6

Elkin ging aus dem Wohnzimmer ins Eßzimmer des Hauses, das er gemietet hatte. Er schenkte sich einen Gin ein, kippte ihn schnell hinunter und starrte düster hinaus auf die drei kümmerlichen, von Ruß geschwärzten Holundersträucher. Es war eine verdammt blöde Situation – da schwebten fünfzig Tausender praktisch vor seiner Nase, und er konnte nicht das mindeste tun. Der Plan war fertig ausgearbeitet, und er brauchte nur die richtigen Leute, aber woher sollte er sie nehmen? Die Zeit verging wie im Flug.

Er hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde. Gleich darauf trat Bailey ein. »Na?« fragte Elkin.

Bailey ging zum Tisch und schenkte sich einen Drink ein. »Sie sind interessiert.«

»Wer?«

»Jock Campbell und Red Pigeon.«

»Wie kommst du denn auf die?«

Bailey trank sein Glas aus und schenkte sich nach. »Erstklassige Leute kriegst du nicht, Mike, wenn du ihnen nicht ein Vermögen bietest. Wenn wir das Ding also drehen wollen, dann müssen wir’s mit Kerlen wie Jock machen.«

»Er ist ein Schwätzer.«

»Er kann gut Auto fahren und er ist kräftig.«

»Für diese Sache ist er nicht gut genug.«

»Bei einem so ausgezeichneten Plan wie deinem ist das nicht so wichtig.« Bailey rieb sich sein stoppliges Kinn. »Und wenn er dir nicht paßt, kannst du ihn ja hinterher fallenlassen – und Red auch.«

Elkin dachte wieder, daß Bailey gerissen war wie eine Horde Affen. Zu gerissen, um ihm trauen zu können.

Bailey sagte gleichmütig: »Sie haben gesagt, wenn sie mitmachen, dann macht auch ein anderer Bursche mit, den sie vor kurzem aufgerissen haben.« Er zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche.

»Wie heißt er?«

»Friendly.«

»Nie gehört.«

»Er ist angeblich ein bißchen bekloppt, aber stark wie ein Stier, und er tut, was man ihm sagt.«

»Willst du mir etwa einen Idioten aufhalsen?«

»Er ist kein Idiot – nur ein bißchen beschränkt. Jock sagt, er hat schon ein paarmal mit ihm zusammengearbeitet.«

»So, beschränkt ist er? Was ist, wenn die Polente ihn schnappt? Dann singt er wie ein Kanarienvogel.«

»Bestimmt nicht, Mike. Jock hat mir erzählt, sie haben ein Ding gedreht, und die Polizei hat sie verdächtigt und verhört. Als die Bullen bei Friendly waren, hat er sich so doof gestellt, daß die Bullen überzeugt waren, er hat nichts damit zu tun – und dabei hatte er die ganze Zeit einen Teil der geklauten Sachen bei sich.«

Elkin trat ans Fenster und starrte hinaus auf den mit Abfällen übersäten Garten. Er hatte eine erstklassige Gang zusammenstellen und ein wirklich großes Ding drehen wollen, um zu beweisen, daß er erster Mann in der Gegend war, und jetzt konnte er nichts auftreiben als ein paar zweitklassige Leute und einen Halbidioten.

»Es ist kein Geheimnis, daß du was Großes vorhast«, sagte Bailey. »Alle warten drauf. Wenn du nichts tust, werden sie dich vergessen. Wenn du das Ding drehst, bist du ein gemachter Mann. Nosh geht’s in letzter Zeit nicht besonders gut.«

»Du sagtest doch, er hat das Ding bei dem Juwelier in Penterton gedreht.«

»Er ist übers Ohr gehauen worden, als er die Sore verkaufte. Und seither ist ihm noch eine andere Sache schiefgegangen. Er hat kein Glück. Die Jungens wissen, daß du das nötige Hirn hast, Mike – sie wollen bloß sehen, daß du auch Glück hast.«

Zehn Tage später saß Elkin mit den vier Männern rund um den Tisch und erklärte ihnen die Sache. Er war selbstsicher und zuversichtlich, und so wie er das Ganze hinstellte, schien es kinderleicht.

»Eine todsichere Sache«, sagte Bailey begeistert, um die anderen anzuspornen.

Campbell, ein großer, muskulöser Mann, der jede Art von Schwäche verachtete und nur Stärke respektierte, nickte.

»Und wie verscheuern wir die Zigaretten?« fragte Pigeon. Er rieb sich die lange Narbe auf seiner rechten Wange.

»Das ist schon geregelt. Wir kriegen den halben Preis dafür, bar auf die Hand«, erwiderte Elkin.

»Wir könnten mehr kriegen.«

»Nur wenn wir sie in kleinen Mengen verkaufen. Auf diese Weise bringen wir sie alle auf einmal an.«

»Das ist den niedrigeren Preis wert«, sagte Bailey rasch.

»Hm«, sagte Pigeon, doch es klang nicht ganz überzeugt.

»Das mit dem Wald gefällt mir nicht«, sagte Friendly mit seiner dünnen, piepsigen Stimme, die zu seiner riesigen Gestalt überhaupt nicht paßte.

Elkin wandte sich halb um und starrte ihn böse an. »Was für ein Wald?«

»Der, in den wir mit dem Lastwagen fahren wollen, um die Zigaretten abzuladen.«

»Wieso – hast du Angst vor Gespenstern?«

Bailey lachte.

Friendly schien nicht beleidigt, doch er ließ nicht locker, obwohl man deutlich merkte, wie schwer es ihm fiel, sich klar auszudrücken. »Ich weiß nicht, es gefällt mir einfach nicht, Mike. Wenn ich ein Bulle wäre und diese Zigaretten würden geklaut werden … so wie wir sie klauen … dann würde ich zuerst im Wald danach suchen.«

Elkin fluchte innerlich, doch er mußte zugeben, daß Friendly genau auf die einzige schwache Stelle hingewiesen hatte. Es gab viele Wälder in der Gegend, aber keiner war sehr groß. Man würde das Verschwinden des Lastwagens innerhalb weniger Minuten bemerken und schnell zu dem Schluß kommen, daß er sich nicht sehr weit weg von der Hauptstraße befinden konnte. Man würde einen Kreis mit einem Radius von acht bis zehn Kilometern ziehen, Straßensperren errichten und das Gebiet innerhalb des Kreises absuchen. Er hatte darauf gesetzt, daß sie den Lastwagen samt Anhänger in den Wald fahren, die Zigaretten auf die Kombiwagen umladen und verschwinden würden, bevor man die Straßensperren errichten konnte – wie viele Streifenwagen würden schon in dem Moment, da Alarm gegeben wurde, in der Nähe sein? Aber – und das war ein verdammt großes Aber – was war, wenn zufällig ein Streifenwagen sich auf der Straße befand, die sie benützen wollten, wenn die Polizei auf die Idee kam, daß der Wald sich zum Umladen der Zigaretten am besten eignete, und ihn sofort durchsuchte, vielleicht sogar mit Hilfe eines Hubschraubers …

»Ich kenne einen Burschen, der eine Farm hat«, sagte Friendly, an seiner knolligen Nase zupfend. »Sie liegt nicht weit von der Straße. Wenn wir den Laster in einem der Gebäude unterstellen würden, könnte ihn niemand sehen.«

»Denkst du, irgend so ein vertrottelter Farmer …«, begann Elkin.

»Er ist erst vor kurzem aus dem Knast entlassen worden. Wir haben zusammen ein Ding gedreht, und ihn haben sie geschnappt.«

Elkin lehnte sich in seinem Sessel zurück. Es war geradezu absurd, daß ausgerechnet dieser Schwachkopf ihr letztes Problem gelöst haben sollte.

 

Jim saß in seinem kleinen Büro und studierte die letzte Wirtschaftlichkeitsberechnung, die die Landwirtschaftskammer für ihn erstellt hatte. Die Zahlen waren überdurchschnittlich gut; er konnte stolz darauf sein, wenn er bedachte, daß seine Herde aus Jungkühen bestand und daß bis jetzt auf nur einem kleinen Teil des Landes genügend Gras wuchs. Bei diesen Resultaten mußte es mit etwas Glück möglich sein, eine wirklich gute Herde aufzubauen. Er brauchte lediglich das Kapital zur Errichtung neuer Ställe, zur Anschaffung eines Tanks und zum Kauf neuer Kühe …

Er schob das Blatt Papier weg und gähnte. Die Kühe mußten von der Weide auf das dahinterliegende Feld getrieben werden, und die Weide brauchte vierzig Einheiten Kunstdünger pro Morgen, damit das Gras noch einmal richtig nachwuchs, bevor der Winter kam … In mancher Hinsicht, dachte er, ist das Gefängnis gegen all dies ein Honiglecken gewesen.

Er verließ das Büro und trat in die Diele. Caroline war nach Gerlingford zum Einkaufen gefahren. Ob sie wohl jemals vergessen konnte, wie ihr Leben früher gewesen war? Sie war ein viel geselligerer Mensch als er und hatte immer gern Freunde besucht und eingeladen – jetzt sah sie kaum noch irgendwelche Menschen. Sie war in Luxus aufgewachsen – auf der Rowan Tree Farm gab es keinerlei Luxus. Er zündete sich eine Zigarette an. Hatte er ein Recht dazu gehabt, sie mit hierherzunehmen und zu diesem Leben zu zwingen? Hätte er sich nicht von ihr trennen müssen, damit sie weiter das Leben führen konnte, das sie gewohnt war? Doch was sollte diese Frage? Sie liebte ihn ebensosehr wie er sie liebte und hatte hundertmal beteuert, daß sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen könne.

Es klopfte an der Haustür. Er nahm an, daß es irgendein Vertreter war, doch als er durch das Dielenfenster schaute, erblickte er zu seiner Überraschung Albert Friendly. Er ging auf die Veranda und öffnete die Tür.

»Hallo, Jimmy«, sagte Friendly. Er nahm Jims rechte Hand und drückte sie – es war fast, als bereite ihm die körperliche Berührung Vergnügen.

Jim zog seine Hand weg. »Wie, zum Teufel, kommst du denn hierher?«

»Mit dem Bus, Jimmy.« Er lächelte. »Schön, dich zu sehen.«

»Wie hast du rausgekriegt, wo ich wohne?«

Friendly lächelte bloß; sein schiefer Mund verwandelte das Lächeln in eine Grimasse.

»Was willst du?«

»Dich besuchen, Jimmy. Wie wir uns in der Stadt getroffen haben, sagte ich dir doch, ich werde dich besuchen. Ich kann dir bei der Arbeit helfen …«

»Nein.«

»Warum nicht? Es ist doch mal so nett gewesen mit uns beiden. Kann’s denn nicht wieder so sein wie früher?«

Jim starrte den plumpen, unbeholfenen Mann an, und wieder einmal wurde ihm klar, wie lächerlich es war, ihm eine böse Absicht zu unterstellen. »Es hat sich viel geändert. Ich habe weder Zeit noch Lust für solche Dinge.«

»Was meinst du damit, Jimmy?«

»Daß ich nicht daran denke, wieder mit dir herumzuziehen.«

»Aber wir beide …«

»Nein.«

»Magst du mich denn nicht mehr, Jimmy?«

»Nein, darum geht es nicht.«

»Dann hast du doch sicher nichts dagegen, wenn wir uns ein bißchen was erzählen?«

Jim zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Also schön, komm rein. Aber lange hab ich nicht Zeit. Möchtest du eine Tasse Tee?«

Friendly trat ins Haus. »Also hast du nicht vergessen, daß ich gern Tee trinke?« Das klang, als erfülle es ihn mit großer Freude. »Ein schönes Haus hast du – wirklich schön.«

»Die Balken sind voller Holzwürmer, die Unterseite des Wohnzimmerbodens ist wahrscheinlich verfault, und das Dach ist undicht.« Jim bedauerte bereits, einen Moment schwach gewesen zu sein und Friendly hereingelassen zu haben. Er füllte den elektrischen Teekessel und schaltete ihn ein.

»Wie geht’s dir denn?« fragte Friendly.

»Eine Farm ist heutzutage kein gutes Geschäft. Zuviel Arbeit für zuwenig Geld.«

»Warum machst du dann nicht irgendwas anderes? Du hast doch Köpfchen genug.«

»Vergiß nicht, daß ich im Gefängnis war. Als Vorbestrafter findet man nicht leicht was.«

Friendly nahm ein Stück Brot, das auf dem Tisch lag, und knetete es zwischen Daumen und Zeigefinger. »Es war schrecklich, wie sie dich ins Gefängnis schickten.«

»Vergiß es.«

»Du hast ihnen kein Wort von mir gesagt …«

»Vergiß es, hab ich gesagt.«

Friendly zerdrückte das Stück Brot. »Wirklich ein schönes Haus.«

Das Wasser kochte. Jim bereitete den Tee.

Friendly tat vier gehäufte Löffel Zucker in seine Tasse und trank den Tee schlürfend. Als er fertig war, wischte er sich mit dem Handrücken den Mund. »Ziehen wir doch wieder mal zusammen los, Jimmy.«

»Nein«, sagte Jim schroff.

»Könnten wir nicht wenigstens …«

»Nein.«

Friendly spielte mit seinem Löffel herum. »Wo ist deine Frau?«

»Weggegangen.«

»Wohin?«

»Wieso interessiert dich das?«

»Ich würde sie gern kennenlernen, Jimmy.«

»Kommt nicht in Frage.«

»Warum nicht?«

»Weil ich’s nicht will.«

»Ich möchte ihr doch bloß guten Tag sagen, Jimmy.«

Jim stand auf. »Besser, du gehst jetzt.«

»Ich hab’s nicht eilig.«

»Los, mach, daß du wegkommst.«

Friendly gehorchte. Jim sah ihm nach, als er den Weg zur Straße hinaufging. Er ging leicht schwankend, als sei sein Körper zu schwer für seine Beine.

Jim ging um die große Scheune herum, hängte die Düngerstreumaschine an den Traktor und schüttete drei Säcke Kunstdünger hinein.

 

Elkin mochte Pferde, doch sie erwiderten seine Zuneigung nur selten. Er verlor ständig, und jedes Mal, wenn er verlor, bekam er eine Stinkwut, nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem, weil die Buchmacher wieder einmal einen Narren aus ihm gemacht hatten. Für einen Mann, der so von sich und seiner Gerissenheit eingenommen war, hatte er eine merkwürdige Angst, ausgelacht zu werden.

So schnell wie möglich und mit gewohnter Rücksichtslosigkeit fuhr er vom Rennplatz in Penterton nach Dracenden zurück. Jedes Mal, wenn Bailey etwas sagen wollte, fuhr er ihn gereizt an und brachte ihn zum Schweigen. In seiner Wut fragte er sich, ob es nicht am besten wäre, sich von Bailey zu trennen, doch dann meldete sich wieder seine Vernunft und er fand, daß Bailey ein kleines Genie war, wenn es darum ging, eine Sache zu organisieren. Er hatte ein Funkgerät beschafft, die Uniformmützen, die Regenmäntel – er hatte rausgekriegt, wo die Kombiwagen gestohlen werden konnten.

Die Straße lief parallel zu den sanften Hügeln, die sich hinunter zur Küste erstreckten, und die Felder auf beiden Seiten waren saftiggrün. Kühe grasten in der warmen Sonne. Es war ein schöner, friedlicher Anblick, den er gleichwohl abscheulich fand. Er haßte das Land.

Als sie an einem Lokal vorbeifuhren, dachte er an die vier Spielautomaten, die darin standen. Sie waren von einer Firma gemietet, die Nosh Townley gehörte; man hatte den Besitzer vor zwei Jahren dazu »überredet«. Der Gewinn, den diese Automaten und all die anderen in der Gegend abwarfen, mußte in die Tausende gehen. Und dies war nur eins von Townleys »Geschäften«. Als »Boss« dieser Gegend verdiente er ein Vermögen.

Er hielt vor seinem Haus in Dracenden. Ein schäbiges Haus in einer schäbigen Straße, dachte er bitter. Wenn er Nosh gestürzt hatte, würde er in einem schönen Haus leben und der Welt beweisen, daß er kein Hungerleider war. Er würde einen teuren Wagen fahren, und die Weiber würden sich um ihn reißen; es gab keine Frau, die dem Zauber des Geldes widerstehen konnte.

Er ging mit Bailey hinein. Friendly saß im Wohnzimmer auf der Couch und trank Bier aus einer Dose.

Elkin nahm eine andere Dose vom Tisch und riß sie auf. Er trank gierig. »Was Neues?« fragte er.

»Ich bin bei ihm gewesen«, antwortete Friendly.

»Na, und was hat er gesagt, du Rindvieh?«

»Es ist alles okay. Er ist einverstanden. Ich hab ihm gesagt, er kriegt zwei Tausender, und er hat okay gesagt.«

Elkin zog seine Jacke aus und warf sie auf den Stuhl. Ein Wettschein flatterte zu Boden. Er fluchte. Hundert Pfund hatte er an diesem Nachmittag verloren, und er brauchte im Moment jeden Penny.

»Es ist alles okay«, wiederholte Friendly.

»Ist gut. Ich hab’s kapiert. Halt endlich die Klappe«, schrie Elkin und griff zu seinem Bier.