KAPITEL 23
Salvatore war übler Laune, als er Darcys Zimmer verließ und seine Wolfstölen aufsuchte, um sich zu vergewissern, dass sie auf die unvermeidliche Ankunft der Vampire vorbereitet waren. Er gab freimütig zu, dass er ziemlich überheblich sein konnte. Und ohne Zweifel ein gesundes Maß an Eitelkeit besaß. Seit dem Tag seiner Geburt war er von jedem Werwolf hofiert worden, dem er begegnete. Er war zum König bestimmt gewesen. Ein Rassewolf von untadeliger Abstammung, der eine Macht und Stärke gezeigt hatte, die deutlich über die der anderen hinausging, selbst in seinen frühesten Jahren. Und natürlich war er mit der Art männlicher Schönheit gesegnet, die Frauen dazu gebracht hatte, seinetwegen Kämpfe auszutragen. Manchmal bis zum Tod.Es war absolut kein Wunder, dass er davon ausging, jede Frau würde begierig darauf sein, ihn in ihr Bett einzuladen.
Er betrat sein privates Büro, durchquerte den kargen Raum und goss sich einen großen Schluck Brandy ein. Sein gekränkter Stolz drängte ihn, nach oben zurückzukehren und der undankbaren Hündin zu zeigen, welchen Genuss sie so unverfroren ablehnte. Er hatte nicht umsonst Jahrzehnte der Vervollkommnung seiner Verführungskünste gewidmet! Keine Frau verließ sein Bett unbefriedigt.
Aber ein Teil von ihm weigerte sich, dermaßen niedrigen Instinkten nachzugeben. Wie er Darcy bereits gesagt hatte: Er war kein Tier. Eine Frau gegen ihren Willen zu nehmen, war äußerst abstoßend. Selbst wenn es bedeutete, damit die kostbaren Nachfahrenr zu bekommen, die sie so dringend benötigten. Was sollte er also tun?
Salvatore spannte sich an, als er den Duft von teurem Parfüm bemerkte, der in der Luft lag. Einen kurzen Augenblick zog er in Betracht, aus dem Fenster zu springen. Er konnte mit Leichtigkeit an der Seite des Gebäudes nach oben auf das Dach klettern.
Er biss die Zähne zusammen, als er bemerkte, wie seine Gedanken die Richtung der Feigheit einschlugen. Er fürchtete keinen Mann und ganz sicher keine Frau. Nicht einmal Sophia.
Er zwang sich, sich lässig an den Schreibtisch zu lehnen, und nippte ruhig an seinem Brandy, als die Tür aufgeschoben wurde und die wunderschöne Rassewölfin in den Raum schlenderte.
Ein schwaches Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie vor ihm stehen blieb und ihren schamlosen Blick über ihn gleiten ließ.
»Armer Salvatore, du wirkst nicht sonderlich glücklich für einen Mann, der kurz davorsteht, seiner Gemahlin beizuwohnen«, meinte sie gedehnt.
Er seufzte und gab sich gelangweilt. »Verschwinde, Sophia.«
In den grünen Augen blitzte Verärgerung auf. Sophia war eine Frau, die von jedem Mann in ihrer Umgebung erwartete, dass er vor Begierde aufkeuchte, wenn sie sich ihm nur näherte.
»Wie könnte ich?« Sie ließ ihren Blick zu seinem halb leeren Glas sinken. »Als Mutter muss ich doch wohl besorgt sein, wenn ich feststellen muss, dass der Gefährte meiner Tochter seinen Kummer in Brandy ertränkt.«
»Ein Glas bedeutet wohl kaum, dass ich meinen Kummer ertränke.«
»Du findest sie nicht attraktiv?«
»Ich finde sie beträchtlich attraktiver als ihre Mutter.«
»Wie empörend.« Sie lachte kurz und schrill auf. »Sag mir, was dich bedrückt!«
Salvatore trank den Rest Brandy aus und stellte das Glas geräuschvoll auf seinem Schreibtisch ab.
»Deine Tochter kam zu dem Entschluss, dass es ihr nicht besonders viel bedeutet, mich zum Gemahl zu bekommen.«
»Was für eine Rolle spielt das?« Sophia sah ihn erwartungsvoll an. »Sie ist nun hier und befindet sich in deiner Gewalt.«
»Und sie ist nicht gewillt, sich mit mir zu vereinigen.« Er richtete sich abrupt auf und widerstand dem Drang, die Frau zu schlagen. Sophia gefielen dominante Männer. Er würde ihr diese Genugtuung nicht gönnen. »Ich vergewaltige keine Frauen.«
Sophia, die das Glühen seiner Gewalttätigkeit ohne Mühe spürte, warf ihm ein spöttisches Lächeln zu. »Du zweifelst doch nicht etwa an deiner Überzeugungskraft? Wirklich, Salvatore, ich dachte, du besäßest mehr Courage!«
Er knurrte leise. Wie zum Teufel dieses süße, unschuldige Kind dort oben jemals aus der Gebärmutter dieser Frau hatte kommen können, würde ihm auf ewig ein Rätsel bleiben.
»Meine Courage ist nicht das Problem. Sie glaubt, sie sei verliebt in den Vampir.«
»Ach ja? Sie wird ihn schon vergessen.« Sophia streckte die Hand aus, um einen manikürten Fingernagel über Salvatores Wange zu ziehen. »Liebe ist nichts weiter als eine Lüge, die Männer benutzen, um Frauen in die ewige Sklaverei zu locken.«
»Wie charmant, Sophia.«
»Du glaubst doch gewiss nicht an die Liebe?«
Salvatore bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Liebe unter Werwölfen war inzwischen nicht mehr als ein Mythos. Das Streben nach Kindern war zum alleinigen Ziel geworden, und es wurde nicht zugelassen, dass etwas so Profanes wie Gefühle zu einer Störung wurde. Es würde als Zeichen einer fatalen Schwäche angesehen werden, wenn er zugäbe, dass er sich in tiefster Nacht danach sehnte, die eine Frau zu finden, die seine wahre Gefährtin werden konnte.
Als er bemerkte, dass Sophia ihn mit wachsender Neugierde ansah, zwang sich Salvatore zu einem nonchalanten Achselzucken. »Es spielt keine Rolle, ob ich daran glaube oder nicht. Solange Darcy …«
»Oh, um Gottes willen, geh einfach nach oben, und bringe es hinter dich!«, knurrte Sophia verärgert. »Sobald sie schwanger ist, kannst du sie an jemanden übergeben, der ein bisschen weniger gefühlsduselig ist. Wie sieht es mit Huntley aus? Er findet Gefallen daran, sich widerstrebenden Frauen aufzudrängen.«
Salvatore versteifte sich. Er mochte nicht glauben, dass Sophia gefühllos genug sein sollte, um ihre Tochter an ein dermaßen wildes Tier auszuliefern.
»Du bist wirklich eine Hündin.«
»Ja, das weiß ich.«
Salvatore hob die Hand, kurz davor, die lästige Frau mit körperlicher Gewalt aus seinem Arbeitszimmer zu entfernen, als er abrupt innehielt. Seine Sinne schärften sich, und er war augenblicklich kampfbereit. Er legte den Kopf in den Nacken und witterte. »Da kommt etwas.«
Sophia knurrte heftig. »Verdammt, es sind die Vampire!«
»Gut.« Ein kaltes Lächeln zeigte sich auf Salvatores Gesicht. Alle Gedanken an Darcy und seine unangenehme Pflicht waren vergessen, als freudige Erwartung in ihm aufflackerte. Das war genau das, was er wollte! Die Gelegenheit, sich ein für alle Mal von dem Fluch seiner Existenz zu befreien. Ob nun zu Recht oder zu Unrecht, jedenfalls war er davon überzeugt, dass die Schuld an dem Untergang der Werwölfe ganz und gar den Vampiren zuzuschreiben war. In erster Linie Styx. Sie würden für das Unrecht bezahlen, das sie seinem Volk angetan hatten!
»Sobald Styx mein Versteck betritt, darf ich ihn töten. Nicht einmal die Kommission könnte einen Werwolf dafür verurteilen, dass er sein Territorium schützt.«
Sophia lief im Raum umher. Es war deutlich zu erkennen, dass sie aufgeregt war. »Du denkst, er wird so töricht sein?«
»Fällt dir denn überhaupt nichts auf?«
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Wenn du etwas zu sagen hast, sag es einfach.«
»Er hat sich mit ihr verbunden.«
»Verbunden?« Sie kam stolpernd zum Stillstand.
»Ich konnte ihn überall an ihr riechen. Nichts wird ihn von dem Versuch abhalten, zu ihr zu gelangen.«
»Bist du wahnsinnig?« Sophia wurde bleich und legte die Hand auf ihr Herz. »Ein Vampir, der eine Verbindung eingegangen ist? Er wird uns alle töten!«
»Ich besitze durchaus Geschicklichkeit im Kampf, Sophia«, fuhr Salvatore sie an. Sein Stolz war gekränkt. »Die Wolfstölen sind bereits an ihrem Platz, und eine Reihe von unangenehmen Überraschungen wurde vorbereitet. Sie werden feststellen, dass wir keine so leichte Beute sind, wie sie erwarten.«
Sophia lachte freudlos auf und steuerte auf die Tür zu. »Du bist ein Dummkopf, Salvatore, und ich meinerseits habe nicht die Absicht zu bleiben, um von den Blutsaugern niedergemetzelt zu werden!«
»Schön, lauf nur davon, Sophia! Mir reicht es mit dem Katzbuckeln vor den arroganten Bastarden. Ich beabsichtige, zu bleiben und zu kämpfen!«
Sie hielt an und blickte über ihre Schulter. »Ich werde zurückkehren und das begraben, was von deinem Kadaver übrig ist.«
Salvatore sah zu, wie sich die Tür hinter ihrer im Rückzug befindlichen Gestalt schloss, bevor er den Kopf drehte und auf den Boden spuckte. »Feigling.«
 
Styx musste feststellen, dass er sich trotz seiner unbestrittenen Fertigkeiten und der flüssigen Anmut seiner Bewegungen bemühen musste, mit dem winzigen Gargylen Schritt zu halten.
Das war weiter keine Überraschung, wenn man bedachte, dass Levets kleine Statur perfekt für das beengte Abwasserrohr geeignet war, während Styx’ weitaus größerer Körper vollkommen zusammengekrümmt war. Noch schlimmer war jedoch die Tatsache, dass der Gestank, der in der muffigen Luft lag, ausreichte, um selbst in dem entschlossensten Dämonen Abscheu hochkommen zu lassen.
Als Styx mit einem Tritt eine Ratte zur Seite beförderte, die groß genug war, um einen Kleinwagen zu verschlucken, stieß er mit dem Kopf gegen einen Stahlbolzen, der von oben herunterragte. »Bei den Göttern, Gargyle, verlangsame deine Schritte!«, fauchte er, während er die Finger hob, um den plötzlichen Blutfluss zu stillen.
Levet blickte sich mit zuckenden Flügeln um. »Ich dachte, du wärest darauf erpicht, Darcy schnell zu erreichen?«
Styx knurrte tief in der Kehle. Der Drang, bei seiner Gefährtin zu sein, ließ ihn beinahe wahnsinnig werden. Nur die Erkenntnis, dass ein kühler Kopf notwendig war, um zu Darcy zu gelangen, hielt seine brennende Sehnsucht im Zaum.
»Für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin bedeutend größer als du.«
Levets Augen verengten sich. »Aber natürlich, reib mir deine Größe noch unter die Nase!«
Mit einiger Mühe gelang es Styx, nicht die Geduld zu verlieren. Wenn er nicht gewusst hätte, dass der Gargyle Darcy beinahe ebenso verehrte wie er selbst, hätte er den lästigen Dummkopf bereits erwürgt.
»Ich wollte darauf hinaus, dass ich es wesentlich schwieriger finde, durch Abwasserkanäle zu schleichen. Wie weit ist es denn noch?«
Als ob er Styx’ zerbröselnde Selbstbeherrschung spürte, wurde der Gargyle unnatürlich ernst. »Da gibt es eine Öffnung, nur wenige Meter vor uns.«
Styx dankte den Göttern dafür. »Und sie führt zu der Tiefgarage?«
»Ja. Da gibt es eine Treppe zu den oberen Stockwerken, die wir nehmen können.«
»Sie wird zweifelsohne bewacht«, murmelte Styx, frustriert von seiner Unfähigkeit, mit seinen Sinnen das schwere Eisen zu durchdringen, das ihn umgab. Er bezweifelte keinen Moment lang, dass Viper und seine Clanangehörigen bereits das heruntergekommene Hotel umzingelten. Und dass die Wölfe durch die Horde von Vampiren voll und ganz abgelenkt waren.
Aber er würde Salvatore nicht unterschätzen. Der Werwolf würde es wohl nicht zulassen, dass Darcy vollkommen ungeschützt war.
»Wir müssen zuschlagen, bevor jemand unseretwegen Alarm auslöst!«
»Mach dir keine Sorgen, Vampir. Ich habe den perfekten Zauber …«
»Nein! Keine Zaubersprüche«, befahl Styx in heftigem Ton. »Ich werde mich um jede Wolfstöle kümmern, die uns begegnet.«
Levet grunzte gekränkt. »Undankbarer Mistkerl.«
»Ich habe deine Magie bereits gesehen, Levet. Ich werde Darcy nicht deinen Katastrophen ausliefern.«
Der Gargyle warf ihm über seine Schulter ein verschmitztes Lächeln zu. »Es hat dich ja schwer erwischt, Altehrwürdiger!«
Falls er gehofft hatte, Styx damit aufzuziehen, verschwendete er seine Zeit. Styx hatte sich mit dem Wissen abgefunden, dass sich seine Welt nun um eine einzige Frau drehte. Und erstaunlicherweise war diese Erkenntnis beinahe schmerzlos gewesen. Beinahe.
»Sie ist meine Gefährtin.«
Levet verfiel glücklicherweise in Schweigen, während sie durch das schleimige Abflussrohr stapften. Nicht, dass Styx erwartete, dass das andauern würde. Es war eher wahrscheinlicher, dass der Himmel einstürzte, als dass dieser Gargyle seine Lippen vom Plappern abhielt.
Das Wunder dauerte weniger als eine Minute an. Levet räusperte sich und blickte starr nach vorn. »Du weißt, es ist möglich, dass sie lieber bei ihrer Familie bleiben möchte«, sagte er.
Styx zuckte zusammen. Verdammter Gargyle! Dieser düstere Gedanke bedeutete eine Ablenkung, die er in diesem Augenblick nicht gebrauchen konnte.
Sich seinen Weg weiter und weiter durch das feuchtkalte, schmutzige Abflussrohr bahnend, biss Styx die Zähne zusammen, um sich gegen den aufflackernden Schmerz zu wappnen. »Ich habe diese Möglichkeit in Erwägung gezogen.«
»Und?«, drängte Levet.
Dieser Dämon war entweder geistig zurückgeblieben oder unglaublich naiv. Niemand mit auch nur etwas Verstand streute Salz in die Wunden eines Vampirs!
»Und ich werde sie nicht gegen ihren Willen mitnehmen«, stieß er hervor.
»Wirklich nicht?« Levet kicherte verblüfft. »Das ist sehr … unvampirisch.«
Das entsprach natürlich der Wahrheit. Und es stand im krassen Widerspruch zu jedem einzelnen von Styx’ Instinkten. Aber er hatte am eigenen Leib erfahren, dass er Darcy nicht zwingen konnte, bei ihm zu bleiben.
Er blickte grimmig vor sich hin. »Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht den Rest der Ewigkeit mit dem Versuch verbringen werde, ihre Meinung zu ändern.«
Ein kurzes Schweigen folgte, bevor der Gargyle schwach aufseufzte. »Sie wird sich für dich entscheiden, Styx. Trotz all ihres gesunden Menschenverstandes scheint sie über so einen erbärmlich schlechten Geschmack zu verfügen, dass sie sich in dich verliebt hat.«
Styx bemerkte, wie sein Herz bei den Worten des Dämons einen Satz machte. Als sei er ein schwacher, emotionaler Mensch und nicht der Herrscher über alle Vampire.
»Das gestand sie dir?«, verlangte er zu wissen.
»Sie musste es mir nicht gestehen. Ich bin Franzose.« Levet machte eine graziöse Handbewegung. »Ich erkenne Liebe, wenn ich sie sehe.«
Styx bemerkte nicht einmal, dass sein Kopf gegen einen weiteren niedrig hängenden Bolzen krachte. Er wusste, dass Darcy eine Verbindung zu ihm spürte. Und dass ihre Gefühle zutiefst verwirrt waren. Er wagte sogar zu hoffen, dass sie mit der Zeit willens sein würde, sich ihm hinzugeben, um ihre Verbindung zu vervollständigen.
Was er nicht wusste, war, ob das ausreichen würde, um ihre tiefe Sehnsucht nach einer Familie zu überwinden.
 
Darcy biss die Zähne zusammen und zerrte weiterhin an den Eisenhandschellen. Ihre Handgelenke waren schon geschwollen und blutig von ihren Bemühungen, aber sie weigerte sich, sich ihre Niederlage einzugestehen.
Verdammt, die Sonne war bereits untergegangen, und es gab nicht den geringsten Zweifel, dass Styx gerade jetzt heroisch zu ihrer Rettung eilte. Sie musste hier verschwinden, bevor die Hölle losbrach!
Fluchend und an den vom Teufel geschmiedeten Ketten zerrend, hätte Darcy fast nicht das leichte Prickeln auf ihrer Haut und das leise Flüstern, das in ihrem Kopf ertönte, bemerkt.
»Darcy!«
Sie wurde still, und ihr Herz wurde ganz plötzlich von Angst ergriffen. »Styx. Wo bist du?«
»Ich bin in deiner Nähe. Bist du allein?«
»Ja, aber es ist zu gefährlich, Styx!«, sagte sie laut, weil sie keine Ahnung hatte, ob er sich tatsächlich in ihrem Kopf befand oder nicht. »Salvatore wartet bestimmt auf dich.«
»Die Werwölfe sind abgelenkt.«
Darcy hatte nicht vor, ihn zu fragen, welche Art von Ablenkung er sich ausgedacht hatte. Sie fing an zu erkennen, dass die Unwissenden wirklich selig waren.
»Es ist ganz egal, was für eine Ablenkung das ist, er wird trotzdem wissen, dass du hier bist!« Darcy konnte tatsächlich die Woge seiner Emotionen fühlen.
»Ich fürchte mich nicht vor einem Rudel Hunde!«, entgegnete er.
Da ihre eigenen Nerven blank lagen, war Darcy ihrerseits sofort wieder auf hundertachtzig. Verdammt noch mal! Warum hatten Männer bloß immer das Gefühl, sie müssten sich in den Kampf stürzen?
»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für deine Machoscheiße!«, brachte Darcy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du machst alles nur noch schlimmer!«
Ihr tönten die Ohren von dem Schweigen in ihrem Kopf, und einen kurzen Moment lang dachte sie, er habe sich von ihr gelöst. Dann lief ihr ein kalter Schauder über den Rücken.
»Ist es nicht dein Wunsch, gerettet zu werden?«, fragte er. »Ziehst du es vor, dort zu verweilen?«
Sogar aus dieser Entfernung konnte Darcy Styx’ entsetzliche Angst fühlen. Er dachte, sie teilte ihm mit, er solle verschwinden, weil sie bei den Werwölfen bleiben wolle. Ihr Herz zog sich zusammen, als sein Schmerz in ihr widerhallte.
Sie hatte gedacht, sie brauchte eine Familie, die ihr Herz erfüllte, aber das war nicht mehr als eine Illusion gewesen. All die Liebe und die Sicherheit, die sie jemals brauchen würde, konnte sie in den Armen ihres Vampirs finden.
»Natürlich will ich nicht hierbleiben«, sagte sie sanft. »Aber ich lasse es nicht zu, dass du dich selbst in Gefahr bringst!«
Seine plötzliche Erleichterung hüllte sie ein. »Die einzige Gefahr für mich besteht darin, von dir getrennt zu sein!«, erwiderte er mit einem Anflug von Stahl in der Stimme. »Ich kann ohne dich nicht überleben.«
»Sturkopf«, murmelte sie. Sie kannte diesen Ton. Er würde herkommen, um sie zu holen. Und nichts, nicht einmal die Hölle selbst, würde ihn davon abhalten. »Sei vorsichtig.«
Sein leises Lachen ertönte in ihrem Kopf. »Ja, mein Engel.«
Darcy lehnte sich müde wieder gegen die Kissen und bemühte sich, ihren rasenden Herzschlag wieder zu beruhigen.
Aber was, wenn Salvatore in der Dunkelheit lauerte und darauf wartete, Styx in einen Hinterhalt zu locken? Der Werwolf war verzweifelt. Und ein verzweifelter Dämon war ganz sicher ein gefährlicher Dämon. Styx konnte verwundet werden. Und sogar getötet …
Der furchtbare Gedanke wurde glücklicherweise unterbrochen, als die Tür mit Entschlossenheit aufgestoßen wurde und eine vertraute männliche Gestalt über die Schwelle trat.
Eine allumfassende Erleichterung flackerte in ihr auf, und sie ließ ihren Blick hingebungsvoll über das wunderschöne bronzefarbene Gesicht und den kräftigen Körper gleiten, der von schwarzem Leder umschlossen war.
Mit seinem rabenschwarzen Haar, das nach hinten gekämmt und zu einem festen Zopf geflochten war, und einem langen Schwert, das er sich auf den Rücken geschnallt hatte, wirkte Styx vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Krieger, aber alles, was Darcy in ihm sehen konnte, war der zärtliche Liebhaber, der ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte.
»Styx!«, keuchte sie, und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals.
Ein leises, gefährliches Knurren erklang, als Styx leichtfüßig auf sie zukam, um sie an den verletzten Handgelenken zu berühren.
»Ich werde ihn töten!«, sagte er, und seine ausdrucks - lose Stimme war erschreckender, als es jedes Gebrüll je hätte sein können. »Und sein Tod wird so langsam und schmerzhaft sein, wie es nur möglich ist.«
»Nein!« Darcy drehte ihren Arm herum, um seine kühlen Finger mit ihren ergreifen zu können. »Mach mich einfach los, so dass wir hier verschwinden können.«
In seinen dunklen Augen loderte unterdrückte Angriffslust, aber seine Berührung war zart, als er nach den Eisenhandschellen griff und sie mühelos in zwei Teile zerbrach.
Darcy kletterte von dem schmalen Bett herunter und seufzte tief auf. »Gott sei Dank.«
Ihre Füße berührten kaum den Boden, als Styx sie auch schon in die Arme nahm. Seine Lippen streiften über ihre Stirn, und dann wich er ein Stück zurück, um ihren grünen und blauen Kiefer mit zusammengekniffenen Augen zu betrachten.
»Du bist verletzt.«
Darcy schmiegte sich an seinen starken Körper. Was machte es schon, wenn sie sich benahm wie im schlimmsten Klischee? Eine schwache Frau, die sich an ihren durchtrainierten Mann klammerte und darauf angewiesen war, dass er sie rettete. Sie war einfach viel zu glücklich, als dass ihr das wirklich etwas ausgemacht hätte.
»Ein Gruß von meiner geliebten Mutter«, murmelte sie an seiner Brust.
Seine Arme schlossen sich fester um sie, und seine Wange ruhte auf ihrem Scheitel. »Das tut mir leid, Darcy.«
»Spielt keine Rolle. Sie ist …« Darcy schüttelte den Kopf. »Na ja, sie ist völlig anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Um ganz ehrlich zu sein, wünschte ich, wir hätten uns nie kennengelernt. Ich wäre lieber ganz allein auf der Welt, als sie zur Mutter zu haben!«
»Du bist nicht allein, Darcy.« Sein ungestümer Ton ließ auf ihren Armen eine Gänsehaut entstehen. »Du hast einen Gefährten. Und eine Familie, die sehnsüchtig darauf wartet, dass ich dich ihrer Obhut überantworte.«
Darcy musste einfach lächeln, als sie an Shay und Abby und sogar an deren arrogante Gefährten dachte. Sie hatten weitaus mehr Sorge um ihr Wohlergehen gezeigt als irgendeiner von den Werwölfen. Einschließlich ihrer Mutter. Und das war doch sicherlich das, was eine Familie ausmachte.
Darcy lehnte sich gegen Styx, bis ein lautes Räuspern durch den Raum hallte.
»So sehr ich es auch hasse, diesen filmreifen Augenblick zu unterbrechen, ich denke dennoch, wir sollten uns auf die Socken machen!«, befahl eine zarte Stimme.
Freudig überrascht wandte Darcy den Kopf, um den kleinen Gargylen zu entdecken, der in der Türöffnung stand.
»Auf die Socken machen?«, fragte Styx verwirrt nach.
»Hopphopp!« Levet winkte mit den Händen. »Du weißt schon, lospesen.«
Darcy unterdrückte ihr Lächeln und riss sich von Styx los, um sich vor den Gargylen zu knien und ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. »Levet!«
Seine grauen Augen leuchteten entzückt auf. »Bonjour, ma petite. Ich bin hergekommen, um dich zu retten!«
»Das sehe ich.«
Er flatterte stolz mit den Flügeln. »Du bist natürlich nicht die Erste. Es scheint eine Gewohnheit von mir zu werden, junge Damen in Bedrängnis zu retten. Es ist wohl so etwas wie meine Bestimmung.«
Styx schnaubte, aber Darcy sah ihren Freund mit Ernst und Respekt an. Sie würde diesem Dämon nie vergessen, dass er sich der Gefahr in den Weg gestellt hatte, so dass sie vor den beiden Vampiren hatte fliehen können, die versucht hatten, sie zu kidnappen.
»Ein wahrer Ritter in schimmernder Rüstung!«, sagte sie mit unverkennbarer Aufrichtigkeit.
Levet schwoll ganz offensichtlich die Brust vor Stolz. »Précisement
Styx trat zu ihnen und murmelte etwas vor sich hin, bevor er Darcy wieder auf die Beine zog. »Ich dachte, es sei dein Wunsch, dass wir … uns auf die Socken machen?«, fragte er Levet.
»Spielverderber.« Levet streckte ihm die Zunge heraus. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und führte die beiden anderen durch den dunklen Gang.
Darcy folgte seiner winzigen Gestalt, und Styx bildete die Nachhut. Ein Blick über ihre Schulter zeigte ihr seinen kalten, entschlossenen Gesichtsausdruck auf seinem Weg durch die Dunkelheit. Er schien kampfbereiter als Rambo. Und Gott gnade allem, was ihm jetzt vielleicht zufällig über den Weg lief! Darcy betete stumm, dass sie es schaffen würden, sich unbemerkt aus dem Versteck zu schleichen.
Sie fürchtete nicht nur um Styx und Levet - auch der Gedanke an einen blutigen Kampf mit tödlichem Ausgang krampfte ihr vor Angst den Magen zusammen. Sie mochte ja wütend auf Salvatore und ihre Mutter sein, aber sie wollte nicht, dass sie verletzt wurden. Und ganz sicher nicht ihretwegen.
Vorsichtig darauf bedacht, nicht über die verzogenen Dielenbretter zu stolpern, hielt Darcy mit Levet Schritt, der sie in den hinteren Teil des Gebäudes führte. Das starke Gefühl von Verfall wurde noch intensiver, als sie eine schmale Treppe hinunterstiegen. Darcy stellte fest, dass sie mehr als einmal den Blick zur Decke hob, an der Wasserflecken und Spinnen zu entdecken waren, die so groß waren, dass sie fast erwartete, gleich würden Frodo und Sam auftauchen, um sie zu bekämpfen.
Die Gruppe hatte bereits drei Treppen hinter sich gebracht und schlich durch die verlassene Eingangshalle, als Styx in einem verblüffenden Tempo an ihnen vorbeiglitt.
»Halt!«
Er streckte die Arme aus und drehte sich um, um durch die Türöffnung auf der gegenüberliegenden Seite zu spähen. Wie aufs Stichwort war ein Rascheln zu hören, und die dunkle, schlanke Gestalt Salvatores erschien. Darcy rutschte das Herz in die Hose, als sie beobachtete, wie sich ein spöttisches Lächeln auf den Lippen des Werwolfes bildete. Salvatore hatte absichtlich auf sie gewartet, und er wollte ihnen Ärger bereiten!
»Ah, Styx!« Der Rassewolf vollführte eine tiefe Verbeugung. Selbst in dieser verwahrlosten Umgebung gelang es ihm, mehr nach einem gebildeten Geschäftsmann auszusehen als nach einem äußerst gefährlichen Dämon. Was nur bewies, dass man Dinge nicht nach ihrem äußeren Erscheinungsbild beurteilen sollte.
»Willkommen in meinem Versteck, Meister! Ich begann schon zu befürchten, dass Ihr nie eintreffen würdet.«
Styx stellte sich breitbeiniger hin und stemmte die Hände in die Hüften. Seine Miene veränderte sich nicht, aber die Kälte, die in der Luft lag und immer größer wurde, war unverkennbar.
»Tretet zur Seite, Salvatore!«, befahl er in einem Tonfall, der Darcy zum Zittern brachte. »So sehr ich mich auch danach sehne, Euch das Herz aus der Brust zu reißen, ich hege nicht den Wunsch, Darcy aufzuregen.«
»Darin stimmen wir überein.« Salvatore warf einen betont intimen Blick in Darcys Richtung, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Styx zuwandte. »Unglücklicherweise wart Ihr mir bereits zu lange ein Dorn im Auge. Heute Nacht habe ich die Absicht, mich ein für alle Mal von Euch zu befreien.«
»Kühne Worte, Wolf! Ich hoffe, Ihr habt mehr als nur Euch selbst mitgebracht, um diese Aufgabe zu erledigen«, fauchte Styx und trat vor Darcy. »Nicht einmal Ihr könnt töricht genug sein zu glauben, Ihr könnet mich ohne eine Menge Unterstützung töten!«
»Wir werden sehen«, schnurrte Salvatore.
»Wie Ihr wünscht!«
»Nein …« Darcy streckte die Hand aus, um Styx hinten am Hemd zu packen. Das war allerdings vergeudete Mühe. Sie bekam nichts außer Luft zu fassen, da Styx einen Satz in Richtung des wartenden Werwolfes machte.
Es trieb ihr die Luft aus den Lungen, als die beiden Dämonen mit enormer Wucht zusammenstießen. Für einen Augenblick verlor sie sich in entsetzter Faszination, während die beiden miteinander rangen. Ihr Muskelspiel schien sich mit unnatürlicher Kraft zu vollziehen.
Sie umklammerten sich gegenseitig, und jeder von ihnen versuchte die Oberhand zu gewinnen. Styx’ Vorteile waren seine Größe und seine Stärke, aber Salvatore gelang es, seine Geschwindigkeit dazu zu nutzen, seinem Gegner einige heftige Schläge zu verpassen, die einen Sterblichen sicher getötet hätten.
Trotz Salvatores blitzschneller Hiebe schien es, als würde es ein kurzer Kampf werden, aus dem Styx als eindeutiger Sieger hervorgehen würde. Da umgab plötzlich ein eigenartiger Schimmer den Werwolf, und Darcy fühlte, wie es in ihrem Blut zu kribbeln begann. Instinktiv machte sie einen Schritt nach hinten, als Salvatore ein haarsträubendes Heulen von sich gab und anfing, sich zu verwandeln. Heilige … Scheiße.
Es passierte nicht auf einmal, wie es bei Jade gewesen war. Stattdessen schien sein Körper in sich zusammenzufallen und wurde breiter, so dass er sein teures Hemd zerriss. Erst dann begann sich sein Gesicht zu verlängern und zu dehnen, während wie von Zauberhand dichtes Fell auf seiner Haut zu sprießen begann.
Und vielleicht ist es ja wirklich ein Zauber, dachte Darcy mit einem Schauder. Auch wenn es eine schmerzhafte Art von Zauberei sein musste, dem Knacken und Krachen seiner Knochen nach zu schließen.
Es lag vielleicht eine makabere Schönheit in der Verwandlung, aber Darcy konnte eine plötzliche, überwältigende Erleichterung darüber nicht leugnen, dass sie genetisch verändert worden war. Das riesige Tier, das jetzt mitten im Raum stand, mochte ja eine ungeheure Stärke und Kräfte besitzen, die weit über ihre eigenen hinausgingen, aber ihre Pubertät war auch so schon schwierig genug gewesen, ohne dass sie sich einmal im Monat in eine wilde Bestie verwandelte.
Darcy schluckte und kämpfte gegen ein merkwürdiges Gefühl der Faszination an. Salvatore stand jetzt auf den Hinterbeinen und stürzte sich mit den tödlichen Krallen seiner Vorderläufe auf Styx.
Sie musste dafür sorgen, dass das aufhörte! Sie musste sie davon abhalten, sich gegenseitig zu töten!
Sie trat vor, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wie sie diese übermenschliche Aufgabe lösen sollte, und wurde fast in die Knie gezwungen, als Levet unerwartet seine Arme um ihre Beine schlang und sich weigerte, sie wieder loszulassen. »Nein, Darcy!«, befahl er.
Sie sah ungeduldig zu ihm hinunter. »Lass mich los, Levet! Es wird noch jemand verletzt werden!«
»Oui, und wenn du dich da einzumischen versuchst, wird es dein geliebter Vampir sein!«, krächzte er. »Du wirst ihn nur ablenken.«
Sie biss die Zähne zusammen, als die Wahrheit seiner Worte durch den Schleier aus Angst sickerte. Verdammt, Levet hatte recht. Sobald sie sich selbst auch nur leicht in Gefahr brachte, würde Styx seine Aufmerksamkeit von seinem Angriff auf Salvatore abwenden und versuchen, sie zu schützen. Er konnte einfach nicht anders.
Sie presste ihre Hände gegen ihr heftig pochendes Herz, gezwungen, dem sich entwickelnden Kampf untätig zuzusehen.
Styx hatte es geschafft, sein großes Schwert aus der Scheide zu ziehen, während Salvatore ihn umkreiste. Sogar im Vergleich zu dem Rassewerwolf wirkte er wild und vollkommen unbesiegbar, aber Darcy entging seine Vorsicht nicht, als er darauf wartete, dass Salvatore den ersten Schritt machte. Gleichgültig, wie eindrucksvoll seine Fähigkeiten im Kampf auch waren, es war offensichtlich, dass er die Gefahr respektierte, die der Werwolf darstellte.
Lange Krallen kratzten über den Holzboden, als Salvatore einen Angriff antäuschte und dann einen Satz zur Seite machte. Das Schwert glitt durch die Luft, und der Werwolf schnappte mit seinen Zähnen direkt nach Styx’ Hals.
Styx wich dem Angriff mühelos aus, im Zuge dessen ihm ohne Zweifel die Kehle herausgerissen worden wäre, und sein Schwert änderte den Kurs und zielte nun direkt auf Salvatores Herz.
Mit einer geschmeidigen Bewegung wich der Werwolf der Bahn der Schwertklinge aus, und so schnell, dass es mit bloßem Auge kaum erkennbar war, sprang er über Styx hinüber und schlug seine Klauen in den Rücken des Vampirs.
Darcy stieß einen Angstschrei aus, doch da Levet sich an ihre Beine klammerte, war sie nicht in der Lage, zu dem Vampir zu rennen.
Styx taumelte, aber mit beunruhigender Anmut schoss er herum, und das Schwert glitt durch Salvatores Flanke, bevor der Werwolf nach hinten springen konnte. Die beiden umkreisten sich weiterhin gegenseitig. Trotz der Finsternis konnte Darcy den unverkennbaren Geruch von Blut riechen, und zwar sowohl Vampirblut als auch Werwolfsblut.
»Levet«, flüsterte sie, »tu doch was!«
Seine kurzen Finger gruben sich in ihren Schenkel. »Ich kann nichts tun, chérie. Es wird bald vorbei sein.«
»Wenn Styx tot ist?«, fauchte sie.
»Er wird nicht scheitern, Darcy«, versprach ihr der Gargyle. »Du musst Vertrauen haben!«
Vertrauen? Sie presste die Hände gegen ihre Lippen, als Salvatore einen neuen Angriff startete. Die Wucht seines Aufpralls schickte beide Kämpfer zu Boden. Die Holzbretter ächzten protestierend, als die beiden ineinander verschlungen über den Boden rollten, und ihre Fangzähne verbissen sich tief in den jeweils anderen, während beide versuchten, den tödlichen Schlag zu landen. Oder in diesem Fall den tödlichen Biss.
Darcy zog sich der Magen zusammen, als der Blutgeruch so stark wurde, dass sie fast daran erstickte. Beide brachten sich gegenseitig Verletzungen bei, von denen einige so scheußlich waren, dass sie ihre ureigene Existenz gefährdeten.
Ein Heulen durchschnitt die Luft, als Salvatore sich kraftvoll abstieß und es schaffte, sich auf Styx zu rollen, um ihn auf dem Boden festzuhalten. In der Dunkelheit konnte Darcy die Muskeln ausmachen, die sich unter dem dichten Fell wölbten, das Salvatores Körper bedeckte, sowie das weiße Aufblitzen seiner langen Zähne.
Und was noch schlimmer war: Sie hätte schwören können, dass in den schwarzen Augen ein sehr menschlicher Hass brannte. Er wollte, dass Styx starb. Und das ging weit über das Bedürfnis hinaus, Darcy für sich zu haben.
Sich der Tatsache nicht bewusst, dass ihr Tränen über die Wangen liefen, biss sich Darcy auf die Lippe und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Styx.
Auf seiner bronzefarbenen Haut waren Blutspuren, und die Anspannung auf seinem Gesicht ließ deutlich erkennen, dass seine Wunden schmerzten. Aber seine Miene zeigte eher grimmige Entschlossenheit als Angst.
Stumm wünschte sie sich, ihre Kraft auf ihn übertragen zu können. Das war zwar ohne Zweifel sinnlos, aber momentan konnte sie kaum etwas anderes tun.
Salvatore spürte, dass er im Vorteil war. Er öffnete sein Maul weit und bereitete sich darauf vor, sich auf Styx’ verletzliche Kehle zu stürzen. Darcy keuchte auf, entsetzt über die Länge der Werwolfzähne. Sie konnten ganz sicher mehr Schaden verursachen, als Styx je wieder würde heilen lassen können!
Ihr Aufschrei blieb ihr im Hals stecken, als Salvatore seinen Kopf blitzartig senkte. Genau in diesem Moment riss Styx sich los und stieß sein Schwert in den Rücken des Werwolfes. Angst verwandelte sich in Entsetzen, als Darcy beobachtete, wie die Silberklinge durch Salvatores Körper glitt und aus seiner Brust ragte.
Ein Heulen hallte durch den Raum. Salvatore tau melte rückwärts von Styx weg, drehte sich zur Seite und krümmte sich zusammen. Das Blut sprudelte nur so aus seiner Wunde, während gleichzeitig ein Schimmer seinen Körper umgab.
Darcy wusste, was passieren würde, noch bevor sein Körper anfing, sich in seine menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Es prickelte in ihrem Blut, als ob es nach ihr riefe.
Es war eine langsame und schmerzhafte Verwandlung, und Darcys weiches Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als Styx aufstand und mit einer lässigen Bewegung das Schwert aus Salvatores Körper zog.
Ganz egal, was Salvatore ihr angetan hatte, und obwohl er erst vor kurzer Zeit versucht hatte, Styx zu töten - sie konnte sich nicht dazu überwinden, etwas anderes als Mitleid zu empfinden, als er vor Qual erbebte.
Sie umfasste Levets Schultern mit den Händen, während Styx sich über seinen besiegten Gegner stellte. Dabei hielt er sein Schwert förmlich vor seinen Körper, und seine Miene drückte nichts als kalte Distanziertheit aus. Man konnte unmöglich erkennen, was ihm durch den Kopf ging, als er zu dem mittlerweile nackten Mann hinunterblickte, der zu seinen Füßen lag.
Als sei er sich der über ihm aufragenden Gestalt bewusst, gab Salvatore ein ersticktes Husten von sich und öffnete mühevoll die Augen. »Bereitet der Sache ein Ende, Vampir!«, stieß er hervor.
Styx verbeugt sich leicht und begann sein Schwert zu heben.
»Styx … nein!«, schrie Darcy. Sie war erleichtert, als Levet widerstrebend seinen schraubstockartigen Griff löste, so dass sie vorwärts stürzen konnte. Mit zitternden Schritten erreichte sie Styx und packte ihn am Arm. »Bitte töte ihn nicht!«
Einen kurzen Moment lang dachte Darcy, dass Styx ihre Bitte ignorieren würde. Als sie jetzt so nahe neben ihm stand, kam sie nicht umhin, den aufgestauten Zorn zu spüren, der von seinem steifen Körper ausging.
Nach einem spannungsgeladenen Augenblick drehte sich der dunkle Kopf langsam und durchbohrte sie mit einem glühenden Blick. »Er wird eine Bedrohung für dich darstellen, solange er lebt«, knurrte er.
Eine kluge Frau wäre augenblicklich vor Styx’ voll ausgefahrenen Fangzähnen und seinem blutüberströmten Gesicht weggelaufen. In seinen Gesichtszügen war eine Brutalität zu erkennen, die sogar dem unerschrockensten Herzen Angst einjagen würde.
Darcy zuckte allerdings nicht mal mit der Wimper, als sie die Finger in seine harten Arme grub. Sie würde sich nie vor diesem Mann fürchten.
»Er kann mich nicht verletzen, solange ich dich habe, der mich beschützt«, betonte sie sanft. »Bitte!«
Er sah ihr mit einem wütenden Ausdruck in ihr flehendes Gesicht und fauchte dann verärgert.
»Verdammte Hölle!« Er ließ sein Schwert sinken und hob den Blick zu dem verwundeten Salvatore. »Behaltet im Gedächtnis, Wolf, wenn Euer Weg den Darcys auch nur kreuzt, werde ich nicht zögern. Ihr werdet tot sein, bevor Ihr nur Atem holen könnt!«
Mit einem leisen Knurren gelang es dem Werwolf, sich mühevoll halb aufzusetzen. Da er vollkommen nackt war, war leicht zu erkennen, dass seine Wunden bereits anfingen sich zu schließen, auch wenn er weit davon entfernt war, geheilt zu sein.
Sein Kopf hing herunter, und sein schwarzes Haar fiel ihm in das schmale Gesicht. »Spart Euch Eure Drohungen. Ich bin gescheitert. Sehr bald werden die Werwölfe aussterben, und die Vampire können sich an unserem Untergang erfreuen.«
Styx kniff die Augen zusammen, und sein Kiefer spannte sich bei dem bitteren Vorwurf an. »Ich hege nicht den Wunsch, das Ende der Werwölfe zu erleben.«
Salvatore gab ein kurzes Lachen von sich, das in einem qualvollen Husten endete. »Vergebt mir, wenn ich das nur schwerlich glauben kann. Ihr habt uns eingesperrt, bis wir einen Punkt erreichten, an dem wir nicht mehr in der Lage waren, Nachfahren hervorzubringen.«
»Ihr gebt uns die Schuld für euren Mangel an Nachkommen?«, fragte Styx ungläubig.
»Die Ärzte haben meine Theorie bestätigt.« Salvatore hob langsam den Kopf. Sein Gesicht war bleich, aber in seinen goldenen Augen blitzte Wut auf. »Die Wölfe waren dazu bestimmt, sich frei zu bewegen. Indem ihr uns gefangen hieltet, habt ihr uns allmählich unsere ureigensten Kräfte geraubt. Die wichtigste davon ist die Fähigkeit der Werwölfinnen, ihre Verwandlung während der Schwangerschaft zu kontrollieren.«
Styx hielt inne und dachte über die unheilvollen Worte nach. Dann verhärtete sich sein Gesicht, als er erkannte, was Salvatores Worte aussagten. »Und aus diesem Grunde begehrtet Ihr Darcy?«
Salvatore zuckte die Schultern. Offenbar spielte es für ihn keine Rolle mehr, wer von seinen Plänen erfuhr. »Ja. Sie wurde verändert, so dass ihre Werwolfeigenschaften unterdrückt wurden.«
Levet gab ein angewidertes Geräusch von sich. »Deshalb konnte ich nicht erkennen, worum es sich bei ihr handelte.«
Styx wandte den Blick nicht von dem auf dem Boden kauernden Werwolf ab. Darcy fasste instinktiv seinen Arm fester, da sie sein Bedürfnis spürte, das zu vollenden, was er angefangen hatte.
»Sie wird niemals Euch gehören!«, stieß er heiser hervor.
»Styx!«, flehte sie ihn an.
Er legte ruckartig den Kopf auf die Seite. Seine Augen waren hart und glitzerten im schwachen Licht. »Nein, Darcy. Bitte verlange das nicht von mir!«
Darcy wurde klar, dass er dachte, sie bäte um die Erlaubnis, einen Wurf Kinder für die Werwölfe auszutragen. Unvermittelt lief ihr ein Schauder über den Rücken.
Sie war noch nie eine Frau gewesen, die von dem Bedürfnis überwältigt gewesen wäre, Babys auf die Welt zu bringen. Und ganz sicher würde sie nicht mit einer Reihe von Fremden schlafen, nur um Kinder zu bekommen.
»Niemals«, versicherte sie ihm aufrichtig. »Ich wollte bloß vorschlagen, dass die Vampire und die Werwölfe versuchen, irgendeinen Kompromiss zu finden! Es muss doch eine Möglichkeit geben, dass die Werwölfe ihre Stärke zurückgewinnen.«
Beide Männer sahen sie leicht überrascht an. Als ob die Vorstellung, sich tatsächlich gemeinsam hinzusetzen und über ihre Konflikte zu diskutieren, eine total absurde Idee sei.
»Wir könnten die Angelegenheit vor der Kommission vortragen«, räumte Styx schließlich widerstrebend ein. »Ihre Mitglieder haben sich bereits hier in Chicago versammelt.«
Darcy wandte dem verwundeten Werwolf ihre Aufmerksamkeit zu. »Salvatore, sind Sie bereit zu verhandeln?«
Er knurrte leise und funkelte wütend den Vampir an, der drohend über ihm aufragte. »Wozu sollte das gut sein? Wir sind nur Hunde, die in der Welt der Dämonen kein Mitspracherecht haben.«
»Das ist nicht wahr«, erwiderte Styx kalt. »Die Kommission steht über allen Völkern. Sie wird Euch anhören.«
»Wollt Ihr, dass ich auf den Knien liege und bettele?«
»Gott bewahre mich vor Männern und ihrem Stolz«, murmelte Darcy. »Was wäre denn dabei, wenn etwas Betteln nötig wäre? Das ist doch sicher ein kleiner Preis, wenn es um die Rettung Ihres - unseres - Volkes geht?«
In den dunklen Augen blitzte Verärgerung auf. »Wir wissen nicht mit Gewissheit, ob es unser Los verändern wird.«
Darcy biss die Zähne zusammen. Salvatore klang eher nach einem schmollenden Kind als nach dem grimmigen Anführer der Werwölfe. Offenbar musste man ihm auf die Sprünge helfen, wenn es darum ging, dass er sich seine Position in Erinnerung rufen sollte.
»Meinetwegen, dann gehe ich eben und spreche mit dieser Kommission!«, erklärte Darcy. »Irgendjemand muss hier ja mal etwas gesunden Menschenverstand zeigen.«
Wie erwartet, strotzte Salvatore sofort vor verletztem Stolz. »Niemand spricht im Namen der Werwölfe außer mir! Ich bin der König!«
Darcy sah ihm direkt in die Augen. »Dann benehmen Sie sich auch so!«
Er versteifte sich, aber überraschenderweise senkte er leicht den Kopf. »Du hast recht. Ich werde meine Pflicht erfüllen.«
»Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung für Sie«, murmelte Darcy.
Salvatores Augen verengten sich, und ein grüblerischer Ausdruck spielte über sein Gesicht. Immerhin war er klug genug, um zu wissen, dass er manipuliert worden war. Langsam richtete er den Blick auf Styx. »Ihr habt gesiegt, Vampir, aber ich beneide Euch nicht um Euren Preis.«
Ein Lächeln huschte über Styx’ Lippen. »Man findet mit der Zeit Gefallen an ihr.«
Salvatore schnaubte ungläubig. »Wenn Ihr meint.«
Darcy schüttelte den Kopf. Noch vor wenigen Minuten waren die beiden Dämonen entschlossen gewesen, sich gegenseitig zu töten. Und fünf Minuten später teilten sie bereits wieder einen dieser vertraulichen Männermomente, die immer auf Kosten der Frauen gingen!
»Das reicht! Ich bin müde und hungrig und brauche ganz dringend eine heiße Dusche. Ich will nach Hause!«
Styx schwieg seltsamerweise, bevor er langsam den Kopf drehte, um sie mit undurchdringlicher Miene anzusehen.
»Nach Hause?«, fragte er leise.
Als ihr ganz plötzlich klar wurde, dass sie tatsächlich das verbotene Wort benutzt hatte, holte Darcy tief Luft. Großer Gott, wie war das denn passiert? Wann hatte sie akzeptiert, dass Styx’ Nähe alles war, was sie brauchte, um sich zu Hause zu fühlen?
Sie atmete langsam wieder aus und kam zu dem Entschluss, dass das eigentlich keine Rolle spielte. Das Wann, das Warum und das Wie lagen in der Vergangenheit. Die Zukunft war alles, was zählte. Ihre Zukunft mit Styx.
»Ja.« Sie ließ es zu, dass ihre Augen strahlten. »Nach Hause.«
Styx griff nach ihr und zog sie eng an seinen Körper, und sein Mund streifte ihren Scheitel. »Mein Engel.«
Als Darcy sich gerade enger an Styx schmiegen wollte, wurde sie von Levets brüskem Aufseufzen aufgehalten.
»Sacrebleu. Jetzt fängt das wieder an!«
Mit einem Kichern zog sich Darcy zurück, aber Styx weigerte sich, ihre Hand loszulassen.
»Okay, Levet. Du hast ja recht. Wir gehen ja schon.«
Styx übernahm die Führung, als sie Salvatore verließen, dessen Verletzungen rasch heilten, und die letzte Treppe hinunterstiegen. Er wollte aus dem scheußlichen Versteck verschwinden. Und nicht nur, weil in den dunklen Korridoren noch immer Gefahren lauerten.
Er konnte nicht widerstehen, sondern musste einfach die Frau ansehen, die neben ihm ging. Wie immer regten sich in seinem Körper die übliche Hitze und eine intensive Zärtlichkeit, kombiniert mit reinem männlichem Besitzerstolz. Das war so unvermeidbar wie die aufgehende Sonne. Aber ergänzt wurden diese Gefühle durch ein unverkennbares Gefühl des Triumphes. Darcy hatte ihn ihrem Rudel vorgezogen!
Zugegeben, ihr Rudel hatte sich kaum als die liebende Familie erwiesen, die sie sich schon immer gewünscht hatte, dachte er. Es war nicht gerade eine Bilderbuchfamilie gewesen. Aber andererseits war sie auch keine Frau, die sich unbedingt an jemanden binden musste, nicht wahr? Selbst wenn ihre Familie eine Enttäuschung war, war sie noch lange nicht gezwungen, sich ihm zuzuwenden.
Die Götter wussten, dass sie über genügend Unabhängigkeit und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten verfügte, um auf sich selbst achtzugeben. Sie bliebe niemals bei ihm, wenn dies nicht das wäre, was sie sich wünschte.
Styx bemühte sich, das alberne Grinsen zu unterdrücken, das sich auf seinem Gesicht auszubreiten drohte, und wurde in die Gegenwart zurückgeholt, als Levet nach ihm griff und rüde an seinem Hemd zerrte.
»Wohin gehen wir?«
»Zurück in die Tiefgarage.«
Levet sah ihn bei dieser Antwort finster an. »Du hast doch wohl nicht die Absicht, Darcy durch diese Abwasserkanäle zu zerren?«
»Oh, für mich waren sie gut genug, aber nicht für Darcy?«, fragte Styx.
»Allerdings.«
Styx musste lachen. Der Gargyle hatte zumindest eine Meinung. »Keine Angst. Ich habe vollstes Vertrauen, dass es Viper inzwischen gelungen ist, ein Transportmittel zu beschaffen, das uns erwartet.«
Der finstere Blick verschwand wie durch ein Wunder. »Hervorragend. Ich wollte schon immer diesen Jaguar fahren!«
Dieser kleine Dämon am Steuer dieses Luxusautos? Verdammt, davon würde sich Chicago niemals wieder erholen.
»Nicht eher als die Hölle einfriert, Gargyle«, murmelte er, und seine Lippen zuckten, als er hörte, wie Darcys Kichern sich ganz plötzlich in ein Husten verwandelte.
Levet kniff die Augen zusammen. »Wer hat denn bestimmt, dass du das Sagen hast,Vampir?«, wollte er wissen. »Ich muss dir mitteilen, dass Viper mir recht oft erlaubt, zu …«
»Still«, flüsterte Styx und zog Darcy am Arm, um sie abrupt dazu zu bringen anzuhalten.
Darcy warf ihm einen beunruhigten Blick zu. »Was ist los?«
»Eine Werwölfin.« Er witterte. »Ah! Deine Mutter, wenn ich nicht irre.« Ein kaltes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. »Ich habe mir gewünscht, sie kennenzulernen.«
Sie las mühelos seine Gedanken und schüttelte den Kopf. »Nein, Styx.«
Enttäuschung überkam ihn. Er hob eine Hand, um sanft ihren verletzten Kiefer zu berühren. »Du kannst mir zumindest gestatten, sie bluten zu lassen.«
»Bitte, Styx, ich will einfach hier raus!« Sie umklammerte seinen Arm und schwankte vor Müdigkeit.
Rasch legte Styx den Arm um ihre Taille.Verdammt. Er wünschte sich, diese Frau zu bestrafen. Er wünschte sich, ihr die Prellungen, die sie seiner Gefährtin zugefügt hatte, doppelt heimzuzahlen. Doppelt und dreifach!
Aber Darcy hatte recht. Sie hatte genug ertragen müssen. Das einzig Wichtige war, dass er sie in sein Versteck zurückbrachte, um sich richtig um sie kümmern zu können.
Nicht, dass er die Absicht hätte, die Schuld ihrer Mutter zu vergessen. Eines Tages …
»Wenn sie versuchen sollte, dir noch einmal zu schaden, werde ich sie töten«, murmelte er, während er Darcy noch näher an sich zog, bevor er seinen Weg in die dunkle Garage fortsetzte.
»Aber erst, wenn ich mit ihr fertig bin!«, mischte Levet sich ein und wechselte absichtlich auf Darcys andere Seite.
Sie lachte leise und angespannt auf. »Männer!«
Als er hinter den dicken Säulen hervortrat, entdeckte Styx den glänzenden schwarzen Jaguar, der in einer entfernten Ecke verborgen gewesen war. Außerdem entdeckte er die schlanke, blonde Frau, die sich lässig dagegen lehnte. Darcys Mutter.
Sie ähnelten sich zu sehr, um ihre Verwandtschaft leugnen zu können. Zumindest aus einiger Entfernung. Ein genauerer Blick enthüllte, dass die feinen Gesichtszüge der Frau durch einen bitteren Zynismus verhärtet waren, den ihre Tochter wohl niemals besitzen würde.
Die Frau richtete sich auf, als sie sich näherten, und Styx kämpfte gegen seinen Zorn an, als er spürte, wie Darcy erzitterte. Er wünschte die Frau zum Teufel.
Seltsamerweise war Darcy durchaus nicht überrascht, ihre Mutter zu sehen. Sie stellte sich direkt vor die lächelnde Frau. Natürlich hatte sie nicht den Wunsch, ihrer Mutter nahe zu sein. Aber sie war sich nur zu sehr der Tatsache bewusst, dass Styx ungeduldig darauf wartete, diese Frau dafür zu bestrafen, dass sie sie gekidnappt hatte. Sie wollte in dieser Nacht nicht noch mehr Blut sehen.
»Was willst du, Mutter?«
Sophia nahm sich einen Moment Zeit, um ihren Blick langsam und aufreizend über Styx gleiten zu lassen. Ganz eindeutig gefiel ihr, was sie sah, denn in ihren Augen loderte eine Glut auf.
Styx gehörte nur ihr, und es gefiel Darcy nicht, dass ihre eigene Mutter ihn beäugte, als sei er eine leckere Praline, die sie sich einverleiben wollte.
Sophia ignorierte Darcys finsteres Gesicht und starrte den stumm dastehenden Vampir weiterhin an. »Ich habe mir nur gewünscht, einmal einen Blick auf den Vampir zu werfen, der dich dazu verführt hat, uns zu verlassen. Ich muss sagen, du hast einen guten Geschmack. Er ist hinreißend. Kein Wunder, dass du Salvatore als so mangelhaft empfandest.«
Darcy schnaubte. »Ich würde auch dann nicht bleiben, wenn es Styx nicht geben würde. Ich habe kein Verlangen danach … was zu werden? Eine Zuchtwölfin?«
Mit deutlicher Anstrengung wandte ihre Mutter ihre Aufmerksamkeit von Styx ab, um ihrer Tochter ein spöttisches Lächeln zuzuwerfen. »Es wäre nicht nur schlecht, meine Liebe! Es gäbe eine Menge Annehmlichkeiten zu entdecken.« Sie lachte leise mit heiserer Stimme auf. »Manchmal auch mehrere Annehmlichkeiten hintereinander.«
Darcy entging die alles andere als subtile Anspielung nicht. Sie verzog das Gesicht allein beim Gedanken daran. »Für dich vielleicht.«
Sophia ging darauf nicht weiter ein. »Also kehrst du deiner Verpflichtung gegenüber deiner Familie den Rücken?«
Darcys Augen weiteten sich bei der unfairen Anklage. »Familie? Aber nur durch Blutsverwandtschaft! Nein, Moment, ihr habt mein Blut ja verändert. Ich gehöre zu niemandem.«
»Du glaubst, dein Leben mit einem Vampir sei so viel leichter? Darüber solltest du nachdenken, Darcy. Es wird keine Kinder geben, keine eigene Familie. Niemals.«
Darcy musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Styx vor Unbehagen angespannt dastand. Trotz all seines Selbstbewusstseins war er bemerkenswert empfindlich, was die Angst betraf, dass sie von ihm fortgelockt werden könnte.
»Du könntest dich nicht mehr irren«, erwiderte Darcy mit voller Überzeugung. »Ich habe meine Familie schon gefunden.«
»Ich verstehe.« Die grünen Augen verengten sich.
»Ich bin sicher, dass du sehr gut ohne mich auskommst.«
»Und deine Schwestern? Hast du die Absicht, sie einfach zu verstoßen?« Sophia servierte ihre letzte Gemeinheit mit einem süßen Lächeln.
Darcys schrie innerlich auf. Diese verdammte Frau! Sie wusste ganz eindeutig, wie sie zum entscheidenden Schlag ausholen musste.
»Wie kann ich Schwestern verstoßen, die ich noch nie kennengelernt habe?«
»Oh, wir werden sie finden. Da kannst du dir sicher sein.«
»Ich hoffe, ihr findet sie nicht!«
Sophias Miene versteinerte. »Das ist eine vergebliche Hoffnung. Darüber hinaus bedeutet die Tatsache, dass du nicht von Salvatore angetan bist, nicht, dass nicht eine der anderen das Bett mit ihm teilen will. Er sieht gut aus und ist auch charmant, wenn er sich die Mühe macht.«
Darcy konnte nicht leugnen, dass ihre Mutter die Wahrheit sagte. Obwohl Salvatore sich unmöglich mit Styx messen konnte, war er ein schöner Mann. Sie zweifelte keinen Moment daran, dass es sicherlich eine ganze Menge von Frauen gab, die begeistert von der Gelegenheit wären, ihm den einen oder anderen Wurf zu schenken.
»Vielleicht«, räumte sie ein. »Aber so sehr ich mich auch danach sehne, meine Schwestern kennenzulernen - das wäre es doch nicht wert, mich deiner Erpressung zu beugen.«
Sophia schien überrascht von Darcys Antwort. »Touché, meine Liebe.« Sie setzte ein bitteres Lächeln auf. »Ich vermute, es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns voneinander zu verabschieden.«
»Ich hoffe, du wartest nicht auf einen Kuss.«
Zu Darcys Verwunderung hatte ihre Mutter keine beißende Bemerkung darauf parat.
Stattdessen wurde ihre Miene ernst, als sie in Darcys blassem Gesicht forschte. »Nein, aber es wäre schön, sich unter Bedingungen voneinander zu verabschieden, die nicht so schmerzlich sind. Du betrachtest mich womöglich als Rabenmutter, doch was ich tat, tat ich zum Schutz meines Rudels. Kannst du mir das wahrhaftig vorwerfen?«
Der Schock ließ Darcy vollkommen starr werden, und sie versuchte, die Andeutung in den Worten ihrer Mutter zu begreifen.
»Du willst, dass ich dir verzeihe?«
»Ich nehme an, das ist der Fall. Schließlich bist du meine Tochter.«
»Darcy!«, knurrte Styx von hinten, der eindeutig irgendeinen Trick erwartete.
»Alles okay, Styx«, besänftigte Darcy ihn. Natürlich war sie keine Idiotin. Es gab keinen einzigen Grund, warum sie dieser Frau trauen sollte. Aber Darcy kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie es bedauern würde, Wut und Enttäuschung ihr gegenüber gehegt zu haben. Solche negativen Gefühle lasteten zwangsläufig auf ihrer Seele.
»Eigentlich würde es mir am besten gefallen, wenn wir Frieden schließen würden. Es scheint nicht richtig zu sein, die eigene Mutter … nicht zu mögen. Und um ehrlich zu sein, ich würde gern meine Schwestern kennenlernen, wenn ihr sie findet.«
Ein Lächeln, das fast echt wirkte, zeigte sich auf den Lippen ihrer Mutter. »Dann möchte ich mit dir eine Übereinkunft treffen. Ich werde sie dir vorstellen, wenn du mir versprichst, dass du nicht versuchen wirst, sie gegen ihr eigenes Rudel einzunehmen.«
»Das würde ich nie tun«, protestierte Darcy. »Außerdem, wenn sie mir irgendwie ähnlich sind, haben sie ihren eigenen Kopf. Sie können selbst entscheiden, wie ihre Zukunft aussehen soll.«
»Dann haben wir ein Abkommen.«
Darcy nickte langsam. »Ja.«
»Siehst du, ich bin nicht vollkommen böse.«
»Ich bin froh, dass ich das weiß.«
Mutter und Tochter sahen sich eine ganze Weile an, und eine fragile Harmonie trat an die Stelle der Bitterkeit in Darcys Herz.
Schließlich begann Sophia auf den Garageneingang zuzusteuern. »Geh nun, Liebling!«, rief sie ihr noch über die Schulter zu. »Diese emotionalen Trennungen sind nicht meine Sache.«
Mit einem kleinen Lächeln blickte Darcy ihrer Mutter hinterher. Sie war nicht so naiv, dass sie glaubte, sie würden je die Art von Beziehung haben, von der sie immer geträumt hatte, aber vielleicht konnten sie wenigstens ein gewisses Maß an Frieden finden.
Styx, der sich nun lange genug beherrscht hatte, trat an ihre Seite, und bevor sie wusste, was passierte, hatte er sie auf seine Arme genommen und drückte sie fest an sich.
»Komm, Darcy«, sagte er sanft. »Es ist an der Zeit für dich, in dein Bett zu gehen.«
Darcy streckte die Hand aus und legte ihm die Finger auf die Lippen. »Unser Bett.«