KAPITEL 6
Styx durchmaß mit seinen Schritten die Küche und achtete dabei sorgsam darauf, seinen Blick davon abzuhalten, dauernd zu dem kleinen Tisch in der Zimmermitte zu wandern.
Dabei war mit dem Tisch alles in Ordnung. Er war sogar perfekt: Styx hatte die vegetarische Lasagne und das Knoblauchbrot ganz genau so erhitzt, wie die Haushälterin es ihm erklärt hatte. Der Rotwein atmete. Und Styx hatte sogar die Kerzen so arrangiert, dass sie überall im Raum einen sanften, beruhigenden Schein verbreiteten. Und genau das war es, was ihn so beunruhigte. Es sah exakt so aus, wie er es sich gewünscht hatte. Romantisch. Er schüttelte den Kopf und blickte zum hundertsten Mal durch die leere Türöffnung.
Es gab keine Erklärung für sein eigenartiges Verhalten. Es konnte sich dabei nicht nur um Begierde handeln - würde er nur Sex und Blut wollen, könnte er sie mit Leichtigkeit mit seinem Geist in seinen Bann ziehen und sich das nehmen.
Genau das hatten Vampire seit Anbeginn der Zeit getan.
Aber es gehörte ganz bestimmt nicht zu den Gewohnheiten eines Vampirs, einen dermaßen großen Aufwand zu betreiben und sich übertriebene Sorgen um alles zu machen …
Zum Glück suchte sich Darcy genau diesen Augenblick aus, um durch die Tür zu treten und machte vorerst allen Grübeleien ein Einde. Jede Verwirrung bezüglich der Frage, weshalb er sich dermaßen sonderbar benahm, war vergessen, als er seinen Blick über ihren zierlichen Körper gleiten ließ, der in den schweren Brokatmorgenrock eingehüllt war. Sie sah jung und zart und so verletzlich aus, dass sie selbst das Herz des rücksichtslosesten Dämons erwärmt hätte.
Styx schluckte, während er gewaltsam dem Drang widerstand, den Raum zu durchqueren und sie in seine Arme zu schließen. »Ich begann schon zu fürchten, dass du die Absicht hegtest, die gesamte Nacht in deinem Gemach zu verweilen.«
Darcy lächelte, doch in ihrem Verhalten lag etwas Wachsames, als sie sich langsam dem Tisch näherte. »Das ging mir durchaus durch den Kopf, aber ich hatte zu großen Hunger. Irgendwas hier riecht wirklich lecker.«
»Da meine kümmerliche Anwesenheit offenbar nicht ausreichte, um dich aus deinem Zimmer zu holen, griff ich auf die Verlockung der Nahrung zurück«, erwiderte er trocken.
»Eine kluge Entscheidung.« Sie erreichte den Tisch, setzte sich und atmete tief den Duft des Essens ein. »Was ist das?«
»Die Nachricht der Haushälterin besagt, dass es sich um vegetarische Lasagne handelt. Ich hoffe, sie findet deine Zustimmung?«
»Wenn sie nur halb so gut schmeckt, wie sie riecht, findet sie mehr als nur meine Zustimmung.« Sie nahm ihre Gabel in die Hand und probierte einen Bissen, wobei sich ihre Augen mit einem Ausdruck des offensichtlichen Genusses schlossen. »Köstlich!«
Styx erinnerte sich nur zu lebhaft daran, wie sich ihre Augen bei einer anderen Art von Vergnügen geschlossen hatten. Mit einem kleinen Fluch nahm er ihr gegenüber Platz. Wenn er das nicht getan hätte, hätte sie unweigerlich gemerkt, welche Macht sie über ihn ausübte.
Darcy, die seine Präsenz fühlte, öffnete die Augen, und die vorherige Vorsicht kehrte zurück. »Und wie sieht es mit Ihnen aus?«, fragte sie.
Ein Anflug von Ärger sorgte dafür, dass er die Augen zusammenkniff. Er hatte ihr bereits versichert, dass er sie nicht zwingen würde, ihm ihr Blut zu geben. Er war nicht daran gewöhnt, dass seine Ehre infrage gestellt wurde.
»Ich habe bereits gespeist.«
»Oh.« Darcy zog den Kopf ein und konzentrierte sich auf das Essen, das vor ihr stand. »Sie müssen nicht bleiben, wissen Sie. Ich verspreche, dass ich zumindest die nächsten zwanzig Minuten nicht abhauen werde.«
»Versuchst du, mich dir vom Halse zu schaffen?«
»Sie haben doch sicherlich Besseres zu tun, als mir beim Essen zuzusehen.«
Styx legte die Stirn in Falten. »Was bereitet dir Sorgen?«
Sie hob den Kopf nicht und fuhr fort zu essen. »Ich werde gegen meinen Willen von einem Vampir festgehalten. Ein Rudel Werwölfe lauert draußen und hofft, mich entführen zu können. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, verpasse ich meine Arbeit, was bedeutet, dass ich keine Bezahlung bekomme. Meinen Sie nicht, dass jede Frau unter diesen Umständen ein bisschen angespannt wäre?«
Styx war gezwungen zuzugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte. Obwohl er außergewöhnliche Mühen auf sich genommen hatte, ihr die Gefangenschaft so angenehm wie möglich zu machen, ließ es sich nicht leugnen, dass sie seine Gefangene war. Wie konnte er es ihr verübeln, dass ihr die Situation missfiel?
»Vielleicht«, murmelte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um zu beobachten, wie sie sich den Rest der Lasagne und zwei Scheiben Brot einverleibte. »Es gibt noch mehr, wenn du das wünschst.«
Darcy warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Großer Gott, nein! Ich bin satt. Was ich jetzt brauche, ist ein langer Spaziergang.«
Styx erhob sich vom Tisch, um fassungslos aus dem Fenster zu blicken. »Die Naturgewalten würden mir keine Sorge bereiten, doch für einen Menschen ist es viel zu kalt.«
Darcy stellte sich neben ihn. »Oh, sehen Sie nur, es schneit.«
Er sah zu ihr hinunter und erkannte, dass ihr Gesicht vor Freude einen ganz weichen Ausdruck bekam. »Mein Engel, du kannst nicht ohne Schuhe und Mantel hinausgehen.«
»Wahrscheinlich nicht.« Ein wehmütiges Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Ich liebe Schnee! Er lässt die Welt immer so frisch und neu aussehen.«
Bei den Göttern, er war der Herrscher der Vampire! Dämonen überall auf der Welt erzitterten bei der Nennung seines Namens. Und dennoch hatte er momentan nichts anderes im Kopf als das Wohlergehen dieser Frau … Es war ausgesprochen erbärmlich.
Styx verschluckte einen Seufzer, griff nach ihr, hob sie hoch und drückte sie an seine Brust.
Darcy stieß erschrocken einen Schrei aus und fasste nach ihrem aufklaffenden Morgenmantel. »Was machen Sie denn da?«
»Ich glaube, ich habe womöglich eine Lösung, die dich befriedigen wird«, versicherte er ihr, während er mit ihr die Küche verließ und durch den Eingangsbereich auf den anderen Flügel des Hauses zusteuerte.
»Styx, lassen Sie mich runter!«
»Noch nicht.« Er öffnete die Tür zu dem neuen Anbau und stellte Darcy auf die Füße, bevor er das Licht einschaltete. »Da sind wir.«
Ihre Augen weiteten sich vor Entzücken, als sie sich in dem gläsernen Raum umsah, der einen ungehinderten Blick auf den fallenden Schnee ermöglichte.
»Ein Wintergarten!«, keuchte sie und drehte sich um, um ihm ein hinreißendes Lächeln zu schenken. »Er ist wunderschön.«
»Er ist noch nicht ganz vollendet.Viper hat die Absicht, seine Gefährtin damit zu überraschen, sobald er vollkommen fertiggestellt ist.«
»Wow.« Sie lachte leise. »Ein sehr großzügiges Geschenk.« Sie lief über den Boden und schien sich dabei nicht an den leeren Regalbrettern und dem nur teilweise fertigen Brunnen zu stören. Sanft legte sie ihre Hand auf eine der Scheiben. »Levet hat mir von Viper und seiner Frau erzählt. Ist sie auch ein Vampir?«
Styx stellte sich schweigend hinter sie. »Eigentlich ist sie genau wie du. Eine Mischung aus Mensch und Dämon.«
Ihr Körper verkrampfte sich bei seinen Worten. »Wir wissen nicht, ob ich wirklich Dämonenblut in mir habe. Noch nicht.«
Styx studierte ihre Spiegelung in dem Glas. »Du bist mehr als nur menschlich.«
»Vielleicht.«
Styx spürte ihr Widerstreben, über die Möglichkeit nachzudenken, dass in ihren Adern Dämonenblut fließen könnte, und wechselte elegant das Thema. »Wenn du möchtest, kann ich Shay bitten, dir einen Besuch abzustatten, damit du mit ihr reden kannst.«
Darcy drehte sich mit neugieriger Miene um. »Laut Levet habt ihr ein schwieriges Verhältnis.«
Er verzog das Gesicht. »Wir haben eine schwierige Vergangenheit. Und sie ist ärgerlich darüber, dass ich dich als meinen Gast aufgenommen habe.«
»Als Gast?«
»Als meine Gefangene, wenn dir das besser gefällt.«
»Ich mag sie jetzt schon.«
Styx wünschte sich augenblicklich, Shays Besuch nicht vorgeschlagen zu haben. Darcy war bereits jetzt grässlich entschlossen, ihn auf Distanz zu halten. Sobald Shay ihr von seiner Vergangenheit erzählt hätte, würde diese Frau ihn für ein Monstrum halten.
»Vielleicht sollten wir mit ihrem Besuch warten, bis …« Styx verstummte, als er sich langsam zu ihrem Hals herabbeugte. Der Geruch war schwach, aber unverkennbar. Werwolf.
Er verspürte Ungläubigkeit, direkt gefolgt von kalter Wut. In der vergangenen Stunde hatte sich Darcy tatsächlich in der Gesellschaft von Salvatore befunden. Dieser Bastard hatte allen Ernstes die Courage besessen, in dieses Haus einzudringen und Darcy auf irgendeine Weise in die Enge zu treiben, während sie allein gewesen war! Noch schlimmer war jedoch, dass Darcy ihm diese Begegnung absichtlich verschwiegen hatte.
Kein Wunder, dass sie abgelenkt gewirkt hatte! Hatte Salvatore gedroht, ihr etwas anzutun, falls sie sein ungeheuerliches unbefugtes Eindringen verriet? Oder war es dem Werwolf gelungen, sie davon zu überzeugen, dass er harmlos sei? Planten sie vielleicht genau in diesem Augenblick ihre Flucht?
»Styx?«
Als ihm bewusst wurde, dass Darcy ihn mit wachsendem Argwohn beobachtete, zwang sich Styx, sich zu entspannen, und setzte sogar ein schwaches Lächeln auf. Er kannte diese Frau erst seit kurzer Zeit, aber das reichte aus, um ihn davon zu überzeugen, dass er sie niemals dazu zwingen konnte, ihm irgendwelche Geheimnisse zu verraten.
Es sei denn, er griff auf Vampirtricks zurück. Seltsamerweise tat er das ungern - außer, natürlich, alles andere schlug fehl.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Was sollte denn los sein?«
Sie war irritiert von seinem angespannten Ton. Jede mögliche Antwort wurde allerdings unterbunden, da die Tür zum Wintergarten abrupt aufgestoßen wurde und ein schimpfender Levet in den Raum getrampelt kam.
»Sacrebleu, glaubst du, du hättest dir noch eine elendigere Nacht aussuchen können, um mich durch die Stadt zu jagen wie einen Packesel?« Er schüttelte seine Flügel aus, so dass Schnee durch den ganzen Raum flog. »Vielleicht möchtest du ja morgen Nacht, dass ich dir einen Schneemann baue und nackt um ihn herumtanze!«
Es folgte ein ersticktes Lachen von Darcy, und Styx gelang es, den Drang zu unterdrücken, den aufdringlichen Dämon durch das nächste Fenster zu werfen. So lästig er den Gargylen auch fand, er konnte dennoch nicht leugnen, dass dieser den perfekten Zeitpunkt gewählt hatte. Wer wäre wohl besser geeignet gewesen, um Darcy abzulenken?
»Ich kann dir bedenkenlos zusichern, Levet, ich werde niemals wünschen, dass du nackt herumtanzt - ob nun im Schnee oder nicht«, meinte er gedehnt, während er sich einen Schritt von Darcy entfernte. »Aber du kannst für mich meinen Gast unterhalten. Ich fürchte, ich kann meine dringenden Geschäfte nicht länger verschieben.«
Styx verbeugte sich leicht vor der verblüfften Darcy, bevor er den Wintergarten durchquerte und durch die geöffnete Tür schlüpfte. Er spürte, wie sie ihm mit ihren Blicken verfolgte, aber er ignorierte ihr Misstrauen und ihre Verwirrung, trat in den Flur und winkte den wartenden Raben herbei.
DeAngelo glitt aus der Dunkelheit und verneigte sich leicht. »Meister?«
»Ich möchte, dass du unseren Gast bewachst.«
»Gewiss.«
»Und sage Santiago, er möge die Anzahl der Wachtposten auf dem Gelände erhöhen.«
Das bleiche Gesicht, das beinahe völlig unter der Kapuze der Robe verschwand, ließ einen Anflug von Überraschung erkennen. »Fürchtet Ihr etwa, dass wir möglicherweise angegriffen werden?«
»Ich weiß noch nicht, was die Werwölfe planen.« Styx’ Gesicht war wie versteinert von dem Zorn, der tief in ihm kochte. »Aber ich versichere dir, dass es meine Absicht ist, es herauszufinden. Bis dahin darfst du Darcy nicht aus den Augen lassen!«
 
Darcy blieb verblüfft im Wintergarten zurück, nachdem der große, unberechenbare Vampir so plötzlich den Raum verlassen hatte.
Sie war ganz sicher keine Vampirexpertin. Aber sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, die Körpersprache anderer zu deuten, und sie konnte nicht leugnen, dass ihr Geiselnehmer vor Wut angespannt gewesen war.
»Störe ich?«
»Wie bitte?« Darcy wandte den Kopf und stellte fest, dass der Gargyle sich neben sie gestellt hatte. »Oh … nein, überhaupt nicht.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn Sie ihm folgen möchten, habe ich nichts dagegen. Ich bin an Frauen gewöhnt, die von Vampiren in den Bann gezogen wurden. Das scheint das traurige Schicksal meines Lebens zu sein.«
Darcy merkte, dass sie lächelte. Nachdem sie den Schock überwunden hatte, dass sich ein kaum einen Meter großer Gargyle in ihrer Nähe herumtrieb, fand sie ihn auf seltsame Weise charmant.
»Ich freue mich sehr, mit Ihnen hier zu sein, Monsieur Levet«, meinte sie und klopfte ihm auf die Schulter. Allerdings zog sie die Hand hastig wieder zurück, als sie fühlte, wie kalt und feucht seine graue Haut war. »Oh, Sie sind nass!«
»Natürlich bin ich nass. Ich bin im Schnee herumgestapft.« Er zeigte mit dem Finger in ihre Richtung. »Und alles Ihretwegen.«
»Meinetwegen?« Darcy blinzelte überrascht. »Warum?«
»Ihr so ungeheuer charmanter Vampir bestand felsenfest darauf, dass Sie keinen weiteren Moment ohne Ihre kostbaren Pflanzen auskommen würden und Ihre komplette Garderobe, die, nebenbei bemerkt, nicht gerade umfangreich ist. Wir müssen Sie mal in ein Einkaufszentrum bringen, ma belle! Ohne jeden Zweifel könnte Mr. Großund-Dunkel schnell überzeugt werden, Ihnen seine Kreditkarte zu geben.«
Darcy bemühte sich, seinen streitlustigen Worten zu folgen, und ignorierte seine beleidigende Bemerkung über ihre wenigen Kleidungsstücke.
»Pflanzen? Wovon reden Sie?«
»Der große Meister bestand darauf, dass ich in Ihre Wohnung gehe und Ihre Pflanzen hole, aber hat er auch nur einen Gedanken an den armen Kerl verschwendet, den er in die Kälte und den Schnee geschickt hat? Non!« Levet rümpfte leicht die Nase. »In seinen Augen bin ich nicht mehr als ein erbärmlicher Diener.«
»Styx hat Sie losgeschickt, um meine Pflanzen zu holen?«
Der Dämon seufzte schwer. »Ich spreche doch Ihre Sprache, oder etwa nicht?«
Darcy drehte sich abrupt um und wanderte durch den leeren Raum. »Warum macht er denn so was?«
Der Gargyle lachte kurz auf. »Wenn Sie das nicht wissen - ich werde es Ihnen bestimmt nicht erklären! Es wäre mir weitaus lieber, Sie würden glauben, er sei ein herzloses Monster.«
Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in Darcy aus, während sie weiterhin ruhelos im Raum herumlief. »Und Sie haben mir auch meine Klamotten mitgebracht?«
»Sie sind alle in der Küche. Ich habe sie geholt, aber ich bin kein Hotelpage, der die Sachen in Ihr Zimmer schleppt.«
»Natürlich nicht.«
Darcy warf dem Gargylen ein zerstreutes Lächeln zu, während sie an ihm vorbeiging und den Wintergarten verließ. Aus irgendeinem Grund wollte sie ihre Habseligkeiten mit eigenen Augen sehen.
Als sie in die Küche kam, fand sie alles vor, wie Levet es versprochen hatte: Da standen vier Kisten mit ihren diversen Pflanzen und ein kleiner Koffer, in dem sich ihre Kleidung befand. Sie starrte immer noch, als Levet sich zu ihr gesellte.
»Das ist alles, nicht wahr?«
»Ja, das ist alles.«
Er rümpfte leicht die Nase. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, aus welchem Grund Sie sich diesen Haufen Unkraut in hässlichen Blumentöpfen hierher hätten wünschen sollen! Warum solche Umstände, wenn man auch einfach durch die Tür treten und jede Menge Unkraut wie dieses hier ausgraben kann?«
»Das ist kein Unkraut, das sind meine Freunde«, korrigierte sie ihn.
»Nun ja, ich vermute, diese Mitbewohner sind wenigstens leise.«
Darcy lächelte kläglich und streckte die Hand aus, um einen ihrer Farne zu berühren. »Niemand versteht das wirklich …«
Eine kurze Stille entstand, bevor Levet sich räusperte. »Eigentlich würde ich vermuten, dass zumindest ein Vampir das versteht.«
»Ja«, murmelte sie leise, und das seltsame Prickeln kam wieder. Styx. Er verstand es. Oder wenn er es nicht verstand, war er zumindest bereit zu akzeptieren, welche Bedeutung es für sie hatte. Und er hatte Levet in den Schnee hinausgeschickt, damit sie sich keine Gedanken um ihre Sachen machen musste. Das war … süß. Und aufmerksam. Und es stand überhaupt nicht im Einklang mit der Vorstellung von einem kaltherzigen Monster, das ihr schaden wollte.
Und aus irgendeinem dummen Grund bewegte sie das weitaus mehr, als es angebracht wäre.
Na ja, vielleicht ist es gar nicht so weit hergeholt, gestand sie sich insgeheim ein. Wenn man ganz allein auf der Welt war, war es natürlich so, dass auch die kleinste Freundlichkeit, die einem angeboten wurde, die Tendenz hatte, eine größere Bedeutung anzunehmen. Selbst wenn diese Freundlichkeit von einem blutrünstigen Vampir kam, der sie gefangen hielt.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte sie leise zu Levet, verließ die Küche und machte sich auf die Suche nach Styx.
Sie musste den schönen Dämon unbedingt sehen. Er sollte unbedingt wissen, dass ihr seine Sorge um ihr Glück nicht gleichgültig war.
Als sie durch das leere Wohnzimmer und das gleichermaßen leere Arbeitszimmer ging, hielt Darcy plötzlich an. Kälte prickelte auf ihrer Haut - eine Kälte wie diejenige, die Styx umgab, aber ohne die zusätzliche Woge der Erregung, die er in ihr weckte. Schnell drehte sie sich um. Sie war nicht überrascht, einen schweigenden Vampir zu sehen, der in der Türöffnung stand.
»Oh.« Sie trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Hallo.«
Der Vampir starrte sie regungslos aus den Tiefen seiner schweren Kapuze an. »Gibt es einen Wunsch, den ich erfüllen kann?«, fragte er sie.
Darcy zitterte fast. Er sah wie eine Schaufensterpuppe aus. Eine sehr unheimliche Schaufensterpuppe. »Ich war auf der Suche nach Styx. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»Er hat das Anwesen verlassen.«
»Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
»Nein.«
»Ich verstehe.« Darcy konnte die Enttäuschung nicht leugnen, die in ihr aufstieg. Und das war fast genauso unheimlich wie der Vampir, der vor ihr stand. Auch eine Frau, die versuchte, in jedem stets das Beste zu sehen, sollte sich nicht nach dem Mann sehnen, der sie gefangen hielt. Das war verrückt. Einfach … verrückt.