21

Atkins musterte Elkin, der zusammengesunken in einem Sessel im Wohnzimmer seines Hauses saß. »Sie sehen gar nicht gut aus.« Elkin fluchte.

»In was für einer gemeinen, häßlichen Welt wir doch leben.« Elkin betastete unwillkürlich den großen blauen Fleck auf seiner Wange. »Zum Totlachen, was?«

Atkins sah den Distriktsinspektor an. »Haben Sie gelacht, Joe?«

»Ich? Ich lach doch nicht über einen Verletzten.« Der Distriktsinspektor lachte.

Elkin fluchte wieder; dann verstummte er, weil es in seinem Kopf so schrecklich pochte.

»Sie sollten sich wirklich nicht mit solchen üblen Subjekten einlassen«, sagte Atkins. »Das ist gar nicht gut für Ihren Ruf.«

»Werden Sie den Hund schnappen?« fragte Elkin mit gepreßter Stimme. Er versuchte sich mit aller Kraft zusammenzunehmen »Wen?«

»Den Burschen, der das getan hat«, fuhr Elkin ihn an.

»Möchten Sie die ganze Sache nicht lieber vergessen?«

Elkin zündete sich eine Zigarette an. »Ich habe ein Recht darauf, daß Sie den Täter fassen. Wenn Sie Parker nicht verhaften, werde ich mich bei Ihrem Chef beschweren und die Zeitungen informieren.«

Atkins zuckte die Achseln. »Wer war es?«

»Parker.«

»Sie haben ihn erkannt? Trug er nicht einen Strumpf über dem Gesicht?«

»Na und?«

»Wie können Sie ihn dann erkannt haben?«

»Sie wissen ganz genau, daß er es war.«

»Wissen genügt nicht, wir brauchen Beweise.«

»Verhören Sie ihn. Stellen Sie fest, wo er letzte Nacht war.«

»Er wird sagen, daß er zu Hause war, und seine Frau wird es bestätigen.«

»Dann lügt sie.«

»Solange wir das nicht beweisen können, müssen wir ihr glauben.«

»Ich lasse mich von Ihnen nicht so abwimmeln.«

»Was kann ich dafür, daß das Gesetz eindeutige Beweise verlangt?«

»Okay, ihr Bastarde – ich werde schon dafür sorgen, daß euch das Lachen vergeht. Hat er nicht einen Kombi?«

»Wieso?« fragte Atkins.

»Weil Bailey aufwachte und aus dem Fenster schaute und Parker in einen kleinen Kombi steigen sah. Bailey hat sich sogar die Nummer des Kombi gemerkt.«

 

Als Atkins und Witley am Donnerstagvormittag vor der Rowan Tree Farm hielten, begann es in Strömen zu regnen. Sie liefen schnell zur Haustür, klopften und suchten Schutz vor dem Regen, bis Caroline ihnen öffnete. Atkins bat, ihren Mann sprechen zu dürfen. Sie schien erleichtert, daß er zu Jim wollte. In etwas freundlicherem Ton sagte sie, daß er im Büro mit Schreibarbeiten beschäftigt sei.

Jim kam aus dem kleinen Raum neben dem Bad und fragte gereizt: »Sie möchten mich sprechen?«

»Ja. Hätten Sie bitte einen Moment Zeit, Mr. Parker?«

Er ging voraus ins Wohnzimmer und stellte sich neben den großen Kamin. Witley setzte sich und zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche.

»Elkin wurde heute nacht in seinem Haus angegriffen und verletzt«, sagte Atkins. »Und er behauptet, von Ihnen.«

»Und?«

»Ich muß deshalb natürlich Ermittlungen anstellen, Mr. Parker. Sind Sie heute nacht in Elkins Haus eingebrochen und haben ihn niedergeschlagen?«

»Nein.«

»Wo waren Sie vergangene Nacht zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens?«

»Meine Frau und ich gingen kurz nach halb elf zu Bett. Ich schlief bis halb sechs, dann stand ich auf und half dem Aushilfsmelker.«

»Ihre Frau wird sicherlich bestätigen, daß Sie zusammen zu Bett gingen.«

»Selbstverständlich.«

»Aber mehr wird sie vermutlich nicht bestätigen können, weil sie danach schlief?«

»Wir haben beide die ganze Nacht geschlafen.«

»Sie haben also keinen einwandfreien Beweis dafür, daß Sie das Haus nicht verließen?«

»Inwiefern ist das wichtig?«

»Das ist keine sehr intelligente Frage, Mr. Parker. Ich sagte Ihnen doch, es geht um ein Verbrechen …«

»Ein Verbrechen nennen Sie das?«

Atkins zupfte am mittleren Knopf seines abgetragenen Anzugs. »Auf meine Ansicht kommt es nicht an. Nach dem Gesetz ist es eins.«

»Dieses Gesetz hat sich als wertlos und machtlos erwiesen.«

»Mr. Parker, das hat doch keinen Sinn. So kommen wir nicht weiter. Seien Sie doch bitte vernünftig … Sie haben einen Austin-Kombi. Wie lautet die Zulassungsnummer?«

»Eins, fünf, acht, vier, FN. Weshalb?«

»Bailey, einer der Männer, die letzte Nacht in Elkins Haus schliefen, behauptet, er hätte den Eindringling zu einem vor dem Haus stehenden Kombi laufen und wegfahren sehen. Es war ein Austin 500, angeblich grün. Die Zulassungsnummer lautete eins, fünf, acht, vier, FN

Jim zuckte zusammen. Er war der festen Meinung gewesen, sich durch nichts verraten zu haben, doch jetzt stellte sich heraus, daß er sich wie ein stümperhafter Amateur benommen hatte. Er überlegte schnell und sagte: »Das ist ausgeschlossen. Elkin muß die Nummer meines Kombi festgestellt und sich die ganze Geschichte ausgedacht haben.«

»Warum sollte er das tun?«

»Um sich an mir zu rächen.«

Atkins nickte, als hätte er eine solche Antwort erwartet. »Besitzen Sie Overalls?«

»Ja.«

»In welcher Farbe?«

»Die meisten sind hellbraun.«

»Haben Sie auch einen grünen?«

Jim zögerte. »Ja, einen.«

»Dürfte ich mir den nachher mal ansehen? Tragen Sie öfter Turnschuhe?«

»Nein.«

»Welche Schuhgröße haben Sie?«

»Zehn.«

»Darf ich mal nachschauen?«

Jim zuckte die Achseln.

Atkins stand auf und trat zu ihm. Er hockte sich auf den Boden, bat Jim, einen Fuß zu heben und untersuchte die Unterseite seines einen Schuhs. Die Größe – 10 – stand deutlich darauf. Atkins ging zu seinem Sessel zurück und nahm ein langes, dünnes Päckchen aus der Tasche seines Regenmantels. Er öffnete es und zog ein rostiges Messer mit einer frischgeschliffenen Klinge hervor. »Kennen Sie das?«

Jim bemühte sich, ausdruckslos dreinzublicken. »Nein.«

Atkins packte das Messer sorgfältig wieder ein und steckte es in die Manteltasche. »Würden Sie uns jetzt bitte den grünen Overall zeigen?«

Jim ging ins Bad, wo der nasse Overall in der Wanne lag. Er wrang ihn aus, trug ihn ins Wohnzimmer und reichte ihn Atkins.

»Sie haben ihn heute gewaschen?«

»Er wurde heute morgen beim Melken schmutzig.«

»Hm«, sagte Atkins. Jim war sich nicht ganz klar, ob es spöttisch klang. »Das wäre momentan alles. Vielen Dank, Mr. Parker.«

Jim sah ihn schweigend an.

Atkins und Witley gingen. Sowie sie die Haustür hinter sich zugezogen hatten, stürzte Caroline aus der Küche in die Diele. »Jim – was wollten die beiden denn?« fragte sie aufgeregt.

»Nichts Besonderes«, sagte er. »Nur eine Routinesache.«

Sie sah ihn stirnrunzelnd an und nahm seine Hand. »Du lügst, Jim. Irgend etwas Schreckliches ist passiert. Du mußt es mir sagen.«

Er schwieg einen Moment, dann sagte er wütend: »Ich dachte, ich hab im Gefängnis was gelernt und versteh von solchen Dingen soviel wie ein Profi. Das war ein Irrtum.«

»Was soll das heißen?«

Scheinbar unbeteiligt, als wäre das Ganze nicht ihm, sondern einem anderen passiert, erzählte er es ihr.

Erschrocken legte sie die Hand auf den Mund. »Du … du wolltest ihn umbringen?«

»Ja.«

»Aber … aber …«

»Carry, er wollte dich vergewaltigen. Die Polizei hat keine Beweise, um ihn und die andern verhaften zu können, und vielleicht wird sie nie welche finden. Das heißt, er kann jederzeit wiederkommen und dich wirklich vergewaltigen.«

»Nein«, rief sie.

»Deshalb wollte ich ihn umbringen. Und wenn ich nicht so ungeschickt gewesen wäre …«

»Gott sei Dank warst du’s, Jim.«

»Begreifst du denn nicht?«

»Ich weiß nur – wenn du ihn umgebracht hättest …« Sie erschauderte.

»Glaubst du etwa, ich hätte mir deshalb mein Leben lang Gewissensbisse gemacht? Wenn ich das Schwein umgebracht hätte, dann brauchte ich jetzt nicht mehr so schreckliche Angst um dich zu haben – das wäre alles.«

Sie umarmte ihn und drückte ihn fest an sich. Er spürte, wie sie zitterte, und als er behutsam ihren Kopf hob, sah er, daß Tränen über ihre Wangen rollten. »Carry … Carry«, flüsterte er.

 

Atkins klopfte an Hammers Haustür. Das Haus war hübsch und malerisch, und er beneidete ihn darum. Helen Hammer öffnete, und er stellte sich vor. »Ich hätte Sie gern einen Moment gesprochen, Mrs. Hammer. Ihr Mann ist sicher nicht daheim, oder?«

»Doch, er ist da. Er fühlt sich seit ein paar Tagen nicht ganz wohl.«

Er bemerkte die bedrückte Miene, mit der sie das sagte, und fragte sich, was wohl dahintersteckte. Sie führte ihn und Witley ins Wohnzimmer und ging hinaus. Er betrachtete die Balken in der einen Wand und in der Decke und den großen offenen Kamin. Er trug die Jahreszahl 1632. »Man fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt, was?« meinte er.

»Es muß schrecklich teuer sein, ein so altes Haus instandzuhalten«, erwiderte Witley.

Sein Sergeant, fand Atkins, war kein Mensch, der Sinn für so etwas hatte. Die Hammers mußten in den besten Verhältnissen leben. Die Einrichtung war sehr geschmackvoll, und der Teppich mußte viel Geld gekostet haben. In einer Ecke stand ein Farbfernseher.

Paul Hammer trat ein, gefolgt von seiner Frau. Sein Gesicht war blaß und eingefallen, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen.

»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Atkins.

»Schon gut«, antwortete Hammer knapp. Er ging zu einem kleinen Tisch mit einer Keramikplatte, öffnete eine silberne Zigarettendose und hielt sie Atkins und Witley hin. Helen Hammer setzte sich in einen Polstersessel. Hammer rauchte nervös. »Setzen Sie sich doch bitte. Einen Drink?«

»Vielen Dank, im Moment nicht«, erwiderte Atkins.

»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mir einen hole?« Er ging zur Hausbar, öffnete sie und schenkte sich einen ordentlichen Schuß Whisky ein. Er trank ihn ebenso nervös und gierig wie er rauchte.

»Ich wollte Ihnen ein paar Fragen wegen der vergangenen Nacht stellen«, sagte Atkins.

»Wieso? Was soll denn vergangene Nacht gewesen sein?« fragte Hammer ehrlich überrascht.

»Sie sind doch mit Mr. Parker befreundet, nicht?«

»Was … was hat denn das mit der vergangenen Nacht zu tun?«

Atkins konnte sich nicht vorstellen, weshalb Hammer so bedrückt war. »Gewisse Personen – wahrscheinlich die gleichen, die Mr. Parker und seine Frau in ihrem Haus überfielen – beschuldigen ihn, in ihr Haus eingebrochen zu sein und einen von ihnen tätlich angegriffen zu haben.« Er schwieg einen Augenblick, um sich zu konzentrieren. »Mr. Parker bezeichnet das als völlig absurd und behauptet, er hätte die ganze Nacht im Bett gelegen und geschlafen.«

Hammer trank sein Glas aus, ging zur Hausbar und schenkte sich nach.

»Es ist immer sehr schwierig, zu beweisen, daß man etwas nicht getan hat, und genau das wird von Mr. Parker verlangt. Mrs. Parker hat seine Aussage voll bestätigt, doch ein eindeutiger zusätzlicher Beweis würde ihm sehr helfen.« Atkins sah Hammer an, doch dieser schien nicht zu begreifen. Wo, zum Teufel, war der Mann mit seinen Gedanken? »Sie wohnen doch hier am Anfang des Weges, der zur Farm führt. Die Leute, die ihn angezeigt haben, behaupten, er sei nach der Tat mit seinem Kombi weggefahren. Wenn er letzte Nacht seinen Kombi benutzte, hätten Sie ihn gehört?!«

»Vermutlich.«

»Und ich nehme an, Sie sind gestern abend auch nicht besonders früh zu Bett gegangen?«

»Nein.«

»Haben Sie im Lauf des Abends irgendein Fahrzeug von der Farm zur Straße – oder umgekehrt – fahren hören?«

Hammer trank einen Schluck Whisky und drückte seine Zigarette aus. Ihm fiel ein, wie verächtlich Jim ihn behandelt hatte, wie qualvoll die letzten Tage für ihn gewesen waren.

»Er ist kurz vor Mitternacht weggefahren«, sagte Helen Hammer plötzlich. »Wir wissen, daß es sein Kombi war, weil wir das Auspuffgeräusch genau kennen.«

Atkins starrte sie an. Unfaßbar, dachte er, daß Menschen so sein können.

 

Der Montag war windig, regnerisch und kalt. Atkins arbeitete in seinem Büro am Schreibtisch, als Carlton eintrat.

»Nun?« fragte er.

Mürrisch antwortete Atkins: »Die Laborbefunde sind gekommen, Sir. Im Gürtel des Overalls wurde ein kleiner Glassplitter gefunden und an einem Ärmel etwas Klebstoff. Das Labor kann nicht hundertprozentig sagen, ob der Splitter von dem Küchenfenster stammt, doch die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß. Der Klebstoff ist eindeutig der gleiche wie der, mit dem das Glas bestrichen wurde.«

»Verdammt noch mal, das gefällt mir gar nicht«, sagte Carlton.

»Mir auch nicht«, erwiderte Atkins.

»Wenn wir weitermachen, müssen wir die Ganoven laufenlassen und einen Unschuldigen einsperren.«

»Unschuldig ist er ja nun gerade nicht.«

»Herrgott, Basil, Sie wissen doch, was ich meine.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Warum war er bloß nicht so raffiniert wie Elkin? Dann könnten wir ihm nichts nachweisen.«

»Weil er ein Amateur ist.«

»Und dafür muß er jetzt büßen?«

»Es sind immer die Amateure, die auf dieser Welt leiden.«

»Ihnen scheint das gar nicht viel auszumachen.«

»Da schätzen Sie mich aber völlig falsch ein. Glauben Sie, ich hab gern getan, was ich tun mußte? Aber was hätte ich denn machen sollen? Sämtliche Tatsachen ignorieren? Meine Pflicht versäumen?« Er schwieg einen Moment; dann sagte er in ruhigerem Ton: »Entschuldigen Sie, Sir.«

»Was soll ich entschuldigen? Daß Sie die Wahrheit gesagt haben?« Carlton schüttelte den Kopf. »Gibt es nicht den geringsten Zweifel?«

Atkins zuckte die Achseln. »Er hatte ein Motiv, er hatte die Gelegenheit, er wurde am Tatort gesehen, und ein Nachbar und das Labor haben den Verdacht erhärtet.«

»Der Laborbefund ist kein einwandfreier Beweis.«

»Allein nicht. Aber wenn Bailey aussagt, daß er ihn vor Elkins Haus in seinen Kombi steigen sah, wird das Gericht ihn als einwandfrei betrachten.«

»Baileys Aussage ist von ausschlaggebender Bedeutung, was?«

»Ja, Sir. Ohne sie hätte Parker durch seine Frau ein Alibi, das keine Jury bezweifeln würde.«

Carlton fluchte. »Was dürfte Parker kriegen?«

»Das hängt davon ab, ob er vor einen menschlichen Richter kommt, der weiß, wie zweideutig die Justiz sein kann, oder vor einen scheinheiligen Bastard, der nur auf das Gesetz pocht.«

»Mein Gott, Basil, können wir denn überhaupt nichts tun, um ihm zu helfen?«

»Wenn wir unsere Stellung nicht verlieren wollen, nein, Sir.«