58

»Oh, BB, was hat Granny London nun schon wieder gekauft?«, rufe ich entsetzt, als ich die Diele betrete. »Jesus.«

BB gibt keine Antwort, genauso wenig wie meine Mutter. Das liegt daran, dass sie auf ihrem neuen Trainingsgerät sitzt. Ich höre es an dem gleichmäßigen Surren aus unserem ehemaligen Esszimmer. Nachdem Mum all ihre Schulden bezahlt hatte, beschloss sie, das Zimmer in einen Fitnessraum zu verwandeln. Bisher stehen ein Laufband und ein Crosstrainer darin, es gibt einen Gymnastikball, und dieses Riesenpaket hier scheint wohl eine Hantelbank zu sein.

Ich öffne langsam die Tür und spähe vorsichtig in ihr Trainingscenter. Ich möchte sie nicht erschrecken, damit sie nicht von einem ihrer Geräte fällt. Sie sieht sehr süß aus in ihren pinkfarbenen Shorts, dem Sport-BH und dem Schweißband um den Kopf. Sie winkt, als sie mich sieht, und drückt dann auf eine Taste, das Laufband wird langsamer.

»Puh!«, sagt sie, als sie auf ein zügiges Schritttempo heruntergekommen ist. »Wie geht es euch beiden?«

Ich erwidere ihr Lächeln. Ich habe sie seit dem Wochenende nicht gesehen und hatte schon Angst, mir unsere herzliche Nähe nur eingebildet zu haben.

»Gut«, sage ich und hocke mich auf den Gymnastikball.

»Du siehst müde aus. Ich hatte Schlafstörungen, als ich mit dir schwanger war.«

Ich erkläre ihr nicht, dass nicht Babybohne der Grund ist, der mich wach hält, sondern vielmehr der Umstand, dass ich mich am Sonntagabend vor einem fünfzigjährigen Mann ausgezogen habe und dass mich sein Gesicht verfolgt, sobald ich die Augen schließe.

»Hm.«

»Alles okay?«

»Hm.«

»Sicher?«

»Ja. Ich habe gerade eine kleine Pause zwischen zwei Besichtigungsterminen und dachte mir, ich schaue mal kurz vorbei.«

»Das ist nett von dir. Grace, Liebling, was ist los?«

»Ich fühle mich einfach so schuldig. Das arme kleine Ding. Denkst du, es hat bei ihm Narben hinterlassen, dass es in der Anfangszeit ungewollt war?«

»Grace, das ist albern. Dieses Kind wird sehr, sehr viel Liebe bekommen.«

»Hm. Ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen.«

»Brauchst du aber nicht zu haben.«

»Ich möchte eine gute Mutter sein, aber ich mache mir Sorgen, dass ich alles vermasseln werde.«

»Grace, ich bin die Letzte, die du fragen kannst.«

»Du warst eine gute Mutter.«

»Nein, Grace, das war ich nicht. Das war ich nie.«

Sie war eine gute Mutter, denke ich. Ich weiß, dass ich sie vergötterte, als ich noch klein war. Wendy und ich gingen früher nach der Schule immer zum Spielen zu mir nach Hause, und wir fragten dann Mum, ob wir uns ihre Kleider anschauen dürften. Wir schrubbten uns vorher die Hände, bis sie rot waren, weil wir keine Flecken auf den Stoffen hinterlassen wollten, und ich zeigte Wendy nicht nur die Kleider, sondern auch Fotos von meiner Mutter darin, auf denen sie tanzte. Mum erlaubte uns manchmal auch, ihren Schmuck anzuprobieren. Wir kamen dann über und über mit Schmuck behängt zum Essen, und mein Vater sagte: »Menschenskind, gleich zwei Liz Taylors!« Einmal, als meine Eltern einen Auftritt in Blackpool hatten, luden sie Wendy dazu ein. Mum ließ uns in den Backstagebereich, wo wir ihr beim Schminken zusahen. Wendy schminkt sich heute noch die Augen wie Mum an jenem Tag. Mir kam früher kein einziges Mal in den Sinn, dass ich mit einer schlechten Mutter aufwuchs. Ich weiß, Mum war nicht begeistert von den Gesangswettbewerben, weil sie immer wieder Bemerkungen machte wie »O nein, nicht schon wieder!«, wenn ich ihr davon erzählte, aber im Nachhinein betrachtet, war es sicher anstrengend, ein Kind zu haben, das an den meisten Wochenenden an Orte wie Wolverhampton und Milton Keynes gefahren werden wollte. Früher hat sie mir immer gesagt, dass sie mich liebt. Damit hat sie erst seit Dads Tod aufgehört.

»Du warst eine gute Mutter«, bekräftige ich.

»Ich bin mit meinem neuen Laufband sehr zufrieden«, sagt sie, um das Thema zu wechseln, und tätschelt das Gerät, bevor sie absteigt. »Kannst du mir helfen, die neue Hantelbank auszupacken?«

»Klar. Wie viel hat das neue Zeug gekostet?«

»Oh, es war recht teuer. Aber ich benutze es regelmäßig, also ist es das wert.«

»Verstehe. Aber du bist doch jetzt aus dem Schneider, finanziell betrachtet, oder?«

»Ja, alles okay.«

»Du musst nämlich bald die erste Rate zurückzahlen.«

»Das weiß ich alles, Grace. Ich habe mir einen Haufen Bücher zum Thema Existenzgründung gekauft, meine wunderbare neue Nähmaschine wird nächste Woche geliefert.«

»Okay. Solange du klarkommst.«

»Grace.« Ich höre an ihrem Ton, dass sie allmählich sauer wird. »Ich komme schon zurecht.«