KAPITEL 17
Salvatore kehrte in sein
verfallenes Versteck zurück und vergrub sich in seinem beengten
Büro. Manche hätten vielleicht behauptet, dass er sich dahin
zurückgezogen hätte, um zu schmollen. Aber natürlich hätte niemand
gewagt, ihm das ins Gesicht zu sagen. Aber Salvatore kam zu dem
Schluss, dass er lediglich »über seine Optionen nachdachte«.
Beinahe geistesabwesend blickte er aus dem Fenster
in die Dunkelheit und rief sich seine kurze Begegnung mit Darcy ins
Gedächtnis.
Sie war ein hübsches Ding - daran gab es nichts zu
rütteln. Und er war zuversichtlich, dass er keine Schwierigkeiten
haben würde, sich diese Frau gefügig zu machen. Denn darum ging es
natürlich bei seinem Versuch, sie aufzuspüren.
Dennoch konnte er nicht leugnen, dass sie
eigentlich nicht sein Typ war. Bei ihr gab es keine Anzeichen für
das gefährliche Feuer, das jederzeit mit tödlicher Macht zuschlagen
konnte. Keine Spur der rohen, glühenden Sinnlichkeit, die jeden
Mann in ihrer Umgebung verführte. Nichts von der rastlosen Energie,
die die meisten Werwölfe auszeichnete. Und sie war Vegetarierin, um
Himmels willen!
Salvatore schüttelte leicht den Kopf und nahm dann
die Armbrust von seinem Schreibtisch. Sie zielte direkt auf die
Tür, als diese aufgedrückt wurde, um Fess’ massige Gestalt zu
enthüllen. Die Waffe blieb unverwandt auf den Brustkorb des Mannes
gerichtet, während Salvatore den unwillkommenen Eindringling zornig
anfunkelte.
»Ich habe dich gewarnt, Fess, ich bin nicht in der
Stimmung für Störungen«, knurrte er.
Die Wolfstöle verbeugte sich leicht, wobei sie
ihren Blick nicht von dem tödlichen Pfeil abwandte. »Ein Auto fährt
soeben vor, mein König!«, kündigte Fess an.
Mit einem Stirnrunzeln blickte Salvatore über seine
Schulter. Tatsächlich, eine lange, glänzende Limousine hielt vor
dem Gebäude. Seine Muskeln spannten sich an. Es gab nur eine
einzige Person, die es wagen würde, auf dermaßen protzige Art eine
solch unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Und das war die letzte
Person, die er in diesem Augenblick zu sehen wünschte.
»Verdammt«, murmelte er und machte sich nicht die
Mühe zuzusehen, wie eine Frau aus dem Fond des riesigen Wagens
ausstieg.
Er richtete seine Aufmerksamkeit lieber wieder auf
Fess, warf die Armbrust auf den Schreibtisch und ersetzte sie durch
zwei silberne Dolche, die unter seiner Jacke versteckt waren. Im
Gegensatz zu Darcy war diese Frau stets
begierig darauf, ihre ungezähmte Natur herauszulassen.
»Geh mit den Wolfstölen auf die Straße, und kehrt
nicht zurück, bevor ich den Befehl dazu gebe!«, ordnete er an und
strich sich das Haar aus dem Gesicht.
»Ihr möchtet, dass wir uns verstecken?«
Salvatore schmunzelte über Fess’ verletzten Stolz.
»Sophia
ist sogar reizbarer als ich, und sie wird nicht erfreut über die
Neuigkeiten sein, die ich ihr mitzuteilen habe. Ich möchte nicht,
dass sich irgendwelche Unfalltode ereignen, bevor sie die
Möglichkeit hatte, sich zu beruhigen.«
»Oh.« Fess schluckte schwer. »Eine gute
Idee.«
»Salvatore sah zu, wie die Wolfstöle aus dem Raum
eilte. Er konnte sich darauf verlassen, dass Fess den Rest des
Rudels versammelte und ihn sicher aus dem Gebäude brachte.
Natürlich bedeutete das auch, dass er allein sein würde, wenn er
sich dem Zorn der Königin stellte. Er lehnte sich lässig gegen den
Rand des Schreibtischs, als die mächtige Rassewölfin durch die Tür
rauschte und direkt vor ihn trat.
Jeder andere Mann wäre bei ihrem Anblick auf die
Knie gefallen. Sie sah nicht nur umwerfend aus in ihrer hautengen
Lederhose und ihrem rückenfreien Oberteil; die Luft um sie herum
schien tatsächlich vor sexueller Verlockung zu glühen. Doch nur ein
Werwolf spürte den räuberischen Hunger, der in ihren grünen Augen
schimmerte, und ebenso ihre Vorliebe für Gewalt, der sich in dem
harten Zug ihres Lächelns offenbarte.
»Ah, Salvatore, so unwiderstehlich attraktiv wie eh
und je!«, gurrte sie und presste verwegen ihren Körper gegen
seinen. »Gewiss hast du einen Kuss für deine Königin übrig?«
Salvatore packte sie an den Oberarmen. »Nicht
jetzt.«
Sie lachte spöttisch, während ihre Hand an seinem
Körper entlang nach unten glitt und seinen Penis umfasste.
Salvatore biss die Zähne zusammen, als sie ihn neckisch
drückte.
»Du bist vielleicht ein böser Junge, dass du mir
all diese Köstlichkeiten vorenthältst!«
Salvatore schob sie mit einer heftigen Bewegung
fort. Er hatte nichts gegen lüsterne Frauen, aber es war eine
andere Sache, wenn er seinen Samen einer Frau bieten sollte, die
ihr Bett mit einem Dutzend anderer Männer teilte. Und zwar mit
allen gleichzeitig. Schließlich war er ein König, kein niedriges
Mitglied des Rudels!
»Es ist nicht die Zeit für solche Dinge«, knurrte
er.
Sophias schönes Gesicht, das trotz der Tatsache,
dass sie deutlich über dreihundert Jahre alt war, ebenso jugendlich
aussah wie das eines jungen Mädchens, versteinerte kurz, bevor sie
sich zu einem angespannten Lächeln zwang. »Schmollst du noch immer,
weil ich mich weigere, dir das Exklusivrecht auf meinen Körper zu
geben?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Nicht einmal ein
Exklusivrecht könnte mich in Versuchung führen, das zu kosten, was
alle Werwölfe und Wolfstölen auf fünf Kontinenten miteinander
geteilt haben.«
So blitzschnell, dass es mit bloßem Auge kaum zu
erkennen war, verpasste Sophia ihm mit dem Handrücken einen Schlag.
Salvatore nahm es mit einem schwachen Lächeln hin, das darauf
abzielte, sie zu reizen.
»Du Bastard! Du magst ja König sein, aber du
beherrschst nicht mich!«, fauchte sie.
Das entsprach der Wahrheit. Als Rassewölfin, der es
gelungen war, regelmäßig schwanger zu werden und einen Wurf sogar
voll auszutragen, wurde diese Frau von allen Werwölfen verehrt. Bis
er seinen eigenen Wurf hervorbringen konnte, war er gezwungen, ihr
ein gewisses Maß an Respekt entgegenzubringen.
»Also lass die Finger von mir, solange ich dich
nicht zum Gegenteil auffordere!« Sie fletschte die Zähne, drehte
sich um und schlenderte durch den kleinen Raum. Auf
ihrem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Verachtung beim Anblick
der schäbigen Umgebung. Das war nicht wirklich überraschend. Sophia
war mehr der Ritz-Carlton-Typ als eine Liebhaberin der einfachen
Lebensweise.
»Wo ist dein Rudel?«, verlangte sie schließlich zu
wissen, als sie stehen blieb.
»Es patrouilliert auf den Straßen.«
Sie legte den Kopf schräg. »Du befürchtest hier
einen Angriff?«
Salvatore stieß sich von seinem Schreibtisch ab.
»Sehe ich aus, als sei ich ein Dummkopf? Natürlich befürchte ich
einen Angriff. Den Vampiren würde nichts besser gefallen, als uns
ein für alle Mal auszurotten.«
»Erzähle mir von diesem Styx.«
»Er ist kalt und tot und zu überheblich, um zu
wissen, dass er eigentlich im Grab liegen sollte!«, schnauzte
Salvatore. Er verabscheute Vampire und er hatte genug von Styx, dem
verdammten Herrscher des Universums.
Sophia lachte über seinen scharfen Tonfall. »Das
riecht nach Eifersucht, Salvatore! Diesem Vampir ist es tatsächlich
gelungen, dich bis unter das Fell zu treffen. Ich sollte ihn
kennenlernen.«
Salvatore zwang sich zu einem Lächeln. »Ich
arrangiere ein Treffen, wenn du es wünschst, obwohl ich dich warnen
muss, dass er offensichtlich eine … jüngere Ausgabe von dir
bevorzugt.«
Urplötzlich knisterte Hitze durch den Raum, als
stünde ein Blitzschlag kurz bevor. Sophia verfügte zweifellos über
ein Temperament, das es mit seinem aufnehmen konnte. Doch mit
einiger Mühe gelang es ihr, ihren wilden Zorn unter Kontrolle zu
bekommen. Sie durchbohrte Salvatore mit einem glühenden
Blick.
»Wo ist das Mädchen?«
»Darcy?« Salvatore benutzte sehr bewusst ihren
Namen. Trotz der Tatsache, dass Sophia die vier weiblichen
Säuglinge geboren hatte, verfügte sie nicht über mütterliche
Gefühle. Ihrer Ansicht nach endete ihre Verpflichtung in dem
Moment, wenn die Babys ihren Körper verließen. Es oblag dem Rudel,
sie aufzuziehen.
Natürlich waren diese Säuglinge so etwas Besonderes
gewesen, dass sie gezwungen gewesen war, an der Suche teilzunehmen,
nachdem sie verloren gegangen waren. Das war eine Tatsache, die
nicht gerade dazu beigetragen hatte, ihre Stimmung zu
verbessern.
»Sie ist im Augenblick nicht hier.«
Erwartungsgemäß blitzte in den grünen Augen Zorn
auf. »Was zum Teufel soll das bedeuten, ›im Augenblick nicht hier‹?
Du teiltest mir mit, dass sie sich in deiner Gewalt befände!«
Er gab sich gelassen. »Mach dir keine Sorgen. Ich
habe mit ihr gesprochen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie
erneut Kontakt mit mir aufnimmt.«
Ihr leises Knurren hallte durch den Raum. »Was hast
du zu ihr gesagt?«
»Dass sie eine Familie habe, die sehr bestrebt sei,
sie zu treffen.« Er kräuselte süffisant die Lippen. »Insbesondere
ihre äußerst hingebungsvolle Mutter.«
Sophia ignorierte Salvatores Sarkasmus und begann
erneut hin- und herzulaufen. »Sie weiß, was sie ist?«
Salvatore erzitterte angesichts der Macht, die
durch den Raum wirbelte. Es war verdammt lange her, seit eine
Rassewölfin in seinem Bett gelegen hatte. Er brauchte Darcy, und
zwar bald.
»Ich versuchte es ihr zu sagen.« Eine Woge der
Verärgerung
durchlief ihn. »Es war nicht weiter überraschend, dass sie nicht
überzeugt war. Sie hat bis vor einigen Tagen nicht einmal an
Werwölfe geglaubt.«
»Ich hätte es wissen müssen, dass du diese
Angelegenheit verpfuschen würdest.«
»Verpfuschen?« Es juckte ihn in den Fingern, seine
Hände um ihren schlanken Hals zu legen. Er war der König! Seine
Entscheidungen waren nicht infrage zu stellen!
»Nun, mir scheint, dass keine deiner reizenden
Töchter besonders an deinem Rockzipfel hängt. Mir ist es zumindest
gelungen, Darcy aufzuspüren und Kontakt mit ihr aufzunehmen. Das
ist bedeutend mehr als das, wozu du in der Lage warst!«
Sophia machte eine geschmeidige Bewegung und stand
wieder vor ihm. »Und wo ist sie jetzt? In den Händen der Vampire?«,
spottete sie. »O ja, du hast deine Aufgabe wirklich hervorragend
erfüllt.«
Salvatore widerstand dem Drang, sie erneut
fortzustoßen. Er würde ihr nicht die Genugtuung gönnen, sie wissen
zu lassen, dass ihre Nähe ihm Probleme bereitete. »Wie ich bereits
erwähnte, wird sie bald herkommen und nach mir suchen. Ich verfüge
über die Antworten, nach denen sie so verzweifelt strebt.«
»Du Narr! Wir können nicht einfach herumsitzen und
hoffen, dass sie zu der Entscheidung gelangen möge, Kontakt mit dir
aufzunehmen!«
»Was ist dein Vorschlag?«
»Ich beabsichtige, meine Tochter nach Hause zu
holen!«
Seine Augen verengten sich. »Wahrscheinlicher ist,
dass du sie vor Entsetzen in die Flucht jagst.«
»Was soll denn das bedeuten?«
»Darcy wurde von Menschen aufgezogen!«, rief er ihr
spöttisch ins Gedächtnis. »Denkst du wirklich, du könnest die Rolle der Bilderbuchmutter
spielen?«
»Gut genug, um sie aus den Armen ihres Vampirs zu
locken allemal! Danach muss die abgöttische Liebe von dir
kommen.«
Abgöttische Liebe? Salvatore hatte es noch nie mit
abgöttischer Liebe probiert, aber wenn sie nötig sein sollte, um
Darcy in sein Bett zu bekommen, dann hatte er nichts dagegen
einzuwenden. Schließlich benötigte er Erben. Starke Erben, die die
dahinschwindenden Werwölfe retten konnten. Er würde alles tun, was
notwendig war, um dieses Ziel zu erreichen.
Styx wurde klar, dass er vollkommen den Verstand
verloren hatte.
Es gab keine andere Erklärung dafür, dass er
sehnsüchtig wartend den Raum mit seinen Schritten durchmaß, während
Darcy sich im angrenzenden Badezimmer anzog.
Bei den Göttern, die Frau war kaum acht Meter
entfernt, also nahe genug, dass er jede ihrer Bewegungen hören und
den warmen Duft ihrer Haut riechen konnte. Er konnte im Nu bei ihr
sein. Doch allein die Tatsache, dass sich eine schmale Tür zwischen
ihnen beiden befand, reichte aus, um in ihm das Bedürfnis zu
wecken, vor Ärger zu knurren und zu beißen.
Styx zog mit heftiger Ungeduld seine Kleidung an
und schalt sich noch immer wegen seiner sonderbaren Unruhe, als
plötzlich ein schwacher, erstickter Schrei durch den Raum
hallte.
Sofort flackerte Furcht in ihm auf. Blitzschnell
hatte er das Zimmer durchquert und stieß die Tür auf. Sein Blick
schweifte durch das Bad, um die Ursache für Darcys Aufschrei zu
finden.
Er stellte fest, dass Darcy auf dem Rand der großen
Badewanne saß und nur ihre Jeans und einen Spitzenbüstenhalter
trug. Sie sah entsetzt auf ihren Arm.
In der Annahme, dass sie sich auf irgendeine Art
selbst verletzt haben musste, eilte er zu ihr und kniete sich vor
ihr hin.
»Darcy«, sagte er sanft und wartete ab, bis sie
wenigstens den Blick hob, um ihm in die besorgten Augen zu sehen.
»Mein Engel, was ist geschehen?«
»Mein Arm!« Sie wirkte eigenartig benommen, als sie
ihm den Arm hinstreckte. »Irgendwas stimmt nicht damit.«
Vorsichtig ergriff er ihn mit beiden Händen. Seine
Finger packten unwillkürlich fester zu, als er die blutroten
Schnörkel zu Gesicht bekam, die unter der Haut ihres Unterarmes zu
erkennen waren.
Für einen kurzen Moment wurde er still und
versuchte das, was er sah, zu akzeptieren. Jeder Vampir kannte
dieses uralte Symbol. Und es war nicht einmal so, dass ein gewisser
Teil von ihm das Auftauchen des Mals nicht erwartet hätte. Er hatte
von Anfang an gewusst, dass seine Reaktion auf diese Frau weitaus
mächtiger gewesen war, als sie es eigentlich sein sollte. Und als
sie sein Blut getrunken hatte, hatte das die ganze Angelegenheit
praktisch besiegelt.
Dennoch dauerte es einige Minuten, bis die
Erkenntnis wahrhaft in seinem Verstand angekommen war. Eine
Erkenntnis, die schnell von einem Aufflackern überwältigender
Genugtuung gefolgt wurde.Von wildem männlichem Besitzerstolz.
Das war eine Reaktion, die ihn mehr erschreckte als
irgendetwas sonst. »Verdammt«, keuchte er.
»Was ist?« Mühsam versuchte Darcy ihre Panik zu
unterdrücken. »Bin ich krank? Habe ich irgendeine Krankheit?«
Styx schüttelte eisern seinen Schock ab und zwang
sich, sich auf die Frau zu konzentrieren, die vor ihm saß.
Sie hatte keine Ahnung, was mit ihr geschah. Die
Frage war nun, was sie mehr erschrecken würde - zu wissen oder
nicht zu wissen, was mit ihr passierte.
»Nein.« Er zwang seine Finger, sich zu lockern,
auch wenn er die Klugheit besaß, ihren Arm weiterhin zu umfassen.
»Es ist alles in Ordnung mit dir, Darcy, das verspreche ich
dir.«
»Du weißt, was das ist?«
Er zögerte, bevor er langsam nickte. »Ja.«
»Sag es mir!«, verlangte sie.
»Schwörst du, dass du nicht vor mir davonläufst,
wenn ich dir die Wahrheit sage?«
Sie holte tief Luft. »Verdammt, Styx, du machst mir
Angst.«
Er beugte sich zu ihr und heftete den Blick fest
auf ihr Gesicht. »Mein Engel, es gibt nichts, wovor du dich
fürchten müsstest, doch ich möchte dein Versprechen, mich
anzuhören, bevor du etwas Unbesonnenes tust.«
Ein Teil ihrer Angst schien seltsamerweise zu
verschwinden, während ihre Wachsamkeit sich verstärkte. Ohne
Zweifel begann sie zu argwöhnen, dass das blutrote Symbol, das
unter ihrer Haut schimmerte, nichts mit einer tödlichen Krankheit
zu tun hatte.
»Hast du mir das angetan?«,
wollte sie wissen.
»Ich habe noch nicht dein Versprechen,
Darcy.«
»Um Gottes willen, sag es mir einfach!«, forderte
sie ungeduldig.
Styx akzeptierte, dass er kein Versprechen hören
würde, und verstärkte seinen Griff. Offenbar würde er direktere
Maßnahmen ergreifen müssen, um dafür zu sorgen, dass es ihr nicht
gelang, sich davonzustehlen. »Dies ist das Mal der Verbindung«,
erklärte er sanft.
Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf ihren Arm.
»Ich habe ein Tattoo, weil wir miteinander geschlafen haben? O
Gott. Das hättest du ja mal erwähnen können. Ich meine … Scheiße,
was bedeutet es denn? ›Ich hatte Sex mit Styx‹?«
Er unterdrückte seine Belustigung über ihre
Empörung. Wenn es so einfach wäre …
»Es ist nur ein Symbol, Darcy, und du hast es nicht
deshalb, weil wir Sex hatten. Es ist die physische Darstellung
einer uralten Bindung.«
»Kannst du das noch mal im Klartext sagen?«, fragte
sie.
Er schluckte einen Seufzer herunter. Darcy war kein
Vampir und besaß kein Wissen über die Dämonenwelt, erinnerte er
sich selbst streng. Sie musste zwangsläufig verwirrt sein.
»Es ist das Mal einer wahren Verbindung.«
»Wahre Verbindung?« Ihr Gesicht wurde sichtbar
bleicher. »Wie in ›Und sie lebten glücklich bis an ihr seliges
Ende‹?«
»Zum Teil.«
»Was meinst du mit ›zum Teil‹?«
»Dieses Mal zeigt, dass du meine wahre Gefährtin
bist, doch für eine vollkommene Verschmelzung musst du dich mir
völlig und ohne Zögern öffnen.«
Er spürte, wie sie sich versteifte, bevor sie sich
seinem
Griff entzog und aufstand. Widerstrebend gestattete er ihr einen
kleinen Abstand. Er konnte sie mit Leichtigkeit aufhalten, falls
sie zur Tür lief.
Darcy vergrub ihre Hände in den Hosentaschen und
betrachtete ihn mit besorgten grünen Augen. »Okay, damit ich das
richtig verstehe: Ich habe dieses … Ding an meinem Arm, und ich bin
jetzt deine Gefährtin?«
»Ich bin als dein Gefährte an dich gebunden«,
erklärte er ihr vorsichtig.
»Und was bedeutet das genau?«
»Es bedeutet, dass ich zu dir gehöre, nur zu dir
allein, und zwar bis in alle Ewigkeit. Es wird für mich nie eine
andere geben.«
Sie blinzelte, als sei sie sprachlos durch sein
freimütiges Geständnis. »Wow.«
Er nickte sanft. »Das ist eine Art, es auszudrücken.«
»Und was ist mit mir? Gehöre ich dir?«
Eine dunkle Emotion flackerte in Styx auf.
Natürlich gehörte sie ihm! Er würde jeden töten, der sie ihm
fortzunehmen versuchte!
Er bemühte sich angestrengt, das wilde Verlangen zu
unterdrücken, sie in seine Arme zu ziehen und sie wissen zu lassen,
dass er sie niemals gehen lassen würde. Er hatte schon genug Fehler
bei Darcy gemacht. Er würde sie nicht zwingen oder manipulieren,
seine Gefährtin zu werden, gleichgültig, wie verzweifelt er sie
begehrte.
»Du musst dich mir bereitwillig hingeben, um meine
Gefährtin zu werden.«
»Aber … ich habe mich dir mehr als einmal
bereitwillig hingegeben.«
»Es geht nicht um deinen Körper, Darcy.« Er suchte
nach den richtigen Worten, um die mystische Verbindung
zu erklären. »Du musst dein Herz und deine Seele hingeben. Deine
ureigenes Selbst.«
Sie dachte eine ganze Weile darüber nach. »Was
passiert denn, wenn ich das nicht tue?«
Er knirschte mit den Zähnen. »Dann bleibst du
ungebunden.«
»Ich könnte einfach verschwinden, und du wärst
trotzdem mein Gefährte?«
»Ja«, knurrte er und zog die Augenbrauen zusammen,
als sie ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und er den
unverkennbaren Klang von Gelächter hörte. »Du findest das
amüsant?«
Langsam senkte sie die Hände wieder, und Styx
stellte fest, dass sein Ärger dahinschmolz, als er bemerkte, dass
ihre Wangen tränennass waren.Verdammt.
»Na ja, sogar du musst zugeben, dass eine gewisse
Ironie in der Situation liegt«, meinte sie, während sie bebend nach
einem Papiertaschentuch griff, um ihre Tränen zu trocknen.
»Du bist schließlich derjenige, der mich
gefangen genommen hat und mich gegen meinen Willen festhält. Jetzt
scheint es so, als wärst du der
Gefangene.«
»So scheint es in der Tat«, murmelte er und ging
einen Schritt auf sie zu, um direkt vor ihr stehen zu bleiben.
Bedächtig umfasste er ihr Gesicht mit den Händen, und seine Daumen
glitten sanft über die Nässe, die auf ihren Wangen zurückgeblieben
war. »Was denkst du?«
Sie machte keinerlei Anstalten, sich vor ihm
zurückzuziehen, als sie ihn mit einer schmerzlichen Verletzlichkeit
ansah.
»Wusstest du, dass das möglich war?«
Impulsiv lehnte er seine Stirn gegen die ihre,
unsicher, wie er ihr den Trost bieten konnte, den sie jetzt
benötigte.
»Dass du meine wahre Gefährtin sein
könntest?«
»Ja.«
Er berührte mit den Lippen ihre Stirn. »Ich glaube,
ich wusste, dass diese Möglichkeit bestand, seit ich dich gefangen
nahm. In meinem ganzen langen Leben war ich mir niemals einer Frau
so … bewusst.«
Sie wich ein Stück zurück, um ihn mit einem
ironischen Gesichtsausdruck anzusehen. »Du meinst, du wolltest mich
in dein Bett bekommen?«
»In mein Bett, auf den Boden, auf den Küchentisch,
in den Wintergarten …«
Sie verpasste ihm einen Schlag gegen die Brust.
»Styx!«
Seine Hände umschlossen ihr Gesicht fester. Wie
konnte sie die Emotionen nicht fühlen, die in ihm loderten? Wie
konnte sie auch nur einen Moment bezweifeln, dass seine gesamte
Existenz nun ihrem Glück gewidmet war?
»Du hast keinen Grund, eine dermaßen lächerliche
Frage zu stellen, mein Engel!«, sagte er mit wilder
Eindringlichkeit. »Du weißt sehr wohl, dass du mich weit über das
Schlafzimmer hinaus verfolgst. Es scheint keinen einzigen
Augenblick zu geben, in dem du nicht in meinen Gedanken bist,
selbst wenn ich wünschte, es sei anders. Du bist zu einem
essenziellen Teil von mir geworden.«
Eine charmante Röte färbte ihre blassen Wangen, und
Styx lächelte, als sie verwirrt mit den Händeln wedelte. Sie würde
niemals diese süße Unschuld verlieren, die er so faszinierend
fand.
Darcy holte tief Luft und dachte sorgfältig über
ihre Wortwahl nach. »Du wirkst nicht …«
»Ich wirke nicht wie?«, hakte er nach.
»Annähernd so aufgeregt, wie du es eigentlich sein
solltest.«
»Ich stimme dir zu.«
Sie zögerte, als sie seine prompte Antwort hörte.
»Wirklich?«
»Natürlich. Ein Vampir nimmt sich nur einmal in
seiner Existenz eine Gefährtin. Das ist ein Moment, der sein Leben
für alle Ewigkeit mit dem einer anderen Person verbindet, und das
wird als eine unserer heiligsten Zeremonien betrachtet.« In seinem
Lächeln zeigte sich ein unbewusster Anflug von Sehnsucht. »Nun bin
ich der Gefährte einer Frau, die mir einfach davonlaufen könnte.
Ich sollte zumindest besorgt sein.«
»Aber das bist du nicht?«
»Ich kann nicht leugnen, dass ein Teil von mir sich
verzweifelt wünscht, dich an mich zu binden, aber darüber hinaus
empfinde ich ein Gefühl von …« Styx suchte nach dem Namen des
Gefühls, das ihn erfüllte. »Von Frieden.«
»Styx …«
Der Vampir drückte einen Finger auf ihre Lippen. Er
konnte die Panik spüren, die noch immer tief in ihrem Innern
vorhanden war. »Wir werden das später diskutieren«, sagte er
entschieden, wobei sein Finger geistesabwesend ihre vollen Lippen
nachzeichnete. »Zuerst möchte ich wissen, was Salvatore zu dir
sagte.«
»Woher weißt du …?«, begann sie, nur um sich selbst
mit einem tiefen Seufzer zu unterbrechen. »Egal.«
»Wirst du es mir sagen?«
Sie griff nach seiner Hand, als ob seine leichte
Liebkosung sie ablenkte.
Er unterdrückte den plötzlichen Drang zu lächeln.
Der Gedanke, diese Frau abzulenken, gefiel ihm. Tatsächlich war es
seine Absicht, sie noch ein paarmal abzulenken, bevor diese Nacht
vorüber war.
»Er sagte, dass die Frau auf dem Bild meine Mutter
wäre.«
Styx forschte in ihrem Gesicht. »Und du glaubtest
ihm?«
Sie machte mit defensivem Gesichtsausdruck einen
Schritt nach hinten. »Styx, du hast das Bild doch gesehen! Sogar du
musst zugeben, dass wir uns zu ähnlich sehen, als dass das ein
Zufall sein könnte.«
Er wollte nicht mit ihr streiten. Gelegentlich
lernte er tatsächlich aus seinen Fehlern. Es geschahen noch Zeichen
und Wunder.
»Ich bin sicher, er muss dir mehr erzählt haben,
als dass diese Frau deine Mutter sein soll«, sagte er
stattdessen.
Sie schnaubte ungehalten. »Ja, das hat er.«
»Und?«
»Er behauptet, meine Mutter wäre eine
Rassewölfin.«
»Nein!«, erwiderte Styx schärfer, als er es
beabsichtigt hatte. »Er muss dir wohl eine Lüge erzählt haben. Du
bist keine Werwölfin.«
Bei seinem Ton kniff sie die Lippen zusammen. »Nun
ja, ich bin ganz sicher nicht nur ein Mensch. Du hast doch selbst
gesagt, dass ich Dämonenblut habe.«
»Dämonenblut, ja«, räumte er widerwillig ein. »Aber
kein Werwolfsblut.«
»Bist du dir sicher?«
War er sich sicher? Styx drehte sich abrupt um, um
auf dem gefliesten Boden hin- und herzulaufen. In Wahrheit war er
ziemlich verblüfft über die Tatsache, dass er nicht imstande war,
genau zu bestimmen, was sie war. Aber was
er wusste, war, dass er sich selbst nicht gestatten konnte, die
Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass sie auch nur zu einem Teil
Werwölfin war.
Das hatte nichts mit Vorurteilen zu tun.Vampire
konnten hochmütig sein wie niemand sonst, doch sie wählten oftmals
Geliebte unterschiedlicher Spezies. Nein, sein Widerstreben
entstammte direkt seiner Furcht, diese Frau zu verlieren. Es war
schlimm genug, dass er sich gegen eine lange vermisst geglaubte
Mutter behaupten musste, die nun in Darcys Leben zurückkehrte.
Welche Chance würde er gegen die Lockung eines ganzen Rudels
haben?
Langsam drehte er sich um, um ihrem beunruhigten
Blick zu begegnen. »Ich kann nicht genau sagen, was du bist, aber
ich weiß, dass du ein Alter erreicht hast, in dem du bereits
begonnen haben solltest, dich zu verwandeln.«
Darcy senkte den Blick und griff nach ihrem
Sweatshirt. »Anscheinend gibt es einen Grund dafür, dass ich … mich
nie verändert habe.«
»Lächerlich!« Bei den Göttern, er hätte Salvatore
beim ersten Zusammentreffen einfach töten sollen! »Das muss
irgendein Spiel sein.«
»Vielleicht.« Darcy zog das Sweatshirt über und
zerrte es heftig über ihre Hüften. »Aber was auch immer es ist, ich
habe vor, die Wahrheit herauszufinden.«
»Darcy …« Seine vergeblichen Worte der Warnung
erstarben ihm auf der Zunge, als er sich zur Tür hin wandte.
Umgehend stand sie neben ihm. »Was ist los?«
»Viper nähert sich.«
»Vielleicht solltest du herausfinden, was er
will.«
Er drehte sich um, um mit einem Finger über ihre
Wange zu streichen. »Wir müssen diese Unterhaltung später zu Ende
führen.«
Sie warf ihm ein Lächeln zu, bevor sie ihm einen
zärtlichen Stoß gab. »Geh schon. Ich werde auch noch hier sein,
wenn du fertig bist.«
»Versprichst du es mir?«
Darcy seufzte. »Geh einfach.«