Kapitel fünfzehn

Nach der schmerzhaften Erfahrung mit Marco war ich fest entschlossen, das Zusammensein mit Matt zu genießen, aber es passierte schon wieder. Der Schmerz war fürchterlich, als wir uns vereinigten, und Bilder von Blut und Geschrei und nicht abgestoßenen Plazenten überschlugen sich in mir. Dann hörte ich ein Keuchen, als ob jemand draußen vor dem Zelt wäre. Ich hielt mitten im laufenden Verfahren inne, zog mein Oberteil an und ging hinaus, aber da war niemand. Ich fragte Kyle und Sarah, aber sie wussten von nichts. Offenbar war ich wirklich verrückt. Ich war nicht nur eine depressive Alkoholikerin mit plötzlichen Erinnerungsschüben, ich war auch paranoid.

Ich kehrte zu Matt zurück und sagte ihm, dass ich betrunken und verwirrt sei, und dass ich nicht mehr mit ihm schlafen wolle. Ich sagte ihm außerdem, dass ich keinen Wellensittich hätte. Ich hätte einen kleinen Jungen namens Robbie.

»Das macht doch nichts«, sagte er. »Komm her und lass es raus … lass alles raus.«

Das tat ich denn auch. Ich weinte an seiner Brust.

Und dann ließ er alles raus. Machte seinen Reißverschluss auf, nahm meine Hand und klatschte sein klebriges Fleisch hinein.

»Du meine Güte!« Ich zog meine Hand zurück und wollte aufstehen, aber er zog mich zu sich hinunter und legte sich auf mich, wobei er meinen Nacken und meine Stirn mit pelziger, trockener Zunge küsste.

»Nein!«, sagte ich etwas lauter, aber er machte weiter.

»Matt! Hör auf!«, kreischte ich.

Ich versuchte, seinem Brustkorb einen Stoß zu verpassen, aber er schien das nicht zu spüren. Alles, was er zu spüren schien, war zwischen meinen Beinen, und dort wollte ich ihn nicht haben. Ich wollte ihn dort weghaben.

Ehe ich von Panik überrollt wurde, fiel Matt auf mich drauf, und als ich ihn zur Seite schob, geriet Kyle in mein Blickfeld. Er beugte sich über uns.

Kyle schleifte Matt die ganze Strecke zum See und drückte sein Gesicht ins Wasser. Ich folgte ihm, überrascht von Kyles Wut und Stärke, und sah zu, wie er Matts Kopf runterdrückte. Erst war ich zu benommen, um irgendetwas zu unternehmen, aber nach ein paar Sekunden wurde mir klar, dass ich einschreiten musste, da Matt sonst ertrinken würde.

»Hör auf!«, sagte ich, aber er hörte nicht auf.

»HÖR AUF!« Ich packte Kyle bei den Schultern und schüttelte ihn, und endlich nahm er Blickkontakt zu mir auf.

»Lass ihn los«, sagte ich.

Kaum hatte Kyle ihn ins Wasser fallen lassen, rappelte Matt sich auf und rannte davon. Er muss sofort seine Sachen gepackt haben, denn am nächsten Morgen war sein Zelt verschwunden und wir sahen ihn während des ganzen nächsten Tages nicht auf dem Weg.

Danach saß ich mit Kyle am Ufer. Wir sprachen nicht miteinander, sondern saßen einfach da und starrten auf das Wasser, und dann stand Kyle leise auf und ging zurück in sein Zelt. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat, aber Sarah schlief die ganze Zeit.

Als Kyle gegangen war, saß ich am See und dachte scharf nach. Ich hatte ihn darum gebeten, oder? Ich war hackedicht gewesen und hatte ihn buchstäblich in mein Zelt gezerrt. Was hätte er denken sollen?

Ich beobachtete, wie sich die gewaltige Wassermasse des Sees im Wind bewegte. Es sah furchteinflößend und unergründlich aus. Dasselbe empfand ich im Hinblick auf mein Leben: Es war dunkel und kalt, und ich hatte mich darin verloren.

***

Am nächsten Tag erwachte Sarah ausgeruht und jugendfrisch, während Kyle und ich müde, verkatert und mürrisch aus unseren Zelten wankten. Wir frühstückten gebackene Bohnen und tranken Kaffee dazu. Dann bauten wir unsere Zelte ab. Kyle und Sarah waren kein gutes Team beim Zeltabbauen. Als es ans Zusammenfalten ging, bewegte sich Sarah erst ständig nach links statt nach rechts, und dann nach rechts statt nach links. Sie war völlig nutzlos. Nach verschiedenen Anläufen, das Zelt so klein zusammenzufalten, dass es in die winzige Zelthülle passte, bat ein erschöpft wirkender, schmollender Kyle Sarah, Brötchen für den Lunch zu machen. Das tat ich bereits, und so kam sie schmollend zu mir und setzte sich neben mich.

***

Der Himmel war leicht bedeckt, als wir unsere Wanderung entlang des Loch Lomond begannen. Auch heute würden wir eine große Strecke zurücklegen müssen – über zwanzig Meilen –, und deshalb mussten wir ein hohes Tempo anschlagen. Wir fingen ganz gut an – erst ich, dann Kyle, dann Sarah hinterdrein. Aber nach ungefähr zwei Stunden hielt Sarah an, um ihr Gepäck neu zu sortieren, und um zwölf Uhr hatte sie nicht nur unser ganzes Wasser ausgetrunken, sondern sich auch angewöhnt, alle zwanzig Minuten eine Rast einzulegen.

Wir saßen am Ufer und aßen unsere Schinkenbrötchen, und bei Gott, ich hätte töten können für einen Schluck Wasser, aber wie gesagt: Sarah hatte alles ausgetrunken. Also tauchte ich meinen Kopf in den mückenumschwärmten See und nahm einen Mundvoll von dem beunruhigend stillen Wasser.

Ich denke, dass es Besorgnis war, die ich damals beim Lunch empfand. Mein Herz pumpte ein bisschen zu schnell, und mein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre ich nach einer durchzechten Nacht und nur drei Stunden Schlaf aufgewacht. Was nicht wirklich überraschend war, denn genau so war es gewesen. Ich war benommen, die Augen taten mir weh, in meinem Körper zirkulierte zu viel Adrenalin, und mein Blutzuckerspiegel war außer Rand und Band. Als ich Sarah ansah, während sie das Brötchen aß, das ich ihr gemacht hatte, hätte ich sie am liebsten angeschrien: »Ich hasse es, wie deine Kiefer beim Essen malmen!« In diesem Moment fing ich Kyles Blick auf, und ich hätte schwören können, dass er genau dasselbe dachte.

»Woran denkst du gerade?«, fragte Sarah, immer noch kauend.

»An nichts, Liebes. Ich bin bloß müde!«, sagte ich und wünschte, sie würde nicht mit vollem Mund sprechen.

Drei ist nie eine gute Zahl. Immer wenn jemand mit Sarah und mir spielen wollte, klappte es nicht. Marie Johnston spielte eine Zeit lang in der Schule mit uns, aber sie besuchte Sarah nur ein einziges Mal zu Hause, und die Sache ging nicht gut aus. Anscheinend kam es zwischen beiden Elternpaaren zu einem großen Streit. Marie war am nächsten Tag nicht in der Schule, und als sie eine Woche später wiederkam, sagte sie, dass sie nicht mehr mit uns spielen wolle.

Nach der Mittagspause – wir krochen praktisch den Pfad am See entlang – ging mir Sarahs Gejammer zunehmend auf die Nerven. Außerdem fühlte ich ein eindeutiges Verlangen, mit Nummer drei zu spielen. So kam es, dass ich nach fünf Meilen aufhörte, jedesmal stehenzubleiben, wenn Sarah stehenblieb. Und nach zehn Meilen hört Kyle auf, jedesmal stehenzubleiben, wenn Sarah stehenblieb. Und nach fünfzehn Meilen hörten wir auf, dauernd Pausen einzulegen, damit Sarah aufholen konnte, und wir hörten auf, sie zu fragen, ob es ihren Füßen schon etwas besser gehe. Stattdessen gingen wir gemeinsam voran: schnell, fast laufend, angeregt von der Energie des anderen. Wir lachten hochgestimmt, schoben uns durch Zweige und erklommen Fuß um Fuß die Felskämme.

Es war, als ob Endorphine durch meine Venen tosten. Als wir in Iverarnan ankamen, fühlte ich mich, als würde ich fliegen. Vor dem alten Pub klatschten Kyle und ich uns ab. Dann setzten wir uns bei einem kalten Bier hin und bekamen ein zunehmend schlechtes Gewissen, weil wir Sarah so schlecht behandelt hatten. Schließlich war sie nicht so fit wie wir.

Reumütig buchten wir zwei Zimmer in dem schrulligen alten Pub, als besonderes Vergnügen für Sarah. Heute war ihr Hochzeitstag, und Kyle hatte das bis jetzt völlig vergessen.