Chas hätte Krissie die Antwort auf ihre Frage geben können. Er wusste sie.
Er saß auf der Treppe vor der Tür zu Krissies Wohnung, wartete darauf, dass sie sich beruhigte, und unterzog seine Entschuldigung und seinen Plan einer Revision. Er konnte einfach nicht glauben, dass er in so kurzer Zeit so viel Schaden angerichtet hatte, und er hasste sich dafür, denn mehr als jeder andere wusste er, dass Krissie keine Probleme brauchte, sondern Fürsorge.
Nachdem Chas sich entschlossen hatte, sein Medizinstudium aufzugeben, waren bei seinen Eltern die Sicherungen durchgebrannt. Seine Schwester, die damals als Rechtsanwältin in Edinburgh arbeitete, war gekommen und hatte versucht, ihm sein Vorhaben auszureden, aber er hörte ihr nicht zu. Sahen sie denn nicht, dass dieser Schritt genau das Richtige für ihn war? Er sagte ihnen, dass er die Welt sehen wolle. Er wolle kreativ sein. Schreiben oder malen? Er war sich noch nicht sicher. Alles, was er wusste, war, dass er kein Arzt werden wollte. Er wollte nicht im Geld schwimmen. Er wollte keine Mitgliedschaft im Golfklub, keine Immobilie als Geldanlage und keinen Mercedes. Er musste die Dinge sehen und fühlen und alles ausprobieren, was er ausprobieren konnte, und dann konnte er vielleicht nach Hause zurückkehren – aber nicht, ehe er sich nicht wirklich selbst erfahren hatte.
Kyle war sogar noch schlimmer als seine Familie. »Was für eine Zeitverschwendung. Was für eine Drückebergerei«, sagte er.
Aber Krissies Mutter Anna hatte sich genauso verhalten, wie er es sich von anderen erhofft hatte. Sie war mit einer Flasche Wein und mehreren Tüten Chips bei ihm aufgekreuzt und hatte im Erker die Bar eröffnet.
»Weißt du, Chas, manche Menschen haben schlichtweg Angst vor den Reaktionen der anderen. Wenn du tust, was jeder von dir verlangt, dann wachst du eines Morgens auf und bist tot.«
Sie unterhielten sich stundenlang an diesem Abend. Kyle war damals im Urlaub, und Krissie war mit irgendeinem Rüpel aus Aberdeen ausgegangen, und so hatten sie die Wohnung für sich allein. Anna erzählte ihm von den verrückten Sachen, die sie gemacht hatte, ehe sie sesshaft geworden war, und wie verdammt froh sie deshalb sei, denn so müsse sie jetzt nichts mehr bereuen und sich nichts mehr beweisen. Sie mochte alles an ihrem Leben und an sich selbst, abgesehen von ihrem faltigen Hals.
Chas unterhielt sich mit Anna über Malerei und wie glücklich er sich mit einem Pinsel in der Hand fühle. Seit er mit Medizin aufgehört hatte, hatte er drei Jobs gehabt, um für seine Reisen zu sparen, und er hatte jede freie Minute in seinem Zimmer mit Malen verbracht.
Als sich das Gespräch dem Thema Partnerschaft zuwandte, sagte Chas: »Du und Dave, ihr seid so glücklich und entspannt miteinander. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich gern fragen …« Chas zögerte.
»Du willst wissen, warum Krissie nicht so ist?«
Sie hatte recht, das war tatsächlich genau das, was er sie fragen wollte. Krissie war voller Energie, sie platzte fast vor Lebenslust. Wenn sie ein Zimmer betrat, erstrahlte alles. Sie war das Schmiermittel für eine öde Party, das Heilmittel für einen bedürftigen, deprimierten Freund. Aber wenn es um Beziehungen ging, war sie eine Katastrophe.
Anna sah ihn sehr ernst an. »Du liebst sie, Chas. Nicht wahr?«
Nach einer Pause erzählte Anna Chas eine Geschichte, die die nächsten zehn Jahre seines Lebens bestimmen würde, und die Krissies Leben bestimmt hatte, seit sie zehn Jahre alt war.
Chas war aufgebracht über das, was Anna ihm erzählte. Auf einmal passte alles zusammen.
»Mach keine Dummheiten!«, sagte Anna ihm. »Um Krissies willen.«
Er gelobte es ihr und sprach ihr nach, dass es nichts bringen würde, wenn er die Angelegenheit selbst in die Hand nähme.
»Alles, was sie braucht, ist Zeit«, sagte Anna. »Lass ihr einfach ein bisschen Zeit.«
Am nächsten Tag verließ Chas Glasgow und brach zu seiner nächsten großen Reise auf. Er arbeitete in Bars und machte Skizzen im Himalaya, er traf den Dalai Lama und ritt auf einem Kamel durch Rajasthan, er malte in Malaysia und Thailand, schrieb in Vietnam und malte in Bali und dann am Uluru.
In jeder seiner Skizzen, in jedem seiner Bilder kam sie vor – sie stand hinter einer Tür, lag auf einem Felsen, schwamm im Meer – immer war sie da, die Frau, der er Zeit ließ.
Dann kam er zurück. Ein Maler. Er stand der Welt furchtlos gegenüber, er wusste, wer er war und was er machen wollte, und er wollte das alles mit der Frau teilen, die er über alles liebte.