Kapitel 13
Zwei Minuten, nachdem Donald gegangen war, kam Michael aus dem Schlafzimmer. Er trug eine Hose und ein Hemd, das er weder zugeknöpft noch in den Bund gesteckt hatte. So wie er aussah, kannte er jetzt die teuflische Auswirkung von zu viel Alkohol.
»Ich will kein Wort hören«, warnte Emily, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. »Kein einziges Wort. Ich möchte, dass du deine Taschen packst und von hier verschwindest, und zwar sofort.«
Michael setzte sich in den Sessel, der ihrem gegenüber stand. »Ich habe keine Taschen. Es sei denn, du meinst die Tüten aus dem Lebensmittelladen.«
Sie bedachte ihn mit einem boshaften Blick - sie wollte ihm zeigen, wie sehr sie ihn hasste. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein Gesicht sah längst nicht so frisch und gesund aus wie sonst. »Gut«, meinte sie. »Ich freue mich, dass du dich elend fühlst. Das geschieht dir ganz recht. Du hast mein Leben ruiniert.«
Michael strich sich übers Gesicht. »Wenn es mich nicht gäbe, hättest du gar kein Leben mehr«, sagte er.
»Was soll das heißen? Mein Leben war schön und vollkommen in Ordnung, ehe du aufgetaucht bist, und genau das wird es wieder, sobald du wieder weg bist.«
»Du kannst jeden belügen, nur nicht mich. Du warst allein und einsam, bis ich dir begegnet bin. Kann ich irgendetwas gegen das dumpfe Gefühl in diesem Kopf tun? Und der Magen tut auch weh.«
Emily setzte eine hochmütige Miene auf und erhob sich. »Ich möchte, dass du in einer Stunde diese Wohnung verlassen hast.« Es kostete sie große Anstrengung, die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, als sie auf die Terrasse ging. Dort setzte sie sich auf einen Stuhl, verschränkte die Arme und wartete.
Sie wusste selbst nicht, wie lange sie so da gesessen hatte, als sie das Wasser in der Dusche rauschen hörte. Nach einer Weile wurde es wieder still, und sie wusste, dass Michael vor dem Spiegel stand und sich rasierte. Unter gar keinen Umständen wollte sie darüber nachdenken, was er über ihre Einsamkeit gesagt hatte oder darüber, wie ihr Leben ohne ihn sein würde.
Nach einer Weile rumorte er in der Küche hemm und kam schließlich auf die Terrasse, ließ sich auf den Stuhl neben ihr fällen und stellte etwas auf den kleinen Tisch, der zwischen ihnen stand. Sie hatte nicht die Absicht, ihn oder das, was er mitgebracht hatte, anzusehen.
»Ich habe einen Tee für dich«, sagte er leise. »Mit Milch, wie du ihn magst, und ein paar von den Butterdingern, die wir gestern hatten. Wie nennt man die?«
»Croissants«, antwortete sie. »Hast du gepackt?«
»Nein, ich gehe nicht weg.«
Sie drehte ihm ihr Gesicht zu und funkelte ihn wütend an. Er sah frischer und sauber aus, nachdem er sich rasiert hatte, aber in seinen Augen sah sie nicht nur die Qualen, die ihm der Kater bereitete, sondern auch eine Traurigkeit, deren Ursprung sie lieber nicht ergründen wollte.
»Wenn du nicht gehst, liefere ich dich der Polizei aus.«
»Nein, das tust du bestimmt nicht.« Er trank einen Schluck von seinem Tee. »Emily, ich weiß, dass du dir nicht eingestehen willst, wer oder was ich bin, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Ich bin ein Engel. Nein ... ich bin dein Engel, und ich weiß besser als du, was du willst. Im Moment bist du ziemlich durcheinander. Du scheinst dich zu uns beiden, zu mir und diesem Mann, hingezogen zu fühlen, und du kannst dich nicht entscheiden, welchem von uns du den Vorzug geben sollst.«
Mit dieser Feststellung nahm er ihr den Wind aus den Segeln. »Wenn du kein Engel bist, bist du ein Verbrecher. Wie auch immer - du bist nicht der Mann, den ich ... den ich brauche.«
»Das weiß ich«, erwiderte er sanft und sah sie mit einem so schmerzlichen Blick an, dass sie sich abwandte. »Das weiß ich besser als du. Sobald mir klar ist, was dich bedroht, werde ich wieder abberufen. Und soweit ich weiß, wirst du dich dann nicht mehr an mich erinnern.« Er nahm einen Schluck von seinem Tee. »Ich habe das Böse gefunden.«
»Erzähl mir davon - ich bin wirklich gespannt. War es das Glücksspiel, der Whiskey oder die Männer, die sich gegenseitig ins Gesicht schlagen?«
»Es ist Donald.«
Emilys schlechte Stimmung verflog, und sie brach in schallendes Gelächter aus. »Das ist der beste Witz, den ich je gehört habe. Donald hat jeden Grund, böse zu sein. Schließlich bin ich mit ihm verlobt. Aber deine Eifersucht ist einfach lächerlich.«
»Er hat das Böse mitgebracht.«
»Na klar«, erwiderte sie. »In seiner Gesäßtasche, stimmt’s? Oder vielleicht in seinem Aktenkoffer.«
»Ich habe nicht behauptet, dass dein geliebter Donald böse ist, ich habe nur gesagt, dass es mit ihm gekommen ist. Das drohende Unheil hat etwas mit ihm zu tun. Diese Bombe an deinem Wagen ... diese Tat kam irgendwie durch ihn zu Stande.«
»Darf ich dich daran erinnern, dass das ein Anschlag auf dich sein sollte?«
»Nein, nicht auf mich - das habe ich dir von Anfang an gesagt. Die Männer, die die Bombe installiert haben, haben irgendwie erfahren, wo du bist, und sie hielten die Gelegenheit für günstig, dich ein für alle Mal loszuwerden. Sie wussten, dass das FBI dich befragt hat, und dachten, dass sie sich ein bisschen Luft verschaffen könnten, wenn sie dich beseitigen.«
Emily runzelte die Stirn. »Das alles macht keinen Sinn. Ich bin keine Königliche Hoheit, und mein Aufenthaltsort wird nicht im täglichen Hofbericht bekannt gegeben. Ich bin nicht einmal im Fernsehen zu sehen wie Donald, also ...« Sie sah auf. »Diese Sendung, die Donald an dem Wochenende moderiert hat. Das hätte ich bei all dem Chaos beinahe vergessen. Er hat mir einen Engel verliehen ...«
"Was?" Michael presste die Lippen zusammen. Es war nicht zu übersehen, dass ihm die Lautstärke, mit der er diese Frage geäußert hatte, Kopfschmerzen verursachte.
»Könntest du vielleicht für eine Sekunde deine Eifersucht vergessen? Der Sender, in dem Donald arbeitet, hat mich mit einem Engel ausgezeichnet. Das ist eine kleine Statue, die sie an jedem Samstag an einen Einwohner dieses Staates vergeben, der sich um das Gemeinwohl verdient gemacht hat. Mein Bild wurde im Fernsehen gezeigt, kurz bevor sie die Geschichte über dich gebracht haben, und Donald erwähnte den Ort der Preisverleihung, die die National Library Association veranstaltet hat. Mein Hotel war zwar einige Meilen entfernt von diesem Ort, aber es konnte nicht schwer gewesen sein, mich ausfindig zu machen ... Moment mal«, rief sie und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Du versuchst, mich abzulenken. Hier geht es gar nicht um diese Autobombe, sondern um dich, um mich und um den Mann, den ich liebe. Ich habe ihm etwas Furchtbares angetan. Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich von der Arbeit nach Hause käme und eine andere Frau in seiner Wohnung vorfinden würde - eine Frau, die offensichtlich bei ihm lebt. Genau das habe ich Donald zugemutet.“
»Wenn wir nicht in Erfahrung bringen, wer dich umbringen will, wirst du überhaupt keine Zukunft haben -egal mit welchem Mann.«
»Ich denke, wir sollten diese Aufgabe der Polizei überlassen«, erklärte sie, ohne ihn anzusehen. Was machte das FBI mit jemandem, der auf der Fahndungsliste stand? Das war nicht ihr Problem. Und wenn Michael wirklich der war, der er zu sein behauptete, wäre es auch kein Problem für ihn.
»Du hast recht«, sagte er, und ihr war sofort klar, dass er sich auf ihre Gedanken bezog. »Mir geschieht nichts. Aber würden sie nicht dich irgendwie bestrafen, wenn sie herausfinden, dass du nicht die Wahrheit gesagt hast, als sie dich nach mir befragt haben? Du hast gesagt, dass du nicht wüsstest, wo ich bin.«
»Na toll«, rief sie und hob die Hände. »Ich bin vor der Polizei auf der Flucht wie du. Ich schätze, ich bin sogar in einer noch viel schlimmeren Lage als du, denn du brauchst nur deine Flügel auszubreiten und wegzufliegen«, sagte sie so giftig wie möglich.
Michael achtete gar nicht auf ihre Gehässigkeit. »Emily, deine einzige Chance ist, dass wir herausfinden, weshalb ich hier bin, und die Sache in Ordnung bringen. Danach werde ich bestimmt zurückgerufen, und ich verschwinde für immer und ewig aus deinem Leben.«
»Zurückgerufen«, wiederholte sie im Flüsterton.
»Sicher. Wie du sehr wohl weißt, ist dieser Körper bereits tot.«
Emily schaute ihn an. Jetzt, da sie sich beruhigt hatte, wollte sie gar nicht daran denken, dass sie ihn nie Wiedersehen würde.
»Du magst diesen Körper, oder?«, fragte er mit heiserer Stimme.
Das brächte Emily in die Wirklichkeit zurück. »Nein. Ich mag Donalds Körper. Verstanden? Donalds Körper. Genau genommen mag ich alles an ihm.«
Michael wandte sich ab und betrachtete mit einem kleinen Lächeln, das ihren Zorn von neuem entfachte, die Bäume hinter dem Haus. »Du würdest mich schrecklich vermissen, wenn ich ginge.« Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, grinste er sie an und fügte hinzu: »Emily, Liebes, wenn es wirklich dein Herzenswunsch wäre, dass ich dich verlasse, wäre ich in einer Minute weg, aber du willst gar nicht, dass ich gehe. Im Grunde hat es dir ganz gut gefallen, diesen Alten sowieso eifersüchtig zu machen.«
»Ich hasse dich.«
»Ja, ich spüre deinen Hass«, gab er kichernd zurück.
»Hör mal, das Ganze ist wirklich ernst.«
»Nein. Genau genommen will dich dieser Kerl jetzt mehr denn je. Er hat in dir immer die brave Emily gesehen, die alles mitmacht und geduldig auf ihn wartet - es kann nicht schaden, wenn er ein bisschen wachgerührt wird.«
»Wachgerüttelt«, korrigierte sie. Erst jetzt griff sie nach der Teetasse und trank den ersten Schluck. Er war ziemlich kühl geworden, aber sie achtete nicht darauf. Michael gab Weisheiten von sich, die er in einem Selbsthilfebuch gefunden haben könnte. Wie verführe ich meinen Mann - oder so ähnlich. Emily hatte nie zu der Sorte Frauen gehört, die Männer eifersüchtig machte. Irene wandte diese Taktik hin und wieder an. Aber eine so schöne Frau wie Irene konnte das Risiko eingehen, einen Mann zu verlieren, während sie mit ihm ihre Spielchen trieb. Aber sie selbst...
»Deine Gedanken gefallen mir nicht«, sagte Michael ärgerlich. »Wir sollten lieber beim Thema bleiben. Kannst du dich nicht ausnahmsweise einmal gegen deinen Freund behaupten und ihm klipp und klar sagen, was du beabsichtigst? Sag ihm, dass du mir, egal was er dazu sagt, helfen wirst, einige Informationen einzuholen, und wenn ihm das nicht passt, dann kann er ... kann er ...« Er sah sie Hilfe suchend an. »Wie sagen die Menschen immer? Ein Käfer werden?«
»Die Fliege machen. Abschwirren.«
»Genau. Können wir erst einmal etwas essen? Irgendetwas Weiches, damit ich nicht kauen muss.«
Sie lächelte widerwillig. »Ich glaube ehrlich, der Teufel hat dich mir geschickt, jedenfalls könnten deine Ideen vom Leibhaftigen persönlich stammen.«
»Lass das bloß nicht Adrian hören. Dieser Kopf würde platzen, wenn er sich sein Geschrei anhören müsste.«
Sie grinste schief. »Wird er dir eine Standpauke halten, wenn du Donald und mich auseinanderbringst oder unserer Beziehung einen dauerhaften Schaden zufügst?«
Einen Moment glaubte sie, Michael würde das abstreiten, aber dann verzog sich sein Mund. »Emily, meine Liebe, du bist einfach zu clever. Ich kenne nicht viele Regeln, nach denen ihr Sterbliche euch richtet, aber ich weiß, dass ich mich nicht einmischen darf. Das hat mich die Erfahrung gelehrt.«
»Ach? Und welche Erfahrungen sind das? Ist dir jemand auf die Schliche gekommen, als du arme Sterbliche im Gefängnis hast schmoren lassen, obwohl sie gar nichts verbrochen hatten?« Sie lachte, als sie Michaels betretenes Gesicht sah. »Komm, ich mach dir einen Pudding.«
»Das klingt gut«, meinte er. Er hatte keine Ahnung, warum sie über ihn lachte.