14
Am Mittwoch schlug das Wetter wieder um. Der Himmel bewölkte sich, und es sah aus, als ob es bald regnen würde. Der Wind wehte von Osten und brachte die erste herbstliche Kühle.
Seit dem vergangenen Abend war die Polizei nicht zur Ruhe gekommen: drei Einbrüche waren verübt und drei Autos gestohlen worden; fünf Frauen hatte man ihre Handtaschen entrissen, und Rowdys hatten die Scheiben zweier Verkehrsampeln zertrümmert und im Godber-Remembrance-Park sämtliche Blumen niedergetrampelt.
Atkins beauftragte einige seiner Beamten, wegen der Einbrüche zu ermitteln, ersuchte jedoch die Stadtpolizei, sich um die anderen Vergehen zu kümmern.
Um vier Uhr nachmittags rief ihn Chefinspektor Carlton an. »Sind Sie im Fall Parker irgendwie weitergekommen, Basil?«
»Nein, Sir.«
»Wäre es nicht besser, Sie würden den Überfall auf Parker zurückstellen und sich wieder eingehender mit der Zigarettensache beschäftigen? Vielleicht haben Sie sich auf das falsche Problem konzentriert, weil sie einen zweiten Überfall befürchteten. Meinen Sie nicht, daß man die Kerle eher wegen des Zigarettenraubs überführen könnte?«
»Das habe ich auch schon erwogen, aber bis jetzt sind wir auf keine Beweise gestoßen. Die zwei Kombis wurden in London gestohlen – das ist alles, was wir von ihnen wissen. Die Verpackung des Kaugummis hat uns nicht weitergebracht. An dem Zigarettenstummel wurde Speichel mit der Blutgruppe Null gefunden, doch diese Blutgruppe haben fünfundvierzig Prozent der Bevölkerung. Und der Fahrer des Lastwagens und sein Kollege konnten uns, wie ich Ihnen schon sagte, auch keinen Schritt weiterhelfen.«
»Von irgendeinem Spitzel konnten Sie nichts erfahren?«
»Was könnte uns ein Spitzel schon sagen außer den Namen der Täter? Und die wissen wir ja.«
Fluchend legte Carlton auf.
Elkin trat das Gaspedal des Ford bis zum Boden durch, doch der Porsche überholte ihn mühelos. Er haßte es, wenn ihn jemand ohne Umstände überholte. Wenn die Zigarettengeschichte nicht schiefgegangen wäre, hätte er sich einen schnellen Wagen gekauft, und dann hätte ihn niemand so leicht in den Auspuff glotzen lassen.
»Mike, du fährst über hundertdreißig«, sagte Bailey plötzlich.
»Und?«
»Wenn die Polizei uns anhält …«
»Dann werd ich ihr sagen, sie soll sich lieber um diesen verdammten Porsche kümmern.« Doch er ging auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit herunter. Eine Weile mußte er hinter einem Kombi herfahren; als er ihn überholen konnte, schnitt er ihn und lachte spöttisch, als der Fahrer wütend hupte.
Bailey zündete sich eine Zigarette an. »Mike, warum läßt du’s nicht lieber bleiben?«
»Weil ich nicht feige bin – wie du.«
»Ich bin nicht feige. Ich bin nur dagegen, etwas zu tun, was töricht ist.«
»Ich habe dir gesagt …«
»Du wirst sehen, Mike, die Polizei wird uns schnappen.«
»Sie wird uns ebensowenig erwischen wie bei den andern Dingen, die wir gedreht haben.«
»Bestimmt wird sie uns schnappen. Du bringst uns unnötig in Gefahr.«
»Ich laß mich nicht auslachen.« Elkin trat das Gaspedal wieder durch.
»Kein Mensch lacht dich aus, Mike.«
»Bert hat was anderes erzählt.«
»Es ist bestimmt nicht wahr. Ich wüßte es, wenn sie dich auslachen würden, Mike. Ich bin sicher, Bert hat gelogen. Er hat sich das aus irgendeinem Grund ausgedacht. Ich traue ihm nicht.«
»Unsinn.«
»Kümmern wir uns doch lieber um die Sache mit dem Silber, von der du erzählt hast.«
»Wir knöpfen uns Parker vor.« Er ging zu schnell in eine Kurve und bremste scharf. Das Heck des Wagens brach aus, doch er war ein geschickter Fahrer und konnte verhindern, daß der Wagen ins Schleudern geriet. Als er ihn wieder in der Gewalt hatte, lachte er.
Bailey zog nervös an seiner Zigarette und starrte ängstlich auf den Tachometer, als Elkin wieder schneller fuhr.
»Ich mach Parker fertig, und zwar gründlich«, sagte er mit gepreßter Stimme. »Und diesmal kommt ihr alle mit, auch Bert – damit’s bestimmt nicht schiefgeht.«
»Es ist zu früh, Mike. Die Bullen schnüffeln immer noch rum. Warte lieber ein oder zwei Wochen, dann haben sie woanders zu tun.«
»Du hast ja bloß Angst.«
Bailey drückte seine Zigarette aus und wollte sich eben eine neue anzünden, als er eine scharfe Kurve auftauchen sah. Der Wagen fuhr hundertvierzig. Er schloß die Augen. Die Reifen kreischten, und Bailey wurde gegen die Tür geschleudert; er war überzeugt, daß sie von der Straße abkommen würden. Doch es passierte nichts, und als er die Augen wieder öffnete, sah er, daß sie die Kurve hinter sich hatten. Mit zitternden Händen zündete er die Zigarette an. »Mike, auf eine Woche kommt’s doch nicht an.«
»Ich knöpf ihn mir heute nacht vor.«
Bailey wagte nicht, weiter zu widersprechen.
Der Abendhimmel war trüb, doch es hatte noch immer nicht zu regnen begonnen. Der Wind hatte sich am späten Nachmittag gelegt, und es war wieder etwas wärmer geworden.
Jim gähnte, als das Fernsehprogramm zu Ende war. Caroline betrachtete den Riß, den sie an einem ihrer Kleider ausgebessert hatte, und sah, daß sie etwas falsch gemacht hatte. Sie mußte also die Fäden herausziehen und noch einmal von vorn anfangen. Wütend fluchte sie.
»Was ist denn?« fragte er.
»Ach, nichts.«
»Anscheinend hast du bei deiner Näherei wieder mal was verpfuscht?« fragte er.
»Ich finde dich ekelhaft.«
»Wie schade. Ich wollte dir eben vorschlagen, demnächst mal ins Bell Abendessen zu gehen.«
»O fein, Liebling.«
»Dann bin ich in deiner Gunst also wieder gestiegen?«
»Jeder Mann, der mich ins Bell zum Abendessen einlädt, würde in meiner Gunst steigen«, erwiderte sie boshaft. Sie beschloß, das Kleid morgen fertigzumachen, und legte es beseite.
»Wieso plötzlich diese Großzügigkeit?«
»Ich bin gestern auf fast siebentausend Liter Milch gekommen.«
»Was! Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Hab ich das nicht eben getan?«
»Du weißt ganz genau, was ich meine.« Sie sah ihn zärtlich an. »Jim, du wirst noch einen Musterhof aus der Farm machen. All die Leute, die gedacht haben, du wirst es nicht schaffen, werden sich grün und blau ärgern.«
»Ohne dich würde ich es nie schaffen.« Er streckte sich und stand auf. »Ich geh zu Bett.«
»Ich auch.«
Sie gingen nach oben. Während sie sich auszog, lief er noch einmal hinunter, machte alle Fenster und Türen zu und stellte das Telefon wieder auf die Treppe.
Atkins kam kurz nach halb zehn nach Hause. June machte ihm Vorwürfe, daß es wieder so spät geworden war.
»Wir haben zuviel Arbeit und zuwenig Leute«, sagte er.
»Du wirst dich noch totarbeiten, Liebling. Komm jetzt. Ich hab dein Abendessen warmgestellt.«
Er aß in der Küche und trank eine Flasche Bier dazu. Als er fertig war, gingen sie ins Wohnzimmer.
Er setzte sich in seinen Sessel und sah sich ein paar Minuten das Fernsehspiel an, das gerade lief, doch es handelte von Leuten, die sich mit allen möglichen Nöten und Sorgen herumschlagen mußten, und mit solchen Dingen hatte er den ganzen Tag über zu tun. Er zündete sich eine Zigarette an und starrte in das Gasfeuer, das seine Frau angezündet hatte.
Er mußte an Friendly denken. Wie dumm war dieser tölpelhafte Kerl wohl wirklich? Und wie böse konnte ein so dummer Mensch sein? Würde es zu einer Tragödie kommen, weil die Polizei aus Mangel an Beweisen nichts unternehmen konnte …? Er nickte ein.
June weckte ihn und meinte, er solle doch lieber zu Bett gehen.
Elkin saß mit den anderen im Wohnzimmer seines Hauses. Er deutete auf die Skizze, die er angefertigt hatte. »Hier ist die Telefonleitung des Hauses. Sie läuft die Wand hinunter, um die Ecke und bei diesem Fenster hinein.«
Campbell nickte. Er fragte sich, ob es nicht idiotisch war, Mike zu helfen, mit diesem Parker abzurechnen – vor allem, wenn er bedachte, wie wenig Mike dafür zahlen wollte.
»Du schneidest die Drähte durch«, sagte Elkin.
»Ja«, antwortete Campbell gleichgültig.
»Vergiß nicht die Drahtzange.«
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Mann?«
Elkin blickte auf, sagte aber nichts. Sie waren unzufrieden und wurden allmählich aufsässig. Wenn sie mit Parker abgerechnet hatten, mußte er schnellstens etwas unternehmen, das sich auszahlte, und damit beweisen, was er konnte. Wut stieg plötzlich in ihm hoch. Lächerlich, dachte er, daß ich mich mit diesen drittklassigen Leuten herumärgern muß. »Red, du paßt auf diese Tür auf.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Dielentür.
Pigeon nickte.
»Bert, Snout und ich gehen durch die Küchentür ins Haus … Bailey, hast du die Schlüssel?«
Bailey klopfte auf seine Jackentasche.
»Wenn die Schlüssel nicht passen oder die Tür verriegelt ist, steigen wir durch ein Fenster.«
»Und der Krach?« fragte Pigeon.
»Ist ja weit und breit kein Mensch, der was hören kann.« Elkin musterte einen nach dem andern. »Wir machen ihn fertig, verstanden? Und dann fahren wir zu Steve, und wenn die Polente anrücken sollte, dann sagen wir, wir sind die ganze Nacht bei Steve gewesen. Jock, du organisierst innerhalb der nächsten Stunde einen Wagen. Keiner von euch darf etwas in den Taschen haben – nichts, verstanden? Bailey hat die Strümpfe besorgt – wo hast du sie gekauft, Bailey?«
»Gekauft?« sagte Bailey verächtlich. »Geklaut hab ich sie.«
Alle außer Friendly lachten. Friendly starrte, ohne eine Miene zu verziehen, auf den Plan des Hauses, der auf dem Tisch lag.