IHS
S.C.C.M.
SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN KÖNIG UND HERRN:
Hehrste und Allererhabenste Majestät: aus der Stadt Mexíco, Hauptstadt Neuspaniens, am Tag des Heiligen Ambrosius, im Jahre des Herrn eintausendfünfhundertundfünfunddreißig, entbieten wir Euch unseren alleruntertänigsten Gruß.
In unseren letzten Briefen, Sire, haben wir uns über unsere Tätigkeiten als Beschützer der Indianer ausgelassen. Gestattet, daß wir diesmal bei unserem vornehmsten Amt, dem des Bischofs von Mexíco, sowie unserer mit diesem Amt verbundenen Aufgabe verweilen, für die Verbreitung des Wahren Glaubens unter den Indianern allhier zu sorgen. Wie Eure klarblickende Majestät dem neuesten Konvolut der Chronik unseres Azteken entnehmen werden, ist sein Volk von jeher von verabscheuungswürdigem Aberglauben besessen gewesen und hat Omina von günstiger wie schlimmer Bedeutung nicht nur in Dingen gesehen, in welchen auch andere vernünftige Menschen sie zu sehen geneigt sind – wie etwa einer Sonnenfinsternis –, sondern in allem und jedem, vom zufälligen Zusammentreffen von Ereignissen bis zu den gewöhnlichsten Naturphänomenen. Diese Neigung zu Aberglauben und Leichtgläubigkeit hat uns in unserem fortgesetzten Ringen, sie von der Teufelsanbetung zum Christentum zu bekehren, sowohl geholfen als auch behindert.
Als die spanischen Conquistadores ihren ersten, überwältigenden Siegeszug durch diese Lande antraten, taten sie ein bewundernswürdiges Werk, als sie die bedeutendsten Tempel und Idole der Heidengötter zerstörten und stürzten und an ihrer Stelle das Kreuz Christi und Standbilder der Heiligen Jungfrau aufrichteten. Wir und unsere Mitstreiter im Glauben haben diesen Sturz für richtig befunden und unterstützt, indem wir dauerhaftere christliche Gebäude auf jenen Stätten errichteten, welche zuvor Schreine von Dämonen und Dämoninnen waren. Da die Indianer in ihrem Eigensinn darauf beharren, an den ihnen vertrauten Stätten zum Gottesdienst zusammenzukommen, finden sie dortselbst jetzt nicht mehr solche blutrünstigen Gestalten wie ihre Huichilobs und Tlalóque vor, sondern den gekreuzigten Christus und Seine Gebenedeite Mutter.
Um nur ein Beispiel von vielen anzuführen: der Bischof von Tlaxcála errichtet oben auf dem gigantischen Pyramidenberg von Cholula – welcher sehr an jenen von menschlicher Überhebung zeugenden Turm zu Babel im Lande Sinear gemahnt – und wo vormals die Gefiederte Schlange, Quetzalcóatl, angebetet wurde, eine Kirche Unserer Lieben Frau. Allhier, in der Hauptstadt Neuspaniens, wurde unsere eigene nahezu vollendete Franziscus-Kathedrale mit voller Absicht genau an jener Stelle errichtet (oder zumindest dort, wo Baumeister Garcia Bravo sie vermutet), wo sich einst die Große Pyramide der Azteken erhob. Ich glaube, daß die Kirchenmauern unseres Gotteshauses manche von den Steinen dieses geschleiften Denkmals der Greuel bergen. Auf der Tepeyáca genannten Landzunge, die auf der anderen Seite des Sees liegt, gerade nördlich von hier, wo vor noch gar nicht langer Zeit die Indianer eine gewisse Tónantzin, eine Art Muttergottheit, verehrten, haben wir statt dessen der Heiligen Jungfrau einen Schrein errichtet. Auf Bitten des Capitán-General Cortés hat man selbigem den Namen des Heiligtums Unserer Lieben Frau von Guadalupe gegeben, welches sich in seiner Heimatprovinz Estremadura in Spanien befindet.
Manche mögen es ungehörig finden, daß wir unsere christlichen Tabernakel ausgerechnet auf den Trümmern von Heidentempeln errichten, deren Ruinen immer noch vom Blut unheiliger Opfer getränkt sind. De facto folgen wir dabei nur den Gepflogenheiten der frühesten christlichen Apostel, welche ihre Altäre dort errichteten, wo zuvor die Römer, Griechen, Sachsen &c. Jupiter, Pan und Freya &c. &c. verehrten, – und zwar ausdrücklich beseelt von dem Wunsch, diese Teufel mögen durch die Anwesenheit des Geopferten Christus vertrieben werden, und daß aus Stätten, so einst Stätten schändlichen Götzendienstes waren, nunmehr Stätten der echten Frömmigkeit würden, wo das Volk von den Dienern des Wahren Gottes bereitwilliger dazu gebracht werden könnte, Seiner Göttlichkeit die ihm zustehende Verehrung entgegenzubringen.
Darin, Sire, hilft uns der Aberglaube der Indianer mächtig. Selbiges gilt für andere Unternehmungen aber leider nicht; denn abgesehen davon, daß sie immer noch ihrem Aberglauben anhangen, sind sie heuchlerisch wie die Pharisäer. Viele von denen, welche sich Bekehrte nennen, selbst jene, welche beteuern, fromme Christen geworden zu sein und fest im Christlichen Glauben zu stehen, leben immer noch in abergläubischer Furcht vor ihren alten Dämonen. Sie halten es für ein Gebot der Klugheit, sich zumindest ein wenig von ihrer Verehrung Huichilobos und der übrigen Götzenhorde zu bewahren und erklären allen Ernstes, damit die Möglichkeit abzuwenden, daß ihre falschen Götter in ihrer Eifersucht Rache dafür üben, verdrängt und getilgt worden zu sein.
Wir haben erwähnt, welche Erfolge wir im Laufe unseres ersten Jahres allhier in Neuspanien zu verzeichnen hatten, indem wir viele Tausende von Idolen aufspürten und zerstörten, welche die Conquistadores übersehen hatten. Als schließlich keine mehr zu finden waren und die Indianer unseren Inquisitoren schworen, es seien keine mehr aus ihren Verstecken auszugraben, argwöhnten wir nichtsdestotrotz, daß die Indianer insgeheim immer noch diese verbotenen Gottheiten verehrten. Wir predigten daher in höchst eindringlichen Worten, wiesen unsere Priester und Missionare an, ein gleiches zu tun, und befahlen, daß kein einziges Idol, auch nicht das kleinste und geringste, ja, nicht einmal ein als Schmuck dienendes Amulett erhalten bleiben dürfe. Woraufhin die Indianer in Bestätigung unseres Argwohns uns und anderen Priestern demütig eine große Anzahl von kleinen gebrannten und ungebrannten Tonfigürchen brachten, ihnen in unserer Gegenwart entsagten und sie in Stücke zerbrachen.
Uns gereichte die neuerliche Entdeckung und Vernichtung so vieler weiterer profaner Gegenstände zu tiefer Befriedigung – bis wir nach einiger Zeit dahinterkamen, daß die Indianer uns nur zu beschwichtigen trachteten oder sich gar lustig über uns machten. Ob das eine oder das andere, ist nicht von Belang, wären wir doch gleichermaßen außer uns vor Zorn gewesen ob solch schändlichen Betrugs. Offenbar haben unsere eindringlichen Predigten unter den indianischen Handwerkern eine ganze Industrie entstehen lassen: Die eilige Herstellung dieser Figürchen zu dem alleinigen Zweck, daß man sie in scheinbarer Unterwerfung unter unsere Ermahnungen uns bringen und vor unseren Augen zerbrechen könne.
Zu unserem womöglich noch größeren Kummer und Schmach erfuhren wir gleichzeitig, daß zahlreiche echte Idole – will sagen, alte Statuetten, keine nachgemachten neuen – dennoch vor unseren danach fahndenden Mönchen verborgen worden waren. Und wo, meintet Ihr wohl, Sire? In den Fundamenten unserer Schreine und Kapellen und anderen christlichen Bauten, welche von indianischen Bauarbeitern für uns errichtet wurden! Die verschlagenen Wilden glaubten ihre schändlichen Götzenbilder sicher vor jeder Entdeckung, wenn sie sie zum Bau von solchen heiligen Gebäuden verwendeten. Ja, schlimmer noch: Sie glaubten, an solchen Stätten diese verborgenen Ungeheuer weiterhin verehren zu können, wenn sie nach außen hin dem Kreuz, der Heiligen Jungfrau oder einem Heiligen huldigten, welcher dort aufgestellt worden war.
Unser Abscheu angesichts dieser unwillkommenen Enthüllungen wurde einzig dadurch etwas gemildert, daß wir die Genugtuung hatten, unseren Gemeinden sagen zu können, daß der Teufel oder jeder andere Widersacher des Wahren Gottes in der unmittelbaren Nähe eines Christenkreuzes oder anderer Verkörperungen des Glaubens unerhörte Qualen erleide – und es freute uns in gewissem Maße, wenn wir sahen, wie sie sich angesichts dieser Erklärung innerlich wanden. Ohne daß weiter in sie gedrungen werden mußte, gaben die indianischen Bauarbeiter, welche derlei heimliche Verstecke ersonnen, verzagt ihre Idole preis, und zwar mehr, als wir ohne ihre Hilfe jemals hätten aufspüren können.
Nach so vielen Beweisen dafür, daß nur so wenige von diesen Indianern ganz ihrem verblendeten Irrglauben haben entrissen werden können – und das trotz inständigster Bemühungen von unserer und von anderer Seite –, fürchten wir sehr, daß ihnen die Augen durch einen gehörigen Schrecken geöffnet werden müssen, wie weiland Saulus vor den Toren von Damaskus. Vielleicht könnten sie allerdings auch auf sanftere Weise einer sahatio ómnibus geneigt gemacht werden, etwa durch irgendein kleines Wunder, wie jenes, welches ein Schutzpatron dem Fürstentum Catalonien in Aragón Eurer Majestät hat zuteil werden lassen: die wunderbare Auffindung des schwarzen Bildes der Virgen von Montserrat, keine hundert Leguas von unserem eigenen Geburtsort entfernt. Freilich versteht es sich von selbst, daß wir die Gebenedeite Jungfrau nicht darum bitten, gnädig ein weiteres Wunder zu vollbringen oder auch nur jenes eine, in welchem sie sich bereits kundgetan, zu wiederholen …
Wir danken Euer Freigebigen Majestät für das Geschenk, welches mit der jüngst gelandeten Karavelle an uns gelangte, will sagen, für die vielen Rosen-Pfropfreiser aus den Königlichen Gärten, jene zu ergänzen, welche wir ursprünglich mitgebracht haben. Die Pfropfreiser werden gewissenhaft auf die Gärten aller unserer verschiedenen Kirchenbesitztümer aufgeteilt werden. Es mag Euer Majestät interessieren, daß – wiewohl es in diesen Landen zuvor keinerlei Rosen gegeben hat – diejenigen Rosenstöcke, welche wir gepflanzt haben, üppiger gediehen, als wir es je zuvor erlebt haben, nicht einmal in den Gärten Castiliens. Das Klima allhier ist äußerst zuträglich wie in einem ewig währenden Frühling, so daß die Rosen das ganze Jahr über eine Blütenfülle ohnegleichen tragen, selbst in diesen Monaten (es ist Dezember, während wir dieses schreiben), welche dem Kalender zufolge Mittwinter sein sollten. Wir schätzen uns überdies glücklich, einen so überaus fähigen Gärtner wie unseren getreuen Juan Diego zu haben.
Trotz seines Namens ist er ein Indianer, Sire, wie alle unsere Domestiken, und – wie alle unsere Domestiken – (ganz im Gegensatz zu denjenigen, von welchen wir in den Absätzen zuvor gesprochen) beseelt von unwandelbarer Frömmigkeit und Glaubensfestigkeit. Seinen Taufnamen erhielt er vor etlichen Jahren von dem Kaplan, welcher die Conquistadores begleitete, Pater Bartolomé de Olmedo. Es war Pater Bartolomés höchst zweckdienliche Gepflogenheit, die Indianer nicht einzeln zu taufen, sondern in ganzen Scharen, damit so viele wie möglich des Heiligen Sakraments der Taufe teilhaftig werden könnten. Und selbstredend gab er gleichfalls aus Gründen der Zweckdienlichkeit jedem Indianer – von denen häufig Hunderte beiderlei Geschlechts auf einmal die Heilige Taufe empfingen – den Namen jenes Heiligen, an dessen Fest die Heilige Handlung vorgenommen wurde. Da der Kirchenkalender nun einmal soviele Heilige namens Johannes aufweist, scheint zu unserer Verwirrung, ja, sogar zu unserem ausgesprochenen Verdruß, jeder zweite christlich getaufte Indianer in Neuspanien entweder Juan oder Juana zu heißen.
Nichtsdestoweniger haben wir unseren Juan Diego sehr gern. Er versteht sich auf Pflanzen, ist gleichsam mit dem grünen Finger begabt, besitzt einen höchst angenehmen und gehorsamen Charakter und ist dem Christentum und uns selbst aufrichtig ergeben.
Daß die königliche Majestät, welcher wir dienen, sich unablässig des Wohlwollens jenes Herrn erfreuen möge, welchem Wir Beide dienen, ist das unablässige Gebet Eures S. C. C. M. ehrwürdigen Stellvertreters und Legaten.
(ECCE SIGNUM) ZUMÁRRAGA