Ayden Phynix
Am Montag den 30. März lief ich, wie ich mir bereits angedroht hatte, zur Schule. In meinen Rucksack hatte ich schon meine Sportsachen gestopft und lief geradewegs zum Sekretariat, wobei ich es leider nicht vermeiden konnte, dass ich Allan über den Weg lief, der allen Ernstes glaubte, dass ich immer noch Orientierungsschwierigkeiten hätte. Das kam einer Beleidigung gleich, aber ich versuchte es ihm gar nicht erst zu erklären. Er würde es ja doch nicht verstehen …
Ein etwa fünfminütiges Gespräch mit der etwa 50-jährigen, schwarzhaarigen Sekretärin Mrs. Cole reichte aus, um meinen Stundenplan geringfügig zu verändern, sodass ich damit zufrieden war und mal wieder sah, wie gut ich meine Sicht der Dinge argumentieren konnte. Nun hatte ich Englisch, Mathematik, Physik, Chemie und letztlich Sport, da es hier noch Sommer war, im Freien. Gut gelaunt saß ich in Englisch neben Vivian, auch in Mathe ging meine gute Laune, trotz Allan als Sitznachbarn, nicht verloren. Nur in Physik verrauchte sie, aufgrund einer bescheuerten Einlage Johns und Allans, bei der fast ein Feuer ausgebrochen wäre – und das direkt neben mir.
Völlig ahnungslos betrat ich den modernen Chemieraum – und erfasste gleich, dass nur ein Platz frei war, wie mich Mrs. Cole bereits gewarnt hatte … neben Ayden. Seine blauen Augen streiften mich mit mäßigem Interesse, als ich zum Lehrerpult ging und Mr. Morell nickend meiner Erklärung lauschte, weshalb ich auf einmal in seinem Kurs war. Er wies nur auf den Platz neben dem gut aussehenden Schwarzhaarigen und wandte sich seinen Unterlagen zu, da er mit dem Unterricht beginnen wollte. Ein wenig schüchtern ging ich zu dem Tisch, setzte meine Tasche ab und setzte mich, wobei ich Ayden aus den Augenwinkeln beobachte. Zunächst schien er gelangweilt, doch schlagartig änderte sich sein Gebaren: Er sah mich, sobald ich mich gesetzt hatte, an, als hätte ich ihn persönlich beleidigt – wenn nicht noch schlimmer. Erneut huschten seine blauen Augen über mich und blieben an meinem Gesicht hängen. Kein Wunder, ich starrte ihn leicht provozierend an. Ich hatte nichts getan, ich war im Recht … oder?!
Mr. Morell verteilte Reagenzglashalter und Reagenzgläser, dann kam er mit einer Kiste voller verschiedener Stoffe zurück, darunter auch Säuren und Laugen. „Sie sollen heute ein kleines Quiz absolvieren. Und zwar sollen Sie mit Ihrem Tischnachbarn die vier Stoffe, die ich Ihnen gebe, mithilfe ihrer jeweiligen Reaktionen mit Säuren und Laugen, so gut es geht identifizieren, wobei natürlich auch äußere Merkmale bei der Identifizierung eine große Rolle spielen. Viel Erfolg! Das Paar, das als Erstes fertig ist, bekommt nächstes Semester keine Hausaufgaben von mir!“, verkündete der 30-jährige Mann mit seinen kurz geschorenen, schwarzen Haaren. Ein Raunen ging um und auch ich musste zugeben, dass der Preis recht verlockend war. Ich wandte mich mehr oder minder freiwillig Ayden zu – ich konnte mir immer noch nicht zusammenreimen, was dieser Blick vorhin sollte, und wartete darauf, dass uns die vier Stoffe auf den Tisch gelegt wurden.
Am Anfang verlief die Arbeit schweigend. Ich nahm mir den einen Stoff zur Hand, betrachtete ihn eingehend, schnitt ein Stück ab und ließ es in ein Reagenzglas mit Säure fallen, während Ayden sich einen anderen Stoff vornahm. Nach gerade einmal zehn Minuten hatte der Schwarzhaarige den Stoff identifiziert und schrieb sein Ergebnis in die Tabelle. Kurz darauf war ich mit meinem fertig. „Hast du was dagegen, wenn ich kontrolliere?“, fragten wir uns gleichzeitig, während wir auf das Versuchsprotokoll des jeweils anderen sahen. Er lachte leise. „Tu dir keinen Zwang an“, meinte er, wobei ich Selbstsicherheit aus seinem Ton heraushören konnte, der mich mehr als alles andere provozierte. Anstatt etwas zu sagen, schnappte ich mir das Protokoll in der – noch dazu für einen Jungen! – vorbildlich sauberen Schrift und reichte ihm schweigend meins. Ich musste es nur schnell überfliegen, dann nickte ich und gab ihm seinen Zettel zurück, während meiner bereits vor mir lag und er mein Ergebnis eintrug. War offenbar richtig. Nicht, dass ich es bezweifelt hätte … Während wir uns den beiden verbleibenden Stoffen zuwandten, sah er recht häufig zu mir herüber, sagte jedoch nichts. Wimmelte es hier in dieser Schule derart von Weicheiern, die ihren Mund nicht aufbekamen?!?
„Und: Gefällt dir Neuseeland?“, wollte Ayden auf einmal unschuldig wissen, während er meine Reaktion genau registrierte. Ich sah ihn überrumpelt an. Konnte der Kerl denn Gedanken lesen?!? Oder sollte es tatsächlich so grausam ironische Zufälle geben?
„Nun, in Anbetracht dessen, dass es das Land ist, wo ich mein ganzes Leben schon hinwollte: ja“, antwortete ich und betrachtete den Stoff in der Lauge.
„Dein ganzes Leben?“, hakte der Schwarzhaarige betont lässig nach.
„Ja.“
„Das Wetter hier ist ein Traum, was?“ Ich lachte leise, darauf bedacht, die konzentrierte Stille nicht zu durchbrechen, was zur Folge hatte, dass es mich schüttelte.
„Was?“, kam sogleich die Frage von Ayden. Ich sah ihn wie zufällig an und war sofort gefangen von seinen blauen Augen, die mich eindringlich musterten, als versuchten sie, in mich einzudringen. Das Reagenzglas, das er in der Hand hielt, schien er völlig vergessen zu haben. Ich schluckte. „Du – du fragst mich nach dem Wetter?“, gab ich verspätet zurück und schenkte mir den ‚Wie – peinlich – ist – das – denn?’ Teil.
„Ja ich – ich denke, das tue ich“, erwiderte Ayden nachdenklich, entspannte sich merklich und verzog seinen perfekt geformten Mund zu einem Grinsen, das jedoch nicht so aufdringlich wirkte, wie das von Allan.
„Ja, das Wetter ist – schön“, antwortete ich mit einem Blick aus dem Fenster direkt hinter dem verboten gut aussehenden Kerl. Erst jetzt war mir aufgefallen, dass er ungefähr so blass war wie ich, und das, obwohl er hier schon länger wohnte. Sein Blick hielt es immer noch nicht für nötig, mich zu entlassen. „Das klingt nicht sehr begeistert“, bemerkte er unerbittlich. Klasse. Endlich mal einer, der intelligent und gut aussehend war, und ausgerechnet er musste derart aufmerksam sein.
„Der Grund meines Umzugs wirft einen verhältnismäßig großen und dunklen Schatten auf mein Glück“, erwiderte ich knapp und wandte mich demonstrativ meiner Aufgabe zu. Wir waren ohnehin viel schneller als alle anderen – das perfekte Alibi für ihn, mich weiter zu löchern und die Aufgabe zu ignorieren.
„Warum?“
„Ähm – könntest du das Verhör bitte fortsetzen, wenn wir fertig sind?“, lenkte ich kläglich ab. Eine Furche erschien zwischen den eleganten Augenbrauen des jungen Mannes mir gegenüber, doch er gab glücklicherweise klein bei.
„Vielleicht ist das besser so“, erwiderte Ayden und wandte sich wieder dem vergessenen Reagenzglas in seiner Hand zu.
Keine fünfzehn Minuten später waren wir fertig, was hieß, dass es noch geschlagene zwanzig Minuten bis zur Mittagspause waren. Ich und mein Glück immer. Die zwischenzeitliche Unterhaltung war länger als erwartet ausgefallen. Und doch hatte sie nicht ausgereicht, um unser Ergebnis, das niet- und nagelfest war, hinauszuzögern. Völlig perplex starrte uns Mr. Morell an und erklärte uns zum Sieger, wobei er uns bereits vom Unterricht entließ. Sofort packte ich meine Tasche, floh in den Flur und begab mich auf den Weg zur Cafeteria – nur Ayden schien kein Problem damit zu haben, Schritt zu halten. Geduldig wie sonst was lief er neben mir her und wartete, dass ich auf seine Frage zu sprechen kam und sie ihm beantwortete. Ich schwieg eisern, bis ich zur Cafeteriatür kam, und dabei verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck immer mehr. Anscheinend gehörte er nicht gerade zu den Geduldigsten.
Die Frau an der Essenausgabe musterte uns misstrauisch, während sie mir einen Teller mit Spaghetti Bolognese reichte. Offenbar dachte sie, dass wir schwänzten. Zielstrebig und weiterhin schweigend lief ich zu einem Tisch in der Ecke des Raumes und setzte mich – was Ayden mir direkt gegenüber gleichtat. „Du lässt wohl nicht so schnell locker, oder?“, neckte ich ihn halbherzig, wobei ich mich auf das Besteck in meinen Händen konzentrierte und anfing zu essen. Ich ging gar nicht erst darauf ein, dass er nichts aß, schließlich kannte ich das Gefühl kompletter Appetitlosigkeit. „Nein“, kam die schlichte Antwort mit seiner wohltuenden, beinahe schon samtenen Stimme, die mich unwillkürlich ein wenig an Kenneth erinnerte.
„Und Geduld scheinst du auch ohne Ende zu haben“, sagte ich bissig, nachdem ich meinen ersten Bissen runtergeschluckt hatte.
„Das würde ich so nicht sagen“, erwiderte Ayden leise, sodass ich aufsah. Er hatte sich leicht zu mir über den Tisch gebeugt und musterte mich wieder so eindringlich mit seinen Augen, dass ich mir vorkam, als würde ich geröntgt.
„Ich schätze dich einfach nur als die Art Mensch ein, bei der man mit übermäßigem Druck nicht viel erreichen kann.“ Mir blieb der Bissen im Halse stecken und ich hustete leicht. „Gut erkannt“, presste ich hervor und hustete wieder. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, doch es verschwand schnell.
„Also: Warum?“, nahm er zielsicher seinen eigentlich Faden auf. Ich seufzte ergeben, legte mein Besteck zur Seite, schob den Teller von mir, verschränkte meine Hände, stützte mich mit meinen Ellenbogen auf dem Tisch ab und bettete mein Kinn auf die verschränkten Finger. „Es ist eine lange und komplizierte Geschichte“, begann ich zögernd. Warum ließ ich das überhaupt mit mir machen?!
„Ich weiß ja nicht, was du von mir denkst, aber ich bin mir sicher, dass ich keinerlei Probleme haben werde, dir zu folgen“, kam die selbstsichere Antwort von dem Schwarzhaarigen.
„Also gut“, gab ich ein wenig heftiger als beabsichtigt zurück. „Meine Eltern haben sich vor etwa zwei Jahren scheiden lassen – nachdem ich mit ansehen musste, wie sie noch während ihrer Ehe ihren jeweiligen Liebschaften nachgingen.“
„Das ist sicherlich schrecklich … Wo kommst du denn her?“
„USA.“
„Verzeih, wenn ich das so sage – aber nur deswegen fährst du derart weit weg? Sie sind schließlich deine Familie …“
„Nein, sind sie nicht“, unterbrach ich ihn vehement. „Sie sind alles, nur nicht meine Familie! Ich bin gleich nach meinem achtzehnten Geburtstag hierher gekommen, damit ich nicht weiter das Dasein eines Fußballs fristen muss, der zu bestimmten Zeiten auf die verfeindete Spielfeldseite gekickt wurde, nur um da zu hören, wie grässlich doch der jeweils andere ist. Noch dazu kam, dass ich dadurch mitbekommen habe, wie oft sich ihre Liebschaften änderten. Als Spion oder so etwas in der Art wurde ich auch schon missbraucht, jedenfalls die kurze Zeit über, wo ich es nicht bemerkte, dann stellte ich mich quer. Beide“, ich sprach das Wort mit so viel Nachdruck aus, dass ich mir schon fast dämlich vorkam, „hatten nichts gegen mein Vorhaben. Warum auch? Ein Faktor weniger, um den sie sich zu kümmern hatten, in ihrer perfekten Finanzwelt voller Saus und Braus.“
Ich hatte mich derart in Rage geredet, dass ich kurz davor war, aufzustehen und – und diese Tatsache schmerzte mich mehr als alles andere, weil ich es eigentlich nicht tun wollte – wegzulaufen. Vor einer Konfrontation weglaufen … nein, das würde ich nicht, ich würde mich nicht auf das niedere Level meiner Eltern begeben!
Ayden hatte schweigend dagesessen und schien sich an meiner Rage gar nicht zu stören. Als ich fertig war, nickte er vorsichtig, gerade so, als würde er abschätzen, ob ich bei einer falschen Reaktion explodierte oder in Tränen ausbrechen würde – wobei ich mir stillschweigend schwor, auf keine der beiden Möglichkeiten einzugehen.
„Ich denke, jetzt verstehe ich. Wobei mir immer noch unklar ist, warum du dich nicht zu Verwandten geflüchtet hast“, sagte er vorsichtig.
„Wozu?“, fragte ich bissig. „Die sind keinen Deut besser. Ich hatte nie jemanden in der Verwandtschaft, der mich auch nur ansatzweise verstanden hat. Wenn ich versucht hatte, mich ihnen mitzuteilen, dann nahmen sie meine Worte auf die leichte Schulter und meinten immer nur ‚Alles wird gut.‘ und so ein Schwachsinn eben.“ Die blauen Augen fixierten meine und ließen mich so schnell nicht gehen. Eine Weile saßen wir uns so schweigend gegenüber, als die Schulglocke auf einmal die Mittagspause verkündete. Mechanisch erhob sich Ayden. „Wo willst du hin?“, fragte ich sofort und biss mir im Nachhinein dafür auf die Zunge.
„Zum Stammtisch der Familie Phynix“, gab er scheinbar ungerührt zurück und wandte sich schon ab, als ich tatsächlich die Beherrschung verlor. Er hatte es tatsächlich geschafft, dass ich meine guten Vorsätze über den Haufen warf. „Ach, jetzt wo du alles weißt …“ Ich brach sofort ab. Ich hatte geschrien. Sogar viel lauter als beabsichtigt. Langsam drehte sich Ayden zu mir um. Anstatt ihm noch einen Blick zuzuwerfen, packte ich meinen Rucksack, warf ihn mir nicht gerade zimperlich auf den Rücken und rauschte zur Tür … und lief dort prompt in Allan und John hinein. „Hey, wie wär’s mit uns Beiden heut’ Nachmittag?“, quatschte er mich, wie er wohl fand, cool und lässig von der Seite an. Das brachte das Fass irgendwie zum Überlaufen. „Na klar, als würde ich mit so einer …“, ich unterbrach mich wieder.
Mein Temperament ging auf schreckliche Art und Weise mit mir durch und das hatte ich alles nur dem schwarzhaarigen Typen zu verdanken, der noch immer dort stand, wo er innegehalten und sich mir zugewandt hatte. Er sah mich mit leicht geweiteten Augen an und seine Augenbrauen wanderten vor Erstaunen nach oben. So, wie es in meinem Inneren gerade brodelte, standen die Chancen gut, dass ich ihm einen hasserfüllten Blick zuwarf. Um den dramatischen Abgang zu vervollkommnen, rauschte ich durch die von Vivian offen gehaltene Tür und bog um die Ecke. Bloß gut, ich hatte bald Sport, dann würde ich mich abreagieren können. Und doch flüsterte eine leise, unbeliebte Stimme in mir: Es kann noch schlimmer kommen …
Nach allem, was ich bisher erlebt hatte, hätte ich gedacht, dass ich meiner inneren Stimme mehr Vertrauen zukommen ließ. Doch das tat ich nicht und dafür wurde ich bestraft. Ich zog mich zusammen mit Vivian um, die ebenfalls Sport hatte. Ich hätte ihr es eigentlich ansehen müssen, wie ich im Nachhinein feststellte. Schnell schlüpfte ich in meine kurze, dunkelblaue Sporthose und mein hellblaues T-Shirt, dann folgte ich der Blonden, die ich langsam wirklich als Freundin betrachtete, nach draußen auf die im Nordosten angrenzende, riesige Wiese, die sozusagen zum Sportplatz umfunktioniert wurde, wenn man nicht gerade im Pool seine Runden zu drehen hatte. Die zwei aufgestellten und gespannten Netze ließen keinen Zweifel meinerseits zu: Volleyball war angesagt.
Es war rein zufällig, dass ich zum Lehrer sah, der bereits mit den Jungen redete und zu erklären schien, worum sich diese Stunde drehen würde. Doch dieser zufällige Blick stieß mich derart vor den Kopf, dass ich stehen blieb und Vivian mich fragend ansehen musste, damit ich ihr weiter zu Mr. Warner folgte. Zwei blaue Augen hoben ihren Blick und fixierten mich, sobald sie sich sicher waren, dass ich sie ebenfalls ansah. Ich zwang mich, den nicht gerade sportlich aussehenden Lehrer anzusehen, der gerade die Mannschaften zusammenstellte. Drei gegen drei. Ich war nicht mit ihm in einer Mannschaft, aber dafür mit Allen und Vivian. Super. Ich wusste nicht, ob ich mich ehrlich darüber freuen sollte oder mir bereits ein Szenario ausdenken sollte, bei dem ich mich aufgrund meines Spieleinsatzes unglücklich verletzte und nach Hause gehen durfte. Diesen Gedanken schüttelte ich ab, ich musste schließlich noch nach Hause laufen …
Mein Glück schlug mal wieder zu, was übersetzt hieß, dass meine Mannschaft gegen seine spielen musste. Da ich meinen Verletzungsplan aufgegeben hatte, versteifte ich mich vollständig darauf, seine Mannschaft platt zu machen, was sich als schwieriger erwies, als ich gedacht hätte. Allein schon, weil Ayden Hilfe von zwei Jungs hatte, die jedoch weder sehr viel von Volleyball zu halten schienen, noch es ernsthaft konnten. Ich legte mich mächtig ins Zeug, doch wenn er mir am Netz gegenüberstand, konnte ich keine Angriffsschläge wagen, da er irgendwie immer tadellos blockte. Nicht nur das, er schien auch jede andere Position perfekt spielen zu können, was mich immer aggressiver im Spielverhalten werden ließ, sodass ich selbst Vivian, die wirklich gut spielte, abhängte. Ayden schien das ziemlich zu belustigen, was mich noch mehr anstachelte.
„Miss Valimore, ruhen Sie sich aus“, befahl der Lehrer und wechselte mich mit einem anderen Jungen aus. Mein Atem ging tatsächlich sehr schwer und doch konnte ich mich über die Pause nicht so richtig freuen. Schließlich musste er nicht ausgewechselt werden.
„Na los, zeig uns mal, was du kannst, Phynix!“, bellte der Junge, der für mich eingesprungen war, provozierend. Ich stand direkt hinter dem Feld, in dem meine Mannschaft spielte, und sah Ayden deswegen seine Miene verziehen: zu einem grausamen Grinsen. Der Ball wurde gestellt, er sprang – und drosch mit einer derartigen Kraft gegen den Volleyball, dass er wie ein tödliches Geschoss dahinflog – jedoch nicht mehr in das Feld, sondern auf mich zu, wie ich anhand seines erschrockenen Blickes bemerkte. Ich wusste nicht, was genau geschah, aber es fühlte sich an, als würde mein Unterbewusstsein die Kontrolle übernehmen. Blitzschnell, schneller, als ich blinzeln konnte und es für möglich gehalten hätte, schoss mein rechter Arm nach oben und wehrte den geschossartigen Ball nicht nur ab, obwohl das völlig ausgereicht hätte – nein – ich fing ihn, was ich eigentlich für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hätte.
Tödliche Stille hatte sich über den behelfsmäßigen Sportplatz gesenkt und alle Augen waren überrascht auf mich gerichtet, wobei noch eine Spur Bewunderung dabei war … Nur zwei glitzernde blaue Augen sahen mich hellauf entsetzt an, wobei auch sie Bewunderung, die jedoch zehnmal stärker zu sein schien, als die der anderen, enthielten. Ich warf den Ball Vivian zu und lief zu den Umkleidekabinen, ohne auf die sich nicht einstellende Reaktion des Lehrers zu achten. Nach einer Weile joggte ich, dann rannte ich und knallte die Tür hinter mir zu. Zielstrebig lief ich zu einem Waschbecken, ließ eiskaltes Wasser aus dem Hahn laufen und spritzte mir das Gesicht ab, doch es half nichts. Was in aller Welt war das gewesen??
Ich hatte mich umgezogen, ohne darauf zu achten, ob ich entlassen war oder nicht, ob ich Ärger bekommen würde oder nicht. Ich ging einfach nach Hause, wobei ich nicht bedachte, dass mich mein Weg direkt am Sportplatz vorbeiführte. Ich ignorierte die Blicke der anderen, selbst seinen, und ging weiter zielstrebig zu meiner Villa. Dort angekommen warf ich meinen Rucksack in die Ecke und schwang mich auf das schwarze Sofa. Meine Gedanken kreisten immer noch um diese absolut unmögliche Aktion. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich auf einmal so gute Reflexe hatte. Und das würde ich wohl auch nicht können, weil sich wieder alles an mir ganz normal anfühlte. Mein Unterbewusstsein hatte sich vollständig abgeschaltet, zumindest das konnte ich sicher sagen. Mir war nicht nach Essen zumute, eigentlich nach überhaupt nichts. Allein der Gedanke, dass ich morgen wieder in die Schule würde gehen müssen und mich den Fragen stellen, die ich selber nicht beantworten konnte, gefiel mir überhaupt nicht. Doch was kümmerte es den Lauf der Dinge schon, was mir gefiel? Er hatte sich auch nicht darum gekümmert, als meine Familie auseinandergebrochen war … Warum also sollte er jetzt damit anfangen?!
Der Dienstag kam und wie erwartet wusste die ganze Schule von meiner spektakulären Aktion. Verdammte Kleinstadt. Ich wimmelte Allan ab, der mir immer wieder versicherte, wie cool das doch gewesen sei, und ging schweigend zum Unterricht, wobei ich hoffte, dass die Zeit stehen bleiben würde. Doch das tat sie nicht, wie immer, wenn etwas Unangenehmes anstand. Demzufolge kam der Chemieunterricht viel zu schnell. Ich betrat den Raum, wohl wissend, dass zumindest für die ersten paar Sekunden alle Augen auf mich gerichtet waren, und trat meinen Henkersgang zu dem Tisch an, an dem Ayden bereits saß. Obwohl ich mich wieder auf die nervigen Fragen gefasst machte, ging er auf die gestrige Sache gar nicht erst ein, fragte mich im Gegenteil geradezu die unwichtigsten Nebensächlichkeiten, von wegen, ob ich gerne Sport trieb, vielleicht sogar etwas Anspruchsvolleres als Volleyball, oder was ich gerne aß.
Da der gut aussehende junge Mann – so wie ich ihn einschätzte – eigentlich nicht der Typ für Small Talks war, war ich einigermaßen misstrauisch. Was sollte diese Taktik bezwecken? Die Stunde ging vorüber, ohne dass ich es wirklich gemerkt hatte, und wir gingen gemeinsam – auch das war für mich wie ein Alarmsignal – zur Cafeteria. Dort gesellte er sich jedoch sofort zu seinen ‚Geschwistern’ und redete schnell mit ihnen, wobei ich mich zu Vivian setzte. Amber ließ kein Wort über Sport verlauten, obwohl ich sicher sein konnte, dass sie ebenfalls davon gehört haben musste, was mich zu dem Schluss kommen ließ, dass sie mir eine derartig coole Aktion wohl nicht zutraute beziehungsweise gönnte.
„Wie wäre es, wenn wir uns heute mal treffen, Leyla?“, sprach mich Allan von der Seite an. Da mein Blick zum ‚Phynix-Tisch’ geglitten war, brauchte ich eine kurze Weile, um mich dem Jungen zuzuwenden. Aydens Augen brauchten definitiv einen Waffenschein.
„Ähm, nein, tut mir leid.“ Das war nur die halbe Wahrheit. ‚Nein’ war die Wahrheit, ‚tut mir leid’ war eine grausame Lüge.
„Oh … dann vielleicht morgen? Oder am Wochenende?“ Der Kerl gab wohl nicht so schnell auf.
„Nun … weißt du … ich bin nicht in der Stimmung dafür … muss mich noch einleben und so …“, wich ich, wie ich selbst fand, schwach aus, doch Allan schien es zu genügen, ganz nach dem Motto „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, was meine Laune ins Bodenlose sinken ließ. Ich hatte wieder nichts gegessen.
„Leyla, willst du wirklich nichts? Du isst genauso wenig, wie die Phynix-Geschwister …“, sagte die Blonde neben mir mit ehrlicher Sorge auf ihrem hübschen Gesicht. Mir entging der eigentümliche Gesichtsausdruck von Amber und Lorelei nicht, doch ich ignorierte ihn gekonnt – im Ignorieren konnte mir keiner so leicht etwas vormachen. „Nein, ich – ich habe wirklich keinen Hunger“, wehrte ich ab, nahm meinen Rucksack und erhob mich leise.
Ohne noch einen Blick auf jemanden zu richten, ging ich hinaus, um eine Hausecke und lehnte mich dort an die Wand. Mein Atem ging schwer und so sehr ich es auch zu verhindern versuchte, ich konnte einfach nicht anders. Der plötzliche Schmerz in meinem Kopf war so überwältigend, dass ich meine Tasche fallen ließ, mir mit beiden Händen die Schläfen hielt und an der Hauswand zusammensackte.
„Leyla!“ Oh nein. Nicht doch. „Leyla, was ist?“
„Nichts“, log ich sofort und machte die Augen, die ich aufgrund der Schmerzen geschlossen hielt, gar nicht erst auf.
„Leyla, du bist eine miserable Lügnerin“, kam die wütende Antwort, und bevor ich auch nur ansatzweise zu einem Protest ansetzen konnte, wurde ich hochgehoben und mit schnellen Schritten fortgebracht. „NEIN! Untersteh dich!“, fauchte ich ihn an und sah zu ihm auf. Seine schwarzen Haare schimmerten braun im starken Licht der Sonne und waren vom etwas kräftigeren Wind, der heute wehte, derart verweht, dass man es mit gutem Recht als ‚Sturmfrisur’ bezeichnen konnte. Er sah mich nicht direkt an, er schien sich krampfhaft auf etwas zu konzentrieren, doch konnte ich mir bei Weitem nicht denken, was es war. Mein Gewicht schien ihn jedenfalls nicht zu stören, da er so unbeschwert elegant daher schritt wie eh und je. Und doch bemerkte ich, dass ihm irgendetwas zu schaffen machte … Etwas, das ich nicht erkennen konnte beziehungsweise sah, und das machte mir zu schaffen. Für gewöhnlich merkte ich so etwas.
Es dauerte nicht lange, dann waren wir im Krankenzimmer. Die Krankenschwester sprang sofort auf – offenbar hatte sie nicht wirklich viel zu tun – und richtete das Bett her, was eigentlich schon vollkommen in Ordnung war. Sanft legte mich Ayden auf dem Laken ab und betrachtete mich kritisch. „Was ist passiert?“, wollte die Schwester sofort wissen. Ich kam gerade mal dazu, Luft für meine Antwort zu holen, da antwortete der Schwarzhaarige schon: „Sie hat wohl starke Kopfschmerzen und ist zusammengeklappt.“
„Oh, du armes Ding!“, fühlte die 30-jährige sogleich übertrieben mit. „Willst du eine Kopfschmerztablette?“
„Nein, danke. Mir geht es schon wieder prächtig“, knurrte ich und behielt dabei Ayden im Auge. Ich hatte das Gefühl, dass er mir wieder in den Rücken fallen würde.
„Ich denke, ihr geht es wirklich schon besser, aber für den Fall, dass sie diesen Anfall wieder hat, bringe ich sie lieber nach Hause“, sagte der schätzungsweise 18-jährige junge Mann. Ich hasste es, wenn ich recht behielt.
„Das ist nicht …“
„Das ist eine fabelhafte Idee. Für welchen Unterricht soll ich euch entschuldigen?“, unterbrach mich die Krankenschwester energisch, wobei sie mehr Augen für Ayden anstatt für ihren eigentlichen Patienten hatte. Hmpf.
„Sport bei Mr. Warner“, antwortete der Schwarzhaarige sofort und begann zu grinsen.
„Betrachte es als erledigt, ihr könnt gehen. Oh, und achte darauf, dass sie zu Hause ankommt“, zwinkerte die Schwester ihm zu. Mir war übel zumute, aber das hatte nichts mit der Schmerzattacke zu tun, vielmehr mit dem offensichtlichen Benehmen der Frau.
„Natürlich.“ Damit hob mich Ayden erneut hoch, er hatte seine und meine Tasche geschultert, und ging mit mir Richtung Parkplatz.
„LASS MICH RUNTER!!!“, protestierte ich lautstark, schließlich ging es mir jetzt wirklich gut.
„Na na, nicht ausfallend werden, ich helfe doch nur“, grinste der Sohn des Chiefs gut gelaunt.
„Du versuchst zu helfen, was du allerdings nicht kannst, da ich keine Hilfe benötige!“, fauchte ich und kämpfte gegen ihn an, was ich mir genauso gut hätte schenken können. Egal, wie viel Kraft ich auch aufwandte – und ich hielt mich als Mädchen für stark – ich konnte ihn nicht mal um Millimeter verrücken, geschweige denn ihn dazu bringen, mich loszulassen. Es kam, wie es kommen musste: Der Parkplatz war einer der vielen Orte, wo sich die Schüler in den Pausen trafen, was wohl auch damit zusammenhing, dass sie ihre jeweiligen Autos begutachten und bewundern konnten. Dummerweise trug mich Ayden genau dort hin, was nicht nur viele, sondern sämtliche Augenpaare auf uns lenkte, woraufhin in gar nicht kurzer Zeit Getuschel anhob. „Das ist nicht nötig, verdammt!“, fluchte ich, da ich es hasste, im Mittelpunkt zu stehen, erst recht unter solchen Umständen. „Zumal du deinen Wagen nicht anzulassen brauchst, ich wohne quasi um die Ecke!“
„Und ich soll dich also die ganze Zeit tragen, ja?“, neckte er mich, wobei ich mir nicht sicher war, ob das ein völlig unbegründeter Seitenhieb auf mein Gewicht oder auf meine Sturheit war. „Das Auto ist bequemer, glaube mir, es sei denn, es gefällt dir so gut in meinen Armen“, grinste er weiter und sah mich mit einem eigenartigen Ausdruck im Gesicht an. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg: rasend schnell. „Also entweder Auto oder Arme und das stumme Geständnis, dass …“
„Auto“, unterbrach ich ihn, wohl darauf bedacht, nicht in sein Gesicht zu sehen. Der Schuss hatte gesessen und zwar schmerzhaft. Ich konzentrierte mich darauf, zu welchem Auto er mich brachte, und es überraschte mich irgendwie gar nicht, dass er zu einem Mercedes lief. Genauer gesagt: der neueste Mercedes der E-Klasse als Limousine. Damit stieg die Anzahl der Mercedes-Autos in dieser Kleinstadt auf drei, wobei noch unklar war, ob die Phynix' noch einen oder mehrere mehr in petto hatten. Kurz darauf fand ich mich auf dem Beifahrersitz wieder, während Ayden den Motor startete und vom Parkplatz fuhr, die Blicke der Menge klebten dabei förmlich auf dem Wagen. „Du musst die Rototai Road nach Nordosten fahren“, sagte ich auf die stumme Frage des Mannes neben mir hin. Ich hatte bereits aufgegeben und das schien ihn zu amüsieren. Nach der Rechtskurve sagte ich: „Die erste Auffahrt an der Linkskurve nach rechts.“ Ohne Probleme befolgte Ayden meine Anweisung und hielt vor dem geschlossenen Garagentor. Bevor er auch nur im Traum daran denken konnte, mich auch noch zu allem Überfluss ins Haus zu tragen, sprang ich förmlich aus dem Auto und lief zum Weg zur Haustür. Ich verdrängte den Gedanken, dass, wenn er mich hineingetragen hätte, es so ausgesehen hätte, als wenn der Bräutigam die Braut ins gemeinsame Haus trüge ... Ayden lachte direkt neben mir, anscheinend musste mir der Gedanke ins Gesicht geschrieben stehen. Super. „Geht es dir wirklich schon gut genug?“, zog er mich grinsend auf.
„Ein kleines bisschen meiner Würde möchte ich noch wahren“, erwiderte ich nur und trat durch die Tür in meine Welt. Dummerweise folgte mir der aufdringliche Kerl auf dem Fuße.
Ich wollte ihn schon anfauchen, er solle verschwinden, da fiel mir ein, dass er mir ja nur die Tasche trug – wieder ein Schlag gegen meinen Stolz.
„Ich muss schon sagen ...“, flüsterte Ayden plötzlich, als wir im Wohn- und Esszimmer waren.
„Was?“ Das kam schärfer heraus als beabsichtigt.
„Du hast ein sehr schönes Haus. Deine Eltern sind wohl begabte Unternehmer“, bemerkte der Schwarzhaarige. Wow, er hatte sich meine Andeutung gestern tatsächlich gemerkt und die richtigen Schlüsse gezogen.
„Kann man so sagen“, antwortete ich ein wenig, wie ich zu meinem Verdruss bemerkte, besänftigt und zuckte mit den Schultern, während ich mich auf dem Sofa niederließ. Mein Rucksack glitt neben mir zu Boden und auf meiner anderen Seite machte es sich Ayden gemütlich. Mein Blick musste Bände sprechen, denn erneut erschien ein Grinsen auf seinem perfekten Gesicht, das ich mir etwas genauer ansah. Es war eine wahrlich perfekte Mischung aus feinen und männlichen Gesichtszügen, die ihn sowohl männlich als auch sehr elegant und vor allem galant wirken ließen. Die schwarzen, braun schimmernden Haare, die er quasi ‚vom Winde verweht’ trug, und seine blauen Augen unterstrichen seine Schönheit noch, ebenso die perfekten, jedoch nicht aufdringlichen Rundungen seines Mundes. An seinem Körper an sich war, wie man unschwer durch das eng anliegende T-Shirt erkennen – und ich vorher auch fühlen – konnte, rein gar nichts auszusetzen. Er sah zwar nicht so überladen an Muskeln aus wie ein Bodybuilder, dennoch besaß er an den richtigen Stellen ein gesundes, sehr attraktives Maß an Muskelsträngen, die ihn noch unwiderstehlicher wirken ließen. Ich wurde rot bei dem Gedanken, dass ich bei jeder seiner Bewegungen die Muskeln unter der Haut seiner Brust hatte sich bewegen spüren können.
Ayden beobachtete mich unterdessen aufmerksam und ohne Unterlass. Sein Grinsen war verschwunden, stattdessen schien er mich wieder zu röntgen, als wenn ihm irgendetwas missfiel.
„Was ist?“, fragte ich ein wenig zurückhaltend.
„Nichts. Ich mache mir nur Gedanken, ob du wieder zusammenbrichst, weil du mich so lange anstarrst“, kam die neckende Antwort.
„Ich fürchte, ich kann deine Argumentation nicht ganz nachvollziehen.“
„Du drückst dich so wunderbar gewählt aus ...“, schwärmte er auf einmal. Ich wusste, dass das ein Ablenkungsmanöver war, und ging nicht mehr darauf ein, als mit den Worten: „Danke für das Kompliment, aber ich würde deine Argumentation trotzdem gerne nachvollziehen können.“
„Nun, wie soll ich sagen ...“, grinste der Schwarzhaarige und tat so, als wäre es sehr schwer zu erklären. „Für gewöhnlich siehst du mich durchdringend und berechnend an, wendest dich dann jedoch ab, wenn du merkst, dass ich dich auch ansehe. Da sich dieses Verhaltensmuster geändert zu haben scheint, mache ich mir Sorgen um deine Gesundheit.“ Es machte klick, was jedoch keinesfalls dazu beitrug, dass ich mit ihm grinsen konnte. Ich erhob mich abrupt und stampfte in die Küche, der Kerl ging mir allmählich wirklich auf die Nerven. Das Gefühl verstärkte sich noch, als ich sah, wie er sich an den Torbogen lehnte und mich aufmerksam beobachtete. „Was ist?“, blaffte ich ihn an.
„Alles klar, dir geht es wieder gut“, meinte Ayden nur und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Ich seufzte schwer. Ich würde mich nicht weiter provozieren lassen, das würde nur böse enden, allein schon, weil es hier zu viele Messer in meiner Reichweite gab. „Wieso ignorierst du mich nicht einfach, so wie die anderen auch?“, stellte ich die Frage, die mich mehr als jede andere beschäftigte. Er zog seine Stirn in Falten. „Willst du, dass ich dich ignoriere?“ Es war für mich glasklar, dass er meine bewundernden Blicke auf der Couch vorhin richtig gedeutet hatte. Idiot. Konnte er nicht mal so tun, als ob er mich nicht durchschauen könnte? „Das habe ich nicht gefragt, außerdem beantwortet man eine Frage nicht mit einer Gegenfrage“, erwiderte ich und ließ mir mein Unbehagen nicht anmerken, indem ich mir ein Mikrowellenfertiggericht zubereitete, was leider nicht so viel Aufmerksamkeit meinerseits beanspruchte, wie von mir gehofft. „Das stimmt. Nun … ich kann dir die Frage so noch nicht beantworten“, gestand Ayden plötzlich todernst.
„Wieso?“, hakte ich sofort nach, wusste jedoch intuitiv, dass ich ja doch keine Antwort erhalten würde.
„Tut mir leid“, erwiderte der Schwarzhaarige nur kopfschüttelnd.
„Du bist echt … einzigartig“, fand ich schließlich das richtige Wort und holte mein Fertiggericht aus der Mikrowelle, die auf der Anrichte neben dem Kühlschrank stand.
„Wenn du wüsstest“, entgegnete Ayden nur mit düsterer Miene, während ich mich unweigerlich fragen musste, ob ich etwas Falsches gesagt hatte.
„Ist es meine Schuld, dass ich es nicht weiß?“, knurrte ich.
„Nein“, lachte der junge Mann und beobachtete mich dabei, wie ich rasch im Stehen aß und den Rest wegwarf. „Du isst wirklich bedenklich wenig.“
„Kannst du Gedanken lesen oder so?“, wollte ich missgelaunt wissen und sah ihn herausfordernd an. Er schien blasser zu werden, als er ohnehin schon war.
„Wie kommst du darauf?“ Die Art und Weise, wie er fragte, ließ mich aufhorchen. Es klang, als ob er auf der Hut wäre. Was für eine idiotische Reaktion.
„Einfach so. Du weißt mehr, als ich denke, dass du mitbekommen kannst. Deshalb.“ Vielleicht konnte ich ihn ja aus der Reserve locken, wenn ich ihm bereitwillig Antworten gab.
„Nun – ich bin eben ein aufmerksamer Mensch. Einer, der sich jetzt verabschiedet“, erwiderte Ayden nur, und bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, war er weg. Ich stürzte förmlich zum Fenster und sah ihn bereits mit dem Mercedes wegfahren. „Komischer Kauz …“, murmelte ich leicht verstimmt und setzte mich auf das Sofa. Während er in meiner Nähe gewesen war, hatte ich mir keine Gedanken über den Vorfall gemacht, doch nun machte ich mir ernsthafte Sorgen. Ich war nie ein Kandidat für Migräne gewesen und derart heftig hatte ich sie mir auch nie vorgestellt. Also was war denn nun schon wieder mit mir los?