IHS

S.C.C.M

SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN KÖNIG UND HERRN:

Allererhabenste und Allermächtigste Majestät unser Oberster Lehnsherr: aus der Stadt Mexíco, Hauptstadt Neuspaniens, am Fest der Schmerzen Maria im Jahre des Herrn eintausendfünfhundertundneunundzwanzig, entbieten wir Euch unseren allerergebensten Gruß.

Wir bedauern, daß wir der letzten Manuskriptsendung nicht die Zeichnungen haben beifügen können, um welche Euer Majestät in Eurem letzten Schreiben bitten: »jene Bilder von Personen, insbesondere weiblichen Geschlechts, wie sie vom Erzähler gefertigt wurden und auf welche er in seiner Chronik Bezug nimmt«. Der betagte Indianer selbst mußte, als wir ihn danach fragten, über die Vorstellung lachen, derlei trivialunzüchtige Machwerke könnten für wert befunden worden sein, all die Jahre aufgehoben zu werden oder – selbst wenn sie irgendwelchen Wert besessen hätten – all die vielen Jahre erhalten geblieben sein.

Wir enthalten uns der Klage über die Unzüchtigkeiten, welche diese Zeichnungen wiedergegeben haben sollen, da wir überzeugt sind, daß selbige Bilder, selbst wenn sie noch vorhanden wären, Euer Majestät auch nur irgend etwas hätten sagen können, wissen wir doch, daß Euer Kaiserlichen Majestät Kunstsinn an Werke wie jene von Meister Matsys gewöhnt sind, auf dessen Erasmus-Porträt zum Beispiel Erasmus auch unmißverständlich erkennbar ist. Die in den Sudeleien hiesiger Indianer abkonterfeiten Personen sind selten auch nur als menschliche Wesen zu erkennen; das ist höchstens auf wenigen der mehr bildhaften Wandfresken und Reliefs der Fall.

Eure Erhabenste Majestät haben Euren Kaplan früher gebeten, »Schriften, Inschriften und andere Aufzeichnungen« zu beschaffen, so geeignet sein könnten, das auf diesen Seiten Berichtete glaubhaft zu bestätigen. Wir möchten Euch jedoch versichern, Sire, daß der Azteke maßlos übertreibt, wenn er von Lesen und Schreiben, Zeichnen und Malen spricht. Diese Wilden haben niemals irgendwelche erinnerungswürdigen Dinge aus ihrer Geschichte geschaffen oder besessen oder verwahrt; höchstens etliche gefaltete Blätter aus Papier, Pergament oder Holztafeln mit Unmengen primitiver Figuren darauf, wie jedes Kind sie hinzukritzeln vermöchte. Selbige wären für jedes zivilisierte Auge unergründlich und dienten den Indianern nur als Gedächtnisstützen für ihre »weisen Männer«, die sich dieser Krakel bedienten, ihrem Gedächtnis nachzuhelfen, wenn sie die mündlich überlieferte Geschichte ihres Stammes oder Klans weitergaben. Es handelt sich bestenfalls um eine höchst zweifelhafte Art von Geschichtsschreibung.

Vor der Ankunft Eures Dieners in diesen Landen hatten die Franziskanermönche, welche Seine Heiligkeit der verstorbene Papst Hadrian, fünf Jahre zuvor herüberschickte, jeden an diese Hauptstadt angrenzenden Landesteil gründlich durchkämmt. Die frommen Brüder hatten aus jedem noch stehenden Gebäude, das man als eine Art Archiv betrachten konnte, viele Tausende von »Büchern« der Indianer zusammengetragen, jedoch, da eine entsprechende Weisung höheren Orts ausstand, nichts weiter damit anzufangen gewußt.

Wir als Euer Majestät ernannter Bischof haben es uns angelegen sein lassen, die konfiszierten »Bibliotheken« genau zu untersuchen, jedoch nicht ein Stück darunter entdeckt, das etwas anderes als geschmacklose und groteske Figuren enthalten hätte: Tiere, Ungeheuer, falsche Götter, Dämonen, Schmetterlinge, Reptilien und anderes ähnlich vulgärer Natur. Einige dieser Figuren sollten menschliche Gestalten darstellen, doch waren diese – genauso, wie in jenem absurden Kunststil, welchen die Bolognesen caricatura nennen – nicht zu unterscheiden von Schweinen, Eseln, Wasserspeiern oder irgendwelchen anderen Ausgeburten der Phantasie.

Da das Zusammengetragene nicht ein einziges Werk enthielt, in dem nicht krasser Aberglaube und vom Teufel eingegebene Irrtümer zu finden gewesen wären, haben wir befohlen, daß die nach Tausenden und Abertausenden zählenden Bände und Schriftrollen auf dem Hauptmarktplatz dieser Stadt auf einen Haufen geworfen, zu Asche verbrannt und diese Asche verstreut werde. Wir halten dafür, daß solches das geziemende Ende all dieser heidnischen Zeugnisse war, und wir bezweifeln, daß in den bisher erforschten Gebieten Neuspaniens sich noch irgendwelche anderen Zeugnisse finden lassen.

Es sei darauf hingewiesen, Sire, daß die indianischen Zuschauer, wiewohl sie jetzt nahezu alle vorgeben, Christen zu sein, bei dieser Verbrennung schamlos ein abscheuliches Maß an Bedauern und Zorn bekundeten: Sie brachen sogar in Tränen aus, als sie den Scheiterhaufen brennen sahen, so daß man hätte meinen sollen, sie wären echte Christen, welche der Entweihung und Vernichtung so vieler heiliger Schriften beiwohnten. Wir sehen darin einen Beweis, daß diese Geschöpfe bis jetzt doch noch nicht so ganz im innersten Herzen zum Christentum bekehrt worden sind, wie wir und unsere Heilige Mutter, die Kirche, es uns wünschten. Folglich hat der alleruntertänigste Diener Eurer Gottesfürchtigen und Höchstfrommen Majestät immer noch viele dringende kirchliche Aufgaben zu erfüllen, so im engen Zusammenhang mit einer wirksamen Verbreitung unseres Glaubens stehen, und werden selbige auch weiterhin noch zu erfüllen haben.

Wir bitten um Euer Majestät Verständnis, daß obengenannte Pflichten Vorrang haben davor, als Zuhörer und Überprüfer des geschwätzigen Azteken zu fungieren, und selbiges uns in zunehmend seltenen Augenblicken möglich sein wird. Auch bitten wir, daß Euer Majestät Verständnis haben mögen dafür, daß wir gelegentlich eine aus mehreren Konvoluten bestehende Sendung ohne erklärenden Begleitbrief abschicken, ja, sie bisweilen sogar abschicken, ohne daß sie zuvor von uns gelesen worden wären.

Möge der Herr, Unser Gott, Eurer Geheiligten Majestät Leben schützen und Eure Besitztümer noch auf viele Jahre hinaus mehren; darum bittet in aufrichtigem Gebet

Euer S. C. C. M. Bischof von Mexíco,

(ECCE SIGNUM) ZUMÀRRAGA