22

Jim schnitt die Scheibe Toast durch, bestrich die eine Hälfte mit Butter und biß hinein. Dann schob er den Teller weg.

»Du mußt doch etwas essen, Jim«, sagte Caroline besorgt.

Er schüttelte den Kopf.

»Aber wie willst du denn deine Arbeit schaffen, wenn du nicht richtig ißt?«

»Ich hab einfach keinen Hunger.«

Sie beugte sich über den Tisch und ergriff seine rechte Hand.

»Ach, Jim«, flüsterte sie verzagt.

Er fühlte sich elend vor Kummer und Verzweiflung.

»Das Gericht wird sicher Verständnis haben«, sagte sie.

»Bestimmt.« Sie glaubten beide nicht daran, dachte er; sie machten sich nur gegenseitig was vor.

»Können wir denn gar nichts tun?« fragte sie.

Er wollte wieder lügen, brachte aber kein Wort hervor. Die Wahrheit war ganz klar und einfach. Er hatte einen Fehler gemacht und mußte dafür bezahlen. Wenn es ihm doch nur gelungen wäre, Friendly umzubringen …

Das Telefon schrillte. Sie blieben sitzen und ließen es ein paarmal klingeln; dann ging er in die Diele und nahm ab.

»Ich möchte Parker sprechen«, sagte eine nasale, rauhe Stimme, die er nicht kannte.

»Am Apparat.«

»Sie sind in einer scheußlichen Klemme, nicht? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Wer …«

»Sie möchten doch sicher nicht in den Knast, oder?«

Jim holte tief Luft.

»Haben Sie dreitausend Pfund?«

»Nein.«

»Dann sehen Sie zu, daß Sie sie beschaffen, aber schnell. Für drei Tausender würde ich vergessen, daß ich gesehen hab, wie Sie aus dem Haus liefen und in den Kombi stiegen.«

»Und wenn ich das Geld auftreiben könnte …«, sagte Jim heiser.

»Machen Sie morgen vormittag um elf einen Spaziergang durch den Central Park. Aber bringen Sie keine Bullen mit, sonst hören Sie nie mehr von mir.«

»Wie erkenne ich Sie?«

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Ich weiß, wie Sie aussehen.«

Es klickte. Der andere hatte aufgelegt.

Jim ging in die Küche zurück.

»Wer war das?« fragte Caroline.

»Einer von der Bande. Er will vergessen, daß er mich Elkins Haus verlassen und in den Kombi steigen sah – für dreitausend Pfund.«

»Mein Gott!«

Er trat zu ihr. »Carry, wir haben nicht mal dreitausend Pennies …«

»Ich werde Vater fragen.« Sie überlegte einen Moment. »Welche Garantie haben wir, daß er nicht bloß das Geld nimmt und dich übers Ohr haut?«

»Keine. Aber es ist meine einzige Chance. Meine einzige Chance«, wiederholte er.

 

Caroline parkte den Kombi vor dem Maracon House. Sie stieg aus und blickte sich einen Moment um. Hier herrschte eine friedliche, sorglose Atmosphäre, die sie längst vergessen hatte. Es war Mitte Oktober, doch im Garten blühten immer noch ein paar Blumen.

Die Haustür ging auf, ihr Vater trat heraus und rief sie. Sie ging zu ihm und küßte ihn auf die Wange.

»Wie geht’s, Carry?« fragte er. Er trat einen Schritt zurück und sah sie prüfend an.

»Gut.«

»Du siehst aber nicht sehr …«

»Mir geht’s gut.« Ohne es zu wollen, sagte sie es etwas schärfer. Sie merkte, wie seine Augen sich plötzlich verdüsterten.

»Wollen wir nicht ins blaue Zimmer gehen?« fragte er.

Das blaue Zimmer hatte ihre Mutter immer am liebsten gemocht. Blau konnte eine zwar elegante, doch kalte Farbe sein, aber in diesem gut proportionierten Raum mit seiner stuckverzierten Decke wirkte es durch die kontrastierenden Farben der Möbel und Teppiche warm und freundlich.

»Möchtest du einen Drink, Carry?« fragte er.

»Nein, danke.«

»Aber du bleibst doch zum Mittagessen, oder?«

Sie brach in Tränen aus. Er trat zu ihr und streichelte zärtlich ihren Hals, wie er es vor vielen Jahren oft getan hatte, wenn sie als kleines Mädchen Kummer hatte.

Nach einer Weile zog er sie zu der gold und schwarz gemusterten Couch. Sie setzten sich, und er legte seinen Arm um ihre Schultern. Sein scharfgeschnittenes Gesicht war sorgenvoll.

»Was ist denn, Carry?«

Sie drückte ihr Gesicht an seine Jacke und sagte mit erstickter Stimme: »Jim. Man wird ihn verhaften, weil er in ein Haus eingebrochen ist und einen Mann niedergeschlagen hat.«

Er sah plötzlich haßerfüllt aus. »Carry, du mußt ihn verlassen.«

»Vater, du weißt ja nicht …«

»Ich weiß nur, daß er dich zugrunde richtet. Du kannst dich nicht ewig für ihn aufopfern …«

»Nun hör mich doch an, Vater!« schrie sie verzweifelt und sie erzählte ihm, was passiert war.

Er stand auf, ging langsam zum Kamin und lehnte sich an den mit wunderschönen Schnitzereien verzierten Holzsims.

Sie wischte sich mit einem Spitzentaschentuch die Tränen von den Wangen. »Könnte ich bitte doch einen Drink haben?«

»Carry, du mußt …«

»Ich weiß«, sagte sie schroff. »Bitte einen Gin mit Tonic.«

Er ging hinaus und kam mit einem kleinen Silbertablett zurück, auf dem ein Gin Tonic für sie und ein Gin pur für ihn standen.

Sie nahm ihr Glas. »Jim ist in das Haus eingebrochen, um diesen Mann umzubringen.«

»Schon gut«, sagte er, als sei das die einzig mögliche Lösung gewesen. Er setzte sich wieder neben sie.

»Es gelang ihm jedoch nicht. Er wurde gesehen, und jetzt ist er in einer furchtbaren Lage. Die Polizei wird ihn verhaften, und wenn … und wenn man ihn schuldig spricht, dann kommt er für viele Jahre ins Zuchthaus.« Sie sah ihn an. Ihre Augen waren wieder voller Tränen. »Du bist uns gegenüber so großzügig gewesen. Ich weiß, du hast gesagt, du würdest Jim nie wieder helfen, und es ist mir schrecklich, daß ich wieder zu dir kommen und dich um Hilfe bitten muß … Aber wir haben kein Geld, und einer der Ganoven will vergessen, was er gesehen hat, wenn wir ihm Geld geben und …«

Er unterbrach sie. »Wieviel brauchst du?«

»Drei … dreitausend Pfund.«

»Ist das auch bestimmt genug?« fragte er.

 

Bailey trat in die Polizeistation von Gerlingford und sagte zu dem diensthabenden Sergeant: »Hallo, Kumpel.«

»Hallo, Großmaul«, sagte der Sergeant. »Aus welcher Klapsmühle bist du denn entsprungen?«

»Was erlauben Sie sich? Ich möchte den Boss sprechen.«

Der Sergeant rief den Inspektor über das Haustelefon an und befahl dann einem Polizisten, ihn zu seinem Zimmer zu bringen.

Atkins, der hinter seinem Schreibtisch saß, fragte unfreundlich: »Bitte?«

»Ich muß Ihnen was sagen, Mister.«

»Na, dann raus damit.«

»Es ist wegen letztem Mittwoch.«

»Und?« Bailey schien ziemlich nervös.

»Sie erinnern sich noch, was ich Ihnen gesagt hab, Mister.«

»Natürlich.«

»Ich hab gesagt, ich hab einen Kerl in einen grünen Kombi steigen sehen – mit der Nummer eins fünf acht vier FN

»Kommen Sie endlich zur Sache, Mann.«

»Das Dumme ist, es stimmt nicht.«

»Was stimmt nicht?«

Bailey leckte sich die Lippen. »Ich … ich habe ihn nicht gesehen.«

»Soll das heißen, der Mann, der in das Haus einbrach, war nicht der gleiche, der in den Kombi stieg und wegfuhr?«

»Ich hab überhaupt niemanden in einen Kombi steigen sehen«, stotterte Bailey. »Mike hatte eine Stinkwut und schrie, der Kerl, der ihn niedergeschlagen hat, müsse Parker gewesen sein und er würde es dem Bastard heimzahlen. Er hat mich gezwungen, zu sagen, ich hätte Parker in den Kombi steigen sehen. Aber ich hab gar nichts gesehen.«

Atkins nahm eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Seine Bewegungen waren langsam und bedächtig. Er zog eine Zigarette heraus, zündete sie an, ließ das Feuerzeug zuschnappen und steckte Feuerzeug und Schachtel wieder ein. »Sie sind bestochen worden«, sagte er.

»Ich bestochen? Ich würde mich nie bestechen lassen«, rief Bailey mit gespielter Empörung.

»Wieviel haben Sie genommen? Einen halben Tausender?«

Bailey grinste. »Einen lausigen halben Tausender?«

Atkins lehnte sich zurück. Sie mußten ihre Pflicht tun, auch wenn sie sie als schrecklich ungerecht empfanden: ihretwegen würde ein Mann bestraft werden, weil er seine Frau beschützt hatte – das Böse würde triumphieren, über das Gute, über Anständigkeit und Tapferkeit. Carlton und ihm war es nicht gelungen, das Problem zu lösen. Seit Stunden hatte er sich den Kopf zerbrochen, um einen Ausweg aus dieser verzwickten Situation zu finden, doch es war ihm nicht gelungen. Und jetzt hatten Bestechung und Korruption das Ganze gelöst, und der Gerechtigkeit würde Genüge geschehen.

 

Elkin hatte viel getrunken; seine Augen waren blutunterlaufen. Er blickte zu Campbell auf. »Was hast du gesagt?« rief er.

»Ich gehe«, erwiderte Campbell mit einer Arroganz, die bewies, daß er keinen Penny mehr für Elkin gab.

»Wohin?«

»Ich und Red gehen zu Nosh.«

»Du willst mich sitzenlassen und für diesen dreckigen Bastard arbeiten?«

»Es hat keinen Sinn, daß wir bei dir bleiben.«

»Ist es denn meine Schuld, daß …«

»Du bist erledigt«, sagte Campbell. Er verließ das Wohnzimmer.

Elkin schenkte sich nach. Bailey, dieser dreckige Hund, hatte mit dem Gestänker angefangen. Er hatte immer gewußt, daß Bailey zu ehrgeizig war, um sich mit der Rolle des zweiten Mannes zu begnügen, und jetzt war er abgehauen.

Elkin hieb plötzlich mit der Faust auf den Tisch neben sich. Er schwankte, dann fiel er um. Flaschen und ein Aschenbecher rutschten klirrend auf den Boden. Verdammt noch mal, wie kam es bloß, daß alle seine ehrgeizigen, gerissenen Pläne schiefgegangen waren? Der Überfall auf den Laster mit den Zigaretten war hervorragend geplant und durchgeführt worden, doch am Ende war das Ganze ein Fiasko gewesen. Nosh würde sich schieflachen.

Friendly trat ins Zimmer und kam mit seinem watschelnden, unbeholfenen Gang auf ihn zu. Erstaunt sah er ihn an.

»Jock hat eben gesagt, er geht, und Red auch.«

»Jawohl, sie gehen«, schrie Elkin wütend. »Und weißt du, wer dran schuld ist? Du – du blöder Idiot.«

»Was hab ich denn getan, Mike?«

»Bist du so behämmert, daß du das nicht weißt? Mach, daß du wegkommst.«

»Ich laß dich nicht im Stich, Mike. Ich bin nicht wie die andern.«

»Einen Trottel wie dich, der alles verpatzt, kann ich nicht brauchen!«

»Aber wir sind doch Freunde.«

»Begreifst du nicht? Du sollst verschwinden, hab ich gesagt, und ich will dich nie wiedersehen.«

»Aber wir sind doch Freunde«, wiederholte Friendly.

Elkin beschimpfte ihn, bis ihm endlich klar wurde, daß der andere es ernst meinte. Plötzlich glaubte Elkin in Friendlys Miene etwas Bedrohliches zu entdecken, das ihn erschrecken ließ, doch da war es schon zu spät.

 

Die Wärter breiteten eine Decke über Elkin, hoben die Tragbahre hoch und trugen sie durch die Diele hinaus zum Krankenwagen.

Atkins starrte aus dem Fenster und blickte ihm nach. Elkins Gesicht war grau und eingefallen wie bei einem Menschen, dessen Leben in Gefahr ist. Der Arzt hatte gesagt, er habe vermutlich innere Verletzungen, und die Chance durchzukommen sei sehr gering.

Er wandte sich vom Fenster ab. Wenn man bedachte, was für ein brutaler Kampf stattgefunden hatte, herrschte in dem Zimmer erstaunliche Ordnung – nur ein Sessel lag umgekippt auf dem Boden, und ein paar Aktmagazine waren verstreut.

Atkins zündete sich eine Zigarette an. Ganz überraschend hatte sich ihm eine letzte Chance geboten, die Wahrheit wiederzuentdecken und zu erkennen, daß es doch eine Gerechtigkeit gab, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte: eine letzte Chance, sich selbst zu beweisen, daß seine Ideale noch immer gültig waren, eine letzte Chance, die Unschuld eines Mannes zu beweisen, den die Öffentlichkeit schuldig gesprochen hatte …

Er ging ins Eßzimmer, wo Friendly von zwei Polizisten bewacht wurde. Ihm fiel ein, daß dies das dritte Mal war, daß er Friendly in diesem Zimmer verhörte.

Friendly war unverletzt. Er saß vorgebeugt in einem Sessel und starrte mit so ausdrucksloser Miene auf den Fußboden, daß man nicht erkennen konnte, ob er begriffen hatte, was passiert war.

Atkins sah die beiden Polizisten an; sie gaben nickend zu verstehen, daß sie bereit waren, das Protokoll aufzunehmen. »Mike ist mit einem Krankenwagen weggebracht worden«, sagte er.

Friendly hob den Kopf und sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an.

»Warum haben Sie ihn so zusammengeschlagen?«

»Er wollte nicht mehr mein Freund sein«, sagte Friendly leise.

»Sie haben ihn also verprügelt, weil er Sie loswerden wollte?«

Friendly nickte.

»Sie haben ihn so zugerichtet, daß er in Lebensgefahr schwebt.«

»Er ist selber schuld.«

»Weil er nicht begriffen hat, wie wichtig Ihnen seine Freundschaft war?«

Friendly blickte auf. »Ja, genau.« Er rieb seine Nase. »Verstehen Sie das nicht?«

»Doch, völlig.«

»Mir blieb nichts anderes übrig. Er hätte nicht sagen dürfen, daß er nicht mehr mein Freund ist.«

»Es ist schrecklich, daß er das getan hat. Genauso muß es gewesen sein, als Jim Parker Sie so schlecht behandelte.«

»Jimmy hätte das auch nicht tun dürfen.«

»Es war ihm anscheinend egal, wie weh er Ihnen damit tat – ich glaube aber, zum Teil dürfte seine Frau daran schuld gewesen sein.«

»Ja, sie hat ihn dazu gebracht«, rief Friendly.

»Frauen sind komisch«, sagte Atkins nachdenklich. »Es kommt oft vor, daß sie die Freunde nicht mögen, die ihre Männer vor der Ehe hatten. Es muß Sie sehr verletzt haben, daß Jim wegen seiner Frau nicht mehr mit Ihnen befreundet sein wollte.«

Friendly nickte.

»Es wundert mich nicht, daß Sie es ihm heimzahlen wollten, genauso wie Sie’s Mike heimzahlen wollten. Aber warum haben Sie Jim nicht ebenso verprügelt wie Mike?«

Die Frage schien Friendly zu überraschen.

»Sie haben sich auf Ihre eigene Weise gerächt, was? Und er ist bis heute nicht dahintergekommen, was damals passiert ist, stimmt’s?«

Friendly lachte plötzlich leise.

»Er hat nicht geahnt, daß Sie so clever sind. Ich wette, er hatte nicht den geringsten Verdacht, als Sie ihm vorschlugen, einen trinken zu gehen?«

»Nein, er hatte keine Ahnung.«

»Wie war das damals in der Kneipe?«

Mit stockender Stimme sagte Friendly: »Er hat mich ausgelacht und gesagt, ich soll auch heiraten.«

»Unglaublich!«

»Er hätte mich nicht auslachen dürfen!«

»Stimmt. Und was haben Sie getan?«

»Ihn zu ein paar Drinks eingeladen.«

»Ihm war sicher gar nicht klar, warum Sie das taten?«

Friendly lachte wieder. »Er hat gesoffen, bis er sternhagelvoll war.«

»Und Sie?«

»Ich hab nicht viel getrunken.«

»Weil Sie einen klaren Kopf behalten wollten?«

Friendly nickte.

»Wo stand das Auto?«

»Neben der Kneipe.«

»Warum haben Sie gerade diesen Wagen genommen?«

»Weil ich einen Schlüssel hatte, der paßte.«

»Sogar daran haben Sie also gedacht«, sagte Atkins begeistert.

»Natürlich.«

»Sie brauchten ihn also bloß in das Auto zu verfrachten und loszufahren?«

Friendly öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann machte er ihn wieder zu und starrte Atkins derart haßerfüllt an, daß der erschrak. »Ich hab den Wagen nicht gefahren«, schrie er und schlug mit seiner riesigen Faust auf den Tisch. »Jimmy hat ihn gefahren. Jimmy hat den Mann umgebracht.«

»Aber Sie sagten doch eben, daß er völlig betrunken war.«

»Jimmy ist gefahren.«

»Meinen Sie nicht, es wäre besser, mir jetzt die Wahrheit zu sagen – nachdem Sie sich so großartig gerächt haben?«

»Er wollte nicht mehr mein Freund sein, und er hat mich ausgelacht«, rief Friendly. »Jimmy saß am Steuer. Er hat den Mann überfahren. Er hat ihn umgebracht. Mehr sag ich nicht.«

Atkins stand auf. Langsam und leise triumphierend sagte er: »Gott sei Dank haben Sie bereits genug gesagt.«

»Ich hab gar nichts gesagt.«

»Normalerweise ist Trunkenheit keine Entschuldigung für ein Verbrechen. Wenn Parker sich aus freiem Willen betrunken hat und den Wagen fuhr, dann hat er eine tödliche Körperverletzung begangen. Wenn ein Mann aber vorsätzlich betrunken gemacht wird, dann ist er nach dem Gesetz für seine Handlungen nicht verantwortlich. Ihre Aussage beweist, daß Sie ihn absichtlich und mit bösem Vorsatz betrunken gemacht haben. Daß er seine Strafe abgesessen hat, läßt sich nicht mehr ändern, aber sein guter Ruf ist jetzt wiederhergestellt – ganz gleich, ob er den Mann überfahren hat oder nicht.«

Friendly ballte die Fäuste. »Ich hab ihn nicht dazu gebracht, was zu trinken. Er hat sich von selber betrunken. Was anderes hab ich nie gesagt.«

Atkins deutete auf die beiden Polizisten. »Sie vergessen, daß diese beiden jedes Wort mitgeschrieben haben.«

 

Atkins hielt vor der Rowan Tree Farm. Das Wetter war wieder einmal umgeschlagen. Die Sonne schien, und es war warm – nur der nasse Boden zeugte davon, wie stark es die letzten Tage geregnet hatte.

Caroline öffnete, als er klopfte. Sie sah ihn feindselig an und führte ihn schweigend durch die Diele zur Küche, in der Jim am Tisch saß.

»Was gibt’s?« fragte Jim schroff.

»Ich wollte Ihnen sagen, daß einer der Hauptbelastungszeugen seine Aussage widerrufen hat.«

Atkins merkte, wie Jim erleichtert aufatmete.

»Noch etwas. Friendly und Elkin haben sich gestern so geprügelt, daß Elkin ins Krankenhaus mußte. Wahrscheinlich wird er nicht durchkommen.«

»Und … und Friendly?« murmelte Caroline.

»Friendly ist in Untersuchungshaft und wird wegen Mordes oder versuchten Mordes unter Anklage gestellt. Falls man ihn für schuldig befindet, wird er für Jahre hinter Gitter kommen.«

»Was heißt ›falls‹?« fragte Jim. »Haben Sie denn immer noch nicht genug Beweise?«

»Doch. Aber vielleicht wird man Friendly für unzurechnungsfähig erklären und in eine Anstalt einweisen.«

Caroline trat zu Jim.

»Das ist noch nicht alles«, fuhr Atkins fort. »Was ich aus Friendly herausgeholt habe, genügt, um hinsichtlich Ihrer Verurteilung wegen tödlicher Körperverletzung ein Wiederaufnahmeverfahren zu beantragen. Man wird Sie bestimmt freisprechen. Suchen Sie sich einen guten Anwalt und sagen Sie ihm, er soll sich mit mir in Verbindung setzen.«

Caroline nahm Jims Kopf in beide Hände und drückte ihn an sich.

Atkins ging. Sein Glaube an die Gerechtigkeit und an seinen Beruf war wiederhergestellt.