KAPITEL 25
Eine Reihe von leisen
Flüchen weckte Darcy aus ihrem tiefen Schlaf. Sie streckte sich
träge, zwang ihre schweren Lider, sich zu öffnen, und stellte fest,
dass sie allein im Bett lag. Das war nicht sonderlich überraschend.
Die vergangenen beiden Wochen hatten ihr gezeigt, dass Styx in
seinen Anforderungen an sich selbst schonungslos war. Er schlief
nur wenige Stunden, bevor er zu seinen endlosen Anasso-Pflichten
zurückkehrte, und natürlich verwandte er einen großen Teil der
Nacht darauf, seine Gefährtin zu verwöhnen.
Plötzlich war sie nicht länger die einsame
Außenseiterin, die sich bemühten musste, ohne Familie oder einen
Freundeskreis zu überleben.
Sie drehte sich auf die Seite und betrachtete die
blutroten Male auf ihrem Arm mit einem träumerischen Lächeln. In
weniger als einem Monat hatte sie eine Familie aus Werwölfen
gewonnen, genauso wie Freundinnen und Freunde, die Gargylen,
Dämonen und Göttinnen einschlossen. Und einen atemberaubenden,
unwiderstehlichen Vampir als Gefährten. Alles in allem keine
schlechten Wochen.
Mit einem Kichern schob sie die Decke zurück und
griff nach dem schweren Umhang, der am Fußende des
Bettes lag. Er war ihr zu lang und zu weit, aber wenigstens war
der dicke Brokat eine willkommene Wärmequelle. Styx hatte nicht
gelogen, als er sie gewarnt hatte, dass die Höhlen kalt und feucht
seien.
Wieder drang der Klang leiser Stimmen durch die
Luft, und Darcy ging neugierig auf die Türöffnung zu.
Sie hatte nie erwartet, mit Styx in den abgelegenen
Höhlen allein zu sein. Er war der Anasso und musste als solcher
jederzeit von seinen Raben beschützt werden. Aber die fünf Vampire,
die Styx’ Geheimdienst bildeten, waren üblicherweise so still, dass
es unmöglich war zu wissen, wann sie in der Nähe waren.
Bestimmt war irgendetwas passiert, wenn sie
tatsächlich Geräusche von sich gaben.
Etwas zu spät wünschte sich Darcy, Socken angezogen
zu haben. Sie trat in den großen Raum, der an das Schlafzimmer
grenzte. Ihr erster Blick fiel auf das Feuer, das fröhlich im Kamin
brannte, bevor sie langsam das Zimmer mit den Augen absuchte und in
der Zimmermitte Styx und zwei seiner Raben entdeckte.
Sie riss die Augen auf, als sie den großen
Nadelbaum zu Gesicht bekam, der gefährlich schief aus dem Kübel
voller Sand ragte, in dem er stand, und sich sämtlichen Versuchen
der Vampire widersetzte, ihn gerade hinzustellen.
Da sie Darcys Anwesenheit sofort bemerkten, drehten
sich die drei Vampire gleichzeitig um, und die beiden Raben
verbeugten sich tief, bevor sie lautlos aus dem Raum glitten.
Darcy merkte kaum, dass sie sich zurückzogen, als
sie mit einem leichten Stirnrunzeln auf den Baum zuging.
»Styx … was ist hier los?«, fragte sie.
Bekleidet mit nicht mehr als einer Lederhose, das
Haar offen über dem Rücken, sah der Vampir unglaublich stattlich
und attraktiv aus.
Und als er lächelte … puh. Darcy musste sich
anstrengen, um nicht zu sabbern.
»Es war ein Versuch, dich zu überraschen«,
antwortete er mit einem reuevollen Grinsen. »Ohne großen Erfolg,
wie ich zugeben muss.«
Sie schüttelte langsam den Kopf, und ihr Herz
machte einen seltsamen Satz, als ihr abrupt klar wurde, was sie da
sah.
»Ist das ein Weihnachtsbaum?«
»Ja.«
Ihr Blick glitt nach unten zu den knallbunt
verpackten Schachteln, die auf dem Fußboden standen. »Und …
Geschenke?«
»So sieht diese Tradition aus, nicht wahr?«
Darcy stockte der Atem, als er sich nach unten
beugte, um eine der Schachteln aufzuheben, und direkt vor sie trat.
Es war Jahre her, seit sie zuletzt Weihnachten gefeiert hatte. Und
sogar in ihrer Kindheit war es nie ein besonders friedlicher oder
erheiternder Tag gewesen. Und zwar deshalb nicht, weil sie immer so
offensichtlich unerwünscht war.
In diesem Moment allerdings war sie wunschlos
glücklich. »Oh, Styx«, brachte sie hervor und nahm ihm die
Schachtel aus der Hand.
Sein Gesichtsausdruck war unglaublich zärtlich, und
er berührte sie liebevoll. »Es ist dein erstes Weihnachtsfest bei
deiner neuen Familie. Ich wünsche mir, dass es unvergesslich
ist.«
Sie trat so nahe an ihn heran, dass sie ihr Gesicht
an
seine nackte Brust pressen konnte, und schwelgte in dem Gefühl
seiner kühlen Haut unter ihrer eigenen.
»Es ist wunderschön.«
»Öffne dein Geschenk, meine Liebe!«, drängte er
sie.
Sie trat ein kleines Stück zurück und unterdrückte
ihr Schmunzeln über seine sichtbare Ungeduld. Sie hatte noch nie
jemanden kennengelernt, der sich mehr um andere sorgte.
Mit schnellen Bewegungen riss sie das Papier von
dem kleinen Samtkästchen, und mit einem Eifer, der Styx zu freuen
schien, klappte sie den Deckel auf, so dass der große,
außergewöhnlich lupenreine Rubinring im Inneren zum Vorschein
kam.
Fassungslos hob Darcy den Kopf und begegnete seinem
prüfenden Blick. »Du lieber Himmel.«
Styx nahm ihr das Kästchen aus den nervösen Händen
und den Ring von seinem Ruheplatz und steckte ihn ihr sanft an den
Finger.
»Ich dachte, es sei ein menschlicher Brauch, dass
Gefährte und Gefährtin Ringe tauschen?«, fragte er heiser.
Ihre Stimme zitterte. »Ja, aber das hier ist viel
mehr als ein Ehering.«
Seine Hand schloss sich um ihre Finger. »Er gefällt
dir nicht?«
»Er ist unheimlich schön, aber er ist viel zu
teuer! Du hättest nicht …«
»Ich wollte es aber tun!«, unterbrach er sie
entschieden und ließ seine Finger unter ihr Kinn gleiten, während
er ihr in die geweiteten Augen blickte. »Ich will, dass du
glücklich bist, Darcy.«
Darcy stieß einen erstickten Schrei aus und warf
sich
ihm in die Arme. Sie schlang ihre Arme um seine Taille, während
sie ihren Kopf an seine Schulter legte.
Der Rubin war wunderschön. Und das Wissen, dass
Styx sich offensichtlich so große Mühe mit seiner
Weihnachtsüberraschung gegeben hatte, ließ in ihr das Bedürfnis
entstehen, vor Glück zu weinen.
Aber was ihr Herz am meisten mit Freude erfüllte,
war das Wissen, dass dieser Mann ihr Gefährte war. Ihr
Lebensgefährte.
»Ich bin glücklich, wenn du einfach in meiner Nähe
bist«, sagte sie sanft.
Er schlang die Arme um sie und streifte ihre Stirn
mit den Lippen. »Selbst wenn ich der Dämon bin, der dich
entführte?«
Sie lächelte unter Tränen, als sie sich an die
Nacht erinnerte, in der er sie aus der Bar geholt hatte.
»Vor allem, weil du der Dämon bist, der mich
entführt hat. Wenn du nicht wärst, wäre ich vielleicht immer noch
in mich selbst zurückgezogen und ganz allein auf der Welt. Oder
noch schlimmer: Ich könnte Salvatores Gefangene sein.«
Er zog sie verärgert noch enger an sich.
»Salvatore!«
Sie wich ein Stück zurück und sah ihn prüfend an.
»Hast du das ernst gemeint, was du gesagt hast? Verhandelst du mit
den Werwölfen?«
In seinen dunklen Augen loderte es auf, aber er
nickte fest mit dem Kopf. »Ich halte stets mein Wort, mein Engel.
Ich werde vor die Kommission treten, wie ich es versprach.
Zumindest werde ich das tun, sobald sie mir endlich eine Audienz
gewähren.«
Sie legte ihre Hand auf seine Brust. »Ich danke
dir.«
»Ich kann es mir leisten, großzügig zu sein.« Er
senkte
den Blick zu der Stelle, an der ihr Umhang aufklaffte. »Ich habe
alles, was ich will.«
»Du bist ein sehr weiser Anführer«, murmelte sie,
während umgehend eine vertraute Hitze durch ihren Körper zu strömen
begann.
»Unglaublich weise.« Er griff nach dem Gürtel ihres
Morgenmantels. »Ich glaube, dass nun die richtige Zeit gekommen
ist, um mein Weihnachtsgeschenk zu öffnen.«
»Aber ich habe gar nichts für dich besorgt …«,
neckte sie ihn, als er den lästigen Morgenrock zur Seite
schob.
Er beugte den Kopf zu ihr herab und flüsterte an
ihren Lippen: »Mein geliebter Engel, du hast mir mehr als genug
gegeben.«