige nicht verdorrte Akazienbüsche und nicht genügend trockenes Gras, um das Feuer die ganze Nach hindurch aufrecht zu erhalten. Und von der Brennflüssigkeit hatten die Gondwaner nur wenig mit.
Mehrere Männer machten sich zu zweit oder zu dritt davon, nachdem sie ihre Rucksäcke abgelegt hatten. Sie alle benutzten die niedrigen Akazienbüsche, um die Notdurft zu verrichten. Lediglich Goii blieb zurück. Sein verlangender Blick zu Areía machte deutlich, welchen Dienst er ihr anbieten wollte. Die junge Frau ignorierte das stumme Angebot. Stattdessen ging sie zu Kepler.
Er saß auf den Knien und sah sich um, seine Hand umschloss den Lauf des Gewehrs, das er mit der Schulterstütze auf den Boden gestellt hatte. Areía betrachtete ihn einige Sekunden lang von der Seite. Kepler blickte kurz zu ihr, dann richtete er den Blick wieder in die Weite. Areía seufzte leise und hockte sich direkt vor ihn hin. Kepler sah sie fragend an. Sie grinste zurück.
"Keine blöden Sprüche wegen der Augen", warnte Kepler sie.
Areías Lächeln wurde breiter.
"Wie kommt man zu einer solchen Pracht?", wollte sie wissen.
Ihre Stimme zitterte vor Schalk. Kepler sah sie schief an. Sie konnte sich nicht mehr halten und prustete. Nach einigen Sekunden atmete sie tief durch.
"Ich...", sie machte noch einen tiefen Atemzug, "ich frage ernst."
"Sogar so, dass du vor Lachen gleich platzt", kommentierte Kepler.
Im nächsten Moment grinste er selbst. Der Anblick einer wunderschönen lachenden Frau, die anscheinend vergessen hatte, dass auf ihren Knien eine Lichtbogenwaffe lag, ließ jedes Grauen einfach verblassen. Für einen Augenblick.
"Es sieht nett aus", behauptete Areía. "So... nach einer Weile."
"Danke", erwiderte Kepler trocken.
"Wirklich", beteuerte Areía. "Nur ziemlich ungewohnt. Gibt es viele mit solchen Augen in der Vergangenheit?"
"Millionen", antwortete Kepler. "Zig Millionen, schätze ich."
Areía wurde wieder ernst.
"Es muss sehr lange her sein", meinte sie. "Weißt du, aus welcher Zeit du eigentlich kommst?"
"Natürlich", antwortete Kepler. "Ich weiß nur nicht genau, wie weit sie vor dieser hier stattgefunden hat. Es scheinen viele Millionen Jahre zu sein."
"Gab es in deiner Zeit auch Frauen mit blauen Augen?", wollte Areía wissen.
"Ja."
"Sehen sie besser aus als die mit solchen Augen wie ich sie habe?"
"Nachts ist kälter als draußen", gab Kepler zurück.
"Bitte?", fragte Areía erstaunt blinzelnd.
"Deine Frage ergibt ungefähr soviel Sinn wie dieser Satz."
Areía lächelte nach einiger Zeit.
"Ich wollte nur wissen, wie das kommt", behauptete sie recht unplausibel.
"Wir werden so geboren, es ist natürlich", antwortete Kepler.
"Wirklich?", zweifelte Areía.
"Im Grunde nicht, es ist eine Pigmentstörung, deine Augenfarbe ist die natürliche. Irgendwann hatte es warum auch immer bei einem Menschen diese Mutation gegeben. Ich persönlich tippe auf einen von Noahs Nachkommen", sinnierte Kepler. "Und die Evolutionisten bestätigen, dass sämtliche blauäugige Menschen, die es zu meiner Zeit auf der Welt gab, von einem einzigen mit solchen Augen abstammen. Also, bei ihm war es eine Mutation. Bei uns ist es natürlich."
"Du kannst also nicht durch Dinge hindurch sehen?"
"Ne", gab Kepler erstaunt zurück.
"Gut." Areía zögerte kurz. Dann zeigte sie nach rechts zu einer Akazie. "Begleitest du mich dann zu dem Busch da?"
"Ungern. Nimm Goii mit."
"Ungern", echote Areía. "Der ist mir irgendwie zu glatt."
"Und ich wirke wie Schmirgelpapier, oder was?", fragte Kepler.
"Wie was?"
"So Zeug an dem man sich aufreibt."
"Aha", meinte Areía. "Jetzt gerade wirkst du ziemlich doll so."
"Dann geh mit Goii."
"Der will schon lange Sex mit mir. Ich will ihn nicht ermuntern." Areía sah Kepler bittend an. "Soll ich mit dir schlafen, damit ich pinkeln kann?"
"Das würdest du?"
Areía zuckte mit den Schultern. Wenn Darr Recht hatte, dann war der Sex in diesem Zeitalter zumindest vor dem Krieg eine der Hauptbeschäftigungen. Aber die Frauen hatten sich in Millionen von Jahren nicht geändert. Sie konnten einen ermuntern und gleichzeitig jede Hoffnung zunichte machten.
Kepler wollte nicht mit Areía ins Bett – oder ins Gras in diesem Fall – aber er respektierte ihren Wunsch. Er erhob sich.
"Na los, bevor die Dämmerung einsetzt."
Zehn Minuten später war es soweit. Die Sonne sank schnell hinter den Horizont, nach kurzer Zeit wurde es dunkel. Die Temperatur fiel rapide. Die Bogenschützen machten kein Feuer. Niemand von ihnen schien Wache halten zu wollen, sie waren alle völlig übermüdet. Ihr einziger Gedanke schien der an Schlaf zu sein. Sie legten sich eng beieinander hin. Areía winkte sofort ab, kaum dass Goii einen Schritt in ihre Richtung getan hatte, legte sich neben Koii hin und drückte sich an ihn, um sich warm zu halten.
Kepler erinnerte sich, wie er und seine Männer es genauso unweit von hier getan hatten. Und spürte den Schmerz, der der immer kam, wenn er an seine Kameraden dachte. Nun waren sie alle längst gestorben. Plötzlich schmunzelte Kepler. Er war eigentlich ebenso tot. Er saß auf Afrikas Erde, in der, so hoffte er, sein Körper vor Millionen von Jahren die letzte Ruhe gefunden hatte.
Er sah sich um. Die Pflanzen wogen sich im Wind, sonst regte sich nichts. In die raschelnde Bewegung mischten sich lediglich leise Geräusche der nachtaktiven Tiere. Kepler richtete die Augen in den Himmel. Die ungewohnten Sternenbilder leuchteten gleichgültig auf die Erde hinab. Die Sterne flackerten, aber nur völlig normal wegen der Eigenbewegungen der Atmosphäre. Nichts, weder die Sterne noch die Dunkelheit selbst wurden irgendwo leicht verzerrt.
Je länger er das Atmen der schlafenden Gondwaner hörte, desto mehr spürte Kepler die Müdigkeit. Und noch mehr die Gefahr. Wieder, und diesmal stärker, trotz des Anzuges. Er holte die Packung mit den russischen Tabletten aus der linken Innentasche der Weste. Es waren noch zwei Streifen drin, zwanzig Aufputschpillen. Kepler drückte zwei heraus und sah zu Darr.
Der Wissenschaftler saß neben ihm, die angezogenen Knie mit den Armen umschlungen und kämpfte sichtlich gegen den Schlaf und die Angst. Kepler überlegte. Zu seiner Zeit musste ein Mensch während seines Lebens sechzehn Kilogramm Dreck vertilgen, um gesund zu bleiben. Darr war in einer Zeit aufgewachsen, der Jahrhunderte guter, oder zumindest gesunder, Ernährung vorausgegangen waren. Kepler wusste noch, welche Wirkung die KGB-Tablette auf ihn gehabt hatte. Darr mit seinem sterilen Körper könnte davon ununterbrochen erbrechen und dabei grundlos und schallend grunzen. Kepler brach eine Tablette entzwei und hielt dem Wissenschaftler eine Hälfte hin.
"Hier, das wird Sie wach halten", flüsterte er.
Darr nahm die halbe Tablette, steckte sie in den Mund und schluckte.
"Was ist das?", fragte er anschließend.
"Eine Droge", antwortete Kepler. "Ein Geheimdienst, das sind Leute, die Geheimnisse anderer Leute herausfinden wollen, hat dieses Zeug entwickelt. Hält einen ein paar Tage lang wach. Ich weiß nicht genau, wie es wirkt, nur, dass es die Nerven stimuliert und Melatonin und Adenosin wirkungslos macht."
"Was für Dinger?", fragte Darr mit zittriger Stimme.
"Das erste ist ein Hormon, das zweite ein Molekül, beide bewirken den Schlaf", antwortete Kepler. "Sehen Sie gerade rosa Elefanten?"
"Weiß nicht, ob es Elefanten sind", überlegte Darr nach einer Weile leicht geiernd. "Aber rosa sind die Dinger. Und wie rosa. Ganz doll rosa. Hä-hä..."
"Gucken Sie noch eine Weile in Ruhe, die Nebenwirkung ist gleich vorbei."
"Hoffentlich bleibt es mir danach warm", sagte Darr merklich nüchterner.
Das Mittel wurde für den militärischen Einsatz entwickelt und halluzinierende Soldaten waren kontraproduktiv. Solange die Tablette wirkte, würde im Kopf zwar eine leichte Verwirrung bleiben, aber Kepler dachte schon wieder absolut klar und fühlte sich munter. Darr schien jetzt auch diesen Zustand zu erreichen.
"Bleibt es, der Körper verbraucht viel Energie, um wach zu bleiben", erwiderte Kepler. "Wir werden mehr essen müssen."
"Wieso geben Sie das nicht jedem von denen, dann marschieren wir die ganze Nacht hindurch", schlug Darr vor.
"Ich habe nicht genug", erwiderte Kepler. "Und ganz ehrlich, Darr? Die Gondwaner sollten zurückgehen. Weil auch wenn Koii Recht hatte, dass es hier keine Gools mehr gibt, das hier wird für diese Leute nicht gut enden."
"Warum denken Sie das?", fragte Darr.
Die Antwort war ein markzerreißender Schrei.
Kepler sprang auf und zog dabei die Glock. Es war jedoch zu spät. In der kurzen Zeit, in der er von der Droge benebelt gewesen war, hatte er nicht aufgepasst, und das war einem Bogenschützen zum Verhängnis geworden.
In der Dunkelheit machte seine weiße Haut den Gool zu einem düsteren Schatten. Er war menschlich, er stand auf den Hinterbeinen hinter dem Bogenschützen, und überragte ihn wie ein Turm. Während er mit dem Kopf ausholte, riss er den Mann mühelos hoch und rammte die Stoßzähne in seinen Hinterkopf.
Diese Bestien besaßen vielleicht kaum Intelligenz, aber sie waren anscheinend zu einigen Empfindungen fähig. Zumindest mutete es Kepler im Licht des Sterne an, dass das Monster sich über den Schrei des Bogenschützen freute, darüber, wie der Mann in seinen Klauen zappelte, und auch darüber, dass die anderen Männer panisch weg krochen ohne sich zur Wehr zu setzen. Hämisch den Kopf zur Seite geneigt, warf der Gool den toten Bogenschützen weg und trat vor.
Kepler schoss. Das Monster schwankte und blieb stehen, als erste Kugeln in seine Brust einschlugen, dann drehte es sich zu Kepler und fauchte drohend. Im nächsten Moment strauchelte es. Kepler schoss ihm absichtlich nicht in den Kopf, weil der bei diesem Monster genauso wie bei dem am Fluss dampfen könnte. Kepler wusste nicht, ob dieser Dampf dieselbe Wirkung wie das Blut der Gools hatte, er nahm es jedoch an. Deswegen versuchte er, den Gondwanern die Zeit zu verschaffen, damit sie sich vom Gool entfernen konnten.
Aber dann musste Kepler es riskieren. Die Treffer hinderten das Monster am Vorankommen, aber sie machten es eigentlich nur wütend. Trotz der mittlerweile zwölf blutenden Stellen, richtete der Gool sich mit einem Ruck auf.
Im verlängerten Glock-Magazin waren noch acht Schuss und Kepler jagte sie alle in den Kopf des Monsters. Der Gool fiel auf die Seite. Aus seinem aufgerissenen Maul stieg Rauch auf. Dann sah Kepler, wie sich am Schädel des Gools an mehreren Stellen die Haut aufriss. Der Kopf des Gools platzte von ihnen auf und Blut trat aus den Rissen hinaus. Der Gool hörte auf zu zappeln.
Als noch jemand im endlosen Entsetzen aufschrie, schüttelte Darr endlich die lähmende Angst ab und hob seine Glock. Kepler rammte ein volles Magazin in seine Pistole, spannte sie und riss sie hoch. Zugleich verstummte abrupt der Bogenschütze, der in einem Meter über dem Boden wild mit den Beinen ausschlug, als der Gool ihn mit seinen Stoßzähnen tötete. Im nächsten Moment durchbohrte der weiße Strahl der Lichtbogenwaffe den toten Bogenschützen und riss ein Loch in die Brust des Gools. Vom gleißenden Licht geblendet, blinzelte Kepler.
Nur der Lichtbogen war selbst unerträglich hell, schon in seiner unmittelbaren Umgebung fiel die Intensität der Strahlung rapide ab. Kepler brauchte nur nicht mehr direkt in den Lichtstrahl zu blicken, um wieder sehen zu können. Im selben Moment fiel der Gool endlich um und der Lichtbogen erlosch.
Sein Widerschein hatte die Nacht nur flüchtig erhellt. Aber lange genug, damit Kepler sah, dass es nicht vorbei war. Sondern erst der Anfang, noch sechs Gools waren da. Einzig die Syth-Waffe hatte ihren Angriff kurz unterbrochen.
"Darr, stellen sie sich mit dem Rücken zu mir!", schrie Kepler. "Versuchen Sie, sie in den Kopf zu treffen und lassen Sie sie nicht zu nahe rankommen!"
Er hatte noch fünf geladene Magazine in der Weste. Das in der Glock musste er sofort komplett verbrauchen, um die Bogenschützen zu decken, die zu ihm krochen. Areía schrie auf und schoss wieder, weil der letzte plötzlich brüllte, als er in die Schwärze der Nacht gerissen wurde. Der Lichtbogenstrahl tötete den Gool, der ihn geschnappt hatte, aber der Bogenschütze kehrte nicht zurück.
Die Glock war leer und Kepler ließ sie fallen, die Pistole war nicht stark genug, um die Gools aufzuhalten, und es waren nicht einmal mehr zwanzig Meter zwischen ihnen und den Menschen. Kepler riss das Gewehr hoch. Er feuerte unterbrochen, während er sich im Halbkreis von links nach rechts bewegte, und hörte, dass Darr hinter ihm auch schoss.
"Feuer! Wir brauchen Feuer", brüllte Kepler zu den Bogenschützen, die sich wie Schatten auf der Erde neben ihm bewegten. "Areía, deck die rechte Flanke, und Koii, du musst auch schießen. Und wir brauchen Feuer!"
Alle Tiere hatten Angst vor Feuer. Nur wussten es die vom Stadtleben geprägten Menschen in der Zukunft anscheinend nicht, niemand rührte sich.
"Feuer!", brüllte Kepler, während er schnell das Gewehr nachlud.
Seltsamerweise war es Toii, der als erster begriff, was er wollte. Der Riese rollte sich auf die Knie und riss einen seiner Kameraden hoch. Er drehte den Mann um und langte in dessen Rucksack. Als er den Behälter mit der brennbaren Flüssigkeit herauszog, schnellte aus der Dunkelheit eine Schwanzspitze. Ihr Schlag schleuderte einen Bogenschützen in die Finsternis. Areía jagte einen Lichtbogenstrahl in die Dunkelheit, verfehlte aber den Gool. Der Bogenschütze schrie auf. Sein entsetztes Brüllen verstummte sogleich in einem Röcheln.
Die zum Plasma erhitze Luft glühte noch einen Augenblick lang nach, während Kepler nach dem nächsten Magazin für das Gewehr langte. Als er es einsteckte, sah er einige Duzend Meter rechts von sich wie das letzte Aufflackern des Blitzes sich plötzlich für einen Augenblick verschwommen in einem regungslosen Schatten vor einem Akazienbusch spiegelte.
Kepler hatte nicht die Zeit, um sich zu vergewissern, ob er wirklich eine getarnte Syth sah, der nächste Gool stürmte auf die Gruppe zu. Kepler feuerte zweimal. Die Lapua-Geschosse zerfetzten den Kopf des Gools und er stürzte zu Boden. Zugleich wurde Kepler ebenfalls niedergestoßen. Von etwas Hartem, das an ihm vorbeiraste. Mehrere Schreie erschallten. Einer verschluckte sich sofort wieder, als ein Gool einem Bogenschützen den Kopf zertrat. Ohne langsamer zu werden ergriff das Monster einen anderen Bogenschützen und verschwand mit dem grell kreischenden Mann in der Finsternis. Kepler schoss dem Gool auf der Seite liegend hinterher, verfehlte ihn aber wohl.
"Toii!", brüllte er. "Mach hin!"
Der Hüne rappelte sich hoch. Er riss den Verschluss von der Flasche und sprang auf. Im selben Moment materialisierte sich die Dunkelheit direkt hinter ihm zu einem Gool. Kepler schoss und Toii schrie auf, weil ihn die Blutspritzer erwischten, als der Gool getroffen wurde. Dennoch duckte der Riese sich und rannte los. Er hielt die Flasche zur Seite von sich weg und drückte sie zusammen. Die Flüssigkeit spritzte in einem Bogen drei Meter weit. Kepler feuerte unentwegt über Toii hinweg, um ihn zu decken.
"Keine Munition mehr!", schrie Darr plötzlich direkt in sein Ohr.
Kepler riss ein Magazin aus der Weste und ließ es ohne hinzusehen fallen, während er weiter schoss. Toii schrie wieder auf, das Blut eines weiteren Gools spritzte auf ihn. Aber das Monster war nicht tödlich getroffen. Seine Pranke schwang nach Toii und verfehlte ihn um Millimeter, die Klauen rissen die Kleidung an seinem Rücken auf. Kepler schoss nochmal auf das verletzte Monster, musste sich aber weiter drehen, um den rennenden Toii zu decken. Der angeschossene Gool sprang auf und war dann nur noch einen Meter von der Gruppe entfernt. Wieder schrie ein Bogenschütze auf. Das Monster tötete den Mann mit einem Hieb seiner Hand, der den Brustkorb des Schützen aufriss. Im nächsten Moment war der Gool verschwunden. Toii duckte sich indessen und robbte unter den Lichtbogenstrahlen weiter, die Areía ununterbrochen in die Nacht aussandte. Kepler wurde wieder geblendet. Er kniff die Augen zu, drehte sich weiter und wartete. Sekunden später sah er Toii. Der Riese taumelte, aber er vollendete den Kreis, bevor er die Flasche fallen ließ und zu Boden stürzte.
"Anzünden!", brüllte Kepler.
Der Riese rollte sich im Schmerz nur hin und her. Er konnte nichts mehr tun.
Darr lud hastig ein Magazin. Was Koii machte, wusste Kepler nicht, einzig Areía schoss noch. Sie feuerte panisch und nur in eine Richtung. Wenigstens schützten die gleißenden Lichtbogenstrahlen ihren Quadranten vor den Gools.
Woanders sah Kepler sie durch die Nacht huschen. Er schoss in die Richtung wo Toii lag, dann wieder im Halbkreis um sich herum. Solange er und Areía noch feuern konnten, musste das Feuer angezündet werden.
"Doii!", brüllte Kepler. "Feuer! Ich kann gleich nicht mehr schießen!"
Der Anführer der Bogenschützen fand in sich die Kraft, den Aufruf zu befolgen. Er kroch los. Zehn Sekunden später erreichte er Toii, entwand die chemische Fackel aus der Hand des konvulsiv zuckenden Riesen und kroch weiter.
Nach drei Metern zündete er sie an. Und wurde sichtbar. Sofort langte ein Gool aus der Finsternis nach ihm. Doii schaffte nicht einmal mehr zu schreien, das Monster riss ihn hoch und rammte ihm die Stoßzähne ins Gesicht. Die Fackel glitt aus seiner kraftlosen Hand, fiel auf die Erde und rollte erlöschend weg.
Im nächsten Moment flammten Feuerzungen auf und breiteten sich nach links und rechts aus. Die Dunkelheit wich zurück und mit ihr auch die Gools. Aber die verschwanden nicht in der Nacht, sie verbargen sich nur darin.
Kepler hatte ungefähr gesehen, wo sie sich befanden. Er griff in den Rucksack, zog eine Dynamitstange heraus, drückte den Knopf und schleuderte sie über die züngelnden Flammen. Fast direkt dahinter schnellte ein Schatten hoch. Im nächsten Moment sah Kepler schemenhaft, dass ein Gool die Dynamitstange in der rechten Hand hielt und sie verdattert anglotzte.
"Deckung! Runter!", schrie Kepler.
Er warf sich seitlich hin und riss Darr mit zu Boden. In derselben Sekunde knallte es. Die Explosion zerfetzte den Kopf des Gools und übersäte die Umgebung mit Kugeln. Einige von ihnen trafen den Bogenschützen, der die Leiche seines Anführers bergen wollte. Ohne einen Laut brach der Mann zusammen und fiel neben Doii hin. Seine Hand landete im Feuer und blieb dort.
Kepler zog die nächste Dynamitstange heraus, aktivierte sie und warf sie hinter die Flammen. Während sie explodierte, schleuderte er weitere Granaten.
Zwischen den Explosionen und dem Zischen der Kugeln hörte er kreischende Laute getroffener Gools. Ein Monster taumelte blutend an die Flammen heran und wurde von einem Lichtbogenstrahl niedergestreckt. Es fiel hin und die Flammen umschlossen knisternd seinen Körper.
Kepler warf die Granaten eine nach der anderen abwechselnd nach links und nach rechts. Die Explosionen trieben die Gools zusammen.
"Areía!", brüllte Kepler. "Töte sie!"
Die junge Frau verstand. Sie richtete die Lichtbogenwaffe dahin, wo die Gools sich versammelten, und deckte sie mit Schwallen gleißender Blitze ein.
Das hielt die Monster davon ab, anzugreifen. Die Lichtbogenstrahlen waren von der Wirkung her zwar fürchterlich, jedoch war Areía relativ langsam, und die Gools wichen ihnen mehr oder weniger mühevoll aus. Kepler ließ die nächste Granate los und griff nach dem Gewehr und nach einem Magazin.
"Areía, dreh dich im Kreis!", schrie er.
Lapua-Geschosse flogen mit doppelter Schallgeschwindigkeit, dem war nicht einmal das Nervensystem der Gools gewachsen. Sie entgingen den Lichtbogenstrahlen, die Areía über der Ebene verteilte, und wurden sogleich von Keplers Kugeln getroffen. Nach einem Einschlag in den Torso konnten einige Gools sogar noch laufen. Nach einem Treffer in den Kopf kein einziger.
Kepler und Areía vollendeten ihre Drehung und wiederholten sie. Beim zweiten Mal schoss aber nur Areía, Kepler sah keine Ziele mehr. Acht Gools lagen verstreut um das Lager herum.
Und zwischen ihnen tote Menschen.
Diesmal gab es keinen Jubel nach dem Kampf.
Kepler beugte sich zu Darr und rüttelte an seiner Schulter, er hatte den Wissenschaftler ziemlich hart mit dem Ellenbogen an der Schläfe erwischt.
"Ich bin ganz", sagte Darr leise.
Es hörte sich mehr nach Stöhnen an.
"Bleiben Sie noch ein wenig liegen", befahl Kepler.
In seinen Ohren dröhnte es von den Granatenexplosionen. Er machte den Mund mehrmals auf und zu und schüttelte den Kopf. Sein Blick fiel dabei auf Foii, der Koii aufzustehen helfen wollte. Der Sekretär verharrte plötzlich, fassungslos auf das gelbliche metallische Ende eines Bumerangs starrend, das aus seiner Brust ragte. Dann ließ er Koii los und fiel mit leisem Ächzen hin.
Kepler vergewisserte sich, dass sein Körper vollständig vom Ghillie bedeckt war. Dann riss er die Glock hoch und drehte sich nach links, bis die Pistole in seiner ausgestreckter Hand in etwa in die Richtung zeigte, aus der das Wurfgeschoss, das Foii getötet hatte, hergeflogen sein musste.
Er feuerte und streute dabei. Wenn der Angreifer nicht mehr als siebzig Meter entfernt war, standen die Chancen gut, dass er getroffen wurde.
Als der Verschluss hinten einrastete, legte Kepler die Glock hin und hob das Gewehr auf. Die Rillen im Lauf hatten ihn abgekühlt und die Tarnstreifen unterdrückten die Restwärme, es war auch im Infrarot bestimmt nicht mehr zu sehen.
Kepler konzentrierte sich. Er sah trotzdem nichts und er hörte auch nichts. Außer den Geräuschen, die zu einer afrikanischen Nacht gehörten. Dieselben, die er nur eine Stunde zuvor wahrgenommen hatte.
Die Nacht verging langsam und träge. Die Flammen erloschen allmählich, dafür hellte langsam der Himmel auf. Kepler hielt den Finger am Abzug. Nichts änderte sich. Nur die Umrisse toter Gools wurden deutlicher. Die menschlichen Leichen hatten sich schon aufgelöst.
Dann war der Morgen da und graute als Vorbote eines Tages, der zum letzten für alle Menschen werden würde, die sich in die Savanne gewagt hatten.