Ein Gefühl namens Liebe

 

Ich drehte mich einmal im Kreis und unterzog meine Umgebung einer genauen Musterung, konnte jedoch – oh Wunder – nichts entdecken. Zumindest war der Schwarzhaarige durch meine Aktion alarmiert, schließlich hatte ich mich beim letzten Mal ebenfalls unruhig und beobachtet gefühlt, ehe das seltsame Mädchen aufgetaucht war. „Zurück ins Haus“, befahl Ayden, packte mich am Handgelenk und zog mich mit sich. Anscheinend wollte er es dieses Mal nicht so weit kommen lassen, in einen Kampf verwickelt zu werden. Die Tür knallte hinter ihm zu und schon zog er mich weiter in das Wohnzimmer, wo Kira und Sophie sofort von der Couch aufsprangen. „Was ist passiert?“, wollte die Blonde sofort wissen.

„Da ist schon wieder irgendjemand. Es bleibt nur die Frage, ob es wieder so ein seltsamer ‚Engel‘ ist oder nicht. Aber die Vermutung liegt nahe, da Leyla seine Anwesenheit bemerkt hat, ich aber nicht.“ Der Blick der beiden Frauen glitt kurz zu mir, dann nickten sie dem Schwarzhaarigen zu und verschwanden mit ihm nach draußen. Ich blieb allein in dem übergroßen Wohnzimmer zurück und sah mich um. Der Tag hatte so vielversprechend begonnen und nun war alles ein einziges Chaos und der schlimmste Albtraum, den ich je hatte. Allein die Präsenz des weißen, geflügelten Wolfes in meinem Geist oder meinem Kopf oder wo auch immer genügte, um mich selbst zu der Annahme zu zwingen, dass ich nicht mehr ganz dicht war. Ich versuchte, mich ganz einfach auf die Couch zu setzen und abzuwarten, aber mein ganzer Körper schrie entsetzt auf und ich erhob mich schnell wieder. Irgendwie wollte ich den Vampiren nach. Rein vom Logischen her hatte ich trotz ihrer Übermenschlichkeit Grund zur Sorge, immerhin schienen es diese rätselhaften Engel auf Vampire abgesehen zu haben – und sich auf deren Jagd beziehungsweise Auslöschung spezialisiert zu haben. Alles in allem dauerte es vielleicht zehn Sekunden, dann lief ich ihnen nach. Wo Cináed war, wusste ich nicht.

Draußen vor der Villa stand ich dann vor meinem ersten Problem: Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wohin die drei Vampire gegangen waren und wo ich sie folglich suchen musste. Als ich dabei war, mich der Verzweiflung hinzugeben, hörte ich aus einer Richtung ein Krachen im Wald. Ohne weiter darüber nachzudenken, begann ich, dorthin zu rennen. Die Bäume flogen nur so an mir vorbei, bis ich schlitternd stehen blieb und mich umsah. Sie hatten schlagartig an Größe verloren, sie waren – mit welcher Macht oder Kraft auch immer – geknickt worden wie Streichhölzer. Die böse Vorahnung, es könnte sich wieder um diese Engel handeln, bestätigte sich, als ich ein wenig der Zerstörung folgte und dabei zum Gipfel eines Hügels kam. Drei Engel schwebten gegenüber meinen drei Vampiren mehrere Meter über dem Erdboden. Sie hatten mir den Rücken zugewandt, sodass ich ihre Flügel sehr gut sehen konnte.

Der Größte von ihnen besaß sechs gelbe, verwirrend verzweigte Flügel – es war ein blonder Mann von muskulöser Statur – der links neben ihm, ebenfalls ein Mann, vier violette mit den dazu passenden violetten kurzen Haaren, rechts neben dem mit den sechs Flügeln, schwebte wieder ein Engel mit deren vier von einem Orange, wie man es in den Flammen eines Feuers fand. Ayden, Sophie und Kira wirkten stark angeschlagen. Kira streckte ihre Hand aus und in ihr kristallisierte sich ein spitzer Eissplitter, den sie daraufhin zielsicher auf den orangen Engel warf, der wiederum die Attacke abblockte, indem er eine Stichflamme erscheinen ließ, die das Eis in Sekundenschnelle schmelzen ließ. Sophie bekämpfte Feuer mit Feuer, und zwar wortwörtlich, da sie eine Feuerkugel entstehen ließ. Ihr Angriff wurde von dem violetten Engel gekontert, der schlichtweg den Boden unter sich wie eine Wand hochzog, sodass der Feuerball darauf traf anstatt auf ihn. Als Letztes versuchte es Ayden, so wie Kira mit Eis, allerdings beschwor er nicht einen einzigen Splitter, sondern Millionen kleine, die er wie einen Sturm auf den gelben Engel zufliegen ließ. Es sah aus, als würden messerscharfe Glasscherben durch die Luft zischen, aber den Angegriffenen ließ das kalt. Er hob nur eine Hand – genauso wie ich seinerzeit bei dem grünen Engel und ließ alle Eissplitter an einer unsichtbaren Wand zerschellen. Ich verfolgte den Kampf wie in einen Bann gezogen. Nicht nur, dass ich erfahren hatte, dass die Vampire solche Kräfte neben den verfeinerten Sinnen, ihrer Geschwindigkeit und Kraft besaßen. Ich hatte auch bemerken können, dass jeder von ihnen an ein Element gebunden zu sein schien ... so wie die Engel seltsamerweise auch. Der Stand der Dinge wollte mir so gar nicht gefallen. Plötzlich sah der gelbe Engel über die Schulter und auch meine Freunde bemerkten meine Anwesenheit.

Ich wurde von einer Woge der Angst überflutet, als sich der Blonde mir vollends zuwandte. „Nein, wir sind deine Gegner!“, rief Ayden und griff wieder an, dieses Mal mit einer Art Eis-Speer, der jedoch von den beiden anderen Engeln pariert wurde.

„Gegner? Ihr seid uns so wenig gewachsen, euch kann man schlecht als Gegner bezeichnen“, befand der Blonde kalt, ohne sich von mir abzuwenden und schwebte auf mich zu. Ich konnte fühlen, wie sich der Wolf wieder in mein Bewusstsein drängte. „Tötet sie schon“, befahl der Gelbe und die anderen spannten ihre Muskeln. Ich sog die Luft ein. Willst du sie wieder retten?, wollte der Wolf sachlich wissen. JA!, schrie ich panisch in Gedanken und überließ dieses Mal willig die Führung dem Wesen in meinem Geist, welches resignierend seufzte. Endlich bewegten sich meine Muskeln und ich hob meine Hand, sodass sie waagerecht über dem Boden war. Dann schlug ich damit waagerecht in einer Linie und eine Art blaue Sichel rauschte zu dem gelben Engel, der mittlerweile auf einer Höhe mit mir war – und nur noch wenige Meter von mir entfernt. Er sah mit geweiteten Augen die Attacke auf sich zuschießen und kreuzte die Arme in einer abwehrenden Geste vor der Brust. Zwar nahm er in dem Sinne keinen Schaden, aber die Kraft des Angriffs warf ihn so weit zurück, dass er nun hinter seinen Gefährten war, die verwirrt in ihrem Angriff auf Ayden, Sophie und Kira innegehalten hatten. Ohne auf eine Reaktion zu warten, bewegte ich meine Hand weiter, dieses Mal erschien eine lange, blaue Peitsche. Ich konnte mir zunächst nicht vorstellen, warum ich mich auf der Stelle im Kreis drehte, dann sah ich, dass mich dadurch die Peitsche wie einen schützenden Kokon umgab und im nächsten Moment hörte ich das Krachen der Angriffe der anderen beiden Engel auf meinem Schild. Als das verstummte, hielt ich abrupt in meiner Bewegung inne und schlug aus. Abertausende Überlappungen der Peitsche zischten durch die Luft und trafen auf die unvorbereiteten vierflügeligen Engel, deren Kleidung, Flügel und Körper dadurch zerrissen wurden. Die Ornamente auf ihrem Rücken zersprangen wie schon bei dem grünhaarigen Mädchen und die Engel fielen leblos zu Boden. Nur der Gelbe blieb verschont, da er außerhalb meiner Reichweite zu sein schien. Er starrte mit geweiteten Augen zu mir und durch die feineren Sinne, die ich auf einmal hatte, hörte ich ihn flüstern: „Die azurblaue Zerstörerin.“ Ehe ich zu einem weiteren Angriff ausholen konnte, war er in einem Blitz aus Licht verschwunden und es bedurfte nicht des Wolfes, um zu wissen, dass es sehr schlecht war, dass er entkam und meine ‚Identität‘ kannte.

Auf einmal wurde ich der faszinierten und gleichzeitig entsetzten Blicke meiner vampirischen Freunde gewahr und ich sah instinktiv an mir herab. Ich musste die Augen ein wenig zusammenkneifen, um nicht von dem blauen Licht von meinem Rücken geblendet zu werden. Ich erstarrte mitten in diesem Gedanken, dann drehte ich meinen Kopf wie in Zeitlupe herum, damit ich über meine Schulter blicken konnte. Verschnörkelte, azurblaue Ornamente kamen in mein Blickfeld. Als ich mich hektischer betrachtete, fügten sie sich zu einem Gesamtbild von acht wunderschönen Flügeln, die sich kaum bewegt von meinem Rücken erhoben und zwischen meinen Schulterblättern ihren Anfang nahmen. In mir wurde vor Schock zwar alles taub, dennoch spürte ich zu deutlich den stechenden Schmerz in meinem Rücken und die Nässe, die sich von meinen Schulterblättern beginnend ihren Weg nach unten bahnte.

„Leyla!“, rief Ayden verstört, als der Geruch meines Blutes in seine Nase gedrungen war und er war binnen eines Lidschlags bei mir, gerade rechtzeitig, um mich aufzufangen. Meine Knie hatten einfach nachgegeben und meine Augen waren so schrecklich schwer ... so schwer ...

 

Als ich wieder zu mir kam, lag ich wieder in einem weichen Bett. Ich fühlte eine große, kühle Hand, die meine hielt, als würde ich auf dem Sterbebett liegen, schlug meine Augen auf und erblickte Ayden, der mich mit vor Sorge glitzernden Augen musterte.

„Leyla?“, sprach er mich vorsichtig und leise an, als wenn ich verkatert wäre und mir jedes laute Geräusch Kopfschmerzen bescheren würde.

„Ja ... anwesend“, seufzte ich, da die Müdigkeit wieder in mein Bewusstsein kroch.

„Wie geht es dir?“, fragte der Schwarzhaarige.

„Ich bin hundemüde“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Kein Wunder. Bei den kräftigen Attacken, die du da benutzt hast ... auch wenn ich mir beim besten Willen nicht erklären kann, warum diese Flügel dich am Rücken verletzt haben“, meinte der junge Mann mitleidig und gleichzeitig nachdenklich.

„Ich habe keine Ahnung“, flüsterte ich und spürte, wie meine Augenlider immer schwerer wurden.

„Ruh dich aus“, beschwichtigte Ayden mich, indem er sanft über meinen Kopf streichelte, aber gerade deswegen war ich plötzlich wieder hellwach.

„Geht es euch gut, wurdet ihr verletzt?“, wollte ich aufgeregt wissen.

„Alles ist gut, Leyla. Wenn wir getroffen wurden, dann sind unsere Wunden schon längst verheilt. Du vergisst: Wie sind Vampire, wir sterben nicht so leicht“, erwiderte Ayden ruhig.

„Ja, aber diese Engel scheinen sich irgendwie ganz effektiv auf den Kampf mit euch Übermenschen vorbereitet zu haben, findest du nicht? Nach dem, was ich da beobachtet habe, konntet ihr ihnen nicht einmal einen Kratzer zufügen“, gab ich schneidend zurück und an dem Zucken seiner Augenbraue sah ich, dass diese Tatsache einen wunden Punkt in seinem Stolz getroffen hatte.

„Wir waren nur unvorbereitet und haben unseren Feind unterschätzt, das passiert nicht noch mal“, antwortete er unterkühlt und machte mir damit klar, dass ich das Thema unverzüglich fallen zu lassen hatte. Schweigend sah ich mich daher lieber im Zimmer um und fand heraus, dass ich im selben Raum wie kurz zuvor lag. „Du solltest dich jetzt wirklich ausruhen. Du hast ziemlich viel Blut verloren, bevor die Wunde verheilt ist“, fuhr Ayden nach einer Weile versöhnlich fort.

„Mir geht es gut“, widersprach ich und stand auf. Der junge Phynix hielt mich nicht auf, blieb jedoch dicht bei mir, um mich im Falle des Falles auffangen zu können – vermutete ich zumindest.

„Und was willst du jetzt tun?“, wollte Ayden nicht ganz ohne Spott in der Stimme wissen. „Wir sind zum Nichtstun verdammt. Wir wissen nicht, wohin der eine Überlebende verschwunden ist und zu wem er gehört. Du kannst dich genauso gut ausruhen und deine Kräfte sammeln.“

„Ich werde nicht einfach abwarten und nichts tun. Der gelbe Engel ist ohnehin entkommen, dementsprechend ist es sowieso zu spät“, sagte ich sachlich und ging an ihm vorbei zur Tür. Innerhalb einer Sekunde stand er vor mir und versperrte mir den Weg.

„Was meinst du damit? Wieso ist es zu spät? Und für was?“, wollte er eindringlich von mir wissen.

„Der Engel – zu wem auch immer er gehört – ist entkommen und kann dementsprechend Bericht erstatten. Und jetzt sag mir bloß nicht, dass dir dieser Gedanke nicht auch schon gekommen ist. Deswegen kann ich jetzt auch meine sogenannten Eltern konsultieren und sie nach allen Regeln der Kunst ausfragen.“

„Aber …“, wollte Ayden schon widersprechen, doch ich ging ihm dazwischen.

„Es ist doch egal!“, rief ich. „Wer auch immer dieser Mann aus meinen Erinnerungen ist, er weiß jetzt, wo ich bin, da bin ich mir sicher. Da macht es keinen Unterschied mehr, dass ich meinen Zieheltern gegenüber durchblicken lasse, dass ich alles weiß. Ich kann nur gewinnen, nämlich Informationen. Ich möchte jetzt bitte zu eurem Telefon“, schloss ich und blickte Ayden direkt in seine blauen Augen. Ich konnte ihm ansehen, dass ihm mein Plan nicht gefiel, dennoch drehte er sich um und führte mich durch das Haus, bis wir wieder im Wohnzimmer waren, wo er mir ein hochmodernes, kabelloses Telefon reichte.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Nummer einmal freiwillig wählen würde“, murmelte ich, während ich schnell die Tasten tippte.

„Nun, so wirklich freiwillig kann man das ja kaum nennen“, bemerkte Ayden neben mir und ich lachte kurz zustimmend. Der Rufton drang mir durch Mark und Bein, erst recht, als jemand abhob.

„Rupert Valimore am Apparat“, meldete sich eine männliche Stimme vom anderen Ende der Leitung. Jetzt, wo ich ihn am Ohr hatte, wusste ich nicht so recht, was ich fragen oder sagen sollte.

„Hallo, hier Leyla“, begann ich erst einmal.

„Leyla? Was ist denn passiert, ist deine Mutter im Krankenhaus? Steht das Ende der Welt bevor???“, wollte der Unternehmer sofort in heller Aufregung, aber auch nicht ganz ohne Sarkasmus von mir wissen.

„Ich weiß selber, dass es untypisch für mich ist, dich anzurufen, danke, dass du mich daran erinnert hast, warum es so ist“, gab ich trocken zurück und der junge Phynix neben mir prustete verkrampft leise. „Ich würde gerne wissen, ob du mir etwas über ... Engel sagen kannst.“

„Engel sind die Diener Gottes, du weißt schon, weiße Flügel, blond, nett“, antwortete Rupert mit einem Tonfall, der mir sagte, dass er gerade abwog, ob er mich zum Psychiater schicken sollte.

„Nein, ich meine reichlich mächtige Wesen mit leuchtenden Flügeln, die aus Ornamenten gebildet werden“, gab ich todernst zurück und am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. „Du kannst ruhig mit der Sprache herausrücken“, stocherte ich weiter.

„Wie hast du davon erfahren?“, wollte Rupert mit einem veränderten, fast schon lauernden Tonfall wissen.

„Ach, das kam, weil mich einer dieser Dinger fast getötet hätte! Mich und meinen Freund obendrein!“, schrie ich in den Hörer. „Also hättest du die Güte, mich aufzuklären?“

„Und wie kommst du darauf, dass ich dir diesbezüglich eine Antwort geben könnte?“, wand sich der Mann, der sich so lange als mein Vater ausgegeben hatte. Ich beschloss, aufs Ganze zu gehen.

„Weil du nicht mein Vater bist“, sagte ich daher.

„Du hast dich erinnert“, erwiderte Valimore und ich jubelte innerlich, dass er sich nicht mehr vor der Wahrheit drückte.

„Kann man so sagen. Wenn du wenigstens ein wenig väterliche Gefühle für mich hegst, dann kläre mich bitte auf“, drängte ich, da mich das Gefühl beschlich, dass uns nicht mehr viel Zeit blieb. Erneut herrschte Stille auf der anderen Seite, dann drang ein Seufzen an mein Ohr. „Sie sind Geschöpfe, die der Gründer unseres Ordens erschuf, in dem er im richtigen Stadium der embryonalen Entwicklung ein bestimmtes ... Chromosom einfügte“, kam es dann von meinem Ziehvater. Kälte breitete sich in mir aus, ich ließ mir allerdings nichts anmerken.

„Und warum existieren sie?“, fragte ich weiter, obwohl ich es irgendwie doch nicht wissen wollte.

„Um Vampire zu töten. Du wirst das vielleicht nicht glauben, aber überall in unserer Welt leben versteckt Vampire. Bösartige, hinterlistige Geschöpfe, die das Lebensblut der Menschen rauben. Der Zwist zwischen diesen Unmenschen und den Menschen ist tief in der Vergangenheit verwurzelt und schon damals wurden spezielle Männer ausgebildet, die sich Vampirjäger nannten. Damals genügten langes, hartes Training und die richtigen Waffen, um die Vampire in die Knie zu zwingen. Heute ist das alles nicht mehr ganz so einfach, weil diese Monster eine Art Evolution durchgeführt haben. Sie sind in der Lage, so eine Art Magie zu bewirken, die jedoch an ein bestimmtes Element gebunden ist. Die Vampirjäger konnten es damit nicht aufnehmen und letztlich verbanden sich die einzelnen Clans der Vampire und töteten jeden Jäger, der ihnen über den Weg lief. Nur der Sohn des Besten von ihnen überlebte dieses Massaker und gründete einen neuen Orden, der sich der Aufgabe verschrieb, etwas zu finden, mit dem man den Mördern dennoch das Wasser reichen und sie vernichten konnte. Und er fand sein Heil in der Genetik. Nach Dutzenden fehlgeschlagenen Versuchen überlebte endlich ein Embryo, auch wenn er nicht lange lebensfähig war. Er erkannte, dass die Eltern bereits gewisse Voraussetzungen erfüllen mussten, damit das Endergebnis stabil war. Und endlich gelang ihm der Durchbruch, auch wenn sein Ziel höher gesteckt war. Aber dazu kann ich dir auch nicht mehr sagen.“ Ich spürte, wie meine Muskeln mich zu verraten drohten, hielt mich aber verbissen auf den Beinen.

„Danke für die ... umfassende Erklärung“, brachte ich über die Lippen.

„Die Konsequenzen trägst ohnehin du“, meinte Rupert und ich konnte ihn förmlich mit den Schultern zucken sehen. „Ich muss jetzt zu einer Besprechung. Tschüss“, legte er auf einmal auf und ich ließ das Telefon sinken. Ayden schwieg an meiner Seite. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mit seinen feinen Sinnen alles mit angehört hatte und nun nicht recht wusste, was er sagen sollte – zumal ich ebenfalls einer dieser unnatürlich hergestellten Engel war.

„Nimm dir die Information nicht zu sehr zu Herzen“, brach der Schwarzhaarige dann das bleierne Schweigen und legte eine Hand auf meine Schulter, nachdem er mir das Telefon abgenommen und auf die Ladestation gesteckt hatte.

„Das lässt sich leicht sagen ...“, murrte ich und sah zu Boden. Der junge Mann zwang mich, ihn anzusehen, indem er mit seiner Hand mein Kinn packte und es zu sich drehte.

„Das stimmt, es lässt sich leicht sagen, aber auch ebenso leicht befolgen. Und selbst, wenn nicht, kann man immer noch nachhelfen“, wisperte Ayden mit glänzenden, blauen Augen und drückte seine Lippen auf meine. Zunächst noch unschlüssig schloss ich nach einigen Sekunden doch meine Augen und ließ mich nur zu willig in die kräftige Umarmung des Mannes fallen. Mit Entsetzen wurde mir klar, dass er der einzige Halt war, der mir geblieben war, und gleichsam bemerkte ich, wie sich innere Ruhe in mir ausbreitete, während er mich so im Arm hielt und küsste. Dann kam mir sein Geständnis in den Sinn, auf das ich noch immer nicht geantwortet hatte. Ich glaubte zu wissen, welche Antwort ich ihm geben könnte, nur befand wohl das Schicksal, dass es noch nicht an der Zeit war, dass Ayden es erfuhr ...

 

Der junge Phynix unterbrach aus eigenem Ermessen hektisch den Kuss und starrte durch die Wand des Zimmers.

„Was ist los?“, wollte ich unruhig geworden von ihm wissen.

„Cináed ist wieder da“, antwortete er.

„Wo ist er denn hingegangen?“

„Er wollte den entflohenen gelben Engel jagen“, gab Ayden Auskunft und lief daraufhin zur Tür, ich ihm hinterher. Im Eingangssalon trafen wir dann auf ihn. Er war ein wenig außer Atem.

„Und?“, wollte Ayden sofort wissen.

„Der ist über alle Berge. Ich konnte zwar seinen Geruch eine Weile lang verfolgen, aber das hatte ein Ende, als er offensichtlich zur Nordinsel geflogen ist. Ich wollte mir zugegebenermaßen nicht die Mühe machen, ihn noch weiter zu verfolgen. Ich hatte keine Lust zu schwimmen“, berichtete der braunhaarige Vampir, während seine grünen Augen aufgeregt glitzerten.

„Mit anderen Worten: Wir können schon bald mit Besuch rechnen“, meinte Kira, die vom Wohnzimmer her dazugekommen war.

„Sozusagen“, bestätigte Cináed und ich wandte mich ab. „Mach dir mal keinen Kopf Leyla!“, munterte mich der Braunhaarige auf und schlug mir kameradschaftlich auf die Schultern und zwar so, dass ich Angst um die Unversehrtheit meiner Knochen hatte.

„Bist du denn wahnsinnig?“, brach Ayden sofort aus, packte mich am Handgelenk und zog mich in seine schützende Umarmung.

„Leyla weiß schon, wie das gemeint war“, zwinkerte Cináed nur und zog sich dann in den ersten Stock zurück, wo ich sein Zimmer vermutete.

„Alles in Ordnung?“, wollte Ayden dann entschuldigend von mir wissen, wobei ich nur mit den Schultern zuckte. „Ich lebe noch und es scheint noch alles in mir ganz zu sein“, antwortete ich dann und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Diese Aktion sah dem Braunhaarigen irgendwie ähnlich und gleichzeitig freute es mich, dass selbst er sich um mein psychisches Wohlbefinden sorgte und mich aufmuntern wollte. „Du hast wirklich Glück mit deiner Familie“, sagte ich daher.

„Wie kommst du darauf?“, hakte Ayden verwirrt nach und lehnte sich lässig an das Geländer der Treppe, die zum nächsten Stock führte.

„Euer Zusammenhalt und die Herzlichkeit, die hier herrschen. Irgendwie beneide ich dich ...“, gestand ich schließlich. Ich sagte die Wahrheit. Je mehr ich mit Ayden und seiner Familie zu tun gehabt hatte, umso mehr hatte ich mir, trotz meines inneren Widerstands, eingestehen müssen, dass ich mir ebenfalls so ein Familienleben gewünscht hätte ... dass es mir fehlte.

„Du hast keinen Grund, mich zu beneiden“, sprach er beschwichtigend und strich mir eine Strähne meines Haares hinters Ohr. „Weil du schon längst zu meiner Familie gehörst.“ Ich starrte ihn an. „Würden sie sich sonst so für dich ins Zeug legen?“

„Es geht um eure Sicherheit“, stellte ich richtig. „Immerhin jagen die Engel euch und nicht mich.“

„Trotzdem bist du in die Sache mit reingezogen worden. Außerdem haben sie dich alle schon längst als Familienmitglied akzeptiert. Wenn überhaupt, ist deine Sicht der Dinge etwas fehlerhaft, weil du im Prinzip keinen Grund zum Neid hast“, stellte Ayden mit einem liebevollen Lächeln klar, welches mir das Herz in meinen Hals hüpfen ließ. Mit leicht erhitzten Wangen sah ich zur Seite, wobei ich mir fieberhaft überlegte, was ich sagen konnte, um nicht in eine unangenehme Stille zu fallen. Ohne Vorwarnung wurde die letztlich doch entstandene Stille durch laute, klassische Musik aus dem Wohnzimmer unterbrochen. Ich sah auf und bekam ein nachsichtiges Lächeln in Richtung des Raumes mit und mir wurde klar, dass jemand mit Absicht die Musik angemacht haben musste. Spätestens, als sich der junge Phynix dann mir mit einem strahlenden Lächeln zuwandte, sich leicht verneigte und seine Hand mit den Worten ‚Darf ich um diesen Tanz bitten?‘ darbot, wurde mir das klar. Ich zögerte. Natürlich hatte ich tanzen gelernt, das schickte sich schließlich für eine Tochter aus ‚gutem Hause‘, allerdings hatte ich darin nie wirklich mein Heil gefunden – eben weil es mir aufgezwungen worden war. Auf der anderen Seite wollte ich ausprobieren, wie es sich mit Ayden anfühlen würde und dieser Gedanke ließ mich meine Hand in seine legen. Wir gingen in die Ausgangsposition, dann führte mich der Vampirmann ruhig und sicher über die Tanzfläche. Er entließ mich nicht aus dem Bann seiner Augen, selbst dann nicht, als das Lied sein Ende gefunden hatte. „Danke“, flüsterte ich dann lächelnd.

„Kein Grund dazu“, meinte Ayden nur und küsste mich auf die Stirn. „Na komm“, sagte er dann. „Es ist noch mein Geburtstag und im Poolhaus warten Gerichte auf dich, die du noch nicht hast probieren können.“ Ich lachte leise, rollte dann mit den Augen und schüttelte dabei leicht den Kopf. „Ich gebe mich geschlagen ...“, murmelte ich dann, als mich Ayden sanft hinter sich herzog.

Vielleicht ..., dachte ich währenddessen. Ich bin mir zwar nicht sicher, aber ich glaube, die Gefühle, die mich beschleichen, wenn ich bei ihm bin, lassen sich zu einem zusammenfassen ... Aber bin ich denn wirklich in der Lage dazu? Kann ich ihn lieben???