KAPITEL 22
Darcy sog scharf die Luft
ein, als der äußerst attraktive Salvatore den Raum betrat. Wie
immer trug er einen Seidenanzug, der bestimmt ein kleines Vermögen
wert war. Dieser war blassblau und wurde von ihm mit einer
anthrazitfarbenen Krawatte kombiniert. Salvatores schwarzes Haar
war geglättet und im Nacken zusammengebunden, so dass die elegante
Perfektion seiner markanten Gesichtszüge noch mehr betont
wurde.
Seine Eleganz verringerte allerdings weder die
düstere Aggressivität, die in den goldenen Augen loderte, noch die
gewalttätige Atmosphäre, die plötzlich den Raum erfüllte.
Darcy verkrampfte sich unwillkürlich. Wenn die
beiden Werwölfe anfangen würden, miteinander zu kämpfen, wollte sie
nicht mittendrin festgebunden sein.
Sophia, die anscheinend der Gefahr gleichgültig
gegenüberstand, schlenderte zu Salvatore und trat hinter ihn, um
mit offensichtlicher Vertrautheit mit ihren schlanken Händen über
seine Schultern zu streichen.
»Na, Salvatore? Wie du siehst, ist es mir gelungen,
das zu erreichen, was du nicht geschafft hast«, sagte sie mit
kehliger Stimme. »Das ist wohl keine Überraschung. Frauen sind
normalerweise geschickter als Männer, auch wenn die sich meistens
überlegen vorkommen.«
Er schüttelte ihre Hände ab und hielt den Blick auf
Darcys blasses Gesicht gerichtet. »Das Einzige, was du erreicht
hast, ist, deiner eigenen Tochter Angst einzujagen! Ich hoffe, du
bist zufrieden!«
»Zumindest ist sie hier und befindet sich nicht in
den Klauen der Vampire!«, konterte Sophia und lehnte sich in
geübter Pose gegen die Wand. Ohne Zweifel führte diese Pose
meistens dazu, dass die Männer nach ihr lechzten, aber zu ihrem
Pech machte sich Salvatore nicht einmal die Mühe, einen Blick in
ihre Richtung zu werfen. Ihre Miene wurde starr.
»Wenn du so etwas wie Rückgrat besäßest, hättest du
sie entführt, sobald du in Chicago eingetroffen warst! Dann läge
sie jetzt in deinem Bett und wäre schwanger mit ihrem ersten
Wurf!«
»Hey!« Darcy zerrte wütend an den Ketten. »Moment
mal …«
»Verschwinde«, zischte Salvatore sie leise
an.
Sophia lachte. »Sag mir, Salvatore, bist du
wenigstens Manns genug, sie zu nehmen, wenn sie angekettet und
hilflos ist?«
Ein leises Knurren drang aus Salvatores Kehle,
während er langsam den Kopf drehte. »Ich werde es dir nicht noch
einmal sagen, Sophia! Verschwinde.«
Es folgte ein angespannter Moment, bevor Sophia
sich schließlich spöttisch verbeugte. »Natürlich, Eure Majestät.«
Auf ihrem Weg zur Tür blieb sie stehen, um zum Bett
hinüberzublicken. »Versuche sie nicht zu verletzen. Schließlich ist
sie trotz allem meine Tochter.«
Nachdem sie ihre Warnung ausgesprochen hatte, trat
Sophia in den Flur und schloss die Tür.
Als sie mit Salvatore allein war, war Darcy äußerst
unbehaglich
zumute. Sie glaubte eigentlich nicht, dass dieser Mann sie
wirklich vergewaltigen würde, während sie ans Bett gekettet war.
Nicht, nachdem er sich in den vergangenen Tagen solche Mühe mit dem
Versuch gegeben hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen. Aber
ärgerlicherweise fühlte sie sich ziemlich verletzlich, als er ans
Bett trat und zu ihr heruntersah.
Ihre Mutter hatte deutlich herausgestellt, dass sie
nur zu einem einzigen Zweck genetisch verändert worden war: um für
die Werwölfe Nachfahren zu bekommen. Wie lange konnte Salvatores
Geduld wohl noch andauern?
Sie zuckte zusammen, als er die Hand nach ihrem
Gesicht ausstreckte. »Nicht …«
In den dunklen Augen blitzte Bedauern auf. »Darcy,
ich wollte nicht, dass es auf diese Art geschieht. Bist du
verwundet?«
»Fassen Sie mich nicht an.«
Er ließ die Hand sinken, und sein Gesicht nahm
einen Ausdruck von verletztem Stolz an.
»Trotz meiner Herkunft bin ich kein Tier, Darcy.
Ich werde dir nichts antun.«
»Nein. Sie scheinen einen unendlichen Vorrat an
Frauen zu haben, die das für Sie erledigen«, murmelte Darcy. Sie
litt immer noch durch den Schlag, den ihre Mutter ihr verpasst
hatte. Ganz zu schweigen von ihrem Zusammenstoß mit der reizenden
Jade.
Seine Nasenflügel blähten sich, und sein Ärger
erfüllte den Raum mit einer prickelnden Hitze. »Ich verfüge über
einen unendlichen Vorrat an Frauen, die die schlechte Gewohnheit
besitzen, sich in meine Angelegenheiten einzumischen.«
Dem konnte Darcy kaum widersprechen. »Und was ist
das für eine Angelegenheit, die Sie mit mir zu regeln
haben?«
»Ich sagte es dir bereits, cara.« Sein Blick glitt langsam über ihren Körper.
»Ich wünsche mir, dass du meine Gemahlin wirst. Ich versichere dir,
dass das bei unserem Volk eine sehr ehrenvolle Stellung ist.«
Darcy zögerte. Es war nicht so, als würde sie die
Attraktivität dieses Mannes überhaupt nicht wahrnehmen. Er sah
atemberaubend gut aus und war mit der Art von Charisma gesegnet,
das die meisten Frauen unwiderstehlich finden mussten. Unter
anderen Umständen wäre sie vielleicht geschmeichelt über sein
Interesse gewesen. Aber die aktuellen Umstände umfassten, verfolgt,
an ein Bett gekettet und darüber informiert zu werden, dass sie
über eine genetisch veränderte Gebärmutter verfügte. Das war nicht
gerade das, was eine Frau vor Begeisterung jubeln ließ. Außerdem
war er nicht Styx. Und damit Schluss.
»Ich zweifle nicht daran, dass es eine sehr
ehrenvolle Stellung ist«, meinte sie langsam. »Aber was ist, wenn
ich sie trotzdem nicht einnehmen will?«
Er lächelte und enthüllte dabei seine weißen Zähne.
»Du wirst sie wollen.«
»Sie sind ja wirklich sehr von sich
überzeugt!«
»Unsere Vereinigung ist seit dem Tag
vorherbestimmt, an dem du geboren wurdest. Du kannst ihr nicht
entkommen.«
Darcy warf einen nachdrücklichen Blick auf ihre
Handgelenke. »Offensichtlich nicht, wenn Sie die Absicht haben,
mich weiterhin ans Bett gefesselt zu lassen.«
»Ich ließe dich frei, wenn du mir dein Wort gäbest,
dass du nicht zu fliehen versuchst.« Sein Lächeln verschwand,
als er ihr fest in die Augen sah. »Habe ich dein
Versprechen?«
Darcy biss die Zähne zusammen. Es wäre so einfach
zu lügen. Sie musste nur die Lippen öffnen und ihm alles
versprechen, was auch immer er wollte. Und das wollte sie auch tun.
Salvatores Vertrauen beinhaltete mit großer Wahrscheinlichkeit die
Möglichkeit zu fliehen. Das reichte als Grund für jede Lüge
aus.
Noch wichtiger war allerdings Folgendes: Falls sie
sich bald befreien konnte, wäre sie imstande, zu Styx
zurückzukehren, bevor der gefährliche Vampir die schreckliche
Situation noch schlimmer machte.
Darcy zitterte. Sie wusste nicht, wie spät es war,
aber sie vermutete, dass es bereits später Nachmittag war. Und das
bedeutete, dass es nur noch eine, vielleicht auch zwei Stunden
dauerte, bis die Sonne unterging. Nur noch eine oder zwei Stunden,
bis Styx in der Lage sein würde, ihrer Spur zu folgen und zu ihrer
Rettung zu eilen. Sie würde alles tun, um die unvermeidliche
Konfrontation zu verhindern.
Nur leider konnte sie es einfach nicht über sich
bringen, es auszusprechen. Sie konnte unter Salvatores
unverwandtem, auf sie gerichteten Blick nicht unverfroren
lügen.
»Nein.«
»Ich fürchte, unter diesen Umständen müssen die
Ketten an Ort und Stelle bleiben«, erwiderte er. »Zumindest für
einige Zeit. Irgendwann wirst du dich schon an dein Schicksal
gewöhnen.«
Darcy lachte kurz und freudlos auf. »Und eine
Zuchtwölfin werden? Ich denke nicht.«
Salvatores Gesichtsausdruck wurde hart. »Ich nehme
an, das war Sophias Werk. Sie sollte wirklich langsam lernen,
ihren Mund zu halten!«
»Warum?« Darcy forschte in den dunklen Augen.
»Hatten Sie vor, die Tatsache geheim zu halten, dass ich ein
wissenschaftliches Experiment bin? Oder dass mein einziger
Lebenszweck darin besteht, so viele Kinder wie möglich zu
produzieren?«
Überraschenderweise zuckte er bei ihrer schroffen
Anschuldigung zusammen. Und noch überraschender war, dass seine
Augen sich verdunkelten, als verspüre er wenigstens einen Anflug
von Schuldgefühlen.
»Cara, es ist kein
Geheimnis, dass die Werwölfe seit Jahrhunderten im Verschwinden
begriffen sind«, meinte er mit leiser Stimme, und dabei lag ein
unverkennbarer Schmerz in seinen Worten. »Die Rassewölfinnen
verlieren immer mehr Kinder, und selbst die Wolfstölen sind
seltener geworden. Wir sehen dem baldigen Aussterben ins
Auge.«
Darcy biss sich auf die Lippe, als ihr dummes
weiches Herz dahinzuschmelzen drohte. »Es tut … mir so leid, aber
…«
Salvatore hob eine Hand. »Warte. Ich will, dass du
das verstehst, Darcy«, sagte er in einem fast flehenden Ton. »Ich
habe ein ganzes Bataillon von Ärzten und Wissenschaftlern
angestellt, um ihre Hilfe zu erhalten, einfach, weil wir
verzweifelt sind. Wir müssen Kinder haben, wenn wir überleben
wollen!«
Darcy strengte sich an, um an ihrem Ärger
festzuhalten. Sie war eine Person, kein Eigentum, das zuerst
hergestellt und dann seiner zweckentsprechenden Funktion zugeführt
wurde! »Und denen kam die brillante Idee, an meiner DNS
herumzupfuschen?«, fragte sie.
»Die Wissenschaftler isolierten die Gene, durch die
wir uns verwandeln, und unterdrückten sie in dir und deinen
Schwestern.« Er machte eine Pause, bevor er die Hand ausstreckte,
um sie leicht an der Wange zu berühren. »Man hofft, dass du in der
Lage sein wirst, meine Kinder bis zum Schluss auszutragen, wenn du
dich nicht verwandelst.«
Darcy zuckte vor seiner innigen Berührung zurück.
»Ihre Kinder?«
Seine dunklen Brauen hoben sich. »Ich bin der
König! Mir wird stets die erste Wahl bei den Frauen gewährt.«
Darcys kurz aufflackerndes Mitleid war erfolgreich
wieder versiegt. Mir wird stets die erste Wahl
bei den Frauen gewährt … Was für ein Idiot.
»Aber nicht bei dieser Frau hier!«, fuhr sie ihn
an.
Er sah aus, als überrasche ihn ihre Verärgerung.
»Du gehörst zu meinem Rudel, cara. Das ist
Tradition.«
»Das mag ja Ihre Tradition sein, aber ganz sicher
nicht meine!«, stieß sie hervor. Gott, und sie hatte schon gedacht,
Styx sei überheblich. Der war ja der
reinste Waisenknabe im Vergleich zu diesem Mann!
»Glauben Sie wirklich, dass ich mit einem
vollkommen Fremden ins Bett steige?«
Salvatore gab sich versöhnlich. »Ich lehne es nicht
ab, einen Tag oder zwei zu warten, damit wir uns besser
kennenlernen können.«
»Einen Tag oder zwei?«
Er nickte. »Bis dahin wirst du fruchtbar
sein.«
Darcy gab einen erstickten Laut von sich. »Himmel!
Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Ihre Anmachsprüche ziemlich
mies sind?«
Seine Lippen zuckten. »Du willst, dass ich dir mit
süßen Worten und falschen Versprechungen den Hof mache?«
Darcy versteifte sich, als sie sich an Styx’ schöne
dunkle Stimme erinnerte, mit der er ihr während ihres Liebesspiels
etwas ins Ohr flüsterte. Das wollte sie. So
verzweifelt, dass ihr das Herz wehtat.
»Sie können sich Ihre süßen Worte für eine andere
Frau aufsparen!«
»In den nächsten Monaten wird es keine andere Frau
geben.« Seine Augen verengten sich. »Bis du schwanger bist, werde
ich dir treu sein.«
Sie starrte ihn eine ganze Weile einfach nur an.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
»Das ist mein vollkommener Ernst.«
Sie lachte kurz auf. »Immer wenn ich denke, es kann
nicht noch schlimmer werden, wird es tatsächlich noch
schlimmer.«
»Ich habe doch nur versprochen, dir treu zu sein.
Wie könnte das etwas noch Schlimmeres bedeuten?«
Sie stieß sich vom Kopfteil des Bettes ab, um ihn
wütend anzufunkeln. »Sagen Sie mal, Salvatore, sobald ich für Sie
einen Wurf hervorgebracht habe, werde ich dann an die anderen
männlichen Rassewölfe weitergegeben, damit die auch ihr Glück
versuchen können?«
Er betrachtete sie prüfend. »Du wirst deine
Bettgenossen selbst auswählen können.«
Empört über diese ganze unsägliche Situation, schob
Darcy das Kinn vor. Jetzt reichte es allmählich. Sie würde sich
eher aus dem Fenster stürzen, bevor sie einer dermaßen seelenlosen
Abmachung zustimmte! Kinder sollten durch zwei Menschen entstehen,
die sich zueinander bekannt hatten und die ihnen ein Zuhause voll
Liebe und Sicherheit bieten konnten. Gerade Darcy verstand dieses
Bedürfnis besser als irgendjemand sonst. Außerdem gehörte
sie schon zu einem anderen. Weder irgendeine Spezies noch
Verpflichtung noch Eisenhandschellen würde jemals etwas daran
ändern!
»Es gibt nur einen Mann, den ich in meinem Bett
haben möchte, und der ist kein Werwolf.«
Eine lastende Stille senkte sich herab, als
Salvatore auf das Bett zuging. »Vergiss deinen Vampir«, knurrte er.
»So sehr ich es auch hasse, einer Meinung mit Sophia zu sein, sie
hat recht. Ich habe zu viel Zeit vergeudet. Du gehörst mir. Es gibt
für uns beide keine andere Wahl.«
Darcy schüttelte trotzig den Kopf. »Oh doch!«
»Nein, cara.« Er umfasste
ihr Kinn mit einem schmerzhaften Griff. »Heute Nacht unter dem Mond
werde ich dich zu der Meinen machen.«
Im Gegensatz zu Darcy war Styx nicht an ein Bett
gekettet. Doch auch er war eingesperrt - in einer düsteren Zelle
tief unter Dantes elegantem Haus. Nicht unbedingt der Ort, an dem
man den mächtigen Anasso, Anführer aller Vampire, erwarten
würde.
Zum Glück für alle Beteiligten gelang es Styx, die
Kontrolle über seinen enormen Zorn wiederzuerlangen, während die
Stunden des Tages langsam vergingen. Tatsächlich war er gezwungen
zuzugeben, dass er seinen Freunden keine andere Wahl gelassen
hatte. Er war vor Zorn regelrecht aus der Haut gefahren, als er
entdeckt hatte, dass die Werwölfe Darcy entführt hatten, während er
fort gewesen war. Er war geradezu blind gewesen vor Wut.
Ohne seine Freunde hätte er nicht nur die beiden
verräterischen Vampire getötet, die versucht hatten, Darcy zu
entführen, und sie so erschreckt hatten, dass sie aus der
Sicherheit des Hauses geflohen war, sondern er wäre bei seinem
Versuch, seine Gefährtin zurückzuholen, blindlings in die
beginnende Morgenröte gestürmt. Und das wäre sein sicheres
Todesurteil gewesen und zweifelsohne genau das, worauf die Werwölfe
gehofft hatten.
Als nun die abendliche Dämmerung hereinbrach, zwang
er sich, seine Gefühle zu unterdrücken und die Situation mit der
winzigen Menge an Logik zu überdenken, die er im Moment aufbringen
konnte. Er hatte vielleicht keinen Schaum vor dem Mund vor Wut,
doch sein Drang, zu Darcy zu gelangen, war ein sehnsüchtiger
Schmerz, der seinen gesamten Körper beherrschte.
Dennoch wusste er, dass er seine Freunde würde
überzeugen müssen, seine geistige Gesundheit zurückgewonnen zu
haben, falls er aus seiner Zelle gelangen und sich auf die Suche
nach seiner Gefährtin machen wollte.
Er ging auf die Tür zu und sprach mit der kalten
Autorität, die ihn auszeichnete, einige Worte. »Viper, ich weiß,
dass du mich hören kannst! Du hast genau eine Minute Zeit, um zu
mir zu kommen!«
Das Geräusch von Schritten war zu hören, aber die
Tür blieb nach wie vor fest verschlossen. »Immer mit der Ruhe,
Altehrwürdiger! Ich bin hier.«
»Öffne die Tür!«
»Wenn die Nacht vollends hereingebrochen
ist.«
»Viper!« Styx’ Stimme hätte die Sahara einfrieren
können. »Du wirst diese Tür öffnen, oder ich werde das gesamte Haus
über unseren Köpfen zum Einsturz bringen!«
»Diese Einstellung wird mich wohl kaum davon
überzeugen, dass du wieder freigelassen werden kannst«, hob Viper
an. »Schließlich sperrte ich dich ein, um dich davon
abzuhalten, dich selbst zu töten. Du wirst nicht herausgelassen,
bis ich davon überzeugt bin, dass du wieder bei Sinnen bist!«
Styx schluckte den Zorn herunter, der in ihm
aufzusteigen drohte.Verdammt sollten die Freunde sein, die sich in
seine Angelegenheiten einmischten!
»Ich habe verstanden, was du mir sagen willst. Ich
hege nicht die Absicht, etwas Törichtes zu tun.«
»Habe ich dein Wort, dass du diesen Raum nicht
verlassen wirst, bevor die Nacht hereingebrochen ist?«
»Du hast mein Wort«, brachte Styx hervor und trat
ein Stück zurück, als die Tür aufschwang. Er wartete ab, bis Viper
sich in dem engen Raum zu ihm gesellt hatte, bevor er die Hände
ausstreckte, um ihn am Hemdkragen zu packen. »Was hast du
herausgefunden?«
Viper versuchte gar nicht erst, sich zu befreien,
als er Styx’ zornige Miene erblickte. »Es gelang Shay, Darcys Spur
zu Salvatores Versteck zu folgen.«
Styx biss die Zähne zusammen. Das hatte er
erwartet, aber es machte den Schmerz nicht kleiner. »Sie ist
sicher, dass Darcy sich noch immer dort befindet?«
»Ja.«
»Ist …« Styx war gezwungen, innezuhalten und sich
zu räuspern. »Ist sie verletzt?«
Viper fasste ihn am Oberarm. »Es geht ihr gut.
Styx, die Werwölfe werden ihr nichts antun - solange sie sie
benötigen.«
Styx knurrte tief in der Kehle. »Anscheinend
blutete sie, als man sie vom Gelände brachte.«
»Das war kaum mehr als ein Kratzer.«
»Ach ja? Und wenn es sich dabei um deine Shay
handeln würde?«
Vipers Gesicht versteinerte. »Dann wäre ich wohl
derjenige, den man in diesem Raum eingesperrt hätte.«
»Genau.«
»Und du wärest derjenige, der mich warnen würde,
dass es mehr als töricht wäre, Salvatores Versteck anzugreifen,
ohne zumindest über einen Plan zu verfügen.« Viper hob die Hände.
»Ich glaube, wir haben für diese Woche genug Fehler begangen,
meinst du nicht auch?«
Styx ließ seinen Freund abrupt los und wandte sich
um, um in dem schmutzigen Raum umherzulaufen. Er konnte nicht
leugnen, dass selbst er mehr als genug Fehler begangen hatte. Und
das war für einen Vampir, der für seinen kühlen Sachverstand
gerühmt wurde, eine unverzeihliche Schwäche. Es durfte keine Fehler
mehr geben, wenn es um Darcys Rettung ging.
Styx drehte sich unvermittelt um und stellte fest,
dass sein Kamerad ihn besorgt beobachtete. »Wo ist eigentlich der
Gargyle?«
Viper war überrascht über die plötzliche Frage. »Er
befindet sich noch in seiner Statuengestalt.« Er machte einen
Schritt auf ihn zu. »Styx, ich hoffe, du wirst ihm nicht die Schuld
geben! Er tat, was er konnte, um Darcy zu beschützen. Und um ganz
ehrlich zu sein, bin ich nicht ganz sicher, ob du in der Lage
wärest, ihm noch mehr Schuldgefühle einzuflößen, als er bereits
verspürt.«
»Entspann dich, Viper.« Styx winkte ungeduldig ab.
»Ich weiß, dass der Kleine die Verräter zurückhielt, so dass Darcy
versuchen konnte zu fliehen. Ich werde seinen Mut nicht
vergessen.«
»Weshalb benötigst du ihn dann?«
»Er war bereits in Salvatores Versteck. Ich hoffe,
er kann uns eine Karte der Räumlichkeiten zeichnen und uns
zumindest eine ungefähre Vorstellung davon vermitteln, wo sie
Darcy möglicherweise gefangen halten.«
»Ah.« Viper nickte langsam und kniff die Augen
zusammen, als er über die verschiedenen Möglichkeiten nachdachte,
die sich ihnen boten. »Wenn er sich unbemerkt hineinschleichen
könnte, so könnte er uns auch mitteilen, an wie vielen Wolfstölen
wir vorüber müssen, um zu ihr zu gelangen. Ich möchte lieber nicht
erneut unvorbereitet ertappt werden.«
Styx lächelte. Kalte Entschlossenheit breitete sich
in seinem Herzen aus, als er die Pläne in seinem Kopf bis zum Ende
durchdachte. Sehr bald würde Darcy wieder in seinen Armen liegen.
Und nichts weniger als das würde er dulden.
»Eigentlich habe ich nicht die Absicht, gegen
irgendjemanden zu kämpfen, wenn es sich vermeiden lässt.«
Viper gab ein ersticktes Lachen von sich. »Glaubst
du wirklich, dass du eine Wahl hast?«
Styx fuhr sich ungeduldig mit den Fingern durch
sein langes Haar. Er benötigte eine Dusche und musste seine
Kleidung wechseln. Außerdem würde er Nahrung zu sich nehmen müssen,
bevor er Dantes Anwesen verließ. Er würde Darcy nicht verfolgen,
ohne im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein.
»Es hat einfach so zu sein«, entgegnete er
geistesabwesend. Seine Gedanken kreisten bereits um die Waffen, die
er am bequemsten bei sich tragen konnte.
»Gewiss fürchtest du die Werwölfe nicht?«
»Niemals.« Styx seufzte. »Aber ich fürchte meine
Gefährtin.«
»Das ist sehr klug, doch ich verstehe es noch immer
nicht.«
»So sehr ich auch die Sehnsucht verspüre, die
Werwölfe dafür zu bestrafen, dass sie es gewagt haben, Hand an
Darcy zu legen, kenne ich Darcys weiches Herz nur zu gut. Sie
verziehe es mir nie, wenn ich ihre lange verloren geglaubte Familie
zerstörte.«
»Glaubst du nicht, dass sie ihrer Familie
bereitwillig folgte?«
»Nein. Sie versprach mir, an Ort und Stelle auf
mich zu warten, und sie bräche niemals ihr Wort«, sagte Styx voller
Zuversicht. »Doch das ändert nicht das Geringste. Sie mag
vielleicht zornig darüber sein, entführt worden zu sein, aber sie
bliebe lieber in Gefangenschaft, als zu dulden, dass zu ihrer
Verteidigung Blut vergossen wird. Insbesondere, wenn dieses Blut
zufällig den Mitgliedern ihres Rudels gehört.«
»Sie verfügt über kein Rudel. Sie gehört nun zu
uns«, entgegnete Viper.
Styx konnte nicht anders, er musste lächeln. Sein
Freund mochte bezüglich Darcy tiefen Argwohn gehegt haben, aber
nun, da sie Styx’ Gefährtin war, würde Viper bis zum Tode kämpfen,
um sie zu beschützen.
»Ich stimme dir aus tiefstem Herzen zu. Es ist
Darcy, die wir überzeugen müssen.«
Verärgerung zeigte sich auf dem bleichen Gesicht.
Viper zog stets einen direkten Vorstoß vor. Zweifelsohne deshalb,
weil er ein gefährlicher Krieger war, der von allen gefürchtet
wurde. »Hast du etwa die Absicht, über ihre Freilassung zu
verhandeln?«, wollte er wissen.
»Nur als letzte Möglichkeit«, räumte Styx ein. So
sehr er es auch vorzöge, die Werwölfe vom Angesicht der Erde zu
tilgen, würde er doch tun, was notwendig sein würde, um Darcy zu
befreien. Und das schloss auch ein, dass er
den Stolz herunterschluckte, für den das Vampirvolk bekannt war.
»Ich hoffe, dass ich imstande sein werde, mich hineinzuschleichen
und sie mitzunehmen, bevor die Werwölfe meine Absichten
herausfinden.«
Eine ungläubige Stille trat ein, bevor Viper
plötzlich auflachte. »Aber natürlich! Was könnte schließlich
einfacher sein, als direkt vor der Nase von einem Dutzend Werwölfen
oder mehr hineinzuschleichen und mit ihrem kostbarsten Besitz zu
verschwinden? Vielleicht können wir ja später in dieser Nacht noch
Sonne und Mond am Himmel vertauschen?«
Styx stemmte die Hände in die Hüften. »Zweifelst du
an meinen Fertigkeiten, alter Freund?«
»Nein, ich zweifle an deinem Verstand.«
»Du bewegst dich auf gefährlichem
Terrain,Viper!«
Nun war es an Viper, unruhig umherzulaufen.
»Verdammte Hölle, du wirst dich dem Versteck nicht auf einen
Kilometer nähern können, ohne dass die Werwölfe davon erfahren«,
knurrte er. »So sehr ich sie auch verabscheue, sie sind alles
andere als dumm, und sie verfügen über Fähigkeiten, die den unseren
in kaum etwas nachstehen.«
»Ich gedenke dies zu meinem Vorteil zu
nutzen.«
Viper blieb abrupt stehen. »Und wie beabsichtigst
du das zu tun?«
»Sie erwarten vermutlich, dass ich das Versteck mit
der gesamten Streitmacht angreifen werde.«
»Denkst du, sie werden weniger wachsam sein, wenn
du dies nicht tust?«
»Ganz im Gegenteil.« Ein Lächeln kräuselte Styx’
Lippen. Es war ein Lächeln, das die meisten vor Entsetzen in die
Flucht schlug. »Ich baue darauf, dass sie sich ganz auf
den bevorstehenden Angriff konzentrieren, wenn du und deine
Clanangehörigen das Versteck umzingeln.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Viper leise
schmunzelte. »Eine Ablenkung.«
»Genau.«
»Und du hegst die Absicht, dich durch die Hintertür
einzuschleichen und deine Gefährtin zu holen, während wir mit
unseren Säbeln rasseln und mit entsetzlichen Vergeltungstaten
drohen?«
»Ja.«
Viper nickte langsam und zögernd mit dem Kopf. »Das
könnte funktionieren, aber ich möchte nicht, dass du allein
gehst.«
Styx runzelte die Stirn. »Ich weiß deine Besorgnis
zu schätzen, Viper, doch wir wissen beide, dass ich mich deutlich
schneller bewegen kann und aller Voraussicht nach weniger
Aufmerksamkeit errege, wenn ich mich allein auf den Weg
mache.«
»Und was, wenn dir etwas zustößt? Dann werde ich
keine Möglichkeit haben, davon Kenntnis zu erlangen, dass Darcy
noch immer gerettet werden muss«, gab Viper ruhig zu bedenken.
»Oder zögest du es vor, wenn sie dann in der Gewalt der Werwölfe
bliebe?«
»Verdammt sollst du sein«, murmelte Styx in dem
Wissen, geschickt ausmanövriert worden zu sein. »Ich werde den
Gargylen mitnehmen, aber du wirst ihm einschärfen, dass er jeden
meiner Befehle ohne Wenn und Aber befolgen muss, sonst werde ich
ihn eigenhändig den Wölfen zum Fraß vorwerfen!«