Ultima Pars

Wie ich euch schon gesagt habe, meine Herren Skribenten, bedeutete der Name unseres elften Monds, Ochpaniztli, Das Fegen Der Straße. In diesem Jahr gewann dieser Name insofern eine neue und unheimliche Bedeutung, als gegen Ende eben dieses Monds die Regenzeit nachließ und Cortés seinen Marsch ins Landesinnere antrat, wie er es angedroht hatte. Er ließ seine Seeleute und einige wenige seiner Soldaten zurück, um seine Garnisonsstadt Villa Rica de la Vera Cruz besetzt zu halten, und zog mit etwa vierhundertundfünfzig weißen Soldaten und rund eintausenddreihundert bewaffneten und kriegsmäßig ausgerüsteten Totonáca-Kriegern in westlicher Richtung auf die Berge zu. Außerdem begleiteten ihn noch weitere tausend Totonáca, welche ihm als Tamémime dienten und Ersatzwaffen, die auseinander gebauten Kanonen und die schweren Kanonenkugeln, Marschverpflegung und dergleichen trugen. Unter diesen Trägern befanden sich etliche von Motecuzómas Mäusen, die sich mit anderen unterwegs wartenden Quimíchime in Verbindung setzten und uns in Tenochtítlan über die Zusammensetzung und das Vorrücken der Fremden unterrichtet hielten.

Cortés führe, so berichteten sie, die Kolonne an. Er trage seine schimmernde Metallrüstung und reite ein Pferd, das er spöttisch und liebevoll zugleich Mauleselin nenne. Sein anderer lebendiger Besitz – Malintzin – trage sein Banner und schreite stolz neben seinem Sattel an der Spitze des Zuges einher. Nur noch einige wenige der anderen Offiziere hätten ihre Frauen mitgebracht, denn selbst die niedrigsten weißen Soldaten erwarteten, daß man ihnen unterwegs andere Frauen gebe oder sie sich welche nehmen könnten. Dafür hätten sie sämtliche Pferde und Hunde mitgenommen, wiewohl diese Reittiere, wie die Quimíchime berichteten, auf den Bergpfaden nur sehr langsam und unter Mühen vorankämen und oft störrisch seien. Außerdem ziehe Tlaloc seine Regenzeit in den Bergen noch in die Länge, der Regen sei kalt, komme in Sturmböen und sei oft mit Hagel durchsetzt. Da die Reisenden unter Nässe und Kälte litten, genossen sie ihre Reise kaum.

»Ayyo!« sagte Motecuzóma hocherfreut. »Sie finden das Landesinnere nicht so wirtlich wie die Heißen Lande. Jetzt werde ich ihnen meine Zauberer entgegenschicken, auf daß sie ihnen das Leben noch unbehaglicher machen.«

Cuitláhuac sagte ingrimmig: »Es wäre besser, Ihr ließet mich Krieger nehmen und ihnen das Leben unmöglich machen!«

Motecuzóma sagte immer noch Nein. »Ich möchte den Anschein von Freundschaftlichkeit solange aufrechterhalten, wie dies unseren Zwecken dient. Sollen doch die Zauberer dem Zug mit ihren Flüchen und Beschwörungen zusetzen, bis die weißen Männer aus eigenem Antrieb wieder umkehren, ohne zu wissen, daß es unser Werk war. Sollen sie doch ihrem König berichten, das Land sei ungesund und undurchdringlich, gleichwohl jedoch nichts Schlechtes über uns berichten.«

Folglich schwärmten die Hofzauberer in der Verkleidung gewöhnlicher Reisender nach Osten aus. Nun, Zauberer vermögen zwar viele merkwürdige und erstaunliche Dinge zu vollbringen, zu welchen gewöhnliche Menschen nicht fähig sind, doch die Behinderungen, welche sie Cortés in den Weg legten, erwiesen sich als jämmerlich unwirksam. Als erstes spannten sie auf dem Weg vor den Anrückenden dünne Fäden, an denen blaue Papiere mit geheimnisvollen Zeichen flatterten. Wiewohl diese Hindernisse außer für die Zauberer selbst als unüberwindlich galten, zerriß Cortés' Pferd an der Spitze des Zuges sie voller Gleichmut; weder Cortés noch irgend jemand sonst schien sie überhaupt bemerkt zu haben. Woraufhin die Zauberer nach Tenochtítlan meldeten, nicht sie hätten versagt, sondern die Pferde seien mit irgendeiner Zauberkraft begabt, gegen welche diese besondere List nichts ausrichte.

Als nächstes trafen sie sich heimlich mit den Quimíchime, welche unerkannt in der Kolonne mitmarschierten, und ließen durch diese Mäuse etwas Ceiba-Saft und Tonaltin-Früchte unter das Essen der weißen Männer mischen. Der Saft des Ceiba-Baums macht jeden, der davon genießt, so heißhungrig, daß er gierig alles ißt, was ihm in die Hände fällt oder zwischen die Zähne kommt, bis er binnen weniger Tage so dick wird, daß er sich nicht mehr bewegen kann. Zumindest behaupteten das die Zauberer; ich selbst bin nie Zeuge dieses Phänomens gewesen. Doch die Tonal-Frucht bewirkt nachweislich Böses, wenn auch nicht auf so spektakuläre Weise. Bei der Tonal-Frucht handelt es sich um das, was Ihr Feigenkaktus nennt, die Frucht des Nopáli-Kaktus, und die ersten Spanier, welche in unsere Lande kamen, verstanden nicht, sie sorgfältig zu schälen, ehe sie in sie hineinbissen. Infolgedessen erwarteten die Zauberer, daß die weißen Männer die feinen, unsichtbaren und doch schmerzhaften Nadeln, welche sich ihnen in die Finger, Lippen und Zungen bohrten, unerträglich fänden. Doch bewirkt die Kaktusfeige noch etwas anderes. Jeder, der ihr rotes Fruchtfleisch genießt, scheidet einen womöglich noch leuchtenderen roten Urin aus; und jemand, der diesen für Blut hält, kann zu Tode erschrocken sein und fürchten, von einer tödlichen Krankheit befallen zu sein.

Falls der Ceiba-Saft irgendeinen von den weißen Männern dick machte, so zumindest keinen so fett, daß er bewegungsunfähig gewesen wäre. Und wenn die weißen Männer über die Tonáltin-Nadeln fluchten und sie Entsetzen packte, wenn sie meinten, Blut auszuscheiden, so hielt sie das gleichermaßen nicht davon ab weiterzumarschieren. Vielleicht gewährten ihre Barte ihnen Schutz gegen die Nadeln, und soweit ich weiß, schieden sie immer rotgefärbten Urin aus. Viel wahrscheinlicher jedoch ist es, daß die Frau Malintzin, die sehr wohl wußte, wie leicht ihre neuen Gefährten vergiftet werden könnten, genau acht gab auf das, was sie aßen und ihnen zeigte, wie man Tonáltin aß und ihnen sagte, was man hinterher zu gewärtigen hätte. Auf jeden Fall drangen die weißen Männer unerbittlich weiter nach Westen vor.

Als Motecuzómas Mäuse ihm meldeten, daß die Zauberer nichts hätten ausrichten können, brachten sie gleichzeitig aber noch beunruhigendere Nachrichten. Cortés' Truppe zog durch die Lande vieler kleiner Stämme, welche dort in den Bergen lebten, Stämme wie die Tepeyahuáca, die Xica und andere, welche nie sonderlich erfreut gewesen waren, dem Dreibund Tribut zu zahlen. In jedem Dorf riefen die mitmarschierenden Totonáca-Krieger aus: »Kommt! Schließt euch uns an! Schart euch um Cortés! Er führt uns an, uns von dem gehaßten Motecuzóma zu befreien!« Und alle diese Stämme stellten bereitwillig viele Krieger zur Verfügung. So kam es, daß, wiewohl inzwischen etliche weiße Männer in Tragstühlen getragen werden mußten, weil sie von ihren strauchelnden Pferden gefallen waren und sich dabei verletzt hatten, und wiewohl viele von den Tiefland-Totonáca zurückgeblieben waren, weil sie in der dünnen Hochlandluft Atembeschwerden bekamen, Cortés' Truppe nicht kleiner wurde, sondern an Stärke immer mehr zunahm.

»Jetzt hört Ihr es, Verehrter Bruder!« bestürmte Cuitláhuac Motecuzóma. »Diese Elenden wagen es sogar, sich damit zu brüsten, sie kämen, sich Euch persönlich entgegenzustellen. Wir haben jede Entschuldigung, über sie herzufallen, und jetzt ist der Augenblick, dies zu tun. Wir brauchen weder ihre Tiere noch ihre Waffen zu fürchten. Ihr könnt jetzt nicht mehr sagen: Wartet!

»Ich sage: Wartet!« erwiderte Motecuzóma unerschütterlich. »Und dazu habe ich guten Grund. Wenn wir abwarten, retten wir viele Menschenleben.«

Cuitláhuac fauchte ihn buchstäblich an: »Sagt mir, wann in unserer gesamten Geschichte ist auch nur ein einziges Menschenleben gerettet worden?«

Motecuzóma sah verstimmt aus und sagte: »Nun denn, ich sage, es soll nicht das Leben eines einzigen Mexícatl-Kriegers vergeudet werden. Wisse dies, Bruder! Diese Fremden nähern sich jetzt der Ostgrenze von Texcála, jenes Landes, das bis jetzt die schlimmsten Angriffe selbst von uns Mexíca abgeschlagen hat. Es wird auch nicht bereit sein, einen Feind von einer anderen Hautfarbe willkommen zu heißen, der aus einer anderen Richtung kommt. Sollen doch die Texcaltéca gegen die Eindringlinge kämpfen. Wir Mexíca werden mindestens in zweierlei Hinsicht unser Gutes davon haben. Die weißen Männer und die Totonáca werden ganz bestimmt vernichtet werden; aber ich bin gleichfalls sicher, daß die Texcaltéca so große Verluste erleiden werden, daß wir unmittelbar hinterher über sie herfallen und ihnen eine endgültige Niederlage beibringen können. Sollten noch irgendwelche weißen Männer am Leben bleiben, werden wir sie pflegen und ihnen Unterkunft geben. In ihren Augen wird es sich dann so darstellen, daß wir ausschließlich gekämpft haben, um sie zu retten. Damit erringen wir uns ihre Dankbarkeit und die von König Carlos. Und wer weiß, was wir noch Gutes davon haben werden? Infolgedessen werden wir also warten.«

Wenn Motecuzóma dem Herrscher von Texcála, Xicoténca, vertraulich mitgeteilt hätte, was wir über die Kampfkraft aber auch über die schwachen Seiten der weißen Männer in Erfahrung gebracht hatten, wären die Texcaltéca bestimmt so klug gewesen, diese irgendwo in ihren steilen Bergen anzugreifen, von denen sie so viele hatten. Statt dessen entschloß sich Xicoténcas Sohn und Kriegsführer, Xicoténca der Jüngere, sich den weißen Männern ausgerechnet auf einer der wenigen Ebenen ihres Gebietes entgegenzuwerfen. Er stellte seine Truppen auf die traditionelle Weise auf und bereitete sich auf einen traditionellen Kampf vor – bei dem die beiden Gegner ihre Streitkräfte antreten ließen, die traditionellen Formalitäten erfüllten, um dann gegeneinander vorzustürmen und Menschenkraft sich mit Menschenkraft messen zu lassen. Xicoténca mag zwar gehört haben, daß dieser neue Gegner mehr als menschliche Kräfte besitze; aber er wußte nicht, daß dieser neue Feind keinen kleinen Finger um die Traditionen und feststehenden Kriegsregeln unserer Welt gab.

Wie wir später in Tenochtítlan erfuhren, marschierte Cortés am Rande dieser Ebene aus einem Wald heraus und führte seine vierhundertundfünfzig weißen Soldaten sowie die inzwischen auf rund dreitausend Krieger der Totonáca und anderer Stämme angewachsene Streitmacht an. Nun sah er sich auf der anderen Seite des Schlachtfeldes einer gewaltigen Mauer von Texcaltéca gegenüber, mindestens zehntausend von ihnen; in manchen Berichten hieß es, es seien bis zu dreißigtausend gewesen. Selbst wenn Cortés aufgrund der Krankheit seiner Mutter wahnsinnig gewesen wäre, wie behauptet wird, er hätte gleichwohl erkannt, welch furchtbarem Gegner er gegenüberstand. Sie waren in ihre gelben und weißen gesteppten Kampfanzüge gekleidet. Sie trugen ihre vielen großen Federbanner, abwechselnd mit dem weißgeflügelten goldenen Adler von Texcála und dem weißen Reihersymbol Xicoténcas geschmückt. Drohend schlugen sie auf ihre Kriegstrommeln und spielten auf ihren schrillen Kriegsflöten. Ihre Speere und Maquáhuime blitzten hell von dem sauberen schwarzen Obsidian, welcher danach dürstete, gerötet zu werden.

Cortés muß inzwischen gewünscht haben, er hätte bessere Verbündete als seine Totonáca mit ihren Waffen, welche in der Hauptsache aus Schwertfischschnauzen und gespitzten Knochen bestanden, ihren ungefügen Schilden, welche nichts anderes waren als die Panzer von Wasserschildkröten. Doch wenn Cortés sich überhaupt Sorgen machte, war er zumindest überlegen genug, seine fremdländischste Waffe noch verborgen zu halten. Die Texcaltéca sahen nur ihn und diejenigen seiner Streitmacht, welche zu Fuß gingen. Sämtliche Pferde, sein eigenes eingeschlossen, waren noch im Wald und blieben dort den Blicken der Verteidiger von Texcála verborgen.

Der Tradition gemäß traten etliche Texcaltécatl-Edelleute aus den Gliedern ihrer Truppen hervor, überquerten die grüne Ebene zwischen den beiden Heeren und überbrachten feierlich die symbolischen Waffen – Federumhänge und Schilde –, um zu verkünden, daß nunmehr Kriegszustand herrsche. Cortés zog diese Zeremonie absichtlich in die Länge und ließ sich ihre Bedeutung erklären. Ich sollte hier vielleicht erwähnen, daß Aguilar jetzt nur noch selten als Zwischendolmetsch gebraucht wurde; die Frau, Malintzin, hatte sich eifrig bemüht, Spanisch zu lernen und dabei große Fortschritte gemacht; schließlich ist das Bett immer noch der beste Ort, eine Sprache zu erlernen. Folglich gab Cortés, nachdem er die Kriegserklärung der Texcaltéca angenommen hatte, selber eine ab, indem er eine Schriftrolle entrollte und sie verlas, während Malintzin den wartenden Edelleuten dolmetschte. Ich kann sie aus der Erinnerung wiederholen, denn selbige Proklamation ließ er vor jedem Dorf, jeder Stadt und jedem Volk verkünden, welches sich seinem Näherrücken widersetzte. Erst verlangte er, ungehindert einziehen zu dürfen, und dann sagte er:

»Erklärt ihr euch jedoch nicht einverstanden, werde ich mit Gottes Hilfe den Durchmarsch erzwingen. Ich werde mit der äußersten Gewalt gegen euch vorgehen. Ich werde euch unter das Joch unserer Heiligen Kirche und unseres Königs Carlos zwingen. Ich werde eure Frauen und Kinder nehmen und zu Sklaven machen oder sie verkaufen, je nachdem, wie es Seiner Majestät gefällt. Ich werde euren Besitz nehmen und euch alles Böse zufügen, was in meiner Macht steht und euch als aufrührerische Untertanen betrachten, welche sich niederträchtig weigern, sich ihrem rechtmäßigen Souverän zu unterwerfen. Daher geht alles Blutvergießen und alles Leid zu euren Lasten und nicht zu Lasten Seiner Majestät oder zu meinen Lasten oder zu Lasten der Herren, die unter mir dienen.«

Es läßt sich vorstellen, daß die Texcaltécatl-Edelleute nicht sonderlich erfreut waren, Untertanen irgendeines Fremden geheißen zu werden oder sich sagen lassen zu müssen, sie seien einem Fremden ungehorsam, wenn sie ihre eigene Grenze verteidigten. Falls überhaupt, waren diese hochmütigen Worte nur geeignet, ihren Wunsch nach einer Schlacht noch zu erhöhen, je blutiger, desto besser. Infolgedessen erwiderten sie nichts, sondern kehrten um und stapften die weite Strecke bis zu ihren Kriegern zurück, welche laute und immer lautere Kriegsschreie ausstießen und ihren Flöten schrille Töne und ihren Trommeln dumpfe Klänge entlockten.

Doch dieser Austausch von Förmlichkeiten hatte Cortés' Leuten reichlich Zeit gegeben, ihre zehn großen und die vier kleineren Kanonen zusammenzubauen und in Stellung zu bringen und sie nicht mit häuserzertrümmernden Kugeln zu laden, sondern mit scharfen Metallbrocken, zerbrochenem Glas, spitzen Kieseln und dergleichen. Die Hakenbüchsen wurden geladen, auf ihre Stützen gesetzt und ausgerichtet und die Armbrüste fertiggemacht. Rasch gab Cortés Befehle, Malintzin wiederholte sie den Kriegern der Verbündeten und begab sich dann eilends in Sicherheit, dorthin, wo sie hergekommen waren. Cortés und seine Männer standen oder knieten, während andere, die sich im Wald verborgen gehalten hatten, ihre Pferde bestiegen. Und sie alle warteten geduldig, bis die mächtige gelbweiße Wand sich plötzlich regte, ein Pfeilregen in hohem Bogen über das Kampffeld flog und die Mauer sich in Tausende von vorwärtsstürmenden Kriegern auflöste, welche auf ihre Schilde schlugen, wie die Jaguare fauchten und spitze Schreie ausstießen wie die Adler.

Weder Cortés noch irgendeiner seiner Männer machte Anstalten, ihnen auf die traditionelle Weise zu begegnen. Er rief nur: »Für Santiago!«, und das Aufbrüllen der Kanonen bewirkte, daß das Kriegsgeschrei der Texcaltéca sich plötzlich ausnahm wie das Zirpen von Zikaden während eines Gewitters. Sämtliche Krieger der vorwärtsstürmenden Reihen wurden zerfetzt: Knochen und Gliedmaßen flogen durch die Luft und Blut spritzte. Die Männer in den nächsten Gliedern fielen einfach tot hin, und das aus keinem sogleich erkennbaren Grund, da die Kugeln der Hakenbüchsen und die kurzen Pfeile der Armbrüste einfach in ihren dick gesteppten Kampfanzügen verschwanden. Dann ertönte ein anderes Donnergrollen; die Reiter kamen in gestrecktem Galopp aus dem Wald hervor, und die Jagdhunde liefen mit ihnen. Die weißen Soldaten ritten mit eingelegten Lanzen und fädelten ihre Beute auf, wie rote Pfefferschoten auf eine Schnur gefädelt werden, bis nichts mehr auf die Schäfte ihrer Lanzen paßte. Woraufhin die Reiter diese fallen ließen und die Stahlsäbel zogen und sie im Reiten durch die Luft wirbeln ließen, so daß abgeschlagene Hände und Arme und sogar Köpfe durch die Luft flogen. Und die Hunde stürzten sich auf die Texcaltéca, schlugen ihre Fänge in sie und rissen und zerrten, und ihre baumwollenen Kampfanzüge waren kein Schutz vor ihren Zähnen. Was Wunder, daß die Texcaltéca völlig überrascht waren. Erschrocken und von Entsetzen gepackt, verloren sie allen Kampfgeist und den Willen zu siegen; sie wurden versprengt, wurlten durcheinander und schwangen verzweifelt ihre unterlegenen Waffen, doch fruchtete das nichts. Mehrere Male brachten ihre Ritter und Cuáchictin sie dazu, sich wieder zu sammeln und sie neuerlich zum Angriff zu führen. Doch jedesmal waren die Kanonen, die Hakenbüchsen und die Armbrüste wieder geladen, feuerten ihre furchtbaren zerfetzenden und durchschlagenden Geschosse immer wieder auf die Reihen der Texcaltéca ab und richteten unaussprechliche Verheerungen an …

Nun, ich brauche nicht über jede Einzelheit dieser einseitig geführten Schlacht zu berichten; was an diesem jenem Tag geschah, ist wohlbekannt. Außerdem kann ich es ohnehin nur nach dem berichten, was die Überlebenden dieses Tages danach erzählten, doch bin ich später Zeuge ähnlicher Schlächtereien gewesen. Die Texcaltéca flohen vom Schlachtfeld und wurden von Cortés' Totonáca-Kriegern verfolgt, die laut und feige über die Gelegenheit jubelten, an einer Schlacht teilzunehmen, bei welcher sie bloß noch dem fliehenden Feind Schläge zu versetzen brauchten. Etwa ein Drittel der gesamten Streitmacht der Texcaltéca blieb an diesem Tag auf dem Schlachtfeld zurück; sie selbst hatten dem Feind nur geringfügige Verluste zufügen können. Ein Pferd, glaube ich, stürzte, ein paar Spanier wurden durch den ersten Pfeilhagel verwundet, und ein paar andere trugen durch glückliche Maquahuime-Schläge etwas schwerere Wunden davon; getötet wurde von ihnen jedoch keiner und lange kampfunfähig war auch keiner von ihnen. Als die Texcaltéca soweit geflohen waren, daß sie nicht mehr verfolgt werden konnten, schlugen Cortés und seine Männer mitten auf dem Schlachtfeld ihr Lager auf, um ihre wenigen Wunden zu verbinden und den Sieg zu feiern.

Bedenkt man die furchtbaren Verluste, welche die Texcaltéca erlitten haben, muß man es ihnen hoch anrechnen, daß sie sich nicht sofort Cortés ergaben. Die Texcaltéca waren ein tapferes, stolzes und trotziges Volk. Unseligerweise glaubten sie unerschütterlich an die Unfehlbarkeit ihrer Seher und Zauberer. Infolgedessen waren es diese Männer, mit denen ihr Oberbefehlshaber Xicoténca sich noch am Abend des Tages der Niederlage beriet und der sie fragte:

»Sind diese Fremden wirklich Götter, wie gemunkelt wird? Sind sie wirklich unbesiegbar? Gibt es eine Möglichkeit, ihre flammen spuckenden Waffen zu überwinden? Soll ich noch mehr gute Männer opfern und überhaupt noch weiterkämpfen?«

Nachdem die Seher alle magischen Mittel ausgeschöpft hatten, um sich zu einem Entschluß durchzuringen, erklärten sie: »Nein, sie sind keine Götter. Sie sind Menschen. Doch daß ihre Waffen Flammen spucken, weist darauf hin, daß sie irgendwie gelernt haben, sich die Hitze der Sonne gefügig zu machen. Solange die Sonne scheint, können sie sich auf die Überlegenheit ihrer feuerspeienden Waffen verlassen. Doch sobald die Sonne untergegangen ist, erlischt auch ihre sonnengegebene Kraft. In der Nacht werden sie nichts weiter sein als gewöhnliche Menschen, welche auch nur mit ihren gewöhnlichen Waffen kämpfen können. Sie werden genauso verwundbar und nach den Anstrengungen des Tages völlig erschöpft sein wie alle anderen Menschen. Wenn Ihr sie vernichten wollt, müßt Ihr sie nachts angreifen. Heute nacht noch. Sonst werden sie bei Sonnenaufgang sich gleichfalls erheben und Euer Heer niedermähen wie Unkraut.«

»Sie nachts angreifen?« murmelte Xicoténca. »Das widerspricht jeder Sitte und Gepflogenheit. Es verstößt gegen alle Überlieferung des redlichen Kampfes. Außer bei Belagerungen haben unsere Heere niemals nachts gekämpft.«

Die Weisen nickten. »Richtig. Die weißen Fremden werden einen solchen Angriff nicht erwarten und völlig überrumpelt werden. Tut das Unerwartete!«

Die Seher der Texcaltéca erlagen genauso verhängnisvoll einem Irrtum wie Seher überall es so oft tun. Denn weiße Heere kämpfen in ihrer Heimat offensichtlich durchaus bei Nacht und sind es gewohnt, Vorsichtsmaßnahmen gegen derlei Überraschungen zu treffen. Cortés hatte rings um sein Lager herum Posten aufgestellt, Männer, die wach und wachsam blieben, während ihre Gefährten in Kampfmontur und Panzer schliefen, die geladenen Waffen in Griffnähe neben sich. Selbst in der Dunkelheit erspähten Cortés' Wachen ohne Mühen die ersten Kundschafter der Texcaltéca, welche auf dem Bauch über das offene Gelände gekrochen kamen.

Die Wachen lösten keinen Alarm aus, sondern huschten leise zurück ins Lager und weckten leise Cortés und den Rest seines Heeres. Kein Soldat ließ seine Umrisse vor dem Himmel sehen; alle verharrten in sitzender oder kniender Position; keiner machte Lärm. Infolgedessen kehrten Xicoténcas Kundschafter zurück und berichteten, offenbar liege das ganze Lager wehrlos schlafend da und ahne nichts. Was vom Heer der Texcaltéca noch vorhanden war, kroch in seiner Gesamtheit auf Händen und Knien heran, bis sie den Rand von Cortés' Lager erreicht hatten, doch hatten sie keine Chance, auch nur einen Kriegsschrei auszustoßen. Sobald sie sich aufgerichtet hatten und leicht erkennbare Ziele boten, erhellten Blitze die Nacht, donnerte es und zischten die Geschosse … und Xicoténcas Heer wurde vom Schlachtfeld gemäht wie Unkraut.

Wiewohl er mit seinen blinden Augen weinte, schickte Xicoténca der Ältere am nächsten Morgen eine Abordnung seiner ranghöchsten Edelleute, welche die quadratische Flagge aus Goldgewirk, die Flagge des Waffenstillstands, trugen, um mit Cortés über die Bedingungen zu verhandeln, nach denen sie die Waffen strecken sollten. Zur größten Verblüffung der Abgesandten kehrte Cortés keineswegs das Gebaren des Eroberers hervor; er hieß sie mit großer Herzlichkeit und offenbarer Zuneigung willkommen. Mit Hilfe seiner Malintzin pries er die Tapferkeit der Texcaltéca-Krieger. Er bedauere, weil sie seine Absichten mißverstanden hätten, gezwungen gewesen zu sein, sich zu verteidigen. Denn, so sagte er, er wolle nicht, daß Texcála sich ergebe und nehme das Angebot des Waffenstreckens auch nicht an. Er sei in ihr Land gekommen, weil er hoffe, ihr Freund sein und ihnen helfen zu können.

»Ich weiß«, sagte er, wobei ihn ohne Zweifel Malintzin gut informiert hatte, »daß ihr seit Generationen unter der Tyrannei von Motecuzómas Mexíca gelitten habt. Die Totonáca und einige andere Stämme habe ich bereits von diesen Banden befreit. Jetzt will ich euch gleichfalls von dieser ständigen Bedrohung befreien. Ich bitte nur, daß euer Volk sich mir in diesem heiligen und würdigen Kreuzzug anschließt und soviel Krieger wie möglich bereitstellt, um meine Streitkräfte zu vergrößern.«

»Aber«, erklärten die Edelleute, die überhaupt nicht mehr wußten, wo ihnen der Kopf stand, »wir haben gehört, daß Ihr von allen Völkern verlangt, sie müßten sich Eurem fremden Herrscher und Eurer fremden Religion unterwerfen, wir müßten alle unsere ehrwürdigen Götter stürzen und neue verehren.«

Cortés vollführte eine wegwerfende Geste. Der Widerstand, welchen die Texcaltéca ihm entgegengebracht hatten, hatte ihn zumindest gelehrt, klug und umsichtig vorzugehen.

»Ich erwarte keine Unterwerfung, sondern daß ihr euch mit mir verbündet«, erklärte er. »Sobald diese Lande erst einmal alle von dem bösen Einfluß der Mexíca gereinigt sind, werden wir euch mit Freuden die Segnungen des Christentums und die Vorteile eines Abkommens mit König Carlos erklären. Dann könnt ihr selbst urteilen, ob ihr dieser Wohltaten teilhaftig werden wollt oder nicht. Aber das Wichtigste zuerst: Fragt euren Herrscher, ob er uns die Ehre erweisen will, in Freundschaft unsere Hand zu ergreifen und gemeinsame Sache mit uns zu machen.«

Der alte Xicoténca bekam diese Nachricht von seinen Edelleuten kaum früher zu hören als wir in Tenochtítlan sie durch unsere Mäuse erfuhren. Uns allen, die wir im Palast zusammengekommen waren, wurde klar, wie erschüttert Motecuzóma und welcher Schrecken ihm in die Glieder gefahren sein mußte. Es wurmte ihn, erkennen zu müssen, was aus seinen zuversichtlichen Prophezeihungen geworden war und er geriet nahezu in Panik, als ihm aufging, was sein nicht wiedergutzumachender Irrtum für Folgen zeitigen könnte. Nicht nur, daß die Texcaltéca die weißen Eindringlinge nicht aufgehalten hatten, nein sie hatten sich nicht einmal als ein ernst zu nehmendes Hindernis für sie erwiesen. Und nicht nur, daß Texcála jetzt keineswegs eine leichte Beute für uns sein würde. Weit schlimmer: Die Fremden waren mitnichten entmutigt oder geschwächt; sie kamen immer noch auf uns zumarschiert, stießen immer noch Drohungen gegen uns aus. Am schlimmsten aber war es, daß die weißen Männer jetzt verstärkt durch die Macht und den Haß unserer ältesten, kämpferischsten und unversöhnlichsten Feinde näherrückten.

Nachdem er sich wieder gefaßt hatte, traf Motecuzóma eine Entscheidung, die zumindest ein wenig kraftvoller war als sein Befehl abzuwarten. Er rief seinen intelligentesten Schnellboten herbei, diktierte ihm eine Botschaft und schickte ihn augenblicklich los, sie Cortés zu überbringen. Selbstverständlich war diese Botschaft lang und in höchst schmeichelhaften Wendungen abgefaßt, doch im wesentlichen hieß es darin:

»Geschätzter Capitán-General Cortés, setzt kein Vertrauen in die verschlagenen Texcalteca, welche Euch alle möglichen Lügen aufbinden werden, um Euch hinterher treulos zu verraten. Wie Ihr leicht in Erfahrung bringen könnt, wenn Ihr Euch erkundigt, ist Texcála eine Insel, die ringsum von Nachbarvölkern eingeschlossen ist, welche es sich zu Feinden gemacht hat. Wenn Ihr Euch mit den Texcalteca anfreundet, werdet Ihr gleich ihnen verachtet, gemieden und von allen anderen Völkern abgelehnt werden. Hört auf unseren Rat. Sagt Euch los von den unwürdigen Texcalteca und verbündet Euch statt dessen mit dem mächtigen Dreibund von Mexíca, Acólhua und Tecpanéca. Wir laden Euch ein, unsere verbündete Stadt Cholólan zu besuchen, welche in südwestlicher Richtung von dort liegt, wo Ihr Euch im Augenblick befindet, und die leicht zu erreichen ist. Dort werdet Ihr mit einer feierlichen Zeremonie willkommen geheißen werden, wie es einem so erlauchten Besucher wie Euch gebührt. Sobald Ihr Euch ausgeruht habt, werdet Ihr Eurem Wunsch gemäß nach Tenochtítlan geleitet werden, wo ich, der Uey-Tlatoáni Motecuzóma Xocóyotzin, nur darauf warte, Euch als meinen Freund in die Arme zu schließen und Euch alle Ehre anzutun.«

Vielleicht hat Motecuzóma genau das gemeint, was er sagte – den weißen Männern soweit nachzugeben, daß er bereit war, sie zu empfangen und dieweil zu überlegen, was er dann tun solle. Ich weiß es nicht. Er vertraute weder mir noch seinem Staatsrat seine Pläne an. Soviel aber weiß ich: Wäre ich Cortés gewesen, hätte ich über eine solche Einladung gelacht, zumal wenn ich eine gerissene Malintzin zur Seite gehabt hätte, welche mir die Botschaft klipp und klar folgendermaßen gedolmetscht hätte:

»Verabscheuter Feind: Bitte, jage deine neugewonnenen Verbündeten von dannen, wirf die zusätzlich gewonnenen Streitkräfte weg und tue Motecuzóma den Gefallen, ahnungslos in eine Falle hineinzulaufen, aus der du nie wieder herauskommen wirst.«

Doch zu meiner Überraschung – schließlich kannte ich den Mut des Mannes einfach noch nicht – schickte Cortés den Boten mit der Annahme der Einladung zurück und marschierte tatsächlich nach Süden, um Cholólan einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, wo er in der Tat wie ein erlauchter und willkommener Gast empfangen wurde. Am Rande der Stadt wurde er von den gemeinsamen Herrschern, dem Herrn Dessen, Was Oben Ist und dem Herrn Dessen, Was Unten Ist, sowie vom größten Teil der Bürger willkommen geheißen und keineswegs von Bewaffneten. Die Herren Tlaquiach und Tlalchiac hatten keine Krieger aufgeboten und von Waffen war nirgends etwas zu sehen. Alles geschah so, wie Motecuzóma es versprochen hatte, friedlich und gastfreundlich.

Gleichwohl hatte Cortés selbstverständlich nicht allen Vorschlägen Motecuzómas entsprochen; er hatte sich keineswegs seiner Verbündeten entledigt, ehe er nach Cholólan gekommen war. Inzwischen hatte Xicoténca Cortés' Angebot angenommen, gemeinsame Sache mit ihm zu machen, und seinem Befehl insgesamt zehntausend Texcaltéca-Krieger unterstellt – von all den anderen Dingen, die er ihm gab ganz zu schweigen: eine Reihe der schönsten und edelsten Texcaltéca-Frauen, welche unter Cortés' Offizieren aufgeteilt wurden, und sogar ein ganzes Gefolge von Zofen für die persönliche Bedienung der Dame Ein Gras oder Malintzin oder Doña Marina. Folglich traf Cortés in Cholólan an der Spitze eines Heeres ein, welches aus zehntausend Texcaltéca sowie dreitausend Totonáca und anderen Stämmen bestand – und seinen eigenen weißen Soldaten, seinen Pferden und Hunden, seiner Malintzin und den anderen Frauen, welche in seinem Gefolge reisten.

Nachdem sie Cortés gebührend begrüßt hatten, betrachteten die beiden Herren von Cholólan furchtsam die Menge seiner Streitmacht, und ließen ihm kleinmütig durch Malintzin sagen: »Auf Befehl des Verehrten Sprechers Motecuzóma ist die Stadt unbewaffnet und wird nicht von irgendwelchen Kriegern verteidigt. Sie kann Euch, Hoher Herr, sowie Eure persönlichen Truppen und Bedienten nebst Gefolge beherbergen, und wir haben alles vorbereitet, Euch alle bequem unterzubringen. Doch für Eure zahllosen Verbündeten ist einfach nicht genug Platz vorhanden. Außerdem sind, wenn Ihr gestattet, daß wir das erwähnen, die Texcaltéca unsere eingeschworenen Feinde, und es wäre uns im höchsten Maße unbehaglich, wenn sie in unsere Stadt einzögen …«

Entsprechend gab Cortés Befehl, daß der größere Teil seiner Streitmacht, der aus eingeborenen Kriegern bestand, außerhalb der Stadt blieb; allerdings sollte ihr Lager im Kreis um die Stadt aufgeschlagen werden, so daß sie vollkommen eingeschlossen wäre. Ganz gewiß fühlte Cortés sich mit all diesen Tausenden in der Nähe, welche er nur zu rufen brauchte, wenn er Hilfe benötigte, sicher genug. Nur er und die anderen weißen Männer betraten Cholólan, schritten stolz einher wie Edelleute oder ritten in überwältigender Majestät auf ihren Pferden, während die versammelte Bevölkerung jubelte und ihnen Blumen auf den Weg streute.

Wie versprochen, wurden die weißen Männer luxuriös untergebracht – noch der geringste Soldat wurde so unterwürfig behandelt, als wäre er ein Ritter –, stellte man ihnen Diener und Frauen für die Nacht zur Verfügung. Cholólan war, was die persönlichen Gewohnheiten der weißen Männer betraf, vorgewarnt worden, und so beklagte sich niemand – nicht einmal die Frauen, denen befohlen wurde, sich zu ihnen zu legen – jemals über den schrecklichen Geruch, den sie ausströmten oder über die geierhaften Eßgewohnheiten oder darüber, daß sie niemals ihre schmutzigen Kleider oder Stiefel auszogen oder sich jemals badeten oder nicht einmal die Hände wuschen, wenn sie ihre Notdurft verrichtet hatten oder sich zum Essen niederließen. Vierzehn Tage lang führten die weißen Männer ein Leben, wie heldische Krieger es sich wohl in der besten der Gegenwelten erhoffen mögen. Es wurden ihnen zu Ehren Festmähler gegeben, sie durften nach Herzenslust Octli trinken und sich so sehr betrinken und liederlich benehmen, wie sie wollten, durften mit den ihnen zugewiesenen Frauen tun und lassen, was sie wollten und wurden mit Gesang und Musik und Tanz unterhalten. Und nach diesen vierzehn Tagen erhoben die weißen Männer sich und brachten jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Cholólan um.

Wir erhielten diese Nachricht in Tenochtítlan wahrscheinlich noch ehe der Rauch der Hakenbüchsen über der Stadt verflogen war, und zwar durch unsere Mäuse, welche aus Cortés' eigenen Reihen herein- und hervorschlüpften. Ihren Berichten zufolge war es auf Anstiften der Frau Malintzin zu diesem Massaker gekommen. Sie kam eines Nachts in das Gemach ihres Herrn im Palast von Cholólan, wo dieser Octli trank und sich mit etlichen Frauen vergnügte. Sie fuhr die Frauen an, sie sollten machen, daß sie hinauskämen, und warnte Cortés dann vor einer Verschwörung, die im Gange sei. Gehört habe sie davon, erklärte sie, als sie sich unter die einheimischen Frauen auf dem Markt gemischt und mit ihnen unterhalten habe; sie hätten sie in ihrer Arglosigkeit für eine Kriegsgefangene gehalten, welche nur darauf warte, aus der Gefangenschaft der Weißen Männer befreit zu werden. Der einzige Zweck, daß sie auf das üppigste bewirtet und unterhalten worden seien, sagte Malintzin, sei gewesen, sie einzulullen und zu schwächen, während Motecuzóma, insgeheim eine Streitmacht von zwanzigtausend Mexíca-Kriegern schicke, Cholóloan zu umzingeln. Auf ein bestimmtes Zeichen hin, sagte sie, würden die Mexíca über die Streitkräfte der draußen kampierenden Eingeborenen herfallen, während die Männer in der Stadt sich bewaffnen und auf die völlig überraschten weißen Männer stürzen sollten. Und, sagte sie, als sie herbeigeeilt sei, diesen Plan aufzudecken, habe sie auf dem Hauptplatz bereits unter Bannern Bürger sich versammeln sehen.

Cortés stob mit seinen Unterbefehlshabern, welche gleichfalls dort untergebracht worden waren, zum Palast heraus, und gemeinsam riefen sie durch ihr lautes »Santiago!« ihre Soldaten herbei, welche ihre Frauen und Becher in den Unterkünften fahren ließen und zu den Waffen griffen. Wie Malintzin gesagt hatte, fanden sie den Hauptplatz gestopft voll mit Menschen, von denen viele Federbanner, alle jedoch Zeremonialgewänder trugen, die vielleicht wie Kampfanzüge aussehen mochten. Diesen Menschen, die sich dort versammelt hatten, wurde keine Zeit gelassen, einen Kriegsschrei auszustoßen oder die Gäste zum Kampf herauszufordern – oder auf irgendeine andere Weise zu erklären, warum sie dort seien –, denn die weißen Männer feuerten augenblicklich ihre Waffen ab, und die Menge war so dicht, daß die erste Salve von Kugeln und Pfeilen und anderen Geschossen sie hinmähte wie Unkraut.

Als der Rauch ein wenig verflogen war, sahen die weißen Fremden, daß auf dem Platz nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder waren; vielleicht haben sie sich sogar gefragt, ob ihr vorschnelles Handeln überhaupt gerechtfertigt sei. Doch auf den Lärm ihrer Büchsen hin kamen die Texcaltéca und ihre anderen Verbündeten aus ihren Lagern in die Stadt. Sie waren es, welche die Stadt noch willkürlicher verwüsteten als die weißen Männer, die Bevölkerung unterschiedslos und erbarmungslos niedermachten und sogar die Herren Tlaquiach und Tlalchiac umbrachten. Ein paar von den Männern von Cholólan eilten tatsächlich zu den Waffen, um sich zu wehren, doch vvaren sie dermaßen in der Minderzahl und überdies auch noch eingeschlossen, daß sie nur ein Rückzugsgefecht liefern konnten, als sie sich die Hänge der berghohen Cholólaner Pyramide hinauf zurückzogen. Oben auf der Plattform lieferten sie ihren letzten Kampf und wurden zuletzt im großen Quetzalcóatl-Tempel eingeschlossen. Die Belagerer brauchten bloß Holz um den Tempel herum aufzuschichten, dieses in Brand zu setzen und die Verteidiger bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Das war vor nunmehr zwölf Jahren, ehrwürdige Patres. Der Tempel ging in Flammen auf, wurde geschleift und die Trümmer in alle Winde zerstreut. Es blieben nichts weiter als Bäume und Sträucher, weshalb so viele von euch einfach nicht haben glauben können, daß dieser Berg kein Berg ist, sondern eine vor langer Zeit von Menschenhand gebaute Pyramide. Selbstverständlich weiß ich, daß sie heute noch etwas anderes trägt als Bäume. Der Gipfel, von welchem Quetzalcóatl und seine Gläubigen in jener Nacht heruntergestürzt wurden, ist letzthin von einer christlichen Kirche gekrönt worden.

Als Cortés in Cholólan eintraf, zählte es eine Bevölkerung von einigen achttausend Menschen. Als er abzog, war die Stadt leer. Ich wiederhole, daß Motecuzóma mich in keinen seiner Pläne eingeweiht hatte. Es kann durchaus sein, daß in der Tat Mexíca-Truppen heimlich auf dem Vormarsch auf die Stadt waren und er den Bewohnern befohlen hatte, sich zu erheben, sobald die Falle zuschnappte. Gleichwohl bitte ich darum, Zweifel anmelden zu dürfen. Zu diesem Massaker kam es am ersten Tag unseres fünfzehnten Monds, genannt Panquetzaliztli, was soviel heißt wie Das Schwenken Der Federbanner, und das überall mit Zeremonien gefeiert wurde, bei denen die Menschen genau dies taten.

Möglich, daß die Frau Malintzin nie zuvor einem solchen Fest beigewohnt hatte. Vielleicht hat sie ehrlich geglaubt oder fälschlich angenommen, daß die Menschen sich unter Schlachtbannern versammelten. Möglich aber auch, daß sie die »Verschwörung« erfunden hat, vielleicht sogar aus Eifersucht auf die Aufmerksamkeiten, welche Cortés den Cholólaner Frauen schenkte. Doch ob nun auf Grund eines Mißverständnisses oder aus Bosheit – sie brachte Cortés jedenfalls dazu, Cholólan zur Wüste zu machen. Und wenn er das überhaupt jemals bedauert hat, dann jedenfalls nicht lange, denn es war seinem Glück womöglich noch förderlicher als selbst sein Sieg über die Texcaltéca. Ich habe bereits erwähnt, daß ich Cholólan besucht und die Menschen dort durchaus nicht besonders liebenswert gefunden habe. Für mich war es gleichgültig, ob die Stadt weiter bestand oder nicht, und ihre plötzliche Verwüstung verursachte mir keinen Kummer außer vielleicht insofern, als sie zu Cortés' immer furchterregenderem Ruf beitrug. Denn als die Nachricht vom Massaker in Cholólan durch Schnellboten in der gesamten Einen Welt verbreitet wurde, fingen die Häuptlinge und Herrscher vieler anderer Gemeinwesen an zu überlegen, welchen Verlauf die Ereignisse bis jetzt eigentlich genommen hatten, wobei sie zweifellos etwa folgendermaßen zu sich sprachen:

»Als erstes haben die weißen Männer Motecuzóma die Totonáca weggenommen. Dann besiegten sie Texcála, was weder Motecuzóma noch einer seiner Vorgänger jemals fertiggebracht hat. Dann vernichteten sie Motecuzómas Verbündeten in Cholólan und gaben keinen kleinen Finger auf Motecuzómas Zorn oder Vergeltung. Es scheint so auszusehen, als ob die weißen Männer mächtiger sind als selbst die großmächtigen Mexíca. Es könnte klug sein, sich jetzt auf die Seite des Stärkeren zu schlagen … solange wir dazu noch aus eigenem Willen in der Lage sind.«

Ein mächtiger Edelmann tat das ohne zu zögern: Kronprinz Ixtlil-Xochitl, von Rechts wegen eigentlich Herrscher der Acólhua. Motecuzóma muß bitter bereut haben, diesen Fürsten vor drei Jahren hinausgeworfen zu haben; denn er mußte erkennen, daß Schwarz Blume diese Jahre nicht einfach damit verbracht hatte, sich schmollend in seine Feste in den Bergen zurückzuziehen, sondern daß er Krieger um sich geschart hatte, um sich auf die Rückgewinnung des Throns von Texcóco vorzubereiten. Schwarz Blume muß die Ankunft von Cortés wie ein Göttergeschenk vorgekommen sein, welches gerade rechtzeitig eintraf, ihm zu helfen. Er kam aus seiner Bergfeste herunter in die verwüstete Stadt Cholólan, wo Cortés seine riesigen Heere neu ordnete, um den Marsch gen Westen fortzusetzen. Bei ihrer Begegnung hat Schwarz Blume Cortés ohne Zweifel gesagt, welche schändliche Behandlung und welches Unrecht ihm von Motecuzóma zuteil geworden sei, und Cortés soll ihm versprochen haben, es wieder gutzumachen. Auf jeden Fall war die nächste Hiobsbotschaft, welche in Tenochtítlan eintraf, daß Cortés' Streitmacht um den auf Rache sinnenden Prinzen Schwarz Blume und seine hervorragend ausgebildeten, nach Tausenden Acólhua zählenden verstärkt worden sei. Ganz offensichtlich hatte sich das impulsive und möglicherweise überflüssige Massaker von Cholólan für Cortés als Meisterstück erwiesen, und er war seiner Malintzin dafür zu Dank verpflichtet, gleichgültig, aus welchem Grunde sie es in Gang gesetzt hatte. Sie hatte bewiesen, daß sie seiner Sache mit Hand und Herz ergeben war, daß sie bereit war, ihm zu helfen, sein Ziel zu erreichen, selbst wenn sie dafür über die Leichen von Männern, Frauen und Kindern ihrer eigenen Rasse hinweggehen mußte. Wenn er sich ihrer auch fortan noch als Dolmetsch bediente, schätzte Cortés sie von Stund an als seine beste Ratgeberin, seine vertrauenswürdigste Unterbefehlshaberin und seine standhafteste Bundesgenossin noch höher ein. Vielleicht hat er die Frau sogar lieben gelernt, wer will das wissen. Malintzin hatte zwei ihrer ehrgeizigen Ziele erreicht: Sie hatte sich bei ihrem Herrn unentbehrlich gemacht, und sie war mit dem Titel einer Edelfrau und allem, was dazugehört, auf dem Weg nach Tenochtítlan, ihrem langersehnten Traumziel.

Nun könnte es durchaus sein, daß es zu allen diesen Ereignissen, von denen ich berichtet habe, auch dann gekommen wäre, wenn das Waisenkind Ce-Malinali nie von ihrer liederlichen Coatlicamac-Sklavenmutter geboren worden wäre. Ich habe einen ganz persönlichen Grund, warum ich ihre kriecherische Anhänglichkeit an ihren Herrn und Meister und ihren Verrat an ihrer eigenen Rasse so verunglimpfe. Es könnte sein, daß ich einen ganz besonderen Haß auf sie hatte einfach deshalb, weil ich nicht vergessen konnte, daß sie denselben Geburtsnamen trug wie meine Tochter, daß sie genauso alt war, wie Nochipa jetzt gewesen wäre, so daß ihre schändlichen Taten für mich ganz persönlich Schande über meine makellose und schutzlose Ce-Malinali brachten.

Doch von meinen persönlichen Gefühlen ganz abgesehen – ich war Malintzin in der Tat zweimal begegnet, ehe sie zu Cortés' wirksamster Waffe geworden war, und beide Male hätte ich verhindern können, daß sie dazu wurde. Als ich sie das erste Mal beim Sklavenmarkt sah, hätte ich sie kaufen können, und sie wäre es zufrieden gewesen, ihr Leben als Dienerin im Haus eines Adlerritters der Mexíca in der großen Stadt Tenochtítlan zu verbringen. Und als wir uns im Totonáca-Land wiedersahen, war sie immer noch eine Sklavin und das Eigentum eines unbedeutenden Offiziers, nichts weiter als ein Glied in der Kette der Übersetzung von Unterredungen und Gesprächen. Damals hätte ihr Verschwinden kaum jemand aufgeregt, und mir wäre es ein leichtes gewesen, dafür zu sorgen, daß sie verschwand. Infolgedessen hätte ich zweimal ihrem Leben eine andere Richtung geben können, ja, vielleicht hätte ich dadurch sogar dem Gang der Geschichte eine andere Richtung gegeben. Doch ich hatte es nicht getan. Als sich herausstellte, daß das Massaker von Chololan auf sie zurückging, erkannte ich, was für eine große Bedrohung sie darstellte und wußte, daß ich ihr irgendwann wieder begegnen würde – in Tenochtítlan, wohin es sie ihr Leben lang gezogen hatte –, und ich schwor mir, dafür zu sorgen, daß ihr Leben dort endete.

Kurz nachdem er die Nachricht von dem Massaker von Cholólan erhalten hatte, bewies Motecuzóma abermals, wie unentschlossen es aussehen konnte, wenn er entschlossen handelte – denn er schickte eine weitere Abordnung von Edelleuten aus, an deren Spitze diesmal seine Weibliche Schlange stand, Tlacotzin, Oberschatzmeister der Mexíca, der zweite Mann im Staate nach Motecuzóma selbst. Tlacotzin und seine adligen Gefährten führten abermals eine reich mit Gold und anderen Geschenken beladene Trägerkolonne an – Dinge, welche nicht dem Wiederaufbau und der Wiederbevölkerung der unglücklichen Stadt dienen sollten, sondern dazu, Cortés um den Bart zu gehen.

Mit diesem Schritt, so glaube ich, offenbarte Motecuzóma die ganze Verstellung, deren er fähig war. Die Bewohner von Cholólan waren entweder vollkommen unschuldig gewesen und hatten ihre Vernichtung überhaupt nicht verdient; oder aber, wenn sie doch einen Aufstand gegen Cortés geplant hatten, konnten sie das nur auf Grund von geheimen Befehlen von Motecuzóma getan haben. In der Botschaft, welche der Verehrte Sprecher Cortés durch Tlacotzin überbringen ließ, beschuldigte er seine Cholólaner Verbündeten, diese fragwürdige »Verschwörung« ganz allein angezettelt zu haben; er behauptete, nichts davon gewußt zu haben; er bezeichnete sie als »Verräter an uns beiden«; er pries Cortés für seine rasche und gründliche Ausrottung von Rebellen; und erklärte, er hoffe, dieses unselige Vorkommnis würde die erhoffte Freundschaft zwischen den weißen Männern und dem Dreibund nicht gefährden.

Ich finde es durchaus passend, daß Motecuzómas Botschaft von seiner Weiblichen Schlange überbracht wurde, denn sie war ein Meisterstück schlangenhafter Verschlagenheit. Denn weiterhin hieß es in ihr: »Falls jedoch Cholólans verruchter Verrat den Capitán-General und sein Gefolge davon abgebracht haben soll, noch weiter durch so gefahrvolle Lande und unberechenbare Völker vorzudringen, würden wir seinen Entschluß verstehen, umzukehren und nach Hause zurückzukehren, wiewohl wir aufrichtig bedauern, die Gelegenheit verpaßt zu haben, den tapferen Capitán-General Cortés von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. Falls Ihr uns daher nicht in unserer Hauptstadt besuchen werdet, bitten wir Mexíca Euch, diese Geschenke als kleinen Ersatz für unsere freundliche Umarmung zu betrachten und sie mit Eurem König Carlos zu teilen, wenn Ihr in Eure Heimat zurückgekehrt sein werdet.«

Später hörte ich, Cortés habe kaum an sich halten können, seine Belustigung nicht zu zeigen, als diese durchsichtig gewundene und von Wunschdenken zeugende Botschaft ihm von Malintzin gedolmetscht wurde und er laut nachsann: »Ich freue mich darauf, einen Mann mit zwei Gesichtern von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen.« Doch Tlacotzin antwortete er:

»Ich danke Eurem Herrn für seine Sorge und für diese Entschädigungsgeschenke, welche ich im Namen von Seiner Majestät König Carlos dankbar entgegennehme. Gleichwohl«, und hier, so berichtete Tlacotzin, gähnte er, »die Schwierigkeiten, welche wir hier in Cholólan vor kurzem erlebt haben, waren ja nicht sonderlich groß.« Und jetzt lachte er rundheraus. »Im Verhältnis zu dem, was wir spanische Soldaten als Schwierigkeiten erachten, war dies nichts weiter als ein Flohbiß, bei dem man sich kratzt. Euer Gebieter kann unbesorgt sein, wir werden keineswegs in unserer Entschlossenheit nachlassen, unseren Weg fortzusetzen. Wir werden weiter gen Westen ziehen. O gewiß, es kann sein, daß wir den einen oder anderen Abstecher machen, um andere Städte und Völker zu besuchen, welche den Wunsch haben könnten, sich uns anzuschließen. Doch zuletzt wird unsere Reise uns ganz ohne jeden Zweifel nach Tenochtítlan führen. Ihr könnt Eurem Gebieter unser feierliches Versprechen überbringen, daß wir ihn kennenlernen werden.« Er lachte nochmals. »Von Angesicht zu Angesicht zu Angesicht.«

Selbstverständlich hatte Motecuzóma die Möglichkeit vorhergesehen, daß die Eindringlinge sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen würden und hatte seiner Weiblichen Schlange befohlen, noch eine allerletzte Windung zu vollführen.

»In diesem Falle«, sagte Tlácotzin, »würde unser Verehrter Sprecher sich freuen, wenn der Capitán-General seine Ankunft nicht länger hinauszögerte.« Was nichts anderes bedeutete, als daß Motecuzóma ihn nicht unter den aufmuckenden tributpflichtigen Völkern umherziehen lassen und zusehen wollte, wie er sie auf seine Seite zog. »Der Verehrte Sprecher meint, in diesen unwirtlichen und primitiven äußeren Provinzen könntet Ihr nur den Eindruck gewinnen, daß unser Volk barbarisch und unzivilisiert sei. Es ist sein größter Wunsch, daß Ihr den Glanz und die Pracht seiner Hauptstadt seht, auf daß Ihr den wahren Wert und die wahren Fähigkeiten unseres Volkes erkennt. Er fordert Euch dringlich auf, jetzt ungesäumt nach Tenochtítlan zu kommen. Ich werde Euch dorthin führen, mein Herr. Und da ich Tlácotzin bin, welcher gleich nach dem Herrscher der Mexíca kommt, wird Euch meine Anwesenheit Gewähr dafür sein, daß Ihr von keinem anderen Volke Trug oder Hinterhalt zu gewärtigen habt.«

Cortés vollführte eine weit ausholende Geste, welche die rings um Cholólan aufgestellten und wartenden Truppen umfaßte. »Ich mache mir keine allzu großen Sorgen um Trug und Hinterhalt, Freund Tlácotzin«, erklärte er anzüglich. »Gleichwohl nehme ich die Einladung Eures Herrn in die Hauptstadt an und Euer freundliches Anerbieten, uns dorthin zu führen. Wir sind bereit loszumarschieren, sobald Ihr bereit seid.«

Es stimmt, Cortés hatte kaum einen offenen oder heimtückischen Angriff zu fürchten, und er war auch keineswegs darauf angewiesen, noch weitere Verbündete zu gewinnen. Unsere Mäuse schätzten, daß sein Heer beim Abmarsch von Cholólan zwanzigtausend Mann stark war, zu welchen noch einige achttausend Träger kamen, welche die Ausrüstung und den Proviant trugen. Die Marschkolonne war zweimal Ein Langer Lauf lang, und es dauerte einen viertel Tag, ehe sie an irgendeinem bestimmten Punkt vorübergezogen war. Übrigens trug inzwischen jeder Krieger und Träger ein Zeichen, welches ihn als Angehörigen von Cortés' Streitmacht auswies. Da die Spanier sich immer noch beklagten, sie »könnten die verdammten Indianer nicht auseinanderhalten« und daher im Schlachtengetümmel Freund und Feind nicht unterscheiden, hatte Cortés angeordnet, daß alle seine Eingeborenentruppen einen einheitlichen Kopfputz trügen: eine hohe Krone aus Mazátla-Gras. Als dieses aus achtundzwanzigtausend Mann bestehende Heer auf Tenochtítlan vorrückte, so sagten die Mäuse, sähe das aus der Ferne aus, als sei eine riesige, geheimnisvoll wogende Grasfläche unterwegs.

Motecuzóma hatte wahrscheinlich überlegt, ob er seiner Weiblichen Schlange sagen solle, sie solle Cortés ziellos um und durch das Bergland herumführen, bis die Eindringlinge entweder verzweifelt erschöpft seien oder sich hoffnungslos verirrt fühlten, daß man sie einfach sich selbst überlassen könnte; doch selbstverständlich befanden sich unter den Acólhua und Texcaltéca und den anderen Truppen aus Einheimischen viele Männer, welche bald hinter diese List gekommen wären. Gleichwohl scheint Motecuzóma Tlácotzin sehr wohl befohlen zu haben, ihnen den Marsch keineswegs leicht zu machen – immer noch in der sehnsüchtigen Hoffnung, daß Cortés die Expedition entmutigt abbrechen werde. Auf jeden Fall führte Tlácotzin sie nicht über eine der leichteren Handelsrouten durch die tiefergelegenen Täler gen Westen, sondern über hochgelegene Gebirgspässe zwischen den Vulkanen Ixtacciuatl und Popocatépetl hinweg.

Wie ich bereits gesagt habe, liegt in diesen Höhen selbst in den heißesten Tagen des Sommers Schnee. Als das Riesenheer hindurchzog, setzte allmählich der Winter ein. Falls überhaupt etwas geeignet war, den weißen Männern allen Mut zu nehmen, so bestimmt die benommen machende Kälte, die eisigen Winde und das Schneetreiben, durch welches sie hindurch mußten. Ich weiß bis heute nicht, wie das Klima in eurer Heimat Spanien ist, doch Cortés und seine Soldaten hatten mittlerweile viele Jahre auf Cuba zugebracht, einer Insel, welche, so habe ich gehört, so sonnenversengt und feucht ist wie nur eines unserer an der Küste gelegenen Heißen Lande. Infolgedessen waren die weißen Männer genauso wie ihre Verbündeten, die Totonáca, mit ihrer Kleidung nicht darauf vorbereitet, der schneidenden Kälte standzuhalten, welche auf der Route herrschte, die Tlácotzin wählte. Später hat er voller Genugtuung berichtet, die weißen Männer hätten furchtbar gelitten.

Jawohl, sie litten und sie beschwerten sich, und vier weiße Männer starben unterwegs; desgleichen gingen zwei ihrer Pferde und mehrere von ihren Jagdhunden sowie vielleicht rund hundert von ihren Totonáca ein, doch alle übrigen standen es durch. Ja, zehn von den Spaniern machten, um zu zeigen, welchen Mumm sie hätten, einen Abstecher mit dem erklärten Ziel, ganz bis hinauf auf den Gipfel des Popocatépetl zu klettern, um in dessen Weihrauch ausstoßenden Krater hinunterzublicken. Soweit sind sie freilich nicht gekommen; aber das hatten ja auch kaum welche von unseren eigenen Leuten je getan oder auch nur versucht. Die Bergsteiger schlossen sich den anderen wieder an, blau und steifgefroren; einigen von ihnen sind später etliche Finger und Zehen abgefallen. Gleichwohl wurden sie sehr von ihren Kameraden dafür bewundert, den Versuch unternommen zu haben, und selbst die Weibliche Schlange mußte widerwillig zugeben, daß die weißen Männer tollkühn, von großer Unerschrockenheit und großer Energie waren.

Tlácotzin berichtete uns auch von den sehr menschlichen Ausrufen des Erstaunens, der Ergriffenheit und des Glücks, als sie endlich aus dem Westen des Passes herauskamen und auf den Berghängen standen, von welchen man das gewaltige Seenbecken unter sich liegen sieht, und wo der fallende Schnee für kurze Zeit seinen Vorhang auftat, um ihnen einen freien Ausblick zu gewähren. Unter ihnen erstreckten sich miteinander verbundene und verschiedenfarbige Wasserflächen, eingebettet in eine Schale üppigen Grüns und winziger Städte, welche durch schnurgerade Straßen miteinander verbunden waren. Nach diesen unwirtlichen Höhen diesen Anblick unvermittelt vor Augen, muß ihnen das weit zu ihren Füßen daliegende Land wie ein Garten vorgekommen sein: verlockend und grün in allen möglichen Schattierungen, dichte grüne Wälder und säuberliche grüne Obstgärten, unterschiedlich grüne Chinampa und Ackerflächen. Wenn auch nur sehr klein, können die Spanier die zahllosen an den Ufern der verschiedenen Seen gelegenen Städte und kleineren Ortschaften sowie die unbedeutenderen Gemeinwesen inmitten der Inseln selbst gesehen haben. Sie waren an dieser Stelle mindestens noch zwanzigmal Ein Langer Lauf von Tenochtítlan entfernt, doch die silberweiße Stadt wird geglänzt haben wie ein Stern. Monatelang waren sie nunmehr seit der gesichtslosen Meeresküste unterwegs, um unzählige Berge herum und über sie hinweg, waren durch felsige Schluchten und rauhe Täler gezogen, wobei sie nichts zu sehen bekommen hatten als bestenfalls schlichte Städte und Dörfer, welche sich durch nichts Besonderes auszeichneten – um nun plötzlich auf der gewaltigen Höhe dieses öden Passes zwischen den Vulkanen auf eine Szenerie hinabzublicken, welche sich – sie sagten das selbst – »ausnahm wie ein Traum … wie ein Wunder aus einem alten Märchenbuch …«

Da sie von den Vulkanen herunterkamen, betraten die Fremden selbstverständlich den Boden des Dreibunds, und zwar zunächst den der Acólhua aus Texcóco, wo sie vom Uey-Tlatoáni Cacámatzin begrüßt wurden, welcher ihnen mit einem eindrucksvollen Gefolge von großen Heeren und Edelleuten, Höflingen und Wachen entgegengezogen war. Obwohl Cacáma auf Anweisung seines Onkels eine freundliche Willkommensansprache an die Neuankömmlinge richtete, darf ich wohl behaupten, daß ihm alles andere als wohl in seiner Haut gewesen sein wird, als er von seinem entthronten Halbbruder Schwarz Blume angefunkelt wurde, welcher ihm in diesem Augenblick mit einer mächtigen Streitmacht von unzufriedenen, unter seinem Kommando stehenden Acólhua-Kriegern gegenüberstand. Daß die beiden einander hier begegneten, hätte auf der Stelle einen Kampf entfesseln können, nur hatten Motecuzóma und Cortés streng jeden Streit verboten, welcher auf ihre eigene, so unendlich bedeutsame Begegnung hätte einen Schatten fallen lassen können. Folglich verlief nach außen hin vorläufig alles sehr freundschaftlich, und Cacáma führte den gesamten Zug nach Texcóco, um sie alle dort unterzubringen, sie zu speisen und zu unterhalten, ehe sie weiterzogen nach Tenochtítlan.

Gleichwohl kann kein Zweifel herrschen, daß es Cacáma außerordentlich peinlich und er außer sich war, als seine eigenen Untertanen die Straßen von Texcóco säumten und den zurückkehrenden Schwarz Blume mit Freudenrufen begrüßten. Das allein war schon kränkend genug, doch dauerte es nicht lange, und Cacáma mußte die weit schlimmere Kränkung hinnehmen, daß seine Gefolgsleute in Scharen zu Schwarz Blume überliefen. Im Laufe der ein, zwei Tage, welche die weißen Männer sich in dieser Stadt aufhielten, holten vielleicht zweitausend Männer in Texcóco ihre lange nicht mehr benutzten Kampfanzüge und Waffen hervor, und als die Besucher weiterzogen, schlossen sich diese Männer freiwillig Schwarz Blumes Truppen an. Von diesem Tag an war das Volk von Acólhua verhängnisvoll gespalten. Die Hälfte der Bevölkerung blieb Cacáma Untertan, welcher immerhin ihr Verehrter Sprecher war und als solcher auch von den anderen Herrschern der Bundesgenossen des Dreibunds anerkannt wurde. Die andere Hälfte schenkte ihre Treue Schwarz Blume, der eigentlich ihr Verehrter Sprecher hätte sein sollen; und taten das, wenn sie auch bedauern mochten, daß er sein Schicksal mit dem der fremden Weißen vereinigt hatte.

Von Texcóco aus geleitete die Weibliche Schlange Tlácotzin Cortés und sein riesiges Heer um den Südrand des Sees herum. Die weißen Männer konnten sich nicht genugtun über »das große Binnenmeer« und ergingen sich in womöglich noch höheren Tönen über den zunehmend zutage tretenden Glanz Tenochtítlans, jener Stadt, welche unterwegs von verschiedenen Punkten aus zu sehen war und an Größe und Pracht immer mehr zunahm, je mehr sie sich ihr näherten. Tlácotzin brachte die ganze Gesellschaft in seinem eigenen stattlichen Palast unter, der in der auf dem Bergvorsprung gelegenen Stadt Ixtapalápan lag. Dort brachten sie ihre Rüstungen, Klingen und Kanonen auf Hochglanz, striegelten ihre Pferde und richteten ihre abgerissenen Uniformen her, soweit das noch möglich war, damit sie einigermaßen eindrucksvoll wirkten, wenn sie die letzte Strecke über den Damm zur Hauptstadt zurücklegten.

Während all dies vonstatten ging, erklärte Tlácotzin Cortés, daß die Stadt, da sie eine Insel und bereits dicht bevölkert sei, keinen Raum habe, auch nur den kleinsten Teil seiner Tausenden von Bundesgenossen aufzunehmen. Des weiteren machte die Weibliche Schlange Cortés klar, er solle nicht so taktlos sein, einen so unwillkommenen Gast wie Schwarz Blume mit in die Stadt nehmen oder Truppen, die, wenn auch von unserer Rasse, doch bekanntermaßen uns nicht freundlich gesonnenen Völkern entstammten.

Da Cortés die Stadt, wenn auch nur aus der Ferne gesehen hatte, konnte er kaum etwas gegen die begrenzten Unterbringungsmöglichkeiten vorbringen und war diplomatisch genug in seiner Wahl derer, welche ihn dorthin begleiten sollten. Gleichwohl stellte er ein paar Bedingungen. Tlácotzin müsse dafür sorgen, daß seine Streitkräfte am Ufer des Sees auf dem Festland verteilt und untergebracht würden, und zwar in einem Bogen, welcher von der südlichen Dammstraße bis zur nördlichen Dammstraße reiche – womit der gesamte Verkehr von und nach der Insel von ihm kontrolliert werden konnte. Dafür werde er, Cortés, neben der Mehrzahl seiner Spanier, nur noch eine Handvoll Acólhua, Texcaltéca und Totonáca mit nach Tenochtítlan hinein nehmen. Außerdem müsse ihm zugesagt werden, daß diese Krieger die Insel ungehindert und zu jeder Zeit betreten und verlassen dürften, damit er sie als Kuriere verwenden könne, um die Verbindung mit seinen Streitkräften auf dem Festland aufrechtzuerhalten.

Tlácotzin erklärte sich mit diesen Bedingungen einverstanden. Er schlug vor, daß einige von den Eingeborenentruppen bleiben sollten, wo sie wären, nämlich in Ixtapalápan, welches ja bequem an der südlichen Dammstraße gelegen sei; andere sollten bei Tlácopan nahe der westlichen Dammstraße untergebracht werden; und noch andere in Tepeyáca in der Nähe der nördlichen Dammstraße. Infolgedessen suchte Cortés jetzt jene Krieger aus, welche er als Kuriere behalten wollte, und schickte die anderen mit den von Tlácotzin bereitgestellten Führern fort und ordnete an, daß etliche von seinen weißen Offizieren und Soldaten den Befehl über diese drei Truppenteile übernehmen sollten. Nachdem Läufer von jedem dieser Truppenteile zurückgekehrt waren, um zu melden, sie seien dabei, am angegebenen Ort ihr Lager aufzuschlagen und stünden solange wie nötig auf Abruf bereit, ließ Cortés Tlácotzin das wissen, und die Weibliche Schlange meldete Motecuzóma: Die Abgesandten des Königs Carlos und des Herrgotts würden am nächsten Tag in Tenochtítlan einziehen.

Es war der Tag Zwei Haus unseres Jahres Ein Rohr, das heißt, Anfang November eures Jahres mit der Zahl eintausendfünfhundertundneunzehn.

Die südliche Dammstraße hatte zu ihrer Zeit so manche Prozession erlebt, doch nie eine, welche mit soviel ungewohntem Lärm verbunden war. Die Spanier hatten keine Musikinstrumente dabei und sangen auch nicht oder machten irgendwelche andere Musik, um ihren Marsch zu begleiten.

Dafür klirrten und knarrten und ratterten all die Waffen, welche sie mitführten, die stählernen Panzer und das Ledergeschirr ihrer Pferde. Wiewohl die Prozession feierlich langsam vorrückte, klapperten die Hufe der Pferde laut auf den Pflastersteinen, die großen Räder der Kanonen rumpelten dumpf und die ganze Dammstraße vibrierte, wobei die Oberfläche des Sees dieses Geräusch wie die Klangkörper einer Trommel verstärkte und das Getöse von den fernen Bergen widerhallte.

Voran ritt selbstverständlich Cortés auf seinem Pferd, der an einer hohen Stange das blutrot-goldene Banner Spaniens trug. Malintzin schritt stolz neben dem Pferd einher und trug den persönlichen Wimpel ihres Herrn. Hinter ihnen kamen die Weibliche Schlange sowie die anderen Edelleute der Mexíca, welche den ganzen Weg nach Cholólan und wieder zurück gemacht hatten. Ihnen folgten die spanischen Berittenen, und an ihren aufrecht getragenen Lanzen flatterten kleine Wimpel. Dann kamen die rund fünfzig ausgewählten Krieger unserer eigenen Rasse, und ihnen wiederum folgten die spanischen Fußsoldaten mit ihren Armbrüsten und Hakenbüchsen in Paradehaltung, den Säbel in der Scheide an der Seite, die Speere lässig geschultert. Hinter diesen in Reih und Glied dahinziehenden Soldaten kam ein ganzer Schwall von Bürgern aus Ixtapalápan und anderen Ortschaften auf dem Vorgebirge, neugierig auf den noch nie dagewesenen Anblick kriegerisch aussehender Fremder, welche, ohne auf irgendwelchen Widerstand zu stoßen, in die bislang unangreifbare Stadt Tenochtítlan einmarschierten.

Als sie die Dammstraße bei der Feste Acachinánco halb hinter sich hatten, traf die Prozession auf die ersten offiziell zu ihrer Begrüßung abgeordneten Würdenträger: den Verehrten Sprecher Cacamatzin von Texcóco und viele Acólhua-Edelleute, welche mit Acáltin über den See gekommen waren, sowie Edelleute der Tecpanéca aus Tlácopan, der dritten Stadt des Dreibunds. Diese auf das prächtigste gewandeten Herren übernahmen demütig wie Sklaven die Führung, fegten die Dammstraße mit Besen und streuten Blütenblätter bis zu der Stelle, wo die Dammstraße auf die Insel traf. Motecuzóma war mittlerweile in seinem elegantesten Tragstuhl aus seinem Palast herausgetragen worden. Ihn begleitete eine zahlreiche und eindrucksvolle Abordnung seiner Adler-, Jaguar-und Pfeilritter sowie sämtliche Damen und Herren seines Hofstaats, darunter ich, Herr Mixtli und meine Dame Béu.

Zeitlich war alles so abgestimmt worden, daß unsere Prozession am Rande der Insel – am Eingang der Stadt – genau im selben Augenblick eintraf wie die uns entgegenkommende. Die beiden Kolonnen hielten inne, als sie etwa zwanzig Schritt voneinander entfernt waren. Cortés schwang sich aus dem Sattel und reichte sein Banner Malintzin. Im selben Augenblick wurde Motecuzómas von einem Baldachin überdeckter Tragstuhl von den Trägern abgesetzt. Als er aus den bestickten Vorhängen heraustrat, waren wir alle überrascht über sein Gewand. Selbstverständlich trug er seinen schillerndsten langen Umhang, denjenigen, welcher ganz und gar aus schimmernden Kolibrifedern bestand, und eine Krone aus Quetzal Tototl-Federn sowie viele Medaillons und andere Schmuckstücke von außerordentlicher Pracht. Aber er trug nicht seine goldenen Sandalen – er war barfuß –, und keiner von uns Mexíca war besonders erfreut darüber, daß der Verehrte Sprecher Der Einen Welt unbedingt diese symbolische Demut bekunden mußte.

Er und Cortés ließen ihr Gefolge stehen und schritten langsam über den freien Raum aufeinander zu. Motecuzóma vollführte die Geste des Erdeküssens, und Cortés erwiderte mit jener Geste, von welcher ich heute weiß, daß sie der Handgruß der spanischen Soldaten und Offiziere ist. Wie es sich gehörte, übergab Cortés das erste Geschenk, beugte sich vor und schlang um den Hals des Verehrten Sprechers eine moschusduftende Kette, die offenbar aus Perlen und blitzenden Edelsteinen bestand – billigem Tand aus Perlmutt und Glas, wie sich später herausstellte. Motecuzóma seinerseits legte Cortés eine Doppelkette aus den seltensten Meeresmuscheln um, gesäumt von einigen hundert fein gearbeiteten Anhängern aus purem Gold in Form verschiedener Tiere. Sodann hielt der Verehrte Sprecher eine lange und blumige Willkommensansprache. Malintzin, eine fremdländische Flagge in jeder Hand, trat mutig vor und stellte sich neben ihren Herrn, um Motecuzómas Worte zu dolmetschen und hinterher die Ansprache von Cortés, die nicht ganz so lang ausfiel.

Motecuzóma kehrte zu seinen Tragstuhl zurück, Cortés bestieg wieder sein Pferd, und die Prozession von uns Mexíca ging jener der Spanier durch die Stadt voran. Die in Reih und Glied dahinstapfenden Soldaten marschierten nicht mehr ganz so geordnet, rempelten sich gegenseitig an, traten sich auf die Hacken und gafften mit großen Augen alles an – die wohlgekleideten Menschen, welche die Straßen säumten, die prachtvollen Gebäude und die hängenden Dachgärten. Im Herzen Der Einen Welt hatten die Pferde Schwierigkeiten, auf dem glatten Marmorboden des gewaltigen Platzes nicht auszurutschen; Cortés und die anderen Reiter mußten absteigen und ihre Tiere am Zaum führen. Wir zogen an der Großen Pyramide vorüber und wandten uns nach rechts, dem alten Palast des Axayácatl zu, wo ein gewaltiges Festmahl für diese Hunderte von Besuchern und die gleichfalls nach Hunderten zählenden Mexíca aufgetragen wurde, welche sie in Empfang genommen hatten. Es müssen unzählige verschiedene Gerichte dagestanden haben, auf Tausenden von Platten goldausgelegter Lackarbeit angerichtet. Als wir am Speisetisch Platz nahmen, führte Motecuzóma Cortés auf den für beide vorbereiteten erhöhten Platz und sagte dabei:

»Das hier war der Palast meines Vaters, welcher einer meiner Vorgänger als Uey-Tlatoáni war. Er ist gründlich gesäubert und eingerichtet und geschmückt worden, um würdig zu sein für so erlauchte Gäste. Er enthält Wohnungen für Euch und Eure Dame« – Letzteres sagte er mit einem gewissen Abscheu – »sowie für Eure hauptsächlichsten Offiziere. Für den Rest Eures Gefolges stehen weitläufige und passende Räume zur Verfügung. Ihr könnt über ein ganzes Gefolge von Sklaven gebieten, Euch aufzuwarten, für Euch zu kochen und sich um alle Eure Bedürfnisse zu kümmern. Der Palast soll Eure Residenz sein, solange Ihr in diesen Landen weilt.«

Ich glaube, außer Cortés hätte jeder andere Mann in einer so heiklen Lage dieses Angebot abgelehnt. Cortés wußte, daß er nur ein Gast war, der sich selbst eingeladen hatte und im Grunde eher als unwillkommener Eindringling angesehen wurde. Dadurch, daß er diesen Palast zu seiner Residenz machte – auch wenn noch rund dreihundert seiner eigenen Soldaten unter diesem Dach untergebracht waren –, brachte der Capitán-General sich in eine wesentlich gefährdetere und gefährlichere Lage, als wenn er in dem Palast in Cholólan geblieben wäre. Hier war er Motecuzóma stets unter den Augen und ständig in Motecuzómas Reichweite, sollte die ihm nur widerwillig in Freundschaft entgegen gestreckte Hand plötzlich beschließen, zuzupacken und ihn in den Würgegriff zu nehmen. Damit wären die Spanier Gefangene – ungefesselt, aber gefangen – in Motecuzómas eigener Hochburg, dieser Stadt, die sich auf einer Insel erhob, einer Insel, umgeben von einem See, und einem See, wiederum umgeben von all den Städten und Völkern und Heeren des Dreibunds. Wenn Cortés in der Stadt blieb, konnte er nicht einmal seine eigenen Verbündeten ohne weiteres herbeirufen, und selbst wenn er sie rief, konnten diese Verstärkungen es schwer haben, ihm zu Hilfe zu eilen. Denn Cortés muß, während er über den südlichen Damm hinwegzog, bemerkt haben, daß man die Brücken über den verschiedenen Durchfahrten für die Kanus leicht hochziehen und entfernen konnte, um zu verhindern, daß man weiterkam. Er muß auch geahnt haben, daß die anderen Dammstraßen ähnlich gebaut waren, was selbstverständlich der Fall war.

Der Capitán-General hätte Motecuzóma taktvoll beibringen können, daß es ihm lieber wäre, seine Residenz auf dem Festland aufzuschlagen und die Stadt von dort aus zu den verschiedenen notwendigen Besprechungen aufzusuchen. Aber das tat er mitnichten. Er dankte Motecuzóma vielmehr für das gastliche Angebot, als ob ein Palast ihm mit größter Selbstverständlichkeit zustünde und als ob er es verächtlich von sich weise, auch nur darüber nachzudenken, daß die Annahme dieses Angebots mit irgendwelchen Gefahren verbunden sein könnte. Wiewohl ich Cortés keineswegs liebe und auch für seine Verschlagenheit und seine Arglist keinerlei Bewunderung hege, muß ich doch einräumen, daß er angesichts einer Gefahr stets ohne zu zögern und mit einer Unerschrockenheit handelte, die allem Hohn sprach, was andere Männer gesunden Menschenverstand nennen. Vielleicht spürte ich, daß er und ich uns in unserem Wesen sehr ähnlich waren, denn auch ich bin mein Lebtag gefährliche Risiken eingegangen, welche andere Männer als aberwitzig gemieden hätten.

Gleichwohl vertraute Cortés sein Überleben nicht gänzlich dem Zufall an. Ehe er und seine Mannen die erste Nacht in dem Palast verbrachten, ließ er unter größten Mühen mit dicken Stricken vier seiner Kanonen auf das Dach des Palastes hieven – ohne sich darum zu scheren, daß bei diesem Unternehmen der zu seinem Ergötzen neu angelegte Blumengarten zertrampelt wurde – und stellte die Kanonen dergestalt auf, daß sie jeden Zugang zum Palast bestreichen konnten. Außerdem gingen in dieser und in allen folgenden Nächten Soldaten mit geladenen Hakenbüchsen auf dem Dach und unten zu ebener Erde Wache.

An den folgenden Tagen führte Motecuzóma persönlich seine Gäste durch die Stadt – begleitet von seiner Weiblichen Schlange und anderen Weisen Männern vom Staatsrat sowie einigen seiner eigenen Palastpriester, welche in ihren Mienen äußerste Mißbilligung bekundeten, und von mir. Auf ausdrückliches Verlangen von Motecuzóma befand ich mich immer in seiner Begleitung, weil ich ihn vor Malintzins verschlagener Neigung gewarnt hatte, falsch zu dolmetschen. Cortés erinnerte sich an mich, wie er es versprochen hatte, doch dem Anschein nach ohne Groll. Er lächelte schmallippig, als wir einander mit Namen vorgestellt wurden, ließ sich meine Gesellschaft gutmütig gefallen und sprach seine Worte genauso häufig durch mich wie durch seine Frau. Daß sie mich gleichfalls erkannte, versteht sich von selbst; sie machte aus ihrer Abneigung auch keinerlei Hehl, sondern brachte sie dadurch zum Ausdruck, daß sie mich überhaupt nicht ansprach. Wenn es ihrem Herrn und Meister gefiel, durch mich zu sprechen, funkelte sie mich an, als warte sie nur einen geeigneten Augenblick ab, mich umbringen zu lassen. Nun, das ist nur gerecht, dachte ich. Denn genau das hatte ich mir für sie auch vorgenommen.

Bei diesen Rundgängen durch die Stadt wurde Cortés auch stets von seinem Stellvertreter, dem großen, flammenhaarigen Pedro de Alvarado sowie den meisten seiner anderen Offiziere begleitet; des weiteren selbstverständlich von Malintzin und zweien oder dreien seiner Priester, die nicht minder sauertöpfisch dreinblickten als die unseren. Für gewöhnlich schloß sich uns auch noch ein Schwarm gemeiner Soldaten an, wiewohl andere von ihnen die Stadt auf eigene Faust in kleinen Gruppen durchstreiften, wohingegen die eingeborenen Krieger es vorzogen, sich nicht allzuweit aus der Sicherheit ihrer Unterkünfte im Palast hervorzuwagen.

Wie ich bereits gesagt habe, trugen diese Krieger den neuen, von Cortés angeordneten Kopfputz, der aussah, als wachse ihnen eine Garbe hohen, schmiegsamen Grases aus dem Kopf. Doch auch die spanischen Soldaten hatten, seit ich sie das letztemal gesehen hatte, ihrer militärischen Kopfbedeckung einen deutlich erkennbaren Schmuck hinzugefügt. Jeder von ihnen trug ein sonderbares, blaßledernes Band, welches eben oberhalb des vorspringenden Rands rund um den stählernen Helm herumlief. Dieses Band schmückte nicht sonderlich und diente auch keinem erkennbaren Zweck, sodaß ich mich schließlich danach erkundigte und einer der Spanier mir lachend erzählte, was es sei.

Während des Aufruhrs in Cholólan, in dessen Verlauf die Texaltéca unterschiedslos den größten Teil der Bevölkerung hinschlachteten, hatten die Spanier sich auf die Suche nach eben jenen Frauen begeben, mit denen sie sich während ihrer vierzehn Tage währenden Schwelgerei vergnügt hatten, und fanden die meisten dieser Frauen und Mädchen noch zitternd vor Angst in ihren Quartieren vor. Überzeugt, daß die Frauen sich nur mit ihnen abgegeben hatten, um ihnen ihre Kraft auszusaugen, hatten die Spanier zu einer einzigartigen Rache gegriffen. Sie ergriffen die Frauen und Mädchen, rissen ihnen die Kleider herunter und benutzten einige von ihnen ein letztes oder auch ein allerletztes Mal. Danach hielten sie sie am Boden fest und schnitten ihnen, wiewohl die Frauen schrien und um Gnade baten, mit ihren scharfen Stahlmessern ein handtellergroßes Stück Haut heraus, welches die ovale Öffnung ihres Tipili mit umfaßte. Die verstümmelten und geschlechtslosen Frauen ließen sie verbluten und gingen fort.

Die warmen und beuteiförmigen Hautteile nahmen sie und streiften die Lippen über ihren Sattelknauf. Nachdem das Fleisch getrocknet, aber immer noch dehnbar war, hatten sie die so entstandenen Ringe über ihre Helme gestülpt, und zwar dergestalt, daß die kleine Xacapili-Perle nach vorn wies – das heißt, der verschrumpelte, bohnenähnliche Knorpel, welcher einst ein zarter Xacapili gewesen war. Ich weiß nicht, ob die Soldaten diese Trophäen als grausigen Scherz trugen oder als Abschreckung für jede andere ränkeschmiedende Frau.

Alle Spanier ließen sich anerkennend über die Größe, die Bevölkerung, den Glanz und die Sauberkeit von Tenochtítlan aus und verglichen sie mit anderen Städten, welche sie gesehen hatten. Die Namen dieser anderen Städte bedeuteten mir damals nichts, doch ihr, ehrwürdige Patres, kennt sie vielleicht. Die Gäste sagten, unsere Stadt sei flächenmäßig größer als Valladolid, ihre Bevölkerung größer als die von Sevilla und die Bauten fast so prächtig wie die des heiligen Roms, ihre Kanäle erinnerten sie an Amsterdam oder Venedig, und Straßen, Luft und Wasser seien sauberer als in jeder dieser Städte. Wir, die wir sie umherführten, enthielten uns der Bemerkung, daß die Ausdünstungen der Spanier diese Sauberkeit merklich beeinträchtigten.

Jawohl, die Fremden waren sehr beeindruckt von den Bauten, der Schönheit und der Ordnung unserer Stadt, aber wißt ihr, was sie am meisten beeindruckte? Was ihnen die lautesten Ausrufe der Verwunderung und des Erstaunens entlockte?

Unsere Aborte.

Es lag auf der Hand, daß viele von diesen Männern weit in eurer Alten Welt herumgekommen waren, doch war es genauso offenkundig, daß sie nirgends Einrichtungen unserer Art für die körperlichen Bedürfnisse begegnet waren. Sie waren schon überwältigt, daß sie derlei Aborte in dem Palast vorfanden, den sie bewohnten; was ihnen jedoch vollends die Sprache verschlug, war, als wir sie zu einem Besuch des Marktplatzes von Tlaltelólco mitnahmen und sie dort öffentliche Aborte selbst für das gemeine Volk sahen: für die Käufer und die Verkäufer dort. Als die Spanier diese Einrichtungen zuerst entdeckten, mußte jeder einzelne von ihnen, Cortés nicht ausgenommen, erst einmal hineingehen und sich entleeren. Auch Malintzin tat das, da derlei Bequemlichkeiten in ihrer hinterwäldlerischen und unzivilisierten Heimat Coatlicamac genauso unbekannt waren wie im heiligen Rom Spaniens. Solange Cortés und sein Gefolge auf der Insel weilten, und solange es den Markt gab, waren diese öffentlichen Aborte die beliebtesten und am häufigsten aufgesuchten Attraktionen, welche Tenochtítlan überhaupt zu bieten hatte.

Während die Spanier entzückt waren von den Aborten mit der ständigen Wasserspülung, verfluchten unsere Mexíca-Ärzte diese selben Einrichtungen, war ihnen doch außerordentlich daran gelegen, eine Probe von Cortés' Exkrementen zu bekommen. Und während die Spanier sich gebärdeten wie die Kinder mit einem neuen Spielzeug, gebärdeten sich unsere Ärzte wie die Quimíchime -Mäuse, welche Cortés ständig folgten, wohin er auch ging, oder plötzlich um irgendwelche Ecken schauten. Selbstverständlich mußte Cortés diese verschiedenen älteren Herren bemerken, welche ihn überall, wo er in der Öffentlichkeit auftauchte, mit ihren Blicken verfolgten. Zuletzt erkundigte er sich sogar nach ihnen, und Motecuzóma, welcher sich insgeheim über ihre Possen lustig machte, sagte nur, es seien Ärzte, welche über Gesundheit und Wohlergehen ihres erlauchtesten Gastes wachten. Cortés zuckte nur mit den Achseln und erwähnte sie nicht mehr, wiewohl ich glaube, daß er zu der Überzeugung gelangte, unsere Ärzte müßten weit beklagenswerter krank sein als alle Patienten, um die sie sich kümmern mochten. Was die Heilkundigen taten oder vielmehr nicht taten, war der Versuch, ihre Vermutung zu beweisen, daß der weiße Mann Cortés in der Tat an der Nanáua-Krankheit leide. Sie bemühten sich, mit den Augen die verräterische Wölbung seiner Oberschenkelknochen zu messen, nahe genug heranzukommen, um festzustellen, dass er mit dem charakteristischen Geschnauf atme, oder zu erkennen, ob seine Schneidezähne die verräterischen Kerben aufwiesen.

Selbst ich empfand sie nachgerade als eine Belästigung, die uns noch dazu in Verlegenheit brachte, da sie uns auf unseren Spaziergängen ständig auflauerten oder an den unerwartetsten Stellen auftauchten. Als ich eines Tages buchstäblich nahezu über einen alten Arzt stolperte, welcher sich hingekniet hatte, um Cortés in Beinhöhe zu betrachten, nahm ich ihn wütend beiseite und erklärte: »Wenn ihr einfach nicht den Mut habt, um Erlaubnis zu bitten, den erlauchten weißen Mann zu untersuchen, könnt ihr doch bestimmt einen Vorwand finden, um seine Frau zu untersuchen, die doch nur eine von uns ist.«

»Das würde nichts nützen, Mixtzin«, erklärte der Arzt betreten. »Sie hat sich bestimmt nicht bei ihm angesteckt. Die Nanáua wird auf einen Geschlechtspartner nur in den frühen und offenkundigen Stadien übertragen. Wenn, wie wir vermuten, der Mann von einer an der Nanáua erkrankten Mutter geboren wurde, dann stellt er längst keine Gefahr mehr für irgendeine andere Frau dar, wiewohl sie ein daran erkranktes Kind empfangen könnte. Selbstverständlich möchten wir nur allzu gerne wissen, ob wir mit unserer Vermutung recht haben, doch das läßt sich so nicht beweisen. Wenn er bloß nicht so begeistert wäre von unseren Aborten, wenn wir seinen Urin nach Spuren des Chiatóztli untersuchen könnten …«

Außer mir sagte ich: »Ich finde euch überall, nur nicht gerade unter den Aborten hockend. Ich schlage vor, daß ihr hingeht und ihren Palastkämmerer anweist, den Abort des Mannes dort sperren zu lassen und ihm zu erklären, er sei verstopft, und daß er ihm einen Topf zur Verfügung stellt, den er in der Zwischenzeit benutzen möge, und die Dienerin beauftragt, euch diesen Topf zu bringen …«

»Ayyo, ein glänzender Einfall!« erklärte der Heilkundige und eilte davon. Fortan wurden wir auf unseren Ausflügen nicht mehr belästigt, doch habe ich nie erfahren, ob die Ärzte tatsächlich den Beweis dafür fanden, daß Cortés unter der schändlichen Krankheit litt.

Ich muß auch berichten, daß diese ersten Spanier nicht alles und jedes in Tenochtítlan bewunderten. Einige der Dinge, welche wir ihnen zeigten, mochten sie gar nicht, ja, bedauerten sie sogar. Zum Beispiel zuckten sie heftig vor dem Schädelgerüst im Herzen Der Einen Welt zurück. Sie schienen es abstoßend zu finden, daß wir den Wunsch hatten, die Schädel von berühmten Persönlichkeiten aufzubewahren, welche auf diesem Platz den Blumentod gefunden hatten. Gleichwohl habe ich eure spanischen Geschichtenerzähler von eurem eigenen Helden als alter Zeit, El Cid, erzählen hören, dessen Tod vor seinen Feinden geheimgehalten wurde. Sein steifer Leichnam wurde so zurechtgebogen, daß er auf ein Pferd gesetzt werden konnte, und so führte er sein Heer an, die letzte Schlacht zu gewinnen. Da ihr Spanier diese Geschichte so überaus schätzt, begreife ich nicht, warum Cortés und sein Gefolge unsere Zurschaustellung der Schädel bekannter Persönlichkeiten unheimlicher fand als die Erhaltung des Cid nach seinem Tod.

Was jedoch die weißen Männer am meisten abstieß, waren unsere Tempel mit ihren offenkundigen Beweisen für die vielen Menschenopfer aus jüngster und ältester Zeit. Um den Besuchern den besten Blick auf seine Stadt zu gewähren, nahm Motecuzóma sie mit auf den Gipfel der Großen Pyramide, welche ausgenommen während der Opferzeremonien ständig säuberlichst geschrubbt und glänzend gehalten wurde. Die Gäste stiegen die bannergesäumte Treppe hinauf und bewunderten die Schönheit und Größe des Bauwerks, die Lebhaftigkeit der Bemalung des gehämmerten Goldes an den Verzierungen, und ließen den Blick über die Stadt und den See schweifen, welcher sich immer mehr auftat, je höher sie stiegen. Die beiden Tempel oben auf der Pyramide waren von außen strahlend sauber, doch das Innere wurde nie gesäubert. Da eine Kruste von Blut gleichbedeutend war mit tiefer Verehrung, waren die Standbilder, Wände, Decken und Böden der Tempel mit einer dicken getrockneten Blutschicht bedeckt.

Die Spanier betraten den Tlaloc-Tempel und fuhren augenblicklich zurück, taten, als müßten sie sich übergeben und verzerrten voller Abscheu das Gesicht. Es war das erste und das letzte Mal, daß ich die weißen Männer jemals vor einem Geruch zurückschrecken, ja, überhaupt zu erkennen geben sah, daß sie so etwas überhaupt wahrnahmen. Freilich muß ich ehrlich gestehen, daß die Opferstätte in der Tat schlimmer stank als sie selbst. Als sie sich wieder gefaßt hatten, sich die Bäuche hielten und die sich verkrampfenden Mägen wieder unter Kontrolle hatten, gingen Cortés und Alvarado sowie der Priester Bartolomé noch einmal hinein und gerieten außer sich vor Empörung, als sie entdeckten, daß das hohle Standbild Tlalocs bis an den Rand seines aufgerissenen quadratischen Munds mit den verwesenden Menschenherzen gefüllt war, mit welchen er gespeist worden war. Cortés war dermaßen außer sich, daß er seinen Säbel herausriß und dem Standbild einen heftigen Schlag versetzte. Dabei löste sich zwar nur ein Brocken gestockten Bluts von Tlalocs Steingesicht, doch stellte das eine Beleidigung dar, angesichts derer wiederum Motecuzóma und seine Priester vor Verblüffung den Mund aufrissen. Gleichwohl – Tlaloc reagierte keineswegs mit einem vernichtenden Blitz, und Cortés bezähmte sich wieder. Er sagte zu Motecuzóma:

»Dieses Götzenbild ist kein Gott. Es ist etwas Böses, was wir einen Teufel nennen. Es muß gestürzt, herausgeholt und der ewigen Dunkelheit überantwortet werden. Laßt mich hier an seiner Stelle das Kreuz unseres Herrgotts und das Standbild der Heiligen Jungfrau aufstellen. Ihr werdet sehen, daß dieser Dämon es nicht wagt, etwas dagegen zu unternehmen; woran Ihr erkennen könnt, daß er minderwertig ist, daß er den Wahren Glauben fürchtet, und daß Ihr gut beraten seid, solch bösen Wesen abzuschwören und Euch unseren freundlichen Wesen zuzuwenden.«

Motecuzóma erklärte steif, so etwas sei undenkbar. Trotzdem wanden die Spanier sich abermals, als sie den danebenstehenden Tempel des Huitzilopóchtli betraten, und nochmals, als sie die Tempel oben auf der nicht ganz so hohen Pyramide von Tlaltelólco betraten; und jedesmal machte Cortés seinem Abscheu mit immer heftigeren und immer unbeherrschteren Worten Luft.

»Die Totonáca«, sagte er, »haben ihr Land von diesen Götzenbildern gesäubert und haben Unserem Herrgott und Seiner Jungfräulichen Mutter Treue geschworen. Der ungeheuerliche Bergtempel von Cholólan ist dem Erdboden gleichgemacht worden. In diesem Augenblick unterweisen einige meiner Priester König Xicoténca und seinen Hof in den Segnungen des Christentums. Ich sage Euch, an keinem dieser Orte haben die alten Teufelsgottheiten auch nur einen Finger gerührt. Und ich schwöre Euch bei meiner Ehre, auch diese werden es nicht tun, wenn ihr sie hinauswerft.«

Motecuzóma entgegnete – und ich tat, als ich sie dolmetschte, mein möglichstes, zu vermitteln, wie eisig seine Worte waren: »Capitán-General, Ihr seid hier mein Gast, und ein Gast, welcher weiß, was sich gehört, macht sich über den Glauben seiner Gastgeber ebensowenig lustig wie über den Geschmack, welchen er in seiner Kleidung oder in seinen Frauen bekundet. Weiter noch: Wiewohl Ihr mein Gast seid, wehrt ein großer Teil meines Volkes sich, daß sie gleichfalls gastfrei Euch gegenüber sein müssen. Wenn Ihr versucht, mit ihren Göttern Schindluder zu treiben, werden die Priester laut gegen Euch wettern, und was die Religion angeht, können die Priester sogar mich überstimmen. Dann wird das Volk auf seine Priester hören, nicht auf mich, und Ihr würdet von Glück sagen können, wenn Euch und Euren Männern nichts Schlimmeres geschieht, als lebendig aus Tenochtítlan hinausgeworfen zu werden.«

Sogar der draufgängerische Cortés begriff, daß ihm scharfe Vorhaltungen gemacht wurden und wie heikel seine Lage war. Er nahm daher Abstand davon, die Sache weiter zu verfolgen, und murmelte Worte der Entschuldigung. Woraufhin auch Motecuzóma ein wenig milder gestimmt wurde und sagte:

»Gleichwohl bemühe ich mich, ein gerechter Mann und ein großzügiger Gastgeber zu sein. Ich sehe wohl ein, daß ihr Christen hier keinen Ort habt, eure eigenen Götter zu verehren, und ich habe nichts dagegen, daß ihr das tut. Ich werde Befehl geben, daß der kleine Adlertempel auf dem Großen Platz von seinen Standbildern, seinen Altarsteinen und allen Dingen, welche eine Verletzung eures Glaubens darstellen, freigemacht wird. Eure Priester können darin aufstellen, was immer sie wollen, und der Tempel sei euer Tempel, solange ihr ihn haben wollt.«

Unsere eigenen Priester waren selbstverständlich keineswegs erfreut über dieses kleine Zugeständnis an die Fremden, doch murrten sie nur leise, als die weißen Priester den kleinen Tempel übernahmen. Danach wurde er übrigens häufiger aufgesucht, als er je zuvor aufgesucht worden war. Die christlichen Priester schienen ihre Messen und andere Gottesdienste ununterbrochen von morgens bis abends abzuhalten, ob die weißen Soldaten daran teilnahmen oder nicht – weil viele von unseren eigenen Leuten von Neugier getrieben zu diesen Gottesdiensten hineinschauten. Ich sage, unsere eigenen Leute; in Wahrheit handelte es sich vornehmlich um die Gefährtinnen der weißen Männer und verbündete Krieger von anderen Volksstämmen. Doch die Priester bedienten sich Malintzins, ihre Predigten zu dolmetschen, und waren entzückt, als viele von diesen heidnischen Besuchern – immer noch von nichts anderem als von dem Neuen daran angezogen – es über sich ergehen ließen, das Salz zu essen, und sich bei der Taufe, bei der sie einen neuen Namen erhielten, mit Wasser besprengen zu lassen. Doch wie dem auch sei, daß Motecuzóma ihnen diesen Tempel zur Verfügung stellte, hielt Cortés vorläufig davon ab, energisch Hand an unsere alten Götter zu legen, wie er das an anderen Orten getan hatte.

Die Spanier waren etwas über einen Mond in Tenochtítlan, da geschah etwas, was sie für immer aus der Stadt, ja, vermutlich sogar aus der ganzen Einen Welt hätte vertreiben können. Ein Schnellbote vom Herrn Patzinca von den Totonáca traf ein und hätte er seine Meldung Motecuzóma überbracht, wie das bisher immer der Fall gewesen war, hätte das von einem Augenblick auf den anderen das Ende des Aufenthalts der weißen Männer bedeuten können. Nun überbrachte der Schnellbote seine Meldung an das Totonáca-Heer, welches sein Lager auf dem Festland aufgeschlagen hatte, und wurde von einem der Krieger in die Stadt gebracht, wo der Schnellbote sie unter vier Augen vor Cortés wiederholte. Seine Nachricht lautete, daß es zu schwerwiegenden Zwischenfällen an der Küste gekommen sei.

Folgendes war geschehen. Ein Mexícatl-Tributeintreiber namens Cuaupopóca, welcher wie gewöhnlich etlichen tributpflichtigen Stämmen mit einer Eskorte von Mexíca-Kriegern seinen jährlichen Besuch abstattete, hatte den Jahrestribut von den Huaxtéca eingesammelt, welche gleichfalls an der Küste lebten, allerdings nördlich von den Totonáca. Er war daraufhin mit einer Kolonne von Huaxteca-Trägern, welche ausgehoben worden waren, ihre eigenen Tribute nach Tenochtítlan zu bringen, weiter nach Süden ins Totonáca-Land gezogen, wie er es nun schon seit vielen Jahren immer getan. Als er jedoch die Hauptstadt Tzempoálan erreichte, entsetzte er sich darüber, daß die Totonáca sich auf sein Eintreffen nicht im mindesten vorbereitet hatten. Es waren keinerlei Waren zum Weitertransport bereitgestellt worden; es standen keine Männer bereit, als Träger zu dienen; der Herrscher, Patzinca, hatte für Cuaupopóca nicht einmal eine Liste vorbereitet, aus der hervorging, worin die Tributzahlungen eigentlich bestehen sollten.

Da er aus den nördlichen Hinterlanden kam, hatte Cuaupopóca nichts von dem Mißgeschick gehört, welches die fünf Beamten des Schatzamtes erfahren, die ihm immer vorausgezogen waren, und hatte nicht die geringste Ahnung von all den Geschehnissen seither. Motecuzóma hätte ihm ohne weiteres Nachricht zukommen lassen können, hatte das jedoch versäumt. Und ich werde nie wissen, ob der Verehrte Sprecher das nun unter dem Druck so vieler anderer Ereignisse einfach vergessen hatte, oder ob er sich mit Bedacht entschlossen hatte, das Eintreiben der Tribute weitergehen zu lassen wie immer, nur um abzuwarten, was denn nun eigentlich geschehen würde. Nun, Cuaupopóca versuchte, seine Pflicht zu tun. Er verlangte von Patzinca die Tribute, und dieser drehte und wand sich wie gewöhnlich, weigerte sich jedoch, dem Begehren nachzukommen, und zwar unter dem Hinweis darauf, er unterstehe nicht mehr dem Dreibund. Er habe neue Herren, weiße, welche in einem befestigten Dorf weiter unten am Strand lebten. Winselnd schlug Patzinca vor, daß Cuaupopóca sich an den weißen Befehlshaber dort wende, einen gewissen Juan de Escalante.

Aufgebracht und ohne recht zu verstehen, was hier eigentlich vorging, jedoch entschlossen, führte Cuaupopóca seine Männer nach Villa Rica de la Vera Cruz, wo er in einer unverständlichen Sprache, die er nicht verstand und von der er nur merkte, daß sie beleidigend klang, mit Hohn übergossen wurde. Infolgedessen tat er, ein einfacher Tributeintreiber, was der mächtige Motecuzóma bis jetzt noch nicht getan hatte; er weigerte sich, sich derart von oben herab behandeln zu lassen und er weigerte sich heftig, unter Anwendung von Gewalt und mit Entschlossenheit. Möglich, daß Cuaupopóca damit einen Fehler beging, aber er beging ihn in der hochfahrenden und herrischen Art, wie man sie von den Mexíca erwartete. Patzinca und Escalante begingen den noch größeren Fehler, ihn dazu herauszufordern, denn sie hätten sich darüber im klaren sein müssen, wie verwundbar sie waren. Das gesamte Heer der Totonáca war zusammen mit Cortés fortgezogen und praktisch sein eigenes auch. Tzempoálan konnte nur noch wenige Männer aufbieten, die Stadt zu verteidigen, und Vera Cruz war auch nicht besser bemannt, denn zur Hauptsache bestand die Garnison dort nur aus den Seeleuten, die zurückgelassen worden waren, weil sie keine Schiffe hatten, auf denen sie hätten beschäftigt werden können.

Cuaupopóca, das wiederhole ich, war nur ein kleiner Mexícatl-Beamter. Es ist möglich, daß ich der einzige Mensch bin, der sich noch an seinen Namen erinnert, wiewohl viele sich noch des Schicksals erinnern, welches ihm sein Tonáli brachte. Der Mann war eifrig in seiner Pflichterfüllung des Tributeintreibens; dies war das erstemal, daß ihm von einem tributpflichtigen Stamm getrotzt wurde, er muß von aufbrausendem Wesen gewesen sein, wie es seinem Namen entsprach – er hieß Feuriger Adler –, und er wollte sich bei der Erfüllung seiner Aufgabe keine Knüppel zwischen die Beine werfen lassen. Er erteilte seiner aus Mexíca-Kriegern bestehenden Eskorte, welche sich längst bei dieser ereignislosen Aufgabe gelangweilt hatte, einen knappen Befehl. Sie ergriffen froh die Gelegenheit zu kämpfen beim Schopfe und wurden daran auch nicht von den paar Hakenbüchsen und Armbrüsten gehindert, welche hinter dem Palisadenzaun um das Dorf des weißen Mannes auf sie abgefeuert wurden.

Sie erschlugen Escalante und die wenigen Soldaten, die Cortés unter seinen Befehl gestellt hatte. Die anderen, die unkriegerischen Seeleute, ergaben sich augenblicklich. Cuaupopóca stellte dort und um den Palast von Tzempoálan Wachen auf und befahl dem Rest seiner Männer, das gesamte umliegende Land zu plündern. In diesem Jahr, so erklärte er den entsetzten Totonáca, bestehe ihr Tribut nicht in einem Anteil ihrer Waren und Erzeugnisse, sondern im Gesamten dessen, was sie erwirtschaftet hätten. Infolgedessen war es so etwas wie eine Heldentat für Patzincas Schnellboten, aus dem abgeriegelten Palast zu entkommen und zwischen den alles, was nicht niet- und nagelfest war, mitnehmenden Kriegern Cuaupopócas hindurchzukommen und Cortés die schlechte Nachricht zu überbringen.

Ganz gewiß ging Cortés blitzartig auf, um wieviel gefährlicher seine eigene Lage plötzlich geworden war, wie unsicher die Zukunft aussah, doch verschwendete er nicht viel Zeit, erst lange zu überlegen. Er nahm den roten Riesen Alvarado und Malintzin sowie eine Reihe Schwerbewaffneter mit, stürmte an den Palastkämmerern vorbei und drang ohne jedes Zeremoniell in Motecuzómas Thronsaal vor. Cortés schäumte oder tat so, als ob er schäumte, während er dem Verehrten Sprecher weitschweifig und empört die Nachricht wiederholte, welche er erhalten hatte. So wie er es erzählte, habe eine umherstreifende Bande von Mexíca-Räubern ohne jede Herausforderung seine friedlich an der Küste lebenden Leute angegriffen und abgeschlachtet. Das stelle einen schwerwiegenden Bruch des Waffenstillstands und der Freundschaft dar, welche Motecuzóma ihm versprochen habe; was Motecuzóma nun dagegen zu unternehmen gedenke?

Der Verehrte Sprecher war sich sehr wohl darüber im klaren, daß der Tributeintreiber samt seiner Eskorte sich gerade in jener Gegend aufhalten mußte; nach dem, was er von Cortés hörte, mußte er in irgendein Scharmützel hineingeraten sein und unter den weißen Männern in der Tat Schaden angerichtet haben. Freilich hätte Motecuzóma es nicht nötig gehabt, sich überstürzt mit Cortés zu versöhnen; er hätte Zeit genug gewinnen können, um herauszubekommen, was wirklich geschehen war. Und die Wahrheit sah folgendermaßen aus: Die einzige und befestigte Siedlung der weißen Männer in diesen Landen hatte sich Cuaupopócas Mexíca-Truppen ergeben; der einzige wirklich gefügige Bundesgenosse der weißen Männer, Patzinca, hatte sich in seinem Palast verkrochen und war praktisch ein Gefangener von Mexíca. Motecuzóma seinerseits hatte inzwischen fast den ganzen Rest der weißen Männer auf seiner Insel zusammen, so daß es ein leichtes für ihn hätte sein können, sie zu vernichten; des weiteren hätte man Cortés' andere weiße und eingeborene Truppen auf dem Festland leicht von der Insel fernhalten können, während die Festlandheere des Dreibunds sich versammelten, sie zu zermalmen. Dank Cuaupopóca hielt Motecuzóma sämtliche Spanier und alle jene, welche sie unterstützten, hilflos in der Hand. Er brauchte diese Hand nur zur Faust zu schließen und solange zuzudrücken, bis ihm das Blut zwischen den Fingern herausrann.

Er tat es nicht. Er brachte Cortés gegenüber sein Entsetzen zum Ausdruck und bekundete sein Mitgefühl. Er schickte eine Abordnung seiner Palastwache, damit sie sich in Tzempoálan und Vera Cruz entschuldigten, Cuaupopóca seines Amtes enthoben und ihn und die Befehlshaber seiner Krieger-Eskorte unter Arrest nach Tenochtítlan brachten.

Was jedoch noch schlimmer war: als der lobenswerte Cuaupopóca und seine vier nicht minder löblichen Cuachictin »Alte Adler« vom Heer der Mexíca unterwürfig vor dem Thron knieten, saß Motecuzóma schlaff in sich zusammengesunken da, flankiert von den streng und aufrecht dastehenden Cortés und Alvarado, und sprach in mit einer alles andere als herrischen Stimme zu den Gefangenen:

»Ihr habt die Grenzen eurer Befehlsgewalt überschritten. Ihr habt euren Verehrten Sprecher in größte Verlegenheit gestürzt und die Ehre des Volkes der Mexíca befleckt. Ihr habt den Waffenstillstand gebrochen, den ich diesen erlauchten Besuchern und all ihren Untergebenen versprochen habe. Habt ihr irgend etwas vorzubringen?»

Cuaupopóca war bis zuletzt von seiner Pflicht durchdrungen. Er war ganz offensichtlich mehr ein Mann, mehr von Adel und mehr ein Mexícatl als das willenlose Geschöpf auf dem Thron, zu welchem er sagte: »Es hat alles nur an mir gelegen, Verehrter Sprecher. Ich tat, was ich für richtig hielt. Kein Mann kann mehr tun.«

Motecuzóma sagte dumpf: »Du hast mir ernstlichen Schaden zugefügt. Doch der Tod und das Verderben, die du gesät hast, hat unseren Gästen noch ernstlicheren Schaden zugefügt als uns. Daher …« Und es war unglaublich, was der Verehrte Sprecher Der Einen Welt sagte: »Daher überlasse ich es dem Capitán-General Cortés, das Urteil zu sprechen. Soll er bestimmen, welche Strafe ihr verdient.«

Cortés hatte darüber offensichtlich schon früher nachgedacht, denn er fällte ein Urteil, von dem er sicher sein mußte, daß es jeden anderen Menschen abhalten würde, etwas gegen ihn zu unternehmen, und welches gleichzeitig eine Strafe war, mit welcher er allen unseren Überlieferungen Hohn sprechen und anderen Göttern trotzen wollte. Er befahl, daß die fünf des Todes sein, allerdings nicht den ehrenvollen Blumentod finden sollten. Kein Herz sollte irgendwelchen Göttern zur Speise gereicht, kein Blut zu Ehren irgendeines Gottes verspritzt werden, kein Fleisch oder Organ der Männer sollte auch nur im geringsten bei irgendeinem Opfer Verwendung finden.

Cortés ließ seine Soldaten eine Kette bringen; es war die längste Kette, welche ich jemals gesehen habe, wie eine aufgeringelte Boa Constrictor aus Eisen; später erfuhr ich, daß es sich um einen Teil von etwas handelte, was ihr Ankerkette nennt und was dazu dient, die schweren Schiffe auf dem Meeresgrund festzumachen. Die Soldaten hatten beträchtliche Mühe, sie herbeizuschaffen, und sie hat Cuaupopóca und seinen vier Kriegern gewißlich beträchtliche Schmerzen zugefügt; aber die gigantischen Kettenglieder wurden den Verurteilten mit Gewalt über den Kopf gestreift, so daß ein Kettenglied jedem Mann um den Hals saß wie ein eiserner Kragen. Sodann wurden sie ins Herz der Einen Welt gebracht, wo ein großer Holzbalken aufgerichtet worden war … dort drüben, auf dem Platz vor eurer Kathedrale, wo der Señor Obispo jetzt seinen Schandpfahl stehen hat, an welchem Missetäter der öffentlichen Verunglimpfung preisgegeben werden. Die Kette wurde oben an dem schweren Balken befestigt, so daß die fünf Männer im Kreis standen, den Rücken dem Pfahl zugewandt und diesem durch die Kette verbunden. Dann wurde zu ihren Füßen kniehoch ein Stoß chapopotli getränkten Holzes aufgeschichtet und in Brand gesetzt.

Eine solche Art der Bestrafung – eine absichtlich unblutige Hinrichtung – hatte man in diesen Landen nie zuvor gekannt, und so kam fast jeder in Tenochtítlan herbei, um zuzusehen. Ich jedoch sah zu, während ich neben dem Priester Bartolomé stand, welcher mir anvertraute, solche Verbrennungen seien in Spanien an der Tagesordnung und eigneten sich insbesondere für die Hinrichtung von Feinden der Heiligen Kirche, weil die Kirche ihren Klerikern von jeher verboten habe, Blut zu vergießen, selbst wenn es um die schlimmsten Sünder gehe. Es ist ein Jammer, meine Herren Skribenten, daß es eurer Kirche dadurch versagt ist, sich gnädigerer Hinrichtungsmethoden zu bedienen. Denn ich habe zu meiner Zeit viele Arten von Hinrichtungen und des Sterbens gesehen, doch keine war grauenhafter, meine ich, als diejenige, welche Cuaupopóca und seine Befehlshaber an diesem Tage erleiden mußten.

Eine Zeitlang ertrugen sie es standhaft, noch als die ersten Flammen an ihren Beinen hochzüngelten. Ihr Gesicht über dem Eisenkragen der Kettenglieder war ruhig und gefaßt. Sonst waren sie nicht an den Pfahl gebunden, doch sie strampelten weder mit den Beinen noch fuchtelten sie mit den Armen oder wehrten sich sonst auf irgendeine unwürdige Weise. Doch als die Flammen ihren Schritt erreichten, ihr Schamtuch wegbrannten und das ansengten, was darunter war, verzerrten sich ihre Gesichter vor Schmerz. Jetzt brauchte das Feuer nicht mehr durch Holz und Chapopótli genährt zu werden; es griff auf die natürlichen Körperfette der Haut und der darunterliegenden Gewebe über. Statt verbrannt zu werden, brannten die Männer jetzt selbst, und die Flammen schlugen so hoch, daß wir ihre Gesichter kaum noch erkennen konnten. Freilich sahen wir, daß ihr Haar lichterloh aufflammte, und dann hörten wir, wie die Männer anfingen zu schreien.

Nach einer Weile verstummten die Schreie und wurden zu einem hohen Gewinsel, welches über dem Knistern und Knacken des Feuers gerade noch eben zu vernehmen und unangenehmer anzuhören war als das laute Schreien zuvor. Als wir Zuschauer wieder einen Blick auf die Männer in den Flammen erhaschten, waren sie über und über schwarz und verschrumpelt, doch irgendwie innerhalb dieser Kruste lebten sie noch, und einer oder auch mehrere von ihnen fuhren fort, unmenschlich winselnd zu wehklagen. Zuletzt fraßen die Flammen sich unter ihre Haut und ihr Fleisch und nagten an den Muskeln, was die Muskeln dazu brachte, sich auf absonderliche Weise zusammenzuziehen, so daß die Körper der Männer sich verkrampften. Ihre Arme klappten an den Ellbogen zusammen; ihre Hände mit den zusammengeschmolzenen Fingern hoben sich vor ihr Gesicht oder dorthin, wo ihr Gesicht gewesen war. Was von ihren Beinen noch übriggeblieben war, zog sich an Knien und Hüften langsam zusammen; sie hoben sich vom Boden und preßten sich ihnen gegen den Bauch.

Als sie dort hingen und brieten, schrumpften sie auch, bis sie weder in der Größe noch im Aussehen mehr Männern glichen. Nur ihre verkrusteten und gesichtslosen Köpfe waren noch von Erwachsenengröße. Sonst sahen sie aus wie fünf Kinder, verkohlt und in jener Haltung zusammengekrümmt, in welcher Kinder häufig schlafen. Und wiewohl es kaum zu glauben war, daß in diesen bejammernswerten Wesen noch Leben herrschen sollte, ging das winselnde Wehklagen weiter – solange, bis ihre Köpfe platzten. Chapopotli getränktes Holz erzeugt, wenn es brennt, eine große Hitze, und diese Hitze muß das Hirn zum Kochen, Schäumen und Dampfen gebracht haben, bis der Schädel dem Druck von innen nicht mehr standhielt. Plötzlich ertönte ein Geräusch, als ob ein Tontopf in Scherben fiel, ertönte noch viermal und dann war nichts mehr zu hören außer dem Aufzischen einiger letzter Tropfen, welche von den Körpern ins Feuer fielen, und dem sanften Knacken, wenn Holz in ein Glutbett zusammenfällt.

Es dauerte sehr lange, bis die Ankerkette sich soweit wieder abgekühlt hatte, daß Cortés' Soldaten sie vom verkohlten Balken abnehmen konnten und fünf verschrumpelte Körper in die Glut fallen ließen, wo sie endgültig zu Asche verbrannten; woraufhin die Soldaten die Kette forttrugen, sie für künftige Gelegenheiten aufzubewahren, wiewohl es seither zu keinen Hinrichtungen dieser Art gekommen ist. Das war vor elf Jahren. Doch gerade voriges Jahr, als Cortés von seinem Besuch aus Spanien zurückkehrte, wo euer König Carlos ihn beförderte und ihn zum Marqués de Valle machte, entwarf Cortés höchstpersönlich sein neues Adelswappen. Dieses Wappenschild ist jetzt überall zu sehen: Es ist ein Schild mit verschiedenen Symbolen darin, und der Schild wird umringt von einer Kette, und in den Kettengliedern dieser Kette stecken fünf Menschenköpfe. Cortés hätte auch andere Triumphe wählen können, sich zu verewigen, doch er wußte sehr wohl, daß das Ende des tapferen Cuaupopóca den Beginn der Eroberung Der Einen Welt darstellte.

Da die Hinrichtung von den weißen Fremden verfügt und vorgenommen worden war, denen eine solche Autorität eigentlich nicht zustand, verursachte dies zitternde Befürchtungen und Unruhe in der Bevölkerung. Doch das, was dann geschah, kam womöglich noch unerwarteter, war noch unglaublicher und verwirrender; Motecuzóma verkündete nämlich öffentlich, er ziehe aus seinem eigenen Palast aus und werde eine Zeitlang unter den weißen Männern leben.

Die Bürger von Tenochtítlan strömten auf Dem Herzen Der Einen Welt zusammen und sahen steinernen Gesichts zu, wie ihr Verehrter Sprecher gemächlich Arm in Arm mit Cortés offenbar ohne jeden Zwang und ohne sichtbare Gewaltanwendung über den Platz hinwegschritt und den Palast seines Vaters Axayácatl betrat, jenen Palast, welcher den fremden Besuchern als Wohnung zugewiesen worden war. In den folgenden Tagen herrschte auf dem Großen Platz ein ständiges Kommen und Gehen, als die spanischen Soldaten Motecuzómas Trägern und Sklaven halfen, seinen gesamten Hof von einem Palast in den anderen zu schaffen: Motecuzómas Frauen und Kinder, samt ihren Dienern, ihrer Garderobe und der Einrichtung aller ihrer Kammern, die Ausstattung des Thronsaals, Bibliotheken, der Aufstellungen des Schatzamtes, kurz, alles, was dazugehört, um die Hofhaltung zu gewährleisten.

Unsere Leute konnten nicht verstehen, warum ihr Verehrter Sprecher Gast seiner eigenen Gäste werden sollte oder, was auf dasselbe hinauslief, ein Gefangener seiner eigenen Gefangenen. Doch ich glaube, ich weiß, warum. Vor langer Zeit hatte man mir Motecuzóma als »hohle Trommel« beschrieben, und über die Jahre hatte ich diese Trommel laute Töne von sich geben hören, und bei den meisten dieser Gelegenheiten hatte ich gewußt, daß dieses Geräusch von Händen und Ereignissen und Umständen hervorgerufen worden war, über welche Motecuzóma keine Gewalt hatte … oder von Dingen, von denen er nur behaupten konnte, er beherrsche sie … oder welche er nur halbherzig zu beherrschen versuchte. Hätte jemals die Hoffnung bestanden, daß er eines Tages gleichsam selbst die Trommelschlegel in die Hand nehmen würde, schwand diese Hoffnung endgültig, als er die Lösung der Cuaupopóca-Angelegenheit Cortés überließ.

Denn unser Oberster Befehlshaber der Krieger, Cuitláhuac stellte bald darauf fest, was Cuaupopóca in Wahrheit erreicht hatte – einen Vorteil, welcher die weißen Männer und alle ihre Verbündeten in unsere Hand hätte geben können – und Cuitláhuac verwendete keineswegs brüderliche Worte, als er erklärte, wie überstürzt kraftlos und schändlich Motecuzóma die einzige und beste Chance vertan habe, Die Eine Welt zu retten. Die Enthüllung seines letzten und schwerstwiegenden Fehlers preßte den letzten Rest an Willenskraft oder Herrschaftlichkeit heraus, welcher dem Verehrten Sprecher noch verblieben sein mochte. Jetzt wurde er endgültig zu einer hohlen Trommel, war nunmehr zu schlaff, um überhaupt noch ein Geräusch von sich zu geben, wenn auf ihm getrommelt wurde. Und während Motecuzóma immer mehr in Teilnahmslosigkeit und Schwäche versank, stand Cortés immer stolzer und unerschrockener da. Schließlich hatte er bewiesen, daß ihm Gewalt über Leben und Tod gegeben war, selbst innerhalb der Trutzburg der Mexíca. Er hatte seine Siedlung Vera Cruz und seinen Verbündeten Patzinca im letzten Augenblick vor dem endgültigen Untergang gerettet, nicht zu reden von sich selbst und den Männern, die sein Gefolge bildeten. Infolgedessen zögerte er nicht, an Motecuzóma das unerhörte Ansinnen zu stellen, sich seiner eigenen Entführung zu unterwerfen.

»Ich bin kein Gefangener. Ihr könnt das sehen«, erklärte Motecuzóma, als er zum erstenmal den Staatsrat einberief und mir sowie einigen anderen Herren befahl, ihn in seinem neuen Thronsaal aufzusuchen. »Hier ist reichlich Platz für meinen gesamten Hofstaat, es sind bequeme Kammern für uns alle da, und es ist alles vorhanden, die Staatsgeschäfte von hier aus weiterzuführen – in welchen, dessen versichere ich euch, die weißen Männer keine Stimme haben. Daß ihr in diesem Augenblick hier seid, ist Beweis dafür, daß meine Berater und Priester und Boten freien Zugang zu mir und ich zu ihnen habe, ohne daß irgendwelche von diesen Fremden dabei sind. Auch werden sie sich nicht in unsere religiösen Gepflogenheiten einmischen, auch nicht in solche, welche Opfer erfordern. Kurz, unser Leben wird weitergehen, wie es das immer getan hat. Ich habe mir vom Capitán-General Garantien geben lassen, ehe ich mich mit einem Wechsel der Residenz einverstanden erklärte.«

»Aber warum habt Ihr Euch überhaupt damit einverstanden erklärt?« fragte die Weibliche Schlange mit Zornesstimme. »Es hat sich nicht geziemt, Hoher Gebieter. Und es war nicht nötig.«

»Nötig vielleicht nicht, aber ratsam und vorteilhaft«, sagte Motecuzóma. »Seit die weißen Männer in meinen Herrschaftsbereich eingedrungen sind, haben meine eigenen Leute oder Verbündeten zweimal versucht, einen Anschlag auf ihr Leben und ihr Eigentum zu verüben – zuerst in Cholólan, und vor noch kürzerer Zeit an der Küste. Cortés macht mir das nicht zum Vorwurf, da diese Anschläge entweder ausdrücklich entgegen oder in Unkenntnis meines Waffenstillstandsversprechens unternommen worden sind. Nur können derlei Dinge wieder vorkommen. Ich selbst habe Cortés gewarnt, daß ein großer Teil meines Volkes etwas gegen die Anwesenheit der weißen Männer hat. Jede Verschlimmerung dieses Grolls könnte unser Volk vergessen lassen, wem es Gehorsam schuldet, so daß es abermals aufbegehrt.«

»Wenn Cortés sich wegen des Grolls Sorgen macht, der unser Volk erfüllt«, erklärte ein Angehöriger des Staatsrats, »so wäre es ihm ein leichtes, diesen zu beschwichtigen. Er kann nach Hause gehen.«

Motecuzóma sagte: »Genau das habe ich ihm auch gesagt doch das ist selbstverständlich unmöglich. Er hat keine Möglichkeit, das zu tun, bis ihm, wie er erwartet, sein König mehr Schiffe sendet. Wenn er und ich bis dahin in einem Palast wohnen, beweist das zweierlei: daß ich Cortés traue, daß er mir nichts antut, und daß ich meinem Volk vertraue, ihn nicht soweit zu reizen, daß er irgend jemand etwas antut. Diese Leute sollten jetzt also weniger geneigt sein, weiteren Streit zu stiften. Das war der Grund, warum Cortés mich aufforderte, hier sein Gast zu sein.«

»Sein Gefangener«, sagte Cuitláhuac fast verächtlich schnaubend.

»Ich bin kein Gefangener«, wiederholte Motecuzóma mit Nachdruck. »Ich bin immer noch euer Uey-Tlatoáni, immer noch der Herrscher dieses Volkes, immer noch der führende Bundesgenosse des Dreibunds. Ich habe dieses kleine Zugeständnis nur gemacht, damit der Friede zwischen uns und den weißen Männern erhalten bleibt, bis sie wieder abziehen.«

Ich sagte: »Verzeiht, Verehrter Sprecher. Ihr scheint fest davon überzeugt, daß sie wieder fortziehen. Woher wißt Ihr das? Und wann?«

Er bedachte mich mit einem Blick, der erkennen ließ, daß er wünschte, ich hätte diese Frage nicht gestellt. »Sie werden fortgehen, sobald sie die Schiffe haben, sie fortzubringen. Und ich weiß, daß sie wieder abziehen, weil ich ihnen versprochen habe, daß sie mitnehmen können, was zu holen sie gekommen sind.«

Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte jemand: »Gold.«

»Ja. Viel Gold. Als die weißen Soldaten mir halfen, in diesen Palast umzuziehen, haben sie meinen Palast mit großer Gründlichkeit durchsucht. Sie haben auch die Schatzkammern gefunden, obgleich ich Vorsorge getroffen hatte, die Türen zumauern zu lassen, und …«

Hier unterbrachen ihn die enttäuschten und gedemütigten Aufschreie der meisten der Anwesenden, und dann begehrte Cuitláhuac zu wissen: »Ihr wollt ihnen den Staatsschatz geben?«

»Nur das Gold«, sagte Motecuzóma beschwichtigend. »Und die wertvolleren geschnittenen Steine. Das ist alles, woran sie interessiert sind. Federn und Farbstoffe, Jadesteine, seltene Blumensamen und dergleichen bedeuten ihnen nichts. Die werden wir also behalten, und diese Reichtümer werden das Volk unterhalten, während wir arbeiten und kämpfen und unsere Tributforderungen erhöhen, um den Schatz wieder aufzufüllen.«

»Aber das alles wegzuschenken«, rief jemand klagend.

»Wisset dieses«, fuhr Motecuzóma fort. »Die weißen Männer könnten das verlangen und den Reichtum eines jeden einzelnen Adligen außerdem – als Preis für ihren Abzug. Sie könnten einen Krieg deswegen führen und sich um Hilfe an ihre Verbündeten auf dem Festland wenden, es uns wegzunehmen. Ich ziehe es vor, etwas derartig Häßliches zu vermeiden, indem ich ihnen das Gold und die Edelsteine dem Anschein nach in großzügiger Geste anbiete.«

Mit zusammengebissenen Zähnen sagte die Weibliche Schlange: »Selbst als Oberschatzmeister der Mexíca, vorgeblich Hüter und Bewahrer des Schatzes meines Herrn und Gebieters, muß ich zugeben, daß das ein geringer Preis für die Vertreibung der Fremden wäre. Nur muß ich den Hohen Gebieter auf folgendes hinweisen: Jedes andere Mal, wo wir ihnen Gold gegeben haben, hat sie das nur dazu angestachelt, mehr zu wollen.«

»Ich habe nicht mehr zu geben, und ich glaube, ich habe sie überzeugt, daß das wahr ist. Bis auf jenes Gold, was als Zahlungsmittel im Umlauf ist oder sich im Besitz von einzelnen Privatleuten befindet, gibt es kein Gold mehr in den Landen der Mexíca. Unser Goldschatz stellt die Ernte von Schock um Schock Jahren dar. Es ist dasjenige, was alle unsere vorherigen Verehrten Sprecher zusammengetragen haben. Es würde ein ganzes Leben erfordern, unseren Landen auch nur einen Bruchteil davon abzuringen. Außerdem habe ich Bedingungen an dieses Geschenk geknüpft. Sie bekommen es nicht, bevor sie nicht von hier fortgehen, und sie sollen es direkt ihrem König Carlos überbringen, als persönliches Geschenk von mir an ihn – ein Geschenk aller Schätze, die wir haben. Cortés ist es zufrieden, und ich desgleichen, und so wird auch ihr König Carlos zufrieden sein. Wenn die weißen Männer abziehen, werden sie nicht wiederkommen.«

Keiner von uns sagte etwas, das abzustreiten – das taten wir erst, nachdem wir entlassen worden, durch das Palasttor in der Schlangenmauer hinausgelangt waren und über den Großen Platz gingen.

Einer sagte: »Das ist unerträglich! Der Cem-Anáhuac Uey-Tlatoáni ein Gefangener dieser dreckigen und stinkenden Barbaren.«

Ein anderer sagte: »Nein. Motecuzóma hat recht. Er ist kein Gefangener. Das sind nur wir anderen alle. Solange er sich kleinmütig dafür hergibt, ihre Geisel zu sein, wagt kein anderer Mexíca, die weißen Männer auch nur anzuspucken.«

Noch ein anderer sagte: »Motecuzóma hat sich selbst, die stolze Unabhängigkeit der Mexíca und den größten Teil unseres Staatsschatzes ausgeliefert. Wenn es noch lange dauert, bis die Schiffe der weißen Männer eintreffen – wer will sagen, was er dann als nächstes preisgeben wird?«

Und dann sprach einer aus, woran alle dachten: »In der gesamten Geschichte der Mexíca ist noch nie ein Uey-Tlatoáni bei Lebzeiten abgesetzt worden. Nicht einmal Ahuítzotl, als er völlig unfähig war zu regieren.«

»Immerhin ist ein Regent ernannt worden, die Regierungsgeschäfte in seinem Namen zu führen, und das hat durchaus funktioniert, solange die Nachfolge nicht feststand.«

»Cortés könnte es sich in den Kopf setzen, Motecuzóma irgendwann umzubringen. Wer weiß, was in den Köpfen dieser weißen Männer vorgeht? Oder Motecuzóma geht an seinem eigenen Selbsthaß zugrunde. Er sieht ganz so aus, als ob es bald soweit wäre.«

»Jawohl, es könnte sein, daß der Thron bald leer steht. Wenn wir für diesen möglichen Fall Vorkehrungen treffen, hätten wir auch einen Herrscher bereitstehen … falls Motecuzómas Verhalten sich derart entwickelt, daß wir ihn kraft Staatsratsbeschluß absetzen müssen.«

»Darüber sollte insgeheim entschieden und alles in die Wege geleitet werden. Laßt uns Motecuzóma diese Demütigung solange ersparen, bis uns keine andere Wahl mehr bleibt. Auch sollte Cortés nicht der geringste Grund gegeben werden zu argwöhnen, daß seine kostbare Geisel plötzlich wertlos für ihn gemacht werden kann.«

Die Weibliche Schlange wandte sich an Cuitláhuac, der bis jetzt überhaupt noch nichts gesagt hatte, und redete ihn mit seinem Adelstitel an, als er sagte: »Cuitláhuatzin, als Bruder des Verehrten Sprechers wäret Ihr normalerweise der erste Anwärter, welcher bei seinem Tode als Nachfolger in Frage käme. Würdet Ihr den Titel und die Verantwortung eines Regenten annehmen, falls wir in ordentlicher geheimer Beratung übereinkommen, daß eine solche Stellung geschaffen werden sollte?«

Cuitláhuac ging noch ein paar Schritte weiter, runzelte nachdenklich die Stirn und sagte dann: »Es wäre mir entsetzlich, meinem eigenen Bruder die Macht abzunehmen, solange er lebt. Aber in Wahrheit, meine Herren, fürchte ich, daß er im Augenblick nur noch halb lebt und den größten Teil seiner Macht bereits abgegeben hat. Jawohl, wenn und falls der Staatsrat zu dem Schluß kommt, daß das Überleben unseres Volkes davon abhängt, werde ich in jeder Form regieren, welche von mir verlangt wird.«

Wie die Dinge sich entwickelten, bestand kein unmittelbarer Anlaß für den Sturz Motecuzómas oder irgendein anderes drastisches Vorgehen. Ja, über längere Zeit hinweg sah es so aus, als ob Motecuzóma recht gehabt hätte mit seinem Rat, wir alle sollten uns in Geduld fassen und abwarten. Denn die Spanier blieben diesen ganzen Winter über in Tenochtítlan, und, wären sie nicht so auffällig weiß gewesen, wir hätten ihre Anwesenheit womöglich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Man hätte meinen können, sie wären Leute vom Lande, aber von unserer eigenen Rasse, welche zu Besuch in die große Stadt gekommen waren, um sich die Sehenswürdigkeiten anzusehen und sich friedlich zu amüsieren. Selbst während unserer religiösen Zeremonien verhielten sie sich tadellos. Einige von diesen Feiern, bei denen es nur um Musik, Gesang und Tanz ging, verfolgten die Spanier mit Interesse und manchmal sogar mit Belustigung. Ging es um Riten, bei denen Xochimique geopfert werden mußten, blieben die Spanier diskret in ihrem Palast. Wir Bewohner der Stadt unsererseits duldeten die weißen Männer und behandelten sie zuvorkommend, aber mit Distanz. Infolgedessen gab es den ganzen Winter über keine Reibungen zwischen uns und ihnen, keine unglücklichen Zwischenfälle, ja, es kam nicht einmal mehr zu Zeichen von böser Vorbedeutung.

Motecuzóma, seine Höflinge und seine Ratgeber schienen sich mühelos an den Wechsel der Residenz gewöhnt zu haben, und die Art, wie er die Regierungsgeschäfte führte, schien von der Verlagerung des Regierungsschwerpunkts in gar keiner Weise beeinträchtigt. So wie er und jeder andere Uey-Tlatoáni es immer getan hatten, trat er regelmäßig mit seinem Staatsrat zusammen; er empfing Sendboten abgelegener Provinzen der Mexíca, der anderen Länder des Dreibunds und fremder Völker; er gewährte einzelnen Bittstellern, welche Klagen und Beschwerden vorbrachten, Audienz. Einer von denen, welche ihn am häufigsten aufsuchten, war sein Neffe Cacáma, der zweifellos – und zurecht – nervös war, weil sein Thron von Texcóco wackelte. Aber vielleicht hatte Cortés seine Verbündeten und Untergebenen gleichfalls geheißen, »Ruhe zu bewahren und abzuwarten«. Jedenfalls tat keiner – nicht einmal Prinz Schwarz Blume, welcher ungeduldig darauf wartete, den Thron der Acólhua wieder an sich zu reißen – etwas Unüberlegtes. Den ganzen Winter über schien das Leben in unserer Welt weiterzugehen wie immer – genauso, wie Motecuzóma es versprochen hatte.

Ich sagte: schien weiterzugehen, denn ich persönlich hatte immer weniger mit Staatsangelegenheiten zu tun. Es kam nur noch selten vor, daß man bei Hof meine Anwesenheit forderte – höchstens dann, wenn eine Frage auftauchte, zu welcher Motecuzóma die Meinung aller seiner in der Stadt lebenden Herren hören wollte. Meine weniger großartige Arbeit als Dolmetsch wurde auch immer weniger und hörte schließlich ganz auf, denn Motecuzóma war offenbar zu der Überzeugung gelangt, daß dem Manne Cortés zu trauen, bedeutete, der Frau Malintzin trauen zu können. Die drei verbrachten viel Zeit miteinander. Das ließ sich wohl kaum vermeiden, wo sie doch alle unter einem Dach lebten, mochte der Palast auch noch so groß sein. Tatsache ist jedoch, daß Cortés und Motecuzóma ihre gegenseitige Gesellschaft genossen. Sie unterhielten sich häufig über die Geschichte und die augenblicklichen Verhältnisse ihrer beiden Länder, Religionen und Lebensweise. Um nicht immer ernste Gespräche zu führen und auch etwas Abwechslung zu haben, brachte Motecuzóma Cortés das Patóli-Bohnen-Glücksspiel bei, und zumindest ich hoffte, daß der Verehrte Sprecher um hohe Einsätze spielte und daß er gewann, damit er auf diese Weise zumindest einen Teil des Schatzes behielt, welchen er den weißen Männern versprochen hatte.

Cortés wiederum machte Motecuzóma mit einem anderen Zeitvertreib bekannt. Er ließ von der Küste einige seiner Seeleute kommen – jene Handwerker, die ihr Bootsbauer nennt –, welche die notwendigen Metallwerkzeuge, Geräte und Beschläge mitbrachten. Diese Bootsbauer ließen durch Waldarbeiter einige gute geradegewachsene Bäume fällen, aus denen sie fast wie durch Zauberhand Planken und Balken, Spanten und Masten fertigten. In überraschend kurzer Zeit hatten sie in der Hälfte seiner natürlichen Größe eines ihrer seegängigen Schiffe gebaut und ließen es auf den Texcóco-See vom Stapel laufen: das erste Schiff mit den Segel genannten Flügeln, welches jemals unsere Gewässer befuhr. Die Seeleute übernahmen das verzwickte Geschäft des Steuerns, und Cortés nahm Motecuzóma – manchmal in Begleitung von Angehörigen seiner Familie oder seines Hofes – häufig zu Ausflügen auf den fünf zusammenhängenden Seen mit.

Ich bedauerte es keineswegs, nach und nach von meinen Pflichten bei Hofe oder bei den weißen Männern entbunden worden zu sein. Ich war froh, mein früheres Leben eines reichen Mannes im Ruhestand wieder aufzunehmen und auch wieder viel Zeit im Haus der Pochtéca zu verbringen, wiewohl nicht mehr ganz soviel Zeit wie früher. Meine Frau verlangte es zwar nicht ausdrücklich von mir, aber ich spürte, daß ich mehr Zeit daheim und in ihrer Gesellschaft verbringen sollte, denn sie schien schwach und leicht zu ermüden. Wartender Mond hatte ihre freie Zeit von jeher mit weiblichen kleinen Tätigkeiten wie etwa Sticken verbracht, doch bemerkte ich, daß sie ihre Stickereien jetzt ganz dicht an die Augen hielt. Auch kam es häufiger vor, daß sie einen Kochtopf oder irgend etwas anderes aufnahm, fallen ließ und zerbrach. Als ich mich besorgt danach erkundigte, sagte sie nur:

»Ich werde alt, Záa.«

»Wir sind fast gleich alt«, erinnerte ich sie.

Diese Bemerkung schien sie zu kränken, als ob ich unversehens aufgesprungen und herumgetanzt wäre, um ihr zu zeigen, wie jugendlich ich im Vergleich zu ihr noch sei. Für ihre Verhältnisse recht scharf, sagte Béu: »Das ist einer der Flüche des Frauendaseins. In jedem Alter sind sie älter als die Männer.« Dann wurde sie weicher, lächelte und machte, daß es so klang wie ein harmloser Scherz. »Das ist der Grund, warum Frauen ihre Männer wie Kinder behandeln. Weil die nie alt zu werden scheinen … oder auch nur erwachsen.«

Auf diese Weise tat sie die Angelegenheit leicht ab, und es dauerte eine ganze Weile, ehe ich erkannte, daß sie die ersten Symptome einer Krankheit aufwies, die sie nach und nach auf das Krankenlager warf, welches sie seither seit Jahren nicht mehr verlassen hat. Béu beklagte sich nie, daß es ihr schlecht gehe, forderte nie irgendwelche Aufmerksamkeit von mir, doch schenkte ich sie ihr trotzdem, und wiewohl wir wenig miteinander sprachen, merkte ich, daß sie dankbar dafür war. Als unsere betagte Dienerin Türkis starb, kaufte ich zwei jüngere Frauen – eine für den Haushalt und eine, welche sich ausschließlich um Béus Bedürfnisse und Wünsche kümmern sollte. Da ich es viele, viele Jahre hindurch gewohnt gewesen war, nach Türkis zu rufen, wann immer ich irgendwelche den Haushalt betreffenden Befehle erteilen wollte, brachte ich es nicht fertig, mit dieser Gewohnheit zu brechen; ich rief die beiden Frauen in gleicher Weise Türkis, sie gewöhnten sich daran, und so kann ich mich bis auf den heutigen Tag nicht erinnern, wie sie wirklich hießen.

Vielleicht hatte ich unbewußt etwas von der Verachtung der weißen Männer für Namen und richtiges Sprechen übernommen. Im Laufe der fast ein halbes Jahr währenden Zeit, da die Spanier in Tenochtítlan weilten, machte keiner von ihnen auch nur die geringsten Anstrengungen, unser Náhuatl oder die Grundlage seiner Aussprache zu lernen. Der eine Mensch unserer Rasse, mit dem sie sehr eng verbunden waren, war die Frau, welche sich selbst Malintzin nannte, doch selbst ihr Gefährte, Cortés, sprach diesen angenommenen Namen unweigerlich falsch Malinche aus. Nach und nach taten das alle unsere eigenen Leute, entweder in höflicher Nachahmung der Spanier oder boshaft, um ihre Verachtung für die Frau zum Ausdruck zu bringen. Denn Malintzin pflegte jedesmal mit den Zähnen zu knirschen, wenn sie Malinche gerufen wurde – weil dadurch ihr Adelsprädikat – tzin verloren ging –, doch konnte sie sich kaum über Mangel an Ehrerbietung beklagen, ohne dadurch gleichzeitig die schlampige Aussprache ihres eigenen Herrn und Meisters zu kritisieren.

Doch wie dem auch sei, Cortés und seine Männer machten darin keinerlei Unterschiede, denn sie sprachen auch die Namen eines jeden anderen falsch aus. Da es den sanften sh-Laut des Náhuatl im Spanischen nicht gibt, wurden wir Mexíca lange Zeit hindurch entweder Mes-síca oder Mec-síca genannt. Gleichwohl habt ihr Spanier in letzter Zeit geruht, uns unseren älteren Namen zu geben, weil es euch offenbar leichter fiel, uns Azteken zu nennen. Da Cortés und seine Männer den Namen Motecuzóma offenbar unbeholfen fanden, machten sie daraus Montezuma, und ich glaube, sie waren aufrichtig der Meinung, damit nichts Unhöfliches zu tun, da der neue Name ihr eigenes Wort für »Berg« enthielt, was immerhin noch als ein Hinweis auf Größe und Bedeutung gelten konnte. Mit dem Namen unseres Kriegsgottes Huitzilopóchtli kamen sie genausowenig zurecht, haßten diesen Gott aber ohnehin, und so wurde daraus Huichilobos, ein Name, in dem ihr eigenes Wort für ein Tier enthalten war, das »Wolf« heißt.

Nun, der Winter verging, der Frühling kam, und mit dem Frühling mehr weiße Männer. Motecuzóma erfuhr dies von Cortés, doch eigentlich nur nebenbei und durch Zufall. Einer von seinen Quimíchime-Mäusen, die noch immer im Totonáca-Land stationiert waren, war es langweilig geworden und war aus diesem Grund ein gutes Stück weiter nach Süden gewandert, als sie eigentlich gedurft hätte. So war es gekommen, daß die Maus nicht weit vom Strand eine ganze Flotte von Schiffen mit weit ausgespannten Flügeln gesichtet hatte, welche an der Küste nach Norden gefahren war und in Buchten und Flußmündungen gehalten hatte – »als hielten sie Ausschau nach ihren Kameraden«, wie die Quimichi berichtete, als sie mit einem Borkenpapier in der Hand nach Tenochtítlan gelaufen kam, auf welches sie ein Bild gezeichnet hatte, aus dem hervorging, um wie viele Schiffe es sich handelte.

Ich, andere Edelleute und der gesamte Staatsrat waren im Thronsaal anwesend, als Motecuzóma einen Pagen schickte, den noch ahnungslosen Cortés herbeizuholen. Der Verehrte Sprecher, welcher die Gelegenheit nutzte, um so zu tun, als sei er allwissend, brachte ihm die Neuigkeit bei, und ich dolmetschte bei dieser Gelegenheit folgendermaßen:

»Capitán-General, Euer König hat Euer Botenschiff sowie Euren ersten Bericht über diese Lande und die ersten Geschenke erhalten, die Ihr ihm gesandt habt, und er ist sehr zufrieden mit Euch.«

Cortés setzte eine Miene auf, als sei er gebührend beeindruckt und überrascht. »Woher will der Don Señor Montezuma das wissen?« fragte er.

Immer noch Allwissenheit vorspiegelnd, sagte Motecuzóma: »Weil Euer König Carlos eine Flotte schickt, welche doppelt so groß ist wie die Eure – ganze zwanzig Schiffe, Euch und Eure Leute heimzubringen.«

»So?« sagte Cortés, zu höflich, um sich irgendwelche Zweifel anmerken zu lassen. »Und wo sollen sie sein?«

»Sie kommen näher«, sagte Motecuzóma geheimnisvoll. »Vielleicht seid Ihr Euch nicht darüber im klaren, daß meine Weitseher in die Zukunft und über den Horizont hinaus sehen können. Sie haben mir ein Bild gemalt, als sie noch mitten auf dem Ozean waren.« Er reichte es Cortés. »Ich zeige es Euch jetzt, weil die Schiffe bald vor Eurer eigenen Garnison auftauchen müssen.«

»Erstaunlich«, erklärte Cortés und betrachtete das Papier. Halblaut murmelte er: »Ja … Galeonen, Frachter, Proviantschiffe … falls die verdammte Zeichnung einigermaßen stimmt.« Er runzelte die Stirn. »Aber … zwanzig!«

Gleisnerisch sagte Motecuzóma: »Wiewohl wir uns durch Euren Besuch geehrt fühlen und ich persönlich Eure Gesellschaft genossen habe, freut es mich, daß Eure Brüder gekommen sind und daß Ihr nicht länger in einem fremden Land isoliert seid.« Um dann noch etwas hartnäckig hinzuzufügen: »Sie sind doch gekommen, Euch nach Hause zu bringen, oder?«

»Das sollte man annehmen«, sagte Cortés, schien gleichwohl jedoch etwas verwirrt.

»Ich werde jetzt befehlen, daß die Schatzkammern in meinem Palast entsiegelt werden«, sagte Motecuzóma, und seine Stimme klang fast glücklich ob der Aussicht, daß die Beraubung seines Volkes nun so unmittelbar bevorstand.

Doch in diesem Augenblick kam der Palastkämmerer und etliche andere Männer und küßten an der Tür des Thronsaals die Erde. Wenn ich sage, daß Motecuzóma die Nachricht von der Ankunft der Schiffe kaum vor Cortés erfuhr, hatte ich das buchstäblich gemeint. Denn die Neuangekommenen waren zwei Schnellboten, welche Herr Patzinca schickte und welche eilends von den Rittern der Totonáca vom Festland herübergebracht worden waren, bei welchen sie sich gemeldet hatten. Cortés blickte sich voller Unbehagen im Raum um; es war ihm deutlich anzumerken, daß er die Männer am liebsten beiseite genommen und unter vier Augen ausgefragt hätte; gleichwohl fragte er mich, ob ich bereit sei, allen Anwesenden zu dolmetschen, was die Boten zu sagen hätten.

Derjenige, welcher zuerst sprach, brachte eine von Patzinca diktierte Meldung: »Zwanzig von den geflügelten Schiffen, die größten, welche wir bis jetzt gesehen haben, sind in der Bucht der kleinen Villa Rica de la Vera Cruz eingetroffen. Von diesen Schiffen sind eintausenddreihundert bewaffnete und gepanzerte weiße Soldaten an Land gekommen. Achtzig von ihnen haben Hakenbüchsen und einhundertzwanzig Armbrüste neben ihren Säbeln und Speeren. Außerdem sechsundneunzig Pferde und zwanzig Kanonen.«

Mißtrauisch blickte Motecuzóma Cortés an und sagte: »Das hört sich ganz nach einem Kriegsheer an, mein Freund, das Euch da nach Hause bringen soll.«

»Ja, das tut es in der Tat«, sagte Cortés und machte keineswegs einen beglückten Eindruck. Er wandte sich an mich. »Haben die sonst noch etwas zu melden?«

Daraufhin sprach der andere Bote und entpuppte sich als einer jener umständlichen und ermüdenden Worterinnerer. Er ratterte jedes Wort herunter, welches er vom ersten Zusammentreffen zwischen Patzinca und den neuen weißen Männern mitbekommen hatte, doch es war ein Affengeschnatter von spanischen und totonáca-Worten, ganz und gar unverständlich, da bei dieser Gelegenheit keine Dolmetsche zugegen gewesen waren, das Gesagte verständlich zu machen. Ich zuckte mit den Achseln und sagte: »Capitán-General, ich verstehe nichts außer zwei Namen, die immer wieder vorkommen. Euren eigenen und einen anderen, der sich anhört wie Narváez.«

»Narváez hier?« entfuhr es Cortés, und er stieß einen besonders saftigen spanischen Fluch aus.

Motecuzóma hob wieder an: »Ich werde das Gold und die Edelsteine aus der Schatzkammer herausschaffen lassen, sobald Eure Trägerkolonne …«

»Verzeiht«, sagte Cortés, welcher sich erst von seiner offenkundigen Überraschung erholen mußte. »Ich schlage vor, daß Ihr den Schatz verborgen und sicher verschlossen haltet, bis ich weiß, was diese neu Angekommenen wollen.«

Motecuzóma sagte: »Es sind doch aber gewiß Eure Landsleute.«

»Jawohl, Don Montezuma. Aber Ihr habt mir gesagt, wie bisweilen auch Eure Landsleute zu Räubern werden. Genauso müssen auch wir Spanier auf der Hut sein vor unseren Seefahrerkameraden. Ihr beauftragt mich, König Carlos die reichsten Geschenke zu überbringen, welche jemals von einem fremden Monarchen geschickt wurden. Ich möchte nicht Gefahr laufen, sie an Seeräuber zu verlieren, welche wir Piraten nennen.

Mit Eurer Erlaubnis werde ich augenblicklich an die Küste eilen und nachsehen, um was für Männer es sich handelt.«

»Tut das, ja«, sagte der Verehrte Sprecher, der nicht glücklicher hätte sein können, als wenn diese verschiedenen Gruppen von weißen Männern beschließen sollten, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen und sich zu vernichten.

»Ich muß mich eilen, muß einen Gewaltmarsch unternehmen«, fuhr Cortês fort und entwickelte laut seine Pläne. »Ich werde nur meine spanischen Soldaten und einige besonders ausgewählte Krieger unserer Verbündeten mitnehmen. Die von Prinz Schwarz Blume sind die besten …«

»Ja«, sagte Motecuzóma zustimmend. »Gut. Sehr gut.« Doch verging ihm das Lächeln, als er die nächsten Worte des Capitán-General vernahm:

»Pedro de Alvarado, den rotbärtigen Mann, welchen Euer Volk Tonatíu nennt, werde ich hierlassen, damit er meine Interessen hier wahrnimmt.« Um diese Feststellung sogleich abzuwandeln: »Ich meine selbstverständlich, damit er hilft, Eure Stadt zu verteidigen, falls die Piraten mich besiegen und sich bis hierher durchkämpfen sollten. Da ich bei Pedro nur eine kleine Reserve von unseren Kameraden zurücklassen kann, muß ich sie verstärken, indem ich Eingeborenentruppen vom Festland in die Stadt hole …«

Und so kam es, daß Alvarado das Kommando über achtzig weiße Männer und vierhundert Texcaltéca innehatte, die sämtlichst im Palast untergebracht waren, als Cortés mit dem Hauptteil seiner weißen Streitmacht und allen Acólhua von Schwarz Blume gen Osten zog. Das war der Gipfel der Kränkung. Daß Motecuzóma den ganzen Winter über dort residiert hatte, war schon eine außerordentlich heikle Situation gewesen. Doch im Frühling befand er sich in einer noch weit erniedrigenderen Lage: Jetzt lebte er nicht mehr mit den weißen Fremden unter einem Dach, sondern auch noch mit einer Horde von widerborstigen, feindselig funkelnden, alles andere als ehrerbietigen Kriegern, die nun wirklich mit Fug und Recht als Eindringlinge zu betrachten waren. Hatte es so ausgesehen, als ob der Verehrte Sprecher durch die Aussicht, die Spanier endlich loszuwerden, für kurze Zeit wieder lebendig und rege geworden wäre, so wurde er wieder in griesgrämige und ohnmächtige Verzweiflung hineingestoßen, als er zum Gastgeber und Gefangenen seiner abscheulichsten und am meisten verabscheuten Feinde wurde. Nur einen mildernden Umstand gab es, wiewohl ich bezweifle, daß Motecuzóma daraus sonderlich viel Trost zog: Die Texcaltéca waren merklich sauberer in ihren Lebensgewohnheiten und rochen weit besser als die weißen Männer.

Die Weibliche Schlange sagte: »Das ist unerträglich!« – Worte, welche ich immer häufiger von immer mehr von Motecuzómas verärgerten Untertanen zu hören bekam.

Gesprochen wurden sie bei einer Geheimsitzung des Staatsrats, zu welcher viele weitere Mexíca-Ritter und Priester, Weise und Adlige hinzugebeten worden waren, unter anderen auch ich. Motecuzóma war nicht dabei und wußte von nichts.

Der Oberbefehlshaber der Krieger, Cuitláhuac, sagte aufgebracht: »Uns Mexíca ist es nur selten gelungen, auch nur die Grenzen von Texcala zu überschreiten. Und bis zu ihrer Hauptstadt sind wir bei unseren Kämpfen niemals vorgestoßen.« Während der nächsten Worte wurde seine Stimme immer lauter, bis er die letzten nahezu hinausschrie: »Und jetzt sind die verabscheuungswürdigen Texcaltéca hier! – in der uneinnehmbaren Stadt Tenochtítlan, im Herzen Der Einen Welt – im Palast des Kriegerherrschers Axayácatl, der ganz gewiß mit allen Mitteln versuchen muß, aus der Gegenwelt zurückzukehren in diese, um diese Beleidigung zu rächen! Die Texcaltéca sind nicht mit Gewalt hier eingedrungen – sie sind hier, weil man sie eingeladen hat, nur haben wir sie nicht eingeladen –, und in dem Palast dort drüben leben sie Seite an Seite auf gleichem Fuß mit unserem VEREHRTEN SPRECHER!«

»Aber Verehrter Sprecher nur noch dem Namen nach!« knurrte der Hohepriester Huitzilopóchtlis. »Ich sage euch, unser Kriegsgott will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«

»Es ist an der Zeit, daß wir alle uns dazu durchringen«, sagte der Herr Cuautémoc, Sohn des verstorbenen Ahuítzotl. »Und wenn wir diesmal säumen – wer weiß, ob wir je wieder Gelegenheit dazu haben werden. Der Mann Alvarado strahlt wie Tonatíu, vielleicht, aber als Ersatz für Cortés ist er keine so große Leuchte. Wir müssen zuschlagen, ehe der stärkere Cortés zurückkommt.«

»Dann seid Ihr also sicher, daß Cortés wieder zurückkommt?« fragte ich, weil ich seit dem Abmarsch des Capitán-General vor zehn Tagen noch an keiner der Ratsversammlungen, weder einer offenen noch einer geheimen, teilgenommen hatte und ich über die letzte Entwicklung nicht auf dem laufenden war. Cuautémoc setzte mich ins Bild:

»Was wir von unseren Quimíchime an der Küste hören, ist alles höchst verwirrend. Cortés hat seine weißen Brüder nicht gerade als Brüder willkommen geheißen. Er hat sie nächtens überfallen, worauf sie nicht vorbereitet waren. Wiewohl sie mit ihren Streitkräften den seinen dreifach überlegen waren, hat er über sie gesiegt. Sonderbarerweise hat es auf beiden Seiten so gut wie keine Toten gegeben, denn Cortés hatte befohlen, so wenig wie möglich von ihnen zu töten, als ob sie einen Blumenkrieg führten. Und seither haben er und der Anführer der neuen Expedition nur verhandelt und sich gestritten. Wir können uns überhaupt keinen Reim darauf machen, was eigentlich vorgeht. Gleichwohl müssen wir davon ausgehen, daß Cortés darauf hinarbeitet, diese neue Streitmacht unter seinen Oberbefehl zu bringen, und daß er an der Spitze all dieser zusätzlichen Männer und Waffen hierher zurückkehren wird.«

Ihr werdet verstehen, ehrwürdige Patres, daß wir bei der Wendung, welche die Dinge in jenen Tagen nahmen, überhaupt nicht mehr wußten, wo uns der Kopf stand. Wir waren davon ausgegangen, daß die Neuankömmlinge von König Carlos kämen, und zwar auf ausdrückliches Begehren von Cortés hin. Infolgedessen war es unbegreiflich, wieso er – ohne herausgefordert oder gereizt zu sein – über sie hergefallen war. Erst viel später erfuhr ich das eine und das andere, reimte mir so manches zusammen und begriff erst da in vollem Ausmaß, wie sehr Cortés uns alle getäuscht hatte – sowohl mein als auch euer Volk.

Vom Augenblick seines Eintreffens in unseren Landen an hatte Cortés sich stets als Abgesandten eures Königs Carlos ausgegeben; heute weiß ich, daß er das mitnichten war. Euer König Carlos hat Cortés niemals ausdrücklich hierhergeschickt – jedenfalls nicht, um der höheren Ehre Seiner Majestät willen, nicht, um Spanien zu vergrößern, nicht, um den christlichen Glauben hier zu verkünden und auch aus keinem anderen Grunde. Als Hernán Cortés zum erstenmal den Fuß auf Die Eine Welt setzte, hatte euer König Carlos von einem Hernán Cortés noch nicht einmal gehört!

Bis auf den heutigen Tag spricht sogar Seine Exzellenz, der Bischof, voller Verachtung von »diesem Heuchler Cortés« und von seiner niedrigen Herkunft, von dem Emporkömmling und seinem maßlosen Ehrgeiz. Den Bemerkungen von Bischof Zumárraga und anderer entnehme ich, daß Cortés ursprünglich weder von seinem König noch von seiner Kirche hierhergeschickt wurde, sondern von einer weit geringeren Autorität, dem Gouverneur der Inselkolonie Cuba. Cortés wurde mit keinem weitergehenden Auftrag hierhergeschickt als dem, diese Küsten zu erkunden, Karten von ihnen anzufertigen und unterwegs mit Glasperlen und anderem Tand vielleicht etwas einträglichen Handel zu treiben.

Doch selbst ich begreife, wie Cortés dazu kam, weit größere Möglichkeiten zu wittern, nachdem er die Olmeca-Streitkräfte des Tabascoöb so mühelos besiegte und insbesondere, nachdem das schwächliche Volk der Totonáca sich ihm kampflos unterwarf. Das muß der Augenblick gewesen sein, da Cortés beschloß, der Conquistador en Jefe zu werden, der Eroberer Der gesamten Einen Welt. Ich habe sogar gehört, daß einige seiner Unterbefehlshaber, welche den Zorn ihres Gouverneurs fürchteten, sich seinen hochfliegenden Plänen widersetzten und er aus diesem Grunde seinen weniger kleinmütigen Gefolgsleuten befahl, ihre zehn Schiffe in Brand zu stecken. An diesen Gestaden gestrandet, blieb selbst denjenigen, welche dagegen waren, kaum eine andere Wahl, als sich für Cortés' Pläne einspannen zu lassen.

So wie ich die Geschichte gehört habe, hat nur ein einziger unglücklicher Zufall Cortés' Erfolg für kurze Zeit bedroht. Er schickte das Schiff, das er noch hatte, und seinen Offizier Alonso – den Mann, dem Malintzin zuerst gehört hatte – aus, die erste Ladung von Schätzen abzuliefern, welche aus diesen Landen heraus gepreßt wurden. Alonso sollte heimlich an Cuba vorbei und direkt über das große Meer nach Spanien fahren, dort König Carlos mit seinen reichen Geschenken blenden, damit der König Cortés seinen königlichen Segen gäbe und ihm gleichzeitig einen hohen Rang verleihe, um seinen Raubund Eroberungszug nachträglich zu sanktionieren. Doch irgendwie – auf welche Weise weiß ich nicht – muß der Gouverneur Wind davon bekommen haben, daß dieses Schiff sich an seiner Insel vorbei stehlen wollte, und erriet, daß Cortés irgend etwas im Schilde führte, was seinen Befehlen ausdrücklich zuwiderlief. Infolgedessen zog der Gouverneur zwanzig Schiffe und die vielen Männer zusammen und unterstellte sie dem Kommando von Pámfilo de Narváez – um den ungehorsamen und eigenmächtigen Cortés zu jagen und ihn einzufangen, ihn all seiner Autorität zu entkleiden, Frieden mit allen Völkern zu schließen, welche er beleidigt oder mißbraucht haben mochte, und Cortés in Ketten zurückzubringen nach Cuba.

Doch unseren aufmerksam beobachtenden Mäusen zufolge hatte das Wild den Jäger überwältigt. Während Alonso, wie Cortés wähnte, vor eurem König Carlos goldene Geschenke und goldene Aussichten ausbreitete, tat Cortés ein gleiches in Vera Cruz – das heißt, er zeigte Narváez Beispiele der Reichtümer dieser Lande, überzeugte ihn, daß diese Lande so gut wie gewonnen seien, beschwatzte Narváez, sich ihm anzuschließen und die Eroberung zum Abschluß zu bringen, und versicherte ihm, daß sie keinen Grund hätten, den Zorn eines kleinen Kolonialgouverneurs zu fürchten. Denn bald würden sie dem allmächtigen König Carlos und nicht ihrem unbedeutenden unmittelbaren Vorgesetzten eine ganze neue Kolonie zu Füßen legen, größer und reicher als das gesamte Königreich Spanien und seine Kolonien zusammen.

Selbst wenn wir Führer und Weisen Männer der Mexíca all diese Dinge an jenem Tag gewußt hätten, an dem wir heimlich zusammenkamen – ich glaube, wir hätten auch nicht mehr tun können, als wir dann taten. Nämlich Motecuzóma Xocóyotzin als »vorübergehend regierungsunfähig« zu erklären, seinen Bruder Cuitláhuatzin zu bestimmen, an seiner Stelle die Regierung zu übernehmen und dessen erste Entscheidung gutzuheißen, die er in diesem Amte traf: schnellstens sämtliche Fremden zu vernichten, welche damals Tenochtítlan überschwemmten.

»Heute in zwei Tagen«, sagte er, »feiern wir die Zeremonie zu Ehren der Schwester des Regengottes Iztocíuatl. Da sie nur die Göttin des Salzes ist, wäre das normalerweise nur eine unbedeutende Feier, mit welcher nur wenige Priester zu tun hätten, doch das können die weißen Männer nicht wissen. Genausowenig wie die Texcaltéca, die nie zuvor an irgendwelchen religiösen Feiern in dieser Stadt teilgenommen haben.« Er stieß ein kleines, verzerrtes Lachen aus. »Also können wir froh sein, daß Cortés unsere alten Feinde hier zurückgelassen hat und nicht die Acólhua, die sehr wohl über unsere Feste im Bilde sind. Denn ich werde jetzt in den Palast hinübergehen und meinen Bruder bitten, keinerlei Überraschung zu zeigen, und diesem Offizier Tonatíu Alvarado eine offenkundige Lüge erzählen. Ich werde ihm nachdrücklich klarmachen, wie überaus wichtig unsere Iztociuatl-Zeremonie sei und ihn um Erlaubnis bitten, daß an diesem Tag und in dieser Nacht alle unsere Leute sich auf dem Großen Platz einfinden, um die Göttin zu verehren und lustig zu sein.«

»Ja«, sagte die Weibliche Schlange. »Inzwischen werdet ihr anderen jeden erreichbaren kampffähigen Ritter und Krieger auffordern, sich bereitzuhalten, bis hinunter zum letzten Yaoquizqui, der imstande ist, Waffen zu tragen. Wenn die Fremden eine große Menschenmenge sehen, die harmlos in einem dem Anschein nach rituellen Tanz zu Musik und Gesang die Waffen schwingt, werden sie nichts weiter tun als nachsichtig und überheblich zusehen. Doch dann, auf ein Zeichen hin …«

»Wartet«, unterbrach Cuautémoc die Weibliche Schlange. »Mein Vetter Motecuzóma wird die Täuschung nicht verraten, denn er wird den Grund erkennen, weshalb wir es tun. Aber wir vergessen diese verfluchte Frau Malíntzin. Cortés hat sie zurückgelassen, damit sie während seiner Abwesenheit für den Offizier Tonatíu dolmetscht. Und sie hat es sich sehr angelegen sein lassen, viel über unsere Sitten und Gebräuche zu erfahren. Wenn sie sieht, daß der Große Platz voller Menschen ist, die keine Priester sind, wird sie wissen, daß es sich nicht um die herkömmliche Huldigung an die Salzgöttin handelt. Wir können sicher sein, daß sie dann bei ihren weißen Herren Alarm schlägt.«

»Die Frau überlaßt mir«, erklärte ich. Das war die Gelegenheit, auf die ich so lange gewartet hatte. Nun konnte ich mehr damit bewirken als nur meine persönliche Rache zu befriedigen. »Ich bedaure, daß ich schon ein wenig zu alt bin, um auf dem Platz zu kämpfen; wohl aber kann ich unseren gefährlichsten Gegner beseitigen. Verfahrt Ihr nach Euren Plänen, Verehrter Regent. Malíntzin wird weder die Zeremonie sehen noch etwas argwöhnen oder etwas verraten. Sie wird tot sein.«

Der Plan für die Nacht des Iztocíuatl-Festes sah folgendes vor: Vorangehen sollte allem den ganzen Tag über Gesang und Tanz und ein Kampfspiel im Herzen Der Einen Welt, alles dargeboten von Frauen, Mädchen und Kindern. Erst wenn die Dämmerung sich auf die Stadt nieder senkte, sollten die Männer zu zweit und zu dritt eintreffen und die Plätze der Frauen und Kinder einnehmen, welche ihrerseits zu zweit und zu dritt tanzend den Großen Platz verlassen sollten. Wenn es ganz dunkel war und die Szene nur noch von Fackeln und Urnenfeuern erhellt wurde, waren die fremden Zuschauer es wahrscheinlich längst müde geworden zuzusehen und in ihre Unterkünfte zurückgekehrt; zumindest würden sie nicht merken, daß sämtliche Tänzer und Sänger jetzt erwachsen und Männer waren. Diese singenden und gestikulierenden Tänzer sollten nach und nach Reihen und Kolonnen bilden, welche sich von der Mitte des Großen Platzes aus in Schlangenlinien auf das in der Schlangenmauer befindliche Zugangstor zum Palast des Axayácatl zu bewegen.

Das stärkste Abschreckungsmittel vor einem Angriff waren die drohend auf dem Dach aufgestellten vier Kanonen des Palastes. Eine oder mehrere von ihnen konnten mit ihren schrecklichen Splitterladungen den größten Teil des offenen Platzes leerfegen, doch würde es nicht so leicht sein, sie direkt nach unten zu richten und zu zielen. Infolgedessen sah Cuitláhuacs Plan vor, daß alle seine Männer sich so dicht wie möglich an die Palastmauern drängen sollten, ehe die weißen Männer überhaupt merkten, daß sie angegriffen wurden. Dann, auf ein Zeichen von ihm hin, sollte die gesamte Streitmacht der Mexíca an den Wachen am Portal vorbeistürmen und in den Räumen und Höfen, Sälen und Kammern im Inneren kämpfen, wo die zahlenmäßige Überlegenheit der obsidianbewehrten Maquáhuime mit der stärkeren, aber zahlenmäßigen Unterlegenheit der Stahlsäbel und unhandlichen Hakenbüchsen fertigwerden mußte. Inzwischen sollten andere Mexíca die Holzbrücken beseitigen, welche die Zufahrten für die Kanus in den Dammstraßen überspannten und mit Pfeil und Bogen jeden Versuch von Alvarados Truppen zurückschlagen, diese Lücken schwimmend oder sonst wie zu überwinden.

Ich selbst legte mir meinen Plan genauso sorgfältig zurecht. Ich suchte den Arzt auf, welcher seit vielen Jahren unseren Haushalt versorgt hatte, einen Mann, dem ich vertrauen konnte; ohne mit der Wimper zu zucken, gab er mir einen Gifttrank, auf welchen ich mich wie er schwor, felsenfest verlassen könne. Unter den Dienern von Motecuzómas Hof und unter den Küchenhilfen war ich selbstverständlich wohlbekannt. Sie waren mit ihrer augenblicklichen Lage unglücklich genug, so daß ich keinerlei Schwierigkeiten hatte, ihr Einverständnis zu erlangen, das Gift in der richtigen Menge und genau zur richtigen Zeit unter das Essen zu mischen. Dann sagte ich zu Béu, ich wünschte, daß sie während des Iztociuatl-Festes aus dem Hause sei, sagte ihr jedoch nicht, warum: Daß es einen Aufstand geben werde und ich fürchtete, die Kämpfe könnten sich über die ganze Insel ausbreiten, und daß ich – meines besonderen Anteils an der ganzen Sache wegen – außerdem erwartete, daß die weißen Männer, wenn sie eine Gelegenheit dazu hätten, ihre ganze Wut und Vergeltung an mir und den meinen auslassen würden.

Béu war, wie ich schon gesagt habe, krank und gebrechlich und ganz offensichtlich alles andere als begeistert, unser Haus verlassen zu sollen. Gleichwohl war sie sich der geheimen Zusammenkünfte bewußt, an denen ich teilgenommen hatte; so wußte sie, daß irgend etwas im Gange war und fügte sich widerspruchslos. Sie sollte eine Freundin besuchen, welche in Tepeyáca auf dem Festland lebte. Als Zugeständnis an ihre geschwächte Gesundheit ließ ich sie sich daheim ausruhen, bis kurz vor dem Zeitpunkt, da die Brücken auf den Dammstraßen entfernt werden sollten. Am Nachmittag dieses Tages schickte ich sie in einer kleinen Sänfte fort; die beiden Türkise gingen neben ihr her.

Ich blieb allein im Haus zurück. Es war weit genug entfernt vom Herzen Der Einen Welt, daß ich weder von der Musik noch von den anderen Geräuschen der vorgetäuschten Belustigungen etwas hörte, konnte mir jedoch, als die Dämmerung einsetzte, lebhaft vorstellen, wie der Plan ablief: Die Dammstraßen würden unterbrochen und die tanzenden Frauen nach und nach von den bewaffneten Männern abgelöst werden. Was ich vor mir zu sehen glaubte, fand ich nicht sonderlich erhebend, denn mein eigener Beitrag zum Gelingen des ganzen sollte darin bestehen, daß ich – zum erstenmal in meinem Leben – heimtückisch tötete. Ich holte mir einen Krug Octli sowie einen Becher aus der Küche und hoffte, das starke Getränk werde meine Gewissensbisse ein wenig beschwichtigen. Dann saß ich, als es immer dunkler wurde, unten in der Vorderkammer, entzündete keine Lampen, versuchte, mich zu betrinken, und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Ich vernahm das Getrappel vieler Füße auf der Straße vor dem Haus, dann wurde heftig gegen meine Haustür gepocht. Als ich öffnete, standen vier Palastwachen da und hielten die vier Ecken einer Tragbahre aus Rohrgeflecht, auf welcher unter einem feinen weißen Baumwolltuch ein schlanker Körper lag.

»Verzeiht die Störung, Mixtzin«, sagte einer der Wachen, und es hörte sich an, als ob ihr gar nicht nach Verzeihen zumute wäre. »Wir sind angewiesen worden, Euch zu bitten, einen Blick auf das Gesicht dieser toten Frau zu werfen.«

»Das ist nicht nötig«, sagte ich, überrascht darüber, daß Alvarado oder Motecuzóma so rasch darauf gekommen waren zu erraten, wer der Mörder sei. »Ich kann die Hündin von einer Kojotin auch identifizieren, ohne sie gesehen zu haben.«

»Ihr sollt Euch das Gesicht trotzdem ansehen«, sagte die Wache streng.

Ich hob ihr das Tuch im selben Augenblick vom Gesicht, als ich meinen Topas vors Auge hielt, und muß wohl ein recht betroffenes Gesicht gemacht und dann einen kleinen Schrei ausgestoßen haben, denn es war ein junges Mädchen, das ich nie zuvor gesehen hatte.

»Sie heißt Lorbeer«, sagte Malintzin, »oder vielmehr hat sie so geheißen.« Ich hatte nicht bemerkt, daß ein Tragstuhl zu Füßen der Treppe niedergesetzt worden war. Malintzin stieg aus, und die Wachen mit der Tragbahre rückten ein wenig beiseite, um ihr Platz zu machen, als sie zu mir heraufstieg. Sie sagte: »Wir reden drinnen miteinander«, und zu den vier Wachen: »Wartet unten, bis ich wieder herauskomme oder bis ich rufe. Tue ich das, laßt alles stehen und liegen und kommt sofort.«

Ich machte die Tür für sie weit auf und schlug sie den Wachen vor der Nase zu. In der Dunkelheit der Diele tappte ich herum und suchte nach einer Lampe, doch sie sagte: »Laßt das Haus im Dunkel. Schließlich bereitet es uns beiden kein sonderliches Vergnügen, einander zu sehen oder?« So führte ich sie in die Vorderkammer, und wir nahmen auf einander gegenüberstehenden Stühlen Platz. Sie war im Dunkel eine kleine, zusammengekauerte Gestalt, doch die Bedrohung, welche von ihr ausging, war übermächtig. Ich schenkte mir noch einen reichlichen Becher Octli ein und trank. Hatte ich zuvor nur Benommenheit gesucht, so schien bei den jetzt eingetretenen Umständen völlige Erstarrung oder Volltrunkenheit vorzuziehen zu sein.

»Lorbeer war eine von den Texcaltéca-Mädchen, welche mir als Dienerinnen geschenkt worden waren«, sagte Malintzin. »Heute war sie an der Reihe, die Speisen vorzukosten, die ich essen sollte. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die ich seit geraumer Zeit getroffen habe, von welcher die anderen Bediensteten und Bewohner des Palastes allerdings nichts wissen. Daher braucht Ihr Euch keine allzu großen Vorwürfe für das Mißlingen Eures Plans zu machen, Mixtzin. Allerdings könntet Ihr gelegentlich einen Augenblick opfern, Reue für die unschuldige junge Lorbeer zu empfinden.«

»Das ist etwas, was ich seit Jahren beklage«, erklärte ich mit dem übertriebenen Ernst der Betrunkenen. »Immer sterben die falschen – die Guten und die Nützlichen, die Unschuldigen und diejenigen, welche es nicht verdienen. Die Bösen hingegen und – noch beklagenswerter – die völlig Nutzlosen, Wertlosen und Überflüssigen – sie alle trampeln weiterhin durchs Leben, weit über die Lebensspanne hinaus, welche sie verdienen. Doch das zu erkennen, braucht man kein weiser Mann zu sein. Da könnte ich genauso gut murren, weil Tlalocs Hagelsturm den nahrhaften Mais zerstört, niemals jedoch den unangenehmen Dornbusch.«

Ich plapperte wirklich sinnloses Zeug, erging mich weitschweifig über das auf der Hand liegende, doch wenn ich das tat, so nur deshalb, weil irgendein noch nüchterner Teil von mir fieberhaft mit etwas ganz anderem beschäftigt war. Der Anschlag auf Malintzins Leben – und zweifellos ihre Absicht, mir das heimzuzahlen und zu vergelten – hatte sie bisher davon abgehalten zu bemerken, daß im Herzen Der Einen Welt irgendetwas Ungewöhnliches vor sich ging. Doch wenn sie mich rasch umbrachte und sofort dorthin zurückkehrte, würde sie es bestimmt merken, konnte sie ihre Herren immer noch rechtzeitig warnen. Abgesehen davon, daß ich nicht sonderlich darauf erpicht war, sinnlos zu sterben, wie es der unglücklichen Lorbeer ergangen war, hatte ich mich dafür verbürgt, daß Malintzin Cuitláhuac mit seinen Plänen nicht in die Quere kam. Ich mußte sie am Reden halten, oder sie sich hämisch an mir weiden lassen – oder, falls nötig, sich anzuhören, wie ich feige um mein Leben bettelte –, bis die Nacht ganz dunkel war und vom Großen Platz der Lärm des Aufstands herüberdrang. Möglich, daß dann ihre vier Wachen dorthin eilten, um nachzusehen, was los sei. Doch ob sie es taten oder nicht, jedenfalls würden sie nicht länger Befehle von Malintzin entgegennehmen. Wenn es mir nur gelang, sie festzuhalten, sie zu beschäftigen, nur noch ein kleines bißchen länger.

»Tlalocs Hagelschauer treffen auch Schmetterlinge«, schwadronierte ich weiter, »doch niemals, glaube ich, auch nur einen einzigen Quälgeist wie eine Hausfliege.«

Scharf erklärte sie: »Hört auf zu reden, als ob Ihr senil wäret oder ich ein Kind. Ich bin eine Frau, welche Ihr vergiften wolltet. Jetzt bin ich hier …«

Um die erwarteten nächsten Worte von ihr zu parieren, hätte ich alles gesagt, egal was. Doch was ich sagte, war: »Ich nehme an, in meinen Augen seid Ihr immer noch ein Kind, das gerade anfängt, eine Frau zu werden … so wie ich immer noch an meine verstorbene Tochter Nochipa denke …«

»Immerhin bin ich alt genug, daß man mich umbringen wollte«, sagte sie. »Mixtzin, wenn meine Macht so groß ist, daß Ihr sie für gefährlich haltet, solltet Ihr vielleicht einmal darüber nachdenken, ob ich nicht auch von Nutzen sein könnte. Warum es beenden, wo Ihr es zu Eurem Vorteil nutzen könntet?«

Ich zwinkerte sie eulenhaft an, unterbrach sie jedoch nicht, um sie zu fragen, was sie meine; sollte sie doch fortfahren zu reden, solange sie wollte.

Sie sagte: »Ihr steht in derselben Beziehung zu den Mexíca wie ich zu den weißen Männern. Wir sind beide keine offiziell anerkannten Mitglieder ihrer Ratsversammlungen und haben doch eine Stimme, auf die sie hören und auf die sie etwas geben. Wir werden uns niemals mögen, aber wir könnten einander helfen. Ihr und ich, wir wissen beide ganz genau, daß die Dinge in Der Einen Welt nie mehr so sein werden, wie sie einst waren, doch keiner von uns kann sagen, wem die Zukunft gehört. Wenn es den Mexíca gelingt, die Oberhand zu gewinnen, könntet Ihr mein starker Verbündeter sein. Obsiegen die Weißen, kann ich das gleiche für Euch sein.«

Mit beißender Ironie und mit einem Schluckauf sagte ich: »Wollt Ihr mir vorschlagen, wir sollten beide zu Verrätern an den sich gegenüberstehenden Parteien werden, welche wir unabhängig voneinander gewählt haben? Warum tauschen wir nicht einfach unsere Kleider und wechseln die Fronten?«

»Wisset dies! Ich brauche nur meine Wachen zu rufen, und Ihr seid ein toter Mann. Doch Ihr seid kein Niemand wie Lorbeer. Das würde den Waffenstillstand in Gefahr bringen, den unser beider Herren aufrechtzuerhalten sich bemüht haben. Hernán könnte sich sogar verpflichtet fühlen, mich zur Bestrafung auszuliefern, so wie Motecuzóma Cuaupopóca ausgeliefert hat. Zum mindesten könnte ich einiges von der Bedeutung einbüßen, welche ich bereits gewonnen habe. Doch wenn ich Euch nicht beseitigen lasse, muß ich ständig auf der Hut vor Eurem nächsten Anschlag auf mein Leben sein. Das würde mich ablenken und würde mich dabei stören, mich ganz auf meine eigenen Vorhaben zu konzentrieren.«

Ich lachte und erklärte voll ehrlicher Bewunderung: »Ihr seid wahrhaftig kaltblütig wie ein Leguan.« Diese Vorstellung fand ich belustigend, und ich lachte so laut, daß ich ums Haar von meinem niedrigen Stuhl gefallen wäre.

Sie wartete, bis ich mich wieder beruhigt hatte und fuhr dann fort, als wäre sie nie unterbrochen worden. »Laßt uns daher ein geheimes Abkommen miteinander schließen und, wenn auch gerade kein Bündnis, so doch jedenfalls Neutralität vereinbaren. Und laßt uns dieses Abkommen auf eine Art besiegeln, daß keiner von uns es brechen kann.«

»Es wie besiegeln, Malintzin? Wir haben uns doch beide als verräterisch und vertrauensunwürdig erwiesen.«

»Wir werden miteinander schlafen«, erklärte sie seelenruhig, und das warf mich nun dermaßen um, daß ich tatsächlich vom Stuhl herunterrutschte. Sie wartete, bis ich mich wieder hochgerappelt hatte, und als ich wie vor den Kopf geschlagen auf dem Boden sitzen blieb, fragte sie: »Seid Ihr betrunken, Mixtzin?«

»Das muß ich wohl sein«, sagte ich. »Ich höre Unmögliches. Mir war, als hörte ich Euch vorschlagen, daß wir …«

»Das habe ich getan. Daß wir heute Nacht zusammenliegen. Die weißen Männer sind eifersüchtiger auf ihre Frauen als selbst die Männer unserer Rasse. Hernán würde Euch dafür erschlagen und mich umbringen, daß ich eingewilligt habe. Die vier Wachen werden es stets bezeugen können – daß ich viel Zeit hier bei Euch verbracht habe, im Dunkeln, und daß ich Euer Haus lächelnd verlassen habe und nicht außer mir vor Zorn oder in Tränen aufgelöst. Ist es nicht wunderbar einfach? Und so bindend, daß keiner von uns es brechen kann? Keiner von uns kann jemals wieder wagen, dem anderen zu schaden, weil sonst der andere das Wort spricht, welches unser beider Schicksal besiegelt.«

Selbst auf die Gefahr hin, sie zu erzürnen und sie zu früh fortgehen zu lassen, sagte ich: »Ich bin mit meinen zweiundfünfzig Jahren noch kein Greis, doch springe ich nicht mehr auf jede Frau an, welche sich anbietet. Ich bin nicht unfähig geworden, sondern nur wählerischer.« Ich hatte mit hochmütiger Würde sprechen wollen, doch die Tatsache, daß ich zwischen den Worten immer wieder einen Schluckauf hatte und dann noch auf dem Boden hockend sprach, war dieser Wirkung etwas abträglich. »Wie Ihr bereits bemerkt habt, mögen wir einander nicht. Ihr hättet stärkere Worte benutzen können. Abscheu träfe das, was zwischen uns herrscht, besser.«

Sie sagte: »Ich möchte gar nicht, daß andere Gefühle zwischen uns herrschten. Ich schlage nur einen Akt der Vernunft vor. Und was Eure Empfindlichkeiten betrifft, so ist es nahezu dunkel hier drinnen. Ihr könnt mich für jede Frau halten, welche Ihr begehrt.«

Muß ich es tun, fragte ich mich völlig verwirrt, um sie hierzubehalten und vom Großen Platz fernzuhalten? Laut erhob ich Einspruch: »Ich bin alt genug, Euer Vater zu sein.«

»Dann tut so, als ob Ihr es wäret«, sagte sie gleichmütig, »wenn Inzest nach Eurem Geschmack ist.« Dann kicherte sie. »Was mich betrifft, könnt Ihr ohne weiteres mein Vater sein. Und ich, ich kann alles spielen.«

»Dann tut das«, erklärte ich. »Laßt uns so tun, als ob unsere kleine verbotene Paarung stattgefunden hätte, wiewohl sie es nicht getan hat. Vertreiben wir uns die Zeit einfach durch Plaudern, dann können die Wachen bezeugen, daß wir lange genug beisammengewesen sind, es zu tun. Möchtet Ihr gern einen Schluck Octli?«

Schwankend eilte ich in die Küche, und nachdem ich im Dunkeln etliche Dinge zerbrochen hatte, kam ich schwankend mit einem Becher zurück. Als ich ihr einschenkte, sinnierte Malintzin: »Ich erinnere mich … Ihr sagtet, Eure Tochter und ich hätten denselben Geburtsnamen und seien im selben Jahr geboren.« Ich nahm noch einen tiefen Schluck. Sie nippte an ihrem und legte den Kopf fragend auf die Seite: »Ihr und Eure Tochter, habt ihr jemals … Spiele zusammen gespielt?«

»Ja«, sagte ich mit schwerer Zunge. »Aber keine solchen, die Ihr meint.«

»Ich habe gar nichts gemeint«, sagte sie, ganz die Unschuld. »Wir plaudern doch nur, wie Ihr vorgeschlagen habt. Was für Spiele habt ihr gespielt?«

»Eines hieß: Vulkan-Schluckauf – ich meine, Vulkan-Ausbruch

»Das ist ein Spiel, welches ich nicht kenne.«

»Es war nur etwas ganz Einfältiges. Wir haben es selbst erfunden. Ich legte mich auf den Boden, so wie jetzt.« Ich legte mich nicht hin, sondern fiel vielmehr krachend zu Boden. »Und dann hab' ich die Knie angezogen: Das sollte der Vulkan sein. Und Nochipa hat sich dort draufgesetzt.«

»So?« fragte sie und tat es. Sie war klein und schwerelos, und im dunklen Zimmer hätte sie alles sein können.

»Ja«, sagte ich. »Und dann hab' ich immer mit den Knien gewackelt – das Erwachen des Vulkans – und dann habe ich sie hüpfen lassen …«

Sie quietschte leise vor Vergnügen und rutschte herunter auf meinen Bauch. Ihr Rock fuhr dabei in die Höhe, und als ich hingriff, um sie festzuhalten, entdeckte ich, daß sie nichts darunter trug.

Leise sagte sie: »Und dann brach der Vulkan aus?«

Ich war lange Zeit ohne Frau gewesen, es tat gut, wieder eine zu haben, und meine Trunkenheit lahmte mich nicht. Ich kam so mächtig und so oft, daß ich meine, mit meinem Omicetl muß auch ein Teil meines Verstandes verlorengegangen sein. Beim erstenmal hätte ich schwören mögen, tatsächlich das Zittern und das Grollen eines Vulkanausbruchs zu hören. Vielleicht ist es ihr genauso ergangen – gesagt hat sie jedoch nichts. Doch nach dem zweiten Mal keuchte sie: »Es ist anders

– könnte fast Spaß machen. Ihr seid so – sauber – und riecht so gut.« Und nach dem dritten Mal, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, sagte sie: »Wenn Ihr kein Hehl aus Eurem Alter machtet – niemand würde es erraten.« Und zuletzt, als wir beide völlig erschöpft, nach Atem ringend und ineinander verschlungen dalagen, ging mir allmählich auf, daß es im Zimmer hell geworden war. Ich empfand eine Art Schock, und Unglaube kroch in mir hoch, als ich erkannte, daß das Gesicht neben dem meinen das Gesicht von Malintzin war. Die ausgedehnte Paarung war mehr als angenehm gewesen, doch schien ich in einer Art Raserei, ja Wahnsinn, daraus hervorgegangen zu sein. Ich überlegte: Was mache ich mit ihr? Das ist die Frau, welche ich sosehr und solange verabscheut habe, daß ich sogar die Schuld auf mich geladen habe, eine unschuldige Fremde zu ermorden …

Doch welche anderen Gedanken und Gefühle mich auch überschwemmten in dem Augenblick, da ich wieder zu Bewußtsein kam oder zumindest zum Teil wieder nüchtern wurde – das, was mich zuerst packte, war reine Neugier. Ich vermochte mir die Helligkeit im Raum nicht zu erklären, ganz gewiß hatten wir es doch nicht die ganze Nacht hindurch getrieben. Ich drehte den Kopf zur Quelle des Lichts und konnte sogar ohne meinen Topas erkennen, daß Béu in der Tür stand und eine brennende Ölfunzel in der Hand trug. Ich habe keine Ahnung, wie lange sie schon dagestanden und zugesehen haben mochte:

»Du kannst – so etwas tun – während deine Freunde abgeschlachtet werden?«

Malíntzin drehte sich nur träge um und blickte zu Wartendem Mond empor. Es erstaunte mich nicht daß es einer Frau wie ihr nicht viel ausmachte, in solch einer Situation überrascht zu werden; immerhin hätte ich erwartet, daß sie irgendwie Entsetzen bekundet, als sie hörte, daß ihre Freunde hingeschlachtet wurden. Statt dessen lächelte sie und sagte:

»Ayyo, gut. Dann haben wir noch einen besseren Zeugen als die Wachen, Mixtzin. Unser Pakt wird also noch bindender sein, als ich zu hoffen gewagt hatte.«

Sie erhob sich und machte sich nicht einmal die Mühe, ihre schweißglänzende Blöße zu bedecken. Ich griff nach meinem achtlos beiseite geworfenen Umhang, besaß jedoch selbst in dem Durcheinander von Scham und Verlegenheit und den letzten Nachwirkungen der Trunkenheit genug Geistesgegenwart, um zu sagen: »Malíntzin, ich glaube, Ihr habt Eure Zeit verschwendet und Eure Gunst umsonst verschenkt. Kein Pakt wird etwas nützen.«

»Und ich glaube, Ihr seid es, der irrt, Mixtzin«, sagte sie und lächelte weiter. »Fragt die alte Frau dort. Sie hat von Euren Freunden gesprochen, die sterben.«

Plötzlich fuhr ich in die Höhe und rief keuchend: »Béu?«

»Ja?« seufzte sie. »Unsere Leute am Damm haben mich zurückgeschickt. Es tue ihnen leid, sagten sie, aber sie könnten nicht das Risiko eingehen, daß irgend jemand mit den Fremden auf der anderen Seite des Sees Verbindung aufnähme. Infolgedessen bin ich umgekehrt und über den Großen Platz gekommen, um den Tänzen zuzusehen. Dann … es war schrecklich …«

Sie schloß die Augen, lehnte sich an den Türrahmen und sagte wie benommen: »Es kam Donner und Blitz vom Dach des Palastes, und die Tänzer – wie durch einen schrecklichen Zauber –, sie wurden einfach zerfetzt. Dann kamen die weißen Männer und ihre Krieger aus dem Palast hervorgestürmt mit noch mehr Feuer und – Lärm und blitzendem Metall. Eine solche Klinge kann eine Frau bis zur Hüfte spalten, Záa, hast du das gewußt? Und der Kopf eines kleinen Kindes rollt genauso wie ein Tlachtli-Ball, Záa, hast du das gewußt? Er ist mir geradenwegs bis vor die Füße gerollt. Als etwas meine Hand traf, bin ich geflohen …«

Da erst sah ich, daß ihre ganze Bluse von Blut verschmiert war. Es lief ihr den Arm herunter von der Hand, mit welcher sie die Lampe hielt. Ich sprang im selben Augenblick auf die Füße, da ihr die Sinne schwanden und sie fiel. Ich fing die Funzel auf, ehe sie die Fußbodenmatten in Brand setzte. Dann hob ich Béu auf, um sie hinaufzubringen ins Bett. Malíntzin suchte in aller Gemütsruhe ihre Kleider zusammen und sagte:

»Wollt Ihr mir denn nicht wenigstens danken? Ich und die Wachen können bezeugen, daß Ihr daheim wart und mit dem Aufstand nichts zu tun hattet.«

Kalt starrte ich sie an: »Ihr habt es gewußt. Die ganze Zeit über.«

»Selbstverständlich, Pedro hat mir befohlen, mich außerhalb des Gefahrenbereichs zu halten, und deshalb beschloß ich, hierherzukommen. Ihr wolltet verhindern, daß ich die Vorbereitungen Eurer Leute auf dem Großen Platz sähe.« Sie lachte. »Und ich wollte sichergehen, daß Ihr keine von den unseren sähet: daß wir zum Beispiel alle vier Kanonen auf dem Dach auf die Seite zum Platz hin verlegten. Aber Ihr müßt zugeben, Mixtzin, langweilig war der Abend nicht. Und wir haben einen Pakt geschlossen, oder etwa nicht?« Abermals lachte sie unbekümmert und belustigt. »Ihr könnt nie wieder die Hand gegen mich erheben. Jetzt nicht mehr.«

Ich begriff keineswegs, was sie damit meinte, bis Wartender Mond wieder zu sich kam und es mir erzählte. Das war, nachdem der Arzt gekommen und sich um ihre Hand gekümmert hatte, die von einem Splitter aufgerissen worden sein mußte, welche die Kanonen der Spanier ausgespien hatten. Nachdem der Arzt fort war, blieb ich an ihrem Lager sitzen. Béu lag da, sah mich nicht an; ihr Gesicht war womöglich noch bleicher und sorgenzerfurchter als zuvor, eine einzelne Träne rann ihr über die Wange, und lange Zeit schwiegen wir beide. Zuletzt brachte ich es über mich, mit belegter Stimme zu sagen, daß es mir leid tue. Mich immer noch nicht anblickend, sagte sie:

»Du bist mir nie ein Ehemann gewesen, Záa, und du hast nie zugelassen, daß ich dir eine Ehefrau wäre. Deshalb lohnt es sich nicht, über deine Treue oder Untreue auch nur ein Wort zu verlieren. Doch daß du irgendeinem – irgendeinem eigenen Standard treu geblieben bist, ist etwas anderes. Es wäre schlimm genug, wenn du mit dieser Frau geschlafen hättest, die von den weißen Männern benutzt worden ist. Aber das hast du nicht. Ich bin dagewesen, und ich weiß es.«

Darauf drehte Wartender Mond ihr Gesicht mir zu und bedachte mich mit einem Blick, welcher den Abgrund an Gleichgültigkeit überbrückte, der uns so lange getrennt hatte.

Zum erstenmal seit unseren Jugendjahren spürte ich, daß ein Gefühl von ihr ausging, von dem ich wußte, daß es nicht gespielt oder aufgesetzt war. Und da es sich um ein echtes Gefühl handelte, wünschte ich, es hätte ein herzlicheres sein können. Denn sie sah mich an, wie sie wohl eines der menschlichen Ungeheuer im Tierhaus angesehen haben würde, und sie sagte:

»Was du getan hast – ich glaube, es gibt nicht einmal eine Bezeichnung dafür. Während du … während du in ihr warst … ließest du deine Hände über ihren ganzen nackten Leib fahren und murmeltest liebevoll: ›Zyanya, meine Geliebte‹, sagtest du und ›Nochipa, mein Lieblinge« Sie schluckte, als käme es ihr plötzlich hoch. »Weil die beiden Namen dasselbe bedeuten, weiß ich nicht, hast du nun bei meiner Schwester gelegen oder bei deiner Tochter, oder bei beiden, oder nacheinander bei beiden. Aber das eine weiß ich: Die beiden Frauen, welche Immer hießen – deine Frau und deine Tochter –, sind vor Jahren gestorben. Záa, du hast dich mit den Toten gepaart.«

Es schmerzt mich, ehrwürdige Patres, zu sehen, wie Ihr die Augen abwendet, genauso wie Béu Ribé sich von mir abwandte, nachdem sie in dieser Nacht diese Worte gesprochen.

Ach ja! Es kann sein, daß ich in dem Versuch, redlich Rechenschaft abzulegen über mein Leben und ehrlich von der Welt zu berichten, in welcher ich gelebt habe, gelegentlich mehr von mir preisgebe, als die Menschen, welche mir am nächsten standen und die ich am meisten geliebt habe, jemals von mir wußten, ja vielleicht sogar mehr, als ich von mir selber habe wissen wollen. Aber ich nehme nichts zurück und will auch nichts anders ausdrücken von dem, was ich erzählt habe, und ich möchte euch auch nicht bitten, irgend etwas von eurem Geschriebenem zu streichen. Soll es stehen bleiben! Vielleicht erkennt die freundliche Göttin Kot Fresserin diese meine Chronik dermaleinst als Beichte an; die christlichen Priester ziehen ja kürzere Beichten vor, als meine es sein könnte; auch erlegen sie mir eine so lange Sühne auf, daß ich sie in diesem Leben nicht mehr ableisten kann. Auch sind sie nicht so nachsichtig menschlicher Schwäche gegenüber wie die geduldige und verzeihende Tlazoltéotl es war. Dabei habe ich diese fragwürdige Begegnung mit Malintzin in dieser Nacht nur erzählen wollen, um zu erklären, warum sie heute immer noch lebt, obwohl ich sie hinterher womöglich noch glühender gehaßt habe als je zuvor. Mein Haß auf sie wurde durch den Abscheu, welchen ich in Béus Augen gesehen hatte, nur noch gesteigert, und diesen Abscheu habe ich infolgedessen später mir selber gegenüber gehegt. Doch wie dem auch sei, ich habe hinterher nie wieder versucht, Malintzin umzubringen, wiewohl ich dazu später durchaus Gelegenheit gehabt hätte. Inzwischen stellte sich heraus, daß auch sie keinen Anlaß hatte, mir irgend etwas anzutun. Denn in den folgenden Jahren, in denen sie hoch aufstieg im neuen Adel diesen Neuen Spaniens, sank ich so tief, daß sie mich überhaupt nicht mehr wahrnahm.

Ich habe gesagt, daß Cortés diese Frau möglicherweise sogar geliebt hat, denn er behielt sie noch ein paar Jahre länger bei sich. Er versuchte nicht einmal, sie zu verbergen, als seine lange verlassene Frau, Doña Catalina, unerwartet aus Cuba eintraf. Als Doña Catalina binnen weniger Monate starb, behaupteten einige, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben, andere hin wiederum schoben ihren Tod auf weniger romantische Gründe, doch Cortés selber leitete eine förmliche Untersuchung ein, welche ihn von jeder Schuld am Tode seiner Frau reinwusch. Nicht lange danach gebar Malintzin Cortés' Sohn Martin; der Knabe ist heute ungefähr acht Jahre alt und soll, soviel ich gehört habe, bald nach Spanien gehen, um dort die Schule zu besuchen. Trennen tat Cortés sich von Malintzin erst nach seinem Besuch am Hofe König Carlos', von wo er als Marqués de Valle zurückkehrte – mit seiner neu geehelichten Marquesa Juana am Arm. Dann sorgte er dafür, daß für die fallengelassene Malintzin gut gesorgt war. Im Namen der Krone wies er ihr ausgedehnte Ländereien zu und sorgte gleichfalls dafür, daß sie in einer christlichen Zeremonie mit einem gewissen Juan Jaramillo, Schiffskapitän, getraut wurde. So kommt es, daß sie Euch, meine Herren Skribenten – und Seiner Exzellenz, dem Señor Obispo, welcher sie höchst ehrerbietig behandelt – als Doña Señora Marina Viuda de Jaramillo bekannt ist, Herrin des eindrucksvollen Insellandsitzes Tacamichápa in der Nähe der Stadt Espíritu Santo. Diese Stadt hieß früher Coátzacoálcos, und die Insel, welche ihr von der Krone geschenkt wurde, liegt in jenem Fluß, aus welchem mir die einstige Sklavin Ein Gras eine Kelle Wasser zu trinken gab.

Doña Marina lebt, weil ich sie leben ließ, und ich ließ sie leben, weil sie für mich für eine kurze Zeit eines Nachts etwas war … nun, sie war jemand, den ich liebte …

Entweder die Spanier hatten in törichter Übereilung gehandelt, als sie Das Herz Der Einen Welt verwüsteten, oder sie hatten mit voller Absicht dafür sorgen wollen, daß ihr Angriff rücksichtslos, hart und unvergeßlich ausfiel. Denn es war noch nicht ganz dunkel geworden, als sie ihre Kanonen abfeuerten und dann mit Säbeln, Speeren und Hakenbüchsen über die Menge herfielen. Über tausend der tanzenden Frauen, Mädchen und Kinder wurden getötet oder furchtbar verwundet. Um diese Zeit der einsetzenden Dämmerung hatten sich erst verhältnismäßig wenige von unseren Mexíca-Kriegern unter die Tanzenden gemischt, und so waren weniger als zwanzig von ihnen gefallen; von den Rittern und Edelleuten, welche den Aufstand geplant und befehligt hatten, war überhaupt keiner ums Leben gekommen. Die Spanier gingen nicht einmal hin, nach den Hauptverschwörern zu suchen, um sie zu bestrafen; nach ihrem Ausfall aus dem Palast hatten die weißen Männer sich nur wieder in diesen zurückgezogen und hätten es nicht gewagt, sich in der zornerfüllten Stadt blicken zu lassen.

Um mich für meinen Mißerfolg bei der Beseitigung Malintzins zu entschuldigen, ging ich nicht zu unserem Oberbefehlshaber Cuitláhuac, der vor Wut und Enttäuschung außer sich sein mußte. Ich ging vielmehr zu Herrn Cuautémoc, von dem ich mir mehr Verständnis für mein Versagen erhoffte. Ich kannte ihn seit seinen Knabentagen, da er zusammen mit seiner Mutter Gast in meinem Hause gewesen war. Das war zu Zeiten, da sein Vater Ahuítzotl und meine Frau Zyanya noch gelebt hatten. Damals war Cuautémoctzin Kronprinz gewesen und hatte als Erbe des Throns der Mexíca gegolten; nur widrige Umstände hatten dazu geführt, daß er nicht Uey-Tlatoáni geworden war und Motecuzóma dieses Amt übertragen bekommen hatte. Da Cuautémoc Enttäuschungen nicht fremd waren, meinte ich, er werde nachsichtiger darüber urteilen, daß es mir nicht gelungen war, Malintzin zu hindern, die weißen Männer zu warnen.

»Kein Mensch macht Euch einen Vorwurf daraus, Mixtzin«, sagte er, als ich ihm erzählte, wie sie dem Gift entgangen war. »Ihr würdet Der Einen Welt einen großen Dienst erwiesen haben, wenn Ihr diese Verräterin beseitigt hättet, doch was spielt es jetzt für eine Rolle, daß Ihr es nicht getan habt?«

Verwirrt sagte ich: »Spielt keine Rolle? Warum nicht?«

»Weil sie uns nicht verraten hat«, sagte Cuautémoc. Er verzog das Gesicht, als ob er Schmerzen litte. »Das hat schon mein erhabener Vetter besorgt. Unser Verehrter Sprecher Motecuzóma.«

»Was?« entfuhr es mir.

»Cuitláhuac ging zu dem Offizier Tonatíu Alvarado und erhielt die Erlaubnis, die Iztocíuatl-Zeremonie abzuhalten. Sobald Cuitláhuac den Palast verlassen hatte, sagte Motecuzóma Alvarado, er solle vor Betrug auf der Hut sein.«

»Warum?«

Cuautémoc zuckte mit den Achseln. »Verletzter Stolz? Rache aus Trotz? Motecuzóma konnte wohl kaum erfreut sein, daß der Aufstand die Idee seiner Untergebenen war und ohne ihn in die Wege geleitet wurde, ohne seine Zustimmung oder Beteiligung. Aus welchem Grund auch immer, er redet sich darauf hinaus, er werde nicht dulden, daß der Waffenstillstand mit Cortés gebrochen wird.«