7. Der Wissenschaftler richtete den Blick zufrieden auf den Richter.

"Na, was habe ich gesagt?", wollte er wissen. "Er hat eine mit bloßen Händen getötet, in weniger als zwei Minuten. Kennen Sie jemanden, der das könnte?"

"Eben – eine", erwiderte der Richter ablehnend. "Und wenn es zwei gewesen wären? Bewaffnet?" Er machte eine Pause, sein Blick wurde missbilligend. "Es war eine miserable Idee, Darr. Ich hatte mehr von Ihnen erwartet."

"Was denn genau, einen Übermenschen etwa?", gab der Wissenschaftler giftig zurück. "Er hat die Reise durch die Zeit überlebt und gleich darauf eine Syth getötet. Er hatte keine Ahnung was los ist, trotzdem hat er gekämpft." Orlikon machte eine Pause. "Ich habe ihn ohne sein Messer und ohne die Waffe, mit der er auf Entfernung töten kann, kämpfen lassen. Er hat nichts gehabt, also hat er seinen Körper als Waffe eingesetzt. Sie wollten sehen, ob er so etwas kann, richtig?" Orlikons Ton wurde kompromisslos. "Sir, er ist der absolut richtige."

"Warum?", fragte der Richter giftig. "Weil er genauso ein Monster ist?"

"So ein Quatsch!"

"Ach ja?" Der Richter verschluckte sich fast an seinem Zorn. "Und was ist denn mit seinen Augen?", verlangte er zu wissen. "Oder wollen Sie mir weiß machen, das wäre die Folge des Zeitsprungs?"

"Nein, seine Augen sind eine harmlose Mutation", gab Orlikon deutlich zurück. "In seiner Zeit ist so etwas völlig normal. Dort gibt es keine Maschinen, die Korrekturen bei den Föten im Mutterleib vornehmen können. Deswegen sind die Menschen seiner Zeit nicht so einheitlich wie bei uns. Es gibt in dieser Zeit sogar Krankheiten und unterschiedliche Augenfarben. Deswegen haben seine blauen Augen nichts damit zu tun, dass er ein Kämpfer und ein Krieger ist."

"Und wenn es stimmt – das allein qualifiziert ihn überhaupt nicht dazu, mir zu helfen die Welt zu retten", entgegnete der Richter endgültig.

"Es disqualifiziert ihn aber auch nicht", knurrte der Wissenschaftler erbost.

"Doch!", kreischte der Richter. "Warum schläft er wieder völlig seelenruhig?"

"Weil er noch nicht begriffen hat, was ihm passiert", knurrte Orlikon zurück.

"Aber eine Syth hat er trotzdem einfach so getötet?" Der Richter atmete empört durch. "Die Option mit der Versiegelten Stadt ziehe ich nicht mal mehr in Erwägung! Saugen Sie seinen Kopf leer und dann kann er verschwinden", befahl er rigoros. "Ich werde nicht mit einem Mutanten ins Verderben rennen." Er sah Orlikon in die Augen. "Und ich werde garantiert niemanden aufrufen, in den sicheren Tod zu gehen." Er machte eine Pause. "Darr, Ihnen steht frei, mit in den Bunker zu kommen", fügte er bittend hinzu. "Lassen Sie uns einen anderen Weg überlegen, wie ich... wir die Welt retten können."

"Na dann bleiben Sie im Bunker, Richter!" Für einen Augenblick sah es so aus, als ob der Wissenschaftler ausrasten würde. "Der Mann ist hier und ich muss unbedingt in die Versiegelte Stadt." Im nächsten Moment zwang er sich zur Ruhe. Dann drehte er sich zur Nahrungsmaschine, die in den Bedienpult integriert war, und drückte einen Knopf. "Ionisiertes Wasser, zwei Becher", befahl er.

Es dauerte Sekunden, die Maschine musste nicht die molekulare Struktur des Esspulvers in eine andere Form umbauen, sondern lediglich das Wasser leicht verändern. Die Klappe öffnete sich fast sofort. Der Wissenschaftler entnahm zwei durchsichtige Becher aus der Maschine und hielt einen dem Richter hin.

"Sir", sagte er bemüht bittend und versöhnlich, "trinken Sie und überlegen Sie es sich nochmal bitte. Lassen Sie uns beide zwei Minuten nichts sagen, sondern nachdenken. Sie über meinen Vorschlag und ich über Ihre Einwände."

Der Richter nahm zweifelnd den Becher. Der Wissenschaftler drehte sich von ihm weg und trank. Völlig entrückt, wie es schien, während er den toten Außerirdischen und den neben ihm liegenden Menschen anblickte. Aber dann stieß der Wissenschaftler leicht den Techniker an, der die Hand zur Nahrungsmaschine ausstreckte, und schüttelte fast unmerklich den Kopf.

Einige Momente vergingen. Der Wissenschaftler stellte den Becher ab und drehte sich zum Richter. Sein Blick streifte über dessen zur Hälfte geleerten Becher und er lächelte leicht.

"Also, Sir, was sagen wir diesem Kerl da?", fragte er.

"Darr, Sie können..." Der Richter brach ab und hustete. "Sagen Sie ihm, dass seine Dienste nicht benötigt werden. Schicken Sie ihn zurück..."

"Wie das denn?", wollte der Wissenschaftler wissen. "Auf diesem Kontinent gibt es keine Energiereserven dafür mehr."

"Und das...", der Richter keuchte leicht, "das ist allein Ihre Schuld. Bringen Sie das irgendwie in Ordnung und dann müssen wir eine andere Lösung finden."

"Ach? Im Bunker etwa?"

"Ja. Ich würde nur... kh... ungern... kh... auf Sie... kh... verzicht..."

Entsetzt sah der Richter erst den Wissenschaftler an, dann auf den Becher. Der fiel aus seiner Hand, sein Kopf begann zu zittern und seine Beine knickten ein.

Orlikon fing ihn auf, als er nach hinten über kippte und legte ihn behutsam auf den Boden. Der Mund des Richters öffnete sich, er hob die Rechte an, aber dann wurde sein Körper steif, nur seine Augen rollten noch panisch hin und her.

"Sie wollen also in den Bunker?", fragte der Wissenschaftler höhnisch. "Was wird denn aus den anderen allen?" Sein Gesicht verzog sich angewidert. "Ich bin genauso so skrupellos wie Sie. Aber ich bin es, um der Menschheit eine Chance zu verschaffen. Sie wollen nur herrschen oder die eigene Haut retten."

Er ließ den Richter los und wartete, bis dessen Blick glasig geworden war. Danach öffnete er sein Hemd, erhob sich und ging zum Pult.

"Wasser", befahl er der Nahrungsmaschine.

Während die arbeitete, berührte der Techniker den Arm des Wissenschaftlers.

"Wie geht das da?", fragte er und schielte zur Leiche.

"Das Pulver ist vergiftet", antwortete der Wissenschaftler. "Ich habe wieder wochenlang dasselbe Gift genommen, um meinen Körper an die letale Dosis zu gewöhnen. Achte darauf, dass du es nicht einatmest, während du es entsorgst."

"Wo... wo hast du es her?", fragte der Techniker erstaunt.

"Hab' einfach die Ottern gemolken, die wir der Syth zu fressen gaben."

"Ihr Gift ist nicht so stark, es ist eigentlich Medizin."

"Kommt auf die Dosis an. Und ich habe die Reinform isoliert." Der Blick des Wissenschaftlers wurde ungeduldig. "Sonst noch Fragen?"

Der Techniker beeilte sich, das giftige Pulver in der Maschine zu ersetzen. Danach sah er auf den Toten und dann zum Wissenschaftler.

"Du hattest nie vor, ihn anschließend zum Führer zu machen."

"Ihn?", entgegnete Orlikon verdattert. "Nein, natürlich nicht."

"Wen dann?", interessierte Arr sich.

"Es wird sich ein besserer finden."

"Du etwa?"

"Nein, Arr", gab der Wissenschaftler leicht mitleidig zurück. "Unsere Kaste hütet das Wissen. Regieren sollen andere." Sein Ton wurde schneidend. "Aber keine Maschinen und keine ängstlichen oder selbstsüchtigen Individuen."

"Dann läuft alles weiter wie geplant?"

"Natürlich tut es das."

Der Wissenschaftler entnahm der Maschine den Becher, legte den Kopf in den Nacken und schüttete sich das Wasser über das Gesicht. Anschließend beugte er sich zum Pult und drückte einen Knopf.

"Karr, kommen Sie schnell in den Isolationstrakt", sagte er mit bebender Stimme. "Es hat sich etwas Schreckliches zugetragen." Er ließ den Knopf los, hob den Kopf und sah kurz ins Fenster. "Arr, verschwinde jetzt."

Der Techniker nickte. Solange er den Pulverbehälter aus der Nahrungsmaschine entnahm, blickte der Wissenschaftler ins Fenster.

"Den da zu überzeugen, das stelle ich mir am schwierigsten vor", murmelte er nachdenklich. "Der Rest ist eigentlich simpel."

Drei Minuten vergingen nachdem der Techniker den Raum durch eine Seitentür verlassen hatte. Der Wissenschaftler machte das Fenster mit einem Knopfdruck blickdicht und kniete sich neben den toten Richter hin. Als die Tür aufging, begann er, auf die Brust der Leiche zu drücken.

"Nein!", schrie der Sekretär des Richters auf.

Der Wissenschaftler sprang auf und hielt ihn genauso fest wie nur wenige Minuten zuvor seinen Chef. Behutsam setzte er den jungen Mann in einen Stuhl und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht.

"Was ist geschehen?", fragte der nach einer Weile mit schwacher Stimme.

"Er hat wohl einen koronaren Anfall erlitten", antwortete der Wissenschaftler im tragisch klingenden Ton. "Es war das erste Mal, dass er eine Syth aus direkter Nähe gesehen hat. Sie wissen ja selbst, wie das auf manche wirkt."

"Schon", flüsterte der Sekretär, sah auf den Toten und richtete den Blick in das nasse Gesicht des Wissenschaftlers. "Und was ist Ihnen passiert?"

Darr runzelte übertrieben erstaunt die Stirn und fuhr mit der Hand darüber.

"Schweiß", antwortete er beiläufig. "Ich habe versucht, ihn zu reanimieren."

"Aber er war so stark", stammelte der Sekretär entsetzt.

"Das war er, Karr, das war er", bestätigte der Wissenschaftler. "Und an Sie, Karr, hatte unser teurer Freund seinen letzten Wunsch gerichtet", fuhr er eindringlich fort. "Sie haben seine Rede, den Aufruf, doch schon vorbereitet, oder?"

Der junge Mann nickte. Orlikon lächelte und drückte seine Hand.

"Der Richter wollte, dass Sie diesen Aufruf der ganzen Menschheit verkünden, Sie, Karr", sprach er sanft weiter. "In seinem Namen sollen Sie die Menschheit aufrufen, die Chance auf neues Leben zu ergreifen. Der Richter war überzeugt, dass Sie das schaffen." Er machte eine Pause. "Soll ich Sie nach oben bringen?"

Der Sekretär stützte sich zwar an seinem Arm ab, erhob sich aber halbwegs energisch. Er zitterte noch ein wenig, aber er sah Orlikon ziemlich erhaben an.

"Lassen Sie den Leichnam zur Verbrennung vorbereiten, Darr", gebot er, "und kümmern Sie sich um Ihre Aufgabe. Ich werde die meine erfüllen."

"Gewiss." Der Wissenschaftler sah ihn bewundernd an. "Er wäre stolz auf Sie."

Der Sekretär nickte würdevoll und ging nur noch leicht schwankend hinaus.

Darr lächelte schief, nachdem er allein geblieben war. Für eine Sekunde schloss er die Augen, während er tief einatmete. Er stellte sich vor das Fenster und verharrte kurz, bevor er den linken Daumen auf einen Knopf legte. Er atmete aus und drückte entschlossen auf den Knopf.