26

»Oh, Wendy«, stöhne ich. »Oh, Wendy, Wendy.«

»Sei still«, murmelt sie in das Kissen.

»Oh, Wendy, du musst aufstehen und mir ein Glas Wasser holen … bitte.«

»Grace?«

»Hm?«

»Halt die Klappe!«

»Oder eine Cola oder Apfelsaft oder … Weißt du, worauf ich richtig Lust hätte? Auf einen Apfelsaft. Dafür würde ich unaussprechliche Taten begehen. Apfelsaft mit Eiswürfeln.«

»Gracie, machst du das mit Danny am Sonntagmorgen auch immer?«

»Aber … aber du verstehst mich nicht, mein Kopf. Ich habe Rotwein auf Weißwein getrunken und danach Whisky. Oh, oh … diese Schmerzen.«

»Verfluchte Scheiße.« Wendy setzt sich auf.

»Wendy …«

»Hör endlich auf zu winseln!«

»Aber es ist was wirklich Schlimmes passiert.«

»Wann?«

»Letzte Nacht.«

»Sei still. Wir hatten einen tollen Abend. Wir haben gesungen, nur du natürlich nicht. Obwohl du eigentlich wolltest, das habe ich dir angesehen. Und ich habe zum ersten Mal meinen zukünftigen Ehemann geküsst. Okay, ohne Zunge, aber das ist schon mal ein verdammt guter Anfang. Wo ist also das Problem?«

»Ich hatte wieder einen.«

»Grace, drück dich doch bitte so aus, dass ich dich auch verstehen kann. Du hattest wieder einen was?« Plötzlich schnappt sie nach Luft. »Huch! O mein Gott, du hattest wieder einen schmutzigen Traum.«

»Ja.«

»Mist! Wieder mit Posh Boy?«

»Nein.«

»Himmel, mit wem dann?«

»Mit Anton.«

»Mit ANTON! Du und mein zukünftiger Schwiegervater! Und ich lag neben dir im Bett. Igitt! Gracie Flowers, ich fühle mich beschmutzt.«

»Oooh, ich bin pervers«, stöhne ich.

»Grace, da ist jemand an der Tür.«

»Ich kann nicht runtergehen. Ich will keinen mehr sehen, sonst endet er wieder als Lustobjekt in meinen Träumen.«

»Soll ich gehen? Wer kann das sein?«

»Keine Ahnung.«

»Ich geh mal runter und sehe nach, wer das ist.«

»Saft«, krächze ich, als sie das Zimmer verlässt.

Zwanzig Sekunden später stürmt sie die Treppe hoch.

»Es ist dein feuchter Traum!«

»John?«

»Nein, Anton! Um Gottes willen, Grace, bleib wach! Ich habe ihn durch das Fenster gesehen.«

»Warte«, sage ich und öffne schließlich die Augen. »Haben wir das Essen gestern Abend bezahlt?«

»Nein. Hühnerkacke, ich weiß es nicht mehr. Nein. Nein, wir haben nicht bezahlt. Wessen Geldkarte haben wir an der Bar hinterlegt?«

»Meine. Oh, ich muss aufstehen. Hilf mir.« Ich strecke Wendy matt die Hand entgegen, damit sie mich vom Bett hochzieht.

»Wendy, ich fühle mich nicht besonders gut«, winsle ich und klammere mich an ihr fest.

»Wehe, du kotzt mich voll, Flowers«, erwidert sie und schiebt mich sanft weg. Ich schwanke im Pyjama die Treppe hinunter.

»Hallo«, miaue ich, als ich die Tür öffne.

»Brummschädel?«, fragt Anton freundlich.

Er macht einen frischen und sauberen Eindruck. Oje, ich glaube, ich werde rot: Ich muss wieder an den Traum denken. Ich blinzle ihn an.

»Hm«, krächze ich.

»Gracie, mein Schatz, macht es dir was aus, den Kartenbeleg hier zu unterschreiben?«

Er gibt mir einen Teller mit einem Bacon-Sandwich, auf dem auch meine ec-Karte und ein Kugelschreiber liegen.

»Danke.« Ich bin zu Tränen gerührt. Es ist nur ein Bacon-Sandwich, Gracie, reiß dich zusammen. Ich gebe ihm eine zittrige Unterschrift, die null Ähnlichkeit mit meiner hat. »Anton?«

»Gracie?«

Ich zögere kurz. Der Anblick der Brusthaare, die oben aus seinem Hemd ragen, lenkt mich ab. Letzte Nacht in meinem Traum fuhren meine Finger durch dieses Brusthaar. Letzte Nacht waren meine Hände überall auf seinem Körper. O nein. Oje.

»Anton.« Mein Mund ist so trocken. »Ich gebe dir alles, was ich habe, für eine einzige Flasche Apfelsaft. Wäre das möglich?«

Er lacht leise.

»Komm mit.« Er bietet mir seinen Arm an.

Ich blicke auf meine Füße. Ich habe keine Schuhe an, und es ist gefährlich, barfuß das Haus zu verlassen, wegen des Glasgeschäfts.

»Moment«, sagt er und hebt mich hoch, als würde er mich aus einem Feuer retten. Er tut das so behutsam und mühelos, dass ich mir federleicht vorkomme. Seine Berührung fühlt sich tröstlich an.

»Würde es dir was ausmachen, mich den ganzen Tag herumzutragen?«, frage ich, während ich schaukelnd in seinen Armen die Straße überquere.

»Es wäre mir ein Vergnügen.«

Er stößt die Tür zum Pub auf und legt mich auf das Sofa vor dem Kamin.

»Der wiederbelebende Apfelsaft kommt sofort«, sagt er und lacht wieder leise.

»Anton?«

»Mylady.«

»Ich möchte nicht, dass du mich für anspruchsvoll hältst oder so, aber denkst du, ich könnte auch ein paar Eiswürfel haben?«

»Sicher.«

»Eis, Eis, Baby«, sage ich, weil ich ein Idiot bin.

»Bleib, wo du bist. Keith Moon wird auf dich aufpassen. Ich gehe kurz runter zur Eismaschine.«

Ich höre, dass Keith Moon in den Raum kommt, auf leisen Pfoten und mit lautem Schnuppern.

»Hallo, mein Freund«, sage ich zu seinem hübschen Gesicht, während er auf das Sofa springt und sich neben mich legt. Ich bin mir nicht sicher, ob er auf die Ledercouch darf, aber ich habe nicht die Kraft, einen Hund zu erziehen.

»Dad!« Das ist Freddies Stimme.

»Hallo, Freddie!«, rufe ich zurück. »Er holt gerade Eis.«

»Gut. Grace, kann ich dich mal was fragen?«

Freddie stellt sich vor mich und blickt zu mir herunter. Er macht auch schon einen fitten und munteren Eindruck. Diese aktiven Menschen lähmen mich.

»Hm«, bringe ich heraus.

»Gut, mir ist bewusst, dass meine Frage vielleicht ein bisschen dreist ist. Ich muss sie jetzt trotzdem loswerden.«

Er spricht jetzt ganz leise und geht neben mir in die Hocke. Oh, das ist vielversprechend, bestimmt will er mich über Wendy ausfragen. Ich lächle.

»Kann ich dich abends mal zum Essen ausführen?«

Ich starre ihn an. Ich bin verwirrt. Ich warte, dass er sagt »Sorry, ich meinte Wendy«, aber das kommt nicht von ihm, dabei wäre es angebracht.

»Aber ich bin mit Dan zusammen«, erwidere ich.

»Oh«, sagt er, scheinbar irritiert, obwohl ihm dieser Umstand geläufig ist, seit wir uns kennen. »Oh, entschuldige.«

»Okay, Eiswürfel für die widerspenstige Sängerin.« Anton ist zurück.

»Herzlichen Dank, Anton. All meine irdischen Besitztümer gehören nun dir«, sage ich, während ich von der Couch aufstehe und an die Theke gehe, wo mein Apfelsaft und mein Bacon-Sandwich auf mich warten.

Ich schenke Anton und Keith Moon ein Lächeln, Freddie erhält nur ein Nicken. Dann wende ich mich in Richtung Ausgang.

»Bis später beim Karaoke«, ruft Anton.

Ich glaube nicht, dass ich mir das antun werde. Herzlichen Dank auch.