KAPITEL 1
Was Nachtclubs betraf, war das Viper Pit der weitaus teuerste, eleganteste und exklusivste in ganz Chicago.
Seltsamerweise war er auch der unbekannteste.
Im Telefonbuch war er nicht aufgeführt und es gab weder knallige Anzeigen auf Plakatwänden noch blinkende Neonlichter, die verraten hätten, wo er zu finden war. Tatsächlich lag das ganze Gebäude unter einem raffinierten Zauber verborgen.
Aber alle, die etwas auf sich hielten, wussten, wie der Club zu finden war. Und unter diesen gab es nicht einen einzigen Menschen.
Zwischen den Marmorsäulen und den glitzernden Brunnen bewegten sich diverse Dämonen, die sich alle verschiedenen schändlichen Aktivitäten hingaben, den Glücksspielen, dem Trinken, exotischen Tänzen und diskreten (sowie weniger diskreten) Orgien. All das kostete ein kleines Vermögen.
Ohne Zweifel waren es köstliche Zeitvertreibe, aber in dieser kalten Dezembernacht war der als Styx bekannte Vampir nicht an den Aktivitäten interessiert, die unterhalb seiner privaten Loge zur Verfügung standen. Oder an den diversen Dämonen, die innehielten, um sich tief in seine Richtung zu verbeugen.
Heute betrachtete er seine Kameraden mit deutlicher Resignation. Auf den ersten Blick hätten die beiden nicht unterschiedlicher sein können. Nun ja, das war nicht ganz korrekt, schließlich waren sie beide groß und mit den muskulösen Körpern aller Vampire gesegnet. Und beide besaßen dunkle Augen und natürlich Fangzähne. Aber damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf.
Der jüngere Vampir, Viper, stammte aus einem der nordslawischen Länder und verfügte über das hellsilberne Haar sowie die noch hellere Haut seiner Vorfahren.
Styx indes kam aus dem heißen Südamerika und hatte sich auch nach seiner Verwandlung die bronzefarbene Haut und die stolzen kantigen Gesichtszüge der Azteken bewahrt.
Heute Nacht hatte er seine traditionelle Robe verworfen und sich für eine schwarze Lederhose, hohe Stiefel und ein schwarzes Seidenhemd entschieden. Er war davon ausgegangen, dass er mit dieser Kleidung auf seinem Weg durch die Straßen von Chicago weniger auffallen würde. Unglücklicherweise gab es für einen fast zwei Meter großen Vampir mit rabenschwarzem Haar, das ihm in einem geflochtenen Zopf bis zu den Knien herunterhing, kaum eine Möglichkeit, nicht aufzufallen. Gerade sterbliche Frauen konnten sich der nahezu magischen Anziehungskraft der Vampire einfach nicht entziehen. Auf seinem Weg durch die dunklen Straßen hatte sich fast ein halbes Dutzend bewundernder Frauen an seine Fersen geheftet. Schließlich war er auf die Dächer geflüchtet, um ihrem hartnäckigen Interesse zu entgehen.
Bei den Göttern, er wünschte, er hätte in seinen Höhlen bleiben können, vor den Blicken der Menschheit verborgen.
Jahrhundertelang hatte er das Leben eines Mönches gelebt, während er den Anasso beschützt hatte, den Anführer aller Vampire. Er war Vollstrecker und Wächter gewesen und war dem uralten Vampir kaum jemals von der Seite gewichen.
Da der Anasso jetzt tot war, war er gezwungen gewesen, die Rolle des Anführers zu übernehmen, und er entdeckte allmählich, dass er sich nicht länger verstecken konnte.
»Ich bin stets entzückt, dich zu Gast zu haben, Styx, aber ich muss dich warnen. Mein Clan ist schon nervös genug, da du in unserer Mitte weilst«, sagte Viper gedehnt. »Wenn du nicht aufhörst, mich so finster anzublicken, werden sie zwangsläufig befürchten, dass sie bald ohne mich als ihren Clanchef dastehen werden.«
Styx wurde klar, dass er seine Aufmerksamkeit hatte abschweifen lassen, und setzte sich abrupt in dem exklusiven Ledersessel auf. Instinktiv hob er die Hand, um den Anhänger zu berühren, den er um den Hals trug. Es war ein Symbol seines Volkes. Ein Amulett, dazu erschaffen, Geister von einer Generation an die nächste weiterzugeben. Natürlich besaß Styx als Vampir keine fassbaren Erinnerungen an das Leben, das er geführt hatte, bevor er als Dämon auferstanden war. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, wenigstens an einigen seiner heiligen Traditionen festzuhalten.
»Ich blicke dich nicht finster an.«
Viper lächelte ironisch. »Styx, du vergisst, dass ich eine Gefährtin habe, was bedeutet, dass ich finstere Blicke bestens kenne. Und du, mein Freund, schaust ohne jeden Zweifel finster.« Sein Lächeln verblasste, als der andere Vampir ihn mit einem scharfen Blick bedachte. »Weshalb erzählst du mir nicht, was dich beunruhigt?«
Styx hielt inne, bevor er schwer aufseufzte. Er musste es tun. Selbst wenn er sich lieber auspeitschen, häuten und die Fangzähne ziehen lassen würde, als zuzugeben, dass er Hilfe brauchte. Als Clanchef dieser Gegend kannte sich Viper besser in Chicago aus als jeder andere Dämon. Es wäre mehr als töricht, seine Hilfe abzulehnen.
»Es geht um die Werwölfe«, antwortete er abrupt.
»Werwölfe?« Viper fauchte leise. Wie rivalisierende Fußballvereine konnten sich auch Vampire und Werwölfe gegenseitig nicht ausstehen. »Welche Art von Scherereien machen sie dir?«
»Es geht inzwischen über reine Scherereien hinaus. Sie haben ihre anerkannten Jagdgründe verlassen, und ich habe zumindest einen Teil des Rudels nach Chicago verfolgt.« Styx ballte die Hände im Schoß zu Fäusten. »Sie haben bereits mehrere Menschen getötet und die Leichen liegengelassen, damit die Behörden sie finden.«
Viper zuckte nicht mal mit der Wimper. Es war mehr als ein Rudel Werwölfe nötig, um den mächtigen Vampir aus dem Konzept zu bringen. »Ja, es gibt Gerüchte von wilden Hunden, die angeblich in den Gassen von Chicago umherstreunen. Ich hatte mich bereits gefragt, ob es sich dabei um Werwölfe handelt.«
»Sie haben einen neuen Anführer, einen jungen Werwolf namens Salvatore Giuliani, aus Rom. Er ist reinrassig und ehrgeiziger, als ihm guttut.«
»Hast du schon versucht, vernünftig mit ihm zu reden?«
Styx kniff die Augen zusammen. Ob er es mochte oder nicht, er war nun mal der Anführer der Vampire. Und das bedeutete, dass sich die Welt der Dämonen seinen Befehlen zu beugen hatte. Einschließlich der Werwölfe.
Bisher war der neueste Rudelführer seiner Verpflichtung gegenüber Styx allerdings nicht nachgekommen und hatte ihn nur mit Verachtung gestraft. Das war ein Fehler, den er sehr bald bedauern würde.
»Er weigert sich, sich mit mir zu treffen.« Styx’ Tonfall war so kalt wie seine Miene. »Er sagt, die Werwölfe würden anderen Dämonen nicht länger dienen und alle Abkommen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, seien fortan null und nichtig.«
Viper zog die Augenbrauen hoch. Ohne Zweifel fragte er sich, aus welchem Grund Styx die Bestie noch nicht getötet hatte.
»Er ist entweder sehr mutig oder sehr dumm.«
»Sehr dumm. Ich habe ein Treffen der Kommission anberaumt, aber es kann Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis sie sich an einem Ort versammelt haben.«
Styx sprach von dem Rat, der Streitigkeiten zwischen den diversen Dämonenrassen beilegte. Er bestand aus uralten Autoritäten, die ihre verborgenen Verstecke nur selten verließen. Unglücklicherweise handelte es sich dabei um das einzige legale Mittel, ein Urteil über den König oder Anführer einer anderen Rasse zu verhängen, ohne dass dafür Vergeltung geübt wurde.
»Bis dahin stellen die rücksichtslosen Taten der Werwölfe eine Bedrohung für uns alle dar.«
»Mein Clan steht bereit, um seine Hilfe anzubieten.« Ein Lächeln der Vorfreude erschien auf Vipers Lippen. »Wenn du möchtest, dass dieser Salvatore stirbt, so bin ich sicher, dass das arrangiert werden kann.«
Styx konnte sich nur wenige Dinge vorstellen, die befriedigender wären als der Befehl, Salvatore Giuliani zu töten. Außer die Vorstellung seine eigenen Zähne in die Kehle des räudigen Hundes zu graben. Es gab Zeiten, in denen es eine nervtötende Angelegenheit war, ein verantwortungsvoller Anführer zu sein.
»Das ist ein verlockendes Angebot, aber leider sind die Werwölfe diesem Mann ungewöhnlich treu ergeben. Ich zweifle nicht daran, dass den Vampiren die Schuld zugeschoben werden würde, wenn er plötzlich stürbe. Ich hoffe, einen ernsthaften Krieg vorerst vermeiden zu können.«
Viper neigte leicht den Kopf. Wie auch immer seine eigenen Wünsche aussahen, er würde sich Styx’ Autorität beugen. »Hast du einen Plan?«
»Es ist schwerlich ein Plan, aber ich hoffe, eine Möglichkeit entdeckt zu haben, Druck auf Salvatore auszuüben.« Er zog ein kleines Foto aus der Tasche und reichte es seinem Kameraden.
Viper studierte für einen Augenblick die kleine, zierliche Frau auf dem Bild. Mit ihrem kurzen blonden Stachelhaar und ihren grünen Augen, die zu groß für ihr herzförmiges Gesicht schienen, sah sie wie ein wunderschöner Kobold aus.
»Nicht mein Typ, aber ganz sicher ein Blickfang.« Er schaute auf. »Ist sie seine Geliebte?«
»Nein, aber Salvatore hat eine beträchtliche Menge an Geld und Energie aufgewendet, um diese Frau aufzuspüren. Ich glaube, dass er sie hier in Chicago endlich entdeckt hat.«
»Was hat er mit ihr vor?«
Styx zuckte mit den Schultern. Die Vampire, denen er befohlen hatte, den unberechenbaren Werwolf im Auge zu behalten, hatten es geschafft, diese Fotografie in die Finger zu bekommen, und es war ihnen auch gelungen, Salvatore bis nach Chicago zu verfolgen. Allerdings kamen sie nicht nahe genug an ihn heran, um herauszufinden, warum er von dieser Frau besessen war.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber sie ist ihm offensichtlich sehr wichtig. So wichtig, dass er vielleicht willens sein könnte, über ihre Unversehrtheit zu verhandeln … falls ich imstande wäre, ihm zuvorzukommen und sie in meine Gewalt zu bringen.«
Ein Ausdruck der Überraschung zeigte sich auf dem blassen Gesicht. »Du hegst die Absicht, sie zu entführen?«
»Ich hege die Absicht, sie als meinen Gast aufzunehmen, bis die Werwölfe zur Vernunft kommen«, korrigierte Styx. Sein ganzer Körper versteifte sich, als Viper den Kopf in den Nacken legte, um herzhaft zu lachen. »Was ist daran so amüsant?«
Viper deutete auf das Bild in seiner Hand. »Hast du dir diese Frau genau angesehen?«
»Natürlich.« Styx runzelte die Stirn. »Das war notwendig, um sich ihre Gesichtszüge einzuprägen, für den Fall, dass das Bild verloren geht oder zerstört wird.«
»Und du willst sie dennoch freiwillig bei dir aufnehmen?«
»Weshalb sollte ich das nicht tun?«, verlangte Styx zu wissen.
»Der Grund ist doch offensichtlich.«
Styx unterdrückte seine aufflackernde Ungeduld. Wenn Viper Informationen über diese Frau besaß, warum teilte er sie dann nicht mit ihm, anstatt sich dermaßen geheimnisvoll aufzuführen?
»Du sprichst in Rätseln, alter Freund. Glaubst du, dass die Frau irgendeine Art von Gefahr darstellt?«
Viper hob die Hände. »Nur auf die Weise, wie jede schöne Frau eine Gefahr darstellt.«
Styx’ Augen verengten sich. Bei den Göttern, glaubte Viper tatsächlich, er sei empfänglich für die Reize einer Frau? Und dann auch noch einer sterblichen?
Wenn er eine Frau haben wollte, musste er nur einen Blick aus der Loge werfen. Der Nachtclub war voller Frauen, und es gab sogar mehr als nur ein paar Männer, die ihr Interesse bekundet hatten, seit er heute Abend durch die Tür getreten war.
»Die Frau wird meine Geisel sein, nichts weiter«, erwiderte er kalt.
»Natürlich.«
Styx, der Vipers anhaltende Belustigung spürte, zeigte ungeduldig auf das Foto. Schließlich war das der Grund, weshalb er überhaupt hergekommen war. »Kennst du das Etablissement, vor dem sie steht?«
»Es kommt mir bekannt vor.« Viper nahm sich einen Augenblick Zeit und nickte dann. »Ja. Das ist eine Gothic-Bar. Ich würde sagen, sie liegt vier, nein, warte … fünf Blocks südlich von hier.«
»Ich danke dir, alter Freund.« Styx stand schnell auf. Er streckte die Hand aus, um das Foto an sich zu nehmen, und steckte es wieder in die Tasche.
Viper erhob sich ebenfalls und legte Styx eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. »Warte, Styx.«
Dieser unterdrückte die Ungeduld, die in ihm aufstieg. Er hatte nicht die Zeit, noch länger zu verweilen. Je eher er sich die Frau schnappte, desto eher würde er wissen, ob sie für die Werwölfe tatsächlich von Bedeutung war.
»Was gibt es?«
»Was wirst du tun?«
»Das habe ich dir doch bereits gesagt. Ich hege die Absicht, die Frau zu meiner Gefangenen zu machen.«
»Einfach so?«, fragte Viper.
Styx sah ihn verwirrt an. »Ja.«
»Du kannst nicht allein gehen. Wenn die Werwölfe über sie wachen, werden sie versuchen, dich aufzuhalten.«
»Ich fürchte kein Rudel Hunde«, gab Styx verächtlich zurück.
Viper weigerte sich nachzugeben. »Styx!«
Styx seufzte. »Meine Raben werden in der Nähe sein«, versprach er und deutete auf die fünf Vampire, die seit Jahrhunderten seine Begleiter waren und so sehr Teil von ihm wie sein eigener Schatten.
Der silberhaarige Vampir war jedoch noch immer nicht zufrieden. »Und wohin wirst du sie bringen?«
»In mein Versteck.«
»Großer Gott!« Viper lachte unüberhörbar auf. »Du kannst die arme Frau doch nicht in diese feuchtkalten, widerwärtigen Höhlen bringen.«
Styx runzelte die Stirn. Er hatte noch nie über den Komfort seiner Behausung nachgedacht. Für ihn waren seine Höhlen einfach ein Ort, an dem er sich in Sicherheit vor der Sonne befand. »Die meisten der Höhlen sind recht komfortabel.«
»Es ist schlimm genug, dass du die Frau als Geisel nimmst. Aber dann solltest du sie wenigstens an einen Ort bringen, der über ein anständiges Bett und einige Annehmlichkeiten verfügt.«
»Was für eine Rolle spielt das? Sie ist doch nichts weiter als ein Mensch.«
»Es spielt eine Rolle, weil sie ein Mensch ist. Meine Güte, Menschen sind empfindlicher als Tauelfen!« Mit fließenden Bewegungen schritt Viper rasch auf den Schreibtisch zu, der den Großteil seines an die Loge angrenzenden Büros einnahm. Er griff in eine Schublade und zog ein Blatt Papier heraus. Nachdem er einige Zeilen hingekritzelt hatte, steckte er die Hand in die Tasche und zog einen kleinen Schlüssel hervor. Er kehrte zu Styx zurück und legte ihm beides in die Hände. »Hier.«
»Was ist das?«, wollte Styx wissen.
»Der Schlüssel zu meinem Anwesen nördlich der Stadt. Es ist ruhig und abgelegen genug für deine Zwecke, aber weitaus angenehmer als dein Versteck.« Er zeigte auf das Papier. »Das ist die Wegbeschreibung. Ich werde Santiago und dem Rest meines Personals Bescheid geben, damit sie dich erwarten.«
Styx öffnete den Mund, um zu protestieren. Vielleicht war sein Versteck nicht elegant oder luxuriös, aber es lag gut geschützt. Und noch wichtiger war die Tatsache, dass er die Umgebung gut kannte. Doch wie Viper bereits betont hatte, waren Menschen unangenehm empfindlich, und Styx wusste, dass sie zu einer ganzen Reihe überraschender Krankheiten und Verletzungen neigten. Und er brauchte die Frau lebendig, wenn sie ihm von irgendeinem Nutzen sein sollte.
»Es wäre gut, in der Nähe der Stadt zu bleiben, um mit den Werwölfen verhandeln zu können«, gab er zu.
»Und um Hilfe herbeirufen zu können, falls du sie benötigst«, ergänzte Viper.
»Ja.« Styx steckte den Schlüssel in die Tasche. »Jetzt muss ich gehen.«
»Gib auf dich acht, alter Freund.«
Styx nickte düster. »Das kann ich dir versprechen.«
 
Gina, eine rothaarige Kellnerin mit Sommersprossen, lehnte lässig am Tresen, als drei Männer den Gothic-Nachtclub betraten. »Ach du Scheiße, geile Typen im Anmarsch!«, brüllte sie, um den ohrenbetäubenden Lärm der Band in ihrer Nähe zu übertönen. »Na, das ist ja mal Frischfleisch allererster Güte!«
Darcy Smith wandte die Augen von dem Drink ab, den sie gerade mixte, und warf einen Blick auf die neuen Gäste. Sie hob überrascht die Brauen.
Normalerweise war Gina nicht übermäßig anspruchsvoll. Sie betrachtete alles, was auch nur entfernt männlich schien und auf zwei Beinen stand, als Frischfleisch allererster Güte. Aber diese Typen verdienten wirklich die Bestnote.
Darcy pfiff leise durch die Zähne, während sie die beiden studierte, die ihr am nächsten standen.
Der Inbegriff der Steroidgeneration, stellte sie fest, als sie die hervortretenden Muskeln beäugte, die unter den engen T-Shirts und maßgeschneiderten Jeans wie aus Marmor gemeißelt wirkten. Merkwürdigerweise hatten sich beide die Köpfe rasiert.Vielleicht, um die gefährlich finsteren Augen hervorzuheben, die ihre attraktiven Gesichter beherrschten, oder um die Ausstrahlung von Aggression zu betonen, die sie umgab.
Es funktionierte jedenfalls.
Im Gegensatz dazu war der Mann, der hinter ihnen stand, geradezu feingliedrig gebaut. Natürlich konnte der elegante Seidenanzug nicht ganz die geschmeidigen Muskeln verbergen, genauso wenig, wie die langen schwarzen Locken die dunklen, adlerartigen Gesichtszüge kaschierten. Doch Darcy wusste sofort mit absoluter Gewissheit, dass er der gefährlichste des Trios war.
Eine unnatürliche Wildheit umgab ihn, als er seine Handlanger durch die dichte Menschenmenge führte.
»Der mit dem Anzug sieht wie ein Gangster aus«, bemerkte sie kritisch.
»Ein Gangster in einem Armani-Anzug.« Gina ließ ein Lächeln aufblitzen. »Ich hatte schon immer eine Schwäche für Armani.«
Darcy rollte mit den Augen. Sie selbst hatte nie Interesse an Designerkleidung gehabt und ebenso wenig an der Art von Männern, die es für nötig hielten, sie zu tragen.
»Was will der bloß hier?«, murmelte sie.
Die Menschenmenge in der Bar bestand vorwiegend aus der üblichen Mischung: Gothics, Metalheads, Stonies und den wirklich Bizarren. Die meisten Leute kamen her, um sich die Heavy-Metal-Bands anzuhören und sich auf der beengten Tanzfläche auszutoben. Einige wenige bevorzugten die Hinterzimmer, in denen eine breite Auswahl illegaler Beschäftigungen angeboten wurde. Es war kein Ort, der eine niveauvolle Kundschaft anzog.
Gina schüttelte ihr Haar ordentlich durch, bevor sie nach ihrem Tablett griff. »Ist wahrscheinlich hier, um die Einheimischen anzugaffen. Leute mit Kohle genießen es dann und wann in Kontakt mit dem Pöbel zu kommen.« Sie schnitt eine Grimasse, wobei ihre Miene ihr ein deutlich älteres Aussehen verlieh, als es ihren Jahren entsprach. »Solange sie sich dabei nicht schmutzig machen.«
Darcy beobachtete mit einem kleinen Lächeln, wie die Kellnerin sich zügig ihren Weg durch die wilde Menge bahnte. Sie konnte Gina ihre zynische Art nicht verübeln. Wie sie selbst war sie ganz allein auf der Welt und hatte weder die Ausbildung noch die Mittel, um auf eine große Karriere zu spekulieren.
Darcy selbst weigerte sich allerdings, Bitterkeit in ihrem Herzen aufkeimen zu lassen. Was für eine Rolle spielte es schon, dass sie gezwungen war, jeden Job anzunehmen, der sich ihr bot?
Barkeeperin, Pizzabotin, Yogalehrerin und gelegentlich auch Aktmodell für die örtliche Kunstschule - nichts war unter ihrer Würde. Stolz konnte man sich nicht leisten, wenn man die täglichen Brötchen selbst verdienen musste.
Außerdem sparte sie auf etwas Besseres: Eines Tages würde sie ihren eigenen Naturkostladen haben, und sie würde nicht zulassen, dass sich ihr irgendjemand in den Weg stellte.
So beschäftigt wie Darcy mit dem Einschenken von Drinks und dem Abwaschen von Gläsern war, bemerkte sie nicht, dass sich die Neuankömmlinge an der Bar niederließen. Erst als ihre wütenden Blicke und ihr Muskelspiel es geschafft hatten, den Rest der Stammgäste am Tresen zu vertreiben, stellte sie fest, dass sie praktisch allein mit ihnen war.
Darcy verspürte ein seltsames Aufflackern von Unbehagen, zwang aber ihre Füße, sie in Richtung der wartenden Männer zu tragen. Sie sagte sich selbst, dass ihr Verhalten lächerlich war. Es befanden sich über hundert Menschen in der Bar. Da konnten diese Männer keine Bedrohung darstellen.
Sie blieb instinktiv vor dem Mann im Anzug stehen und unterdrückte ein leises Keuchen, als sie der Blick aus seinen goldbraunen Augen traf. In ihnen loderte eine Hitze, die fast greifbar war. Himmel. Ein Wolf in Seidenkleidern.
Sie war sich nicht sicher, woher dieser alberne Gedanke kam, und sie verdrängte ihn schnell wieder. Der Mann war ein Gast und sie war hier, um ihn zu bedienen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sie setzte ein Lächeln auf und legte einen kleinen Papieruntersetzer vor ihm auf den Tisch. »Kann ich Ihnen helfen?«
Langsam kräuselte ein Lächeln seine Lippen und enthüllte überraschend weiße Zähne. »Das will ich doch hoffen, cara«, antwortete er gedehnt. Ein schwacher Akzent war aus seinen Worten herauszuhören.
Die Härchen in Darcys Nacken richteten sich auf, als sein goldener Blick träge über ihr schwarzes T-Shirt und ihren zu kurzen Minirock glitt. In seinen Augen lag ein Hunger, von dem sie sich nicht sicher war, ob er ausschließlich sexuell gedeutet werden konnte. Es wirkte eher so, als ob er sie als ein leckeres Kotelett betrachtete.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?« Sie zwang sich, einen energischen Ton anzuschlagen, der aus hundert Schritten Entfernung eine Erektion zum Erschlaffen hätte bringen können.
Der Fremde lächelte nur. »Eine Bloody Mary.«
»Pikant?«
»Und wie.«
Sie widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Und Ihre Freunde?«
»Die sind im Dienst.«
Darcys Blick schoss zu den Männern, die mit verschränkten Armen hinter ihrem Anführer aufragten wie hirnlose Zwillinge.
»Sie sind der Boss.« Darcy trat von der Bar zurück und mixte den Drink. Sie fügte eine Selleriestange und eine Olive hinzu, bevor sie zurückkehrte. »Eine Bloody Mary.«
Sie wandte sich bereits ab, als der Mann die Hand ausstreckte, um sie am Arm festzuhalten. »Warten Sie.«
Sie blickte missbilligend auf die dunklen, schlanken Finger auf ihrem Arm herunter. »Was wollen Sie?«
»Leisten Sie mir Gesellschaft. Ich hasse es, allein zu trinken.«
Offensichtlich zählten die hirnlosen Zwillinge nicht. »Ich bin auch im Dienst.«
Er warf einen nachdrücklichen Blick auf die verlassene Bar. »Niemand scheint Ihre Dienste sonderlich dringend zu brauchen. Niemand außer mir.«
Darcy seufzte. Sie war nicht gern unhöflich. Das war schlecht für ihr Karma. Aber dieser Mann verstand ganz eindeutig keine Zwischentöne. »Wenn Sie Gesellschaft suchen, bin ich mir sicher, dass sich hier jede Menge Frauen freuen würden, etwas mit Ihnen zu trinken.«
»Ich will nicht jede Menge Frauen.« Die goldenen Augen brannten sich in ihre. »Nur Sie.«
»Ich arbeite.«
»Sie können nicht die ganze Nacht arbeiten.«
»Nein, aber wenn ich fertig bin, gehe ich nach Hause.« Sie entzog sich seinem Griff. »Allein.«
Etwas, das vielleicht Verärgerung sein mochte, huschte über das ausgesprochen attraktive Gesicht. »Alles, was ich will, ist, mit Ihnen zu reden. Sicherlich können Sie mir ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern.«
»Mit mir reden? Worüber?«
Er warf einen ungeduldigen Blick auf die Menschenmenge, die jede Minute ausgelassener wurde. Offenbar wusste er die Begeisterung der in Leder gehüllten Teenager mit den zahlreichen Piercings nicht zu schätzen, die sich in vollem Tempo gegenseitig rammten.
»Ich würde es vorziehen, wenn wir an einen etwas privateren Ort gingen.«
»Auf keinen Fall.«
Seine Miene verfinsterte sich. Noch befremdlicher war allerdings die Tatsache, dass in den goldenen Augen plötzlich ein inneres Licht zu glühen schien. Als habe jemand dahinter eine Kerze angezündet.
»Ich muss mit Ihnen sprechen, Darcy. Ich würde es vorziehen, wenn unsere Beziehung zueinander freundlich bliebe - schließlich sind Sie eine attraktive junge Frau -, aber wenn Sie diese Situation erschweren, bin ich darauf vorbereitet, alles zu tun, was notwendig ist, um meinen Willen zu bekommen.«
In Darcys Herz flackerte plötzlich Angst auf. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
Er beugte sich vor. »Ich weiß sehr vieles über Sie.«
Diese Unterhaltung verwandelte sich von seltsam in ausgesprochen gruselig. Hinreißend aussehende Herren in tausend Dollar teuren Anzügen und mit persönlichem Gefolge belästigten normalerweise keine armen Barkeeperinnen. Es sei denn, sie beabsichtigten sie zu töten und zu verstümmeln.
Darcy machte einen abrupten Schritt nach hinten. »Ich denke, Sie sollten besser Ihren Drink austrinken, sich Ihre Schlägertypen schnappen und verschwinden.«
»Darcy …« Der Mann streckte die Hand aus, als ob er sie mit physischer Gewalt zwingen wollte, ihm Gesellschaft zu leisten.
Glücklicherweise schien seine Aufmerksamkeit plötzlich nachzulassen. Er wandte den Kopf zur Tür. »Wir haben Gesellschaft bekommen«, knurrte er in Richtung der Zwillingstypen. »Kümmert Euch darum.«
Augenblicklich rannten die beiden Schläger in erstaunlichem Tempo auf die Tür zu. Der Mann erhob sich von seinem Barhocker und sah ihnen nach, als ob er erwartete, dass eine Armee in den Club gestürmt käme.
Das genügte Darcy. Sie mochte vielleicht nicht zu den klügsten Köpfen der Welt gehören, aber sie erkannte eine Gelegenheit, wenn sie sich bot. Was auch immer der Mann von ihr wollte, es konnte nichts Gutes sein. Je mehr Abstand sie zwischen ihn und sich selbst bringen konnte, desto besser.
Darcy raste auf das andere Ende der Bar zu und ignorierte den plötzlichen Aufschrei des Mannes hinter ihr. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, einen Blick auf die Menge zu werfen, um dort jemanden um Hilfe zu bitten. Eine schreiende Frau wäre hier bloß ein weiterer Teil der Show.
Stattdessen wandte sie sich dem hinteren Teil des Clubs zu. Am Ende des Flurs befand sich ein Vorratsraum, dessen Türschloss sehr stabil wirkte. Da konnte sie sich verstecken, bis einer der Rausschmeißer sie hinter der Bar vermisste. Sollten die sich mit dem wahnsinnigen Stalker herumschlagen, schließlich gehörte das zu ihrer Stellenbeschreibung.
Da sie sich so sehr auf die Verfolgungsgeräusche von hinten konzentrierte, bemerkte Darcy nicht die dichten Schatten, die sich ihr von vorne näherten. Bis sich einer von ihnen direkt in ihren Weg stellte. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf ein bildschönes bronzefarbenes Gesicht und kalte schwarze Augen, bevor der fremde Mann ein einziges Wort sagte, sie zu Boden fiel und die Dunkelheit sie verschlang.