Kapitel dreiunddreißig

Mike kaufte einen Liter Milch, die »Times«, eine Dose Tomatensuppe und drei frische Brötchen.

»Hab’ Sie schon ’ne ganze Weile nicht mehr gesehen, Mike«, sagte der Ladeninhaber.

»War zu sehr damit beschäftigt, fett zu werden!«, sagte Mike, und sie lachten beide, als er das Geschäft verließ.

»Bis morgen«, rief er und winkte Netty zu, nachdem er die Straße überquert hatte.

»Wir sehen uns um halb neun!«, sagte Netty. Sie passte auf Isla und deren Freundinnen auf, die aus Seil, Zeitungspapier und Holz eine Guy-Fawkes-Puppe für das Lagerfeuer bastelten.

Der Park war ein großer Erfolg geworden. Es hatte tagelanger, intensiver Arbeit bedurft, aber Mike hatte alles wunderbar organisiert. Ehe die Gemeinde wusste, wie ihr geschah, war mitten auf dem Rasen ein großes Holzboot aufgetaucht. Planken und Seile und Verstecke und Rutschen wuchsen darin und darum in die Höhe, und dann kamen scharenweise aufgeregt lärmende Kinder, deren Eltern und Großeltern fröhlich schwatzend den Spielplatz säumten.

Mike beobachtete, wie die Erwachsenen auf der Bank in dem Park, den er für sie angelegt hatte, miteinander tuschelten. Was sagten sie wohl, diese Damen und dieser komische Langweiler namens Jim? Und was war das da vor der Bank, das sie zu verstecken versuchten? Es war etwas Seltsames von der Größe eines Stuhles und nur notdürftig mit einem alten Strandtuch kaschiert.

Mike öffnete die Tür zu seinem Haus und ging die Treppe zu seiner Wohnung hoch. Er las die Zeitung, machte Kaffee und putzte die Küche. Dann setzte er sich vor den Computer. Sein Büro war gut organisiert. Eine ganze Wand nahmen Regale ein, die randvoll mit Videokassetten waren.

Mike war eine Woche lang nicht auf seinem Grundstück gewesen. Er hatte es aus seinem Gedächtnis gestrichen wie eine Diät, die nicht funktioniert – es machte sich nicht einmal mehr als schuldbewusstes Nörgeln im Hinterkopf bemerkbar. Das Grundstück, das neue Leben, seine Einsamkeit und sein neuer, gesunder Lebensstil verwelkten irgendwo in Ayrshire.

Das Grundstück in Ayrshire war der letzte in einer Reihe von Versuchen gewesen, sein Leben zu ändern. Er hatte es mit der Ehe versucht – aber die Last einer emotional angemessenen Beziehung war mehr gewesen, als er ertragen konnte. Er hatte es mehrmals mit Alkohol versucht, aber der half ihm nur dabei, sich kopfüber in sein Hobby zu stürzen. Und er hatte Selbstmord in Erwägung gezogen, aber dazu war er immer zu feige gewesen. Er hatte nicht den Mumm dazu.

Seine Arbeit an der Dokumentation über Gewalt an Schulen lief sehr gut. Es blieben ihnen noch drei Tage zum Filmen, und Mike musste vor den Aufnahmen am nächsten Tag Unmengen von Aufgaben erledigen. Er musste den Mann anrufen, der die Drehorte koordinierte, um sicherzustellen, dass für die Klassenzimmer-Interviews am nächsten Tag alles vorbereitet war; er musste die ersten Probekopien der Interviews vom vergangenen Tag durchgehen; und er musste über Jane Malloy nachdenken.

Aber der Reihe nach. Der Drehort-Koordinator versicherte Mike, für morgen sei alles vorbereitet. Also legte Mike auf und widmete sich der nächsten Aufgabe.

Die Probekopien sahen gut aus. Eine Woche zuvor war es auf den Toiletten zu einer Messerstecherei gekommen, einer der vielen Messerstechereien, wie sie in letzter Zeit unter Kindern stattfanden, und Mike hatte ein hervorragendes Interview mit Jane Malloy, dem zehnjährigen Opfer, und seiner Freundin Beth führen können. Sie sprachen plastisch über ihr Martyrium und sagten, was die Erwachsenen ihrer Meinung nach zur Verbesserung der Situation tun sollten. Mike hatte jeder von ihnen zwanzig Pfund zusätzlich zu dem Honorar gegeben, das Channel Four ihnen zahlte, und außerdem ein Spiel für die Playstation, um sich für ihre anstrengende Arbeit zu bedanken. Janes Mutter freute sich so sehr über diese positive Reaktion, dass sie bereitwillig zugestimmt hatte, Jane zu einem zweiten Interview in seiner Wohnung am nächsten Tag vorbeizubringen.

Und das war heute.

Die Probekopien gaben Mike den Kick, auf den er aus war – die Kinder auf den Toiletten, der schmutzige Umkleideraum, das reine, weiße Fleisch von Jane Malloy. Das war besser, unmittelbarer als einige der Sachen, die er in letzter Zeit heruntergeladen hatte. Es war immer schwieriger geworden, das, was er suchte, im Internet zu finden. Da draußen gab es Perverse, die Jungs mochten, sogar Babys, und manchmal stöberte er in irgendwelchen Schlupflöchern Sachen auf, von denen ihm richtiggehend übel wurde.

Ein oder zwei Mal hatte er den Perversen Material besorgt. Das hatte Probleme mit sich gebracht. Da war zum Beispiel Marie Johnstons Bruder, der sich einfach nicht verpissen wollte. Da die Fotos sich gut verkauften, nahm er die Unannehmlichkeiten in Kauf.

Als er sich jetzt die Probekopien anschaute, schlüpfte Mike in die Rolle des Regisseurs. Wenn er es mit dieser Perspektive versuchte, mit jener, wenn er Seide verwendete, weiße Seide vielleicht, dann konnte er sich nicht nur stundenlang selbst amüsieren, sondern auch bares Geld damit verdienen – die Kopien waren seine Währung, die er mit anderen Fans tauschen konnte.

Als die Türklingel läutete, musste er das Video (und seine eigene Erregung) abschalten.

Janes Mutter war typisch. Geblendet von seinem Lebenslauf und von der Macht, mit der er aus ihrer Tochter einen Star machen konnte, handelte sie so, wie es auch die anderen Mütter immer getan hatten. Nach einer Tasse Kaffee bereitete es ihr überhaupt keine Schwierigkeiten, ihm seine alte Geschichte abzukaufen: dass der Regisseur jeden Augenblick eintreffen werde, und dass Jane sich besser interviewen lassen werde, wenn sie ein paar Stunden allein bliebe.

Und so spielte Mike, nachdem Janes Mutter gegangen war, die alte Nummer, die er in seinen Zwanzigern gelernt und seitdem unzählige Male erprobt hatte. Er hatte in Los Angeles gelebt – selbst damals schon ein Überflieger –, als ihm klar geworden war, dass es für einen richtigen Erwachsenen nicht mehr normal war, sich sexuell zu Kindern hingezogen zu fühlen.

Aber in Los Angeles war er weniger stark eingeschränkt gewesen. Keine Vorbilder – seine Eltern waren tot, seit er ein Baby gewesen war, und all seine Freunde aus dem Filmgeschäft schnupften Koks und fickten, wen auch immer sie ficken wollten. Er hätte seinem Regisseur und seinen Schauspielerkollegen niemals gesagt, dass er Mädchen unter zwölf Jahren bevorzugte, aber hätte er es getan, sie hätten vermutlich nicht mit der Wimper gezuckt.

Er hatte L. A. verlassen, als die Mutter eines Mädchens anfing, Anschuldigungen zu erheben. Seitdem war er kreuz und quer durch Großbritannien gezogen. Zuerst hatte er in London gewohnt, wo er regelmäßig und auf angenehme Weise seinen Freizeitaktivitäten nachgegangen war. Wenn er nur an die neunjährige Statistin aus Staffel eins seiner Sitcom dachte, wurde er schon ganz scharf, und wenn er sich vorstellte, wie das Mädchen, das er im Park getroffen hatte, genau so im Gebüsch saß, wie er es ihr gesagt hatte, tat es fast weh.

Dann war er nach Glasgow gezogen, um mit Vivienne Morgan und ihrer wunderschönen Tochter Sarah zusammenzuleben. Aber dann hatte Marie Johnston, eine Freundin von Sarah, ihn bei ihrer Mutter verpfiffen.

Er hatte die Situation falsch eingeschätzt. Das Geld und die Stofftiere hatten nicht ausgereicht. Er wurde angeklagt, und ihr kleiner Bruder bestätigte ihre Aussage, aber sein Anwalt hatte die Anklage auf einen netten, vagen Verstoß gegen den öffentlichen Frieden heruntergedrückt.

Damals hatte man auf Sexualstraftäter nicht so sehr geachtet wie heute. Es gab kein Polizeiregister für diese Delikte, nichts. Und so zog er einfach zurück nach London und fing von Neuem an. Aber irgendein Spinner kam ihm auf die Schliche, und so ging er in den Norden, in ein idyllisches, familienfreundliches Dorf namens Drymlee, dreißig Minuten von Glasgow entfernt – weit genug, um unerwünschten Begegnungen mit früheren Bekannten aus dem Weg zu gehen.

Jane gefiel ihm wirklich sehr. Sie war die Reinheit in Person. Er liebte die Art, wie sie auf dem Sofa saß und kokett kicherte, während er vorgab, den Regisseur anzurufen, der vorgab, nicht kommen zu können. Dann führte er ein vorgebliches Interview über die Messerstecherei mit ihr, von dem sie ihrer Mutter erzählen konnte. Dann ging er in die Küche, traf ein paar Vorbereitungen und rieb sich ein paar Mal an dem verchromten Stahl des Kühlschrankes, während er überlegte, ob er dagegen ankämpfen solle. Alles lief so gut – seine Arbeit, seine Wohnung, sein Park, das Muttchen von Nachbarin mit seinen Pflanzen und der Enkelin – und er war in den letzten Monaten so vorsichtig gewesen.

Ach, zum Teufel, dachte er, während er den Rest seines Whiskys herunterkippte und eine leere Videokassette aus seinem Büro holte. Er hatte es sich verdient. Heute würde er ein Glas Johannisbeersaft verschütten.